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' ^
DIB
PHILOSOPHIE DER GRIECHEN,
EINE UNTERSUCHUNG
ÜBER
CHARAKTER, GAN€} UND HAUPTMOMENT|:
IHRER ENTWICKLUNG.
VON
Dr. EDUARD ZELLER.
J^wetter ^^rU:
SOKRATRfil, PLATO, ARISTOTELES.
-• H4®^*i-
Tz. ^^c'j-ii
TUBIMeEM,
VERLAG VON LUUWIO FRIEDRICII PUES.
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0.
OTHEtJUE CA.'.:ON/o;
^\
Vorwort.
^ V«
fikatt des versprocheneH zweiten und letzten, erhAlt
hier dar Leser den zweiten und vorietzten Band des vor-
liegenden W^ks. Nach dem Erscheinen des ersten Theils
war mir von mehreren Seiten der Wunsch geäussert wor-
den, dass ich statt einer Untersuchung, welche die histo«-
rische Bekanntschaft mit der griechischen Philosophie schon
bis auf einen gewissen Grad voraussetzt, eine vollständige
1
Darstellung derselben gegeben haben möchte, und ich
selbst äl^erzeugte mich, dass es mir nicht möglich sein
werde, den Organismus so ausgeführter Systeme, wie das
Platonische und Aristotelische, gehörig an's Licht tretet
zu lassen, und meiner Auffassung derselben ihre volle ge-
sdiiditliche Begründung zu geben, wenn ich nicht umfas-*
Sender, als ich Anfangs beabsichtigt hatte, m*s Einzelne
eingienge. So ist denn nun diese Darstellung zu einem
ziemli<^n Umfange gediehen, und ich kann nur wänschen,
^s der Leser diesem Umfang auch den Inhalt entspre-*
ehend finde. Im Uebrigen ist die Methode , nach welcher
ich die Geschichte der alten Philosophie im ersten Theil
behandelt habe, auch in dem gegenwärtigen sich gleich
geUieben.
Die Aufhalffiie^ welche der ersten Abtheilung dies^
Schrift zu Theil geworden ist , hat meine Erwartungen
flbertroffen, und war mir ein ebei^so aufinunternder als er-*
IV Vorwort.
freulicher Beweis von dem Interesse, welches sich die Be-
mühungen um ein philosophisches Eindringen in den Gang
der Geschichte auch bei solchen versprechen dürfen , die
ihre wissenschaftliche Bildung nicht unmittelbar in der
Schule eines philosophischen Systems gewonnen haben.
Ich glaube die Ueberzeugung aussprechen zu dürfen, dass
gerade die von mir befolgte Methode vorzugsweise geeig-
net sei , zwischen der gelehrten Forschung und der spe-
kulativen Geschichtsbetrachtung zu vermitteln, und die
Nothwendigkeit beider Elemente darzuthun. Ich habe mich
in dieser Ueberzeugung auch bei dieser Fortsetzung mei-
ner Untersuchungen bemüht, beiden gleichmdssig ihr Recht
zu lassen , und auch ein genaueres Eingehen in litterari-
sche Einzelheiten nicht verschmäht, wo es mir für die Ansicht
vom Ganzen einen Werth zu haben schien. Dass sidi nicht
trotz dem einzelnes Beachtenswerthe meinem Blick entzo-
gen habe, kann ich nicht hoffen. Absolute litterarische
Vollstöndigkeit ist schwer zu erreichen , und dem beson-
ders, dessen Aufinerksamkeit gleichzdtig von verschiede-^
nen Seiten her in Anspruch genommen wird , mag leicht
dann und wann auch etwas WerlhvöUeres aus der Masse
der Litteratur entgehen. So muss ich in Beziehung auf den
ersten Theil dieser Schrift bedauern, dass mir Breiers
Monographie über Anaxagoras unbekannt geblieben war,
und die Bedeutung von Krische's eindringenden Forschun-
gen über die theologischen Lehren der griechischen Den-
ker sich mir hinter der unangemessenen Form eines Com-
mentars zu ein paar Ciceronischen Kapiteln, in welcher sie
auftreten , verborgen hatte. Hätte ich mich auch durch
diese Schriften zu keiner erheblichen Aenderung meiner
Ansichten veranlasst gefiinden, so würde ich doch noch
den einen und anderen Fuiikt genauer bestimmt haben. ^
Vorivort. V
Dass sich eine Auffassung der griechischen Philosc^hie^
welche mehr als dnmal hergebraditen und durch bedeu-
tende AttktoritSten gestützten Annahmen widersprechen
musst€^ ihrerseits gleichfalls auf Widerspruch gefasst hal-
ten müsse, konnte ich mir nicht verbergen. Es ist jedoch
hier nicht der Ort, auf eine genauere Würdigung der Ein-
würfe einzug^en , welche gegen meine Darstellung d^
voi^okratischen Philosophie laut geworden sind; es würde
diess auf eine irgend genügende Weise nur im Ganzen
dieser Darstellung selbst geschehen können. Nur Einen
Punkt will ich berühren , weil ich bei demselben frühere
Äusserungen zugleich wenigstens im Ausdruck zu verbes-
sern habe. Wenn ich unter den ältesten Systemen solche
unterschieden habe, die ein ruhendes Sein als Princip se-
tzen (Jonier, Pythagoreer, Eleaten), und solche, bei denen
die Frage nach der Ursache des Werdens das Hauptinteresse
bilde (Heraklitl^ Empedokles und die Atomisten, Anaxago-
ras), so hat man hiegegenbemerkt, dass doch auch die unend-
liche Materie der Jonier wesentlich eine bewegte sei, und
dass andererseits Anaxagoras, Empedokles und die Atomi-
sten auf ein ursprüngliches Sein zurückgehen; Diese Einwen-
dung ist insofern nicht ganz ungegründet, als wirklich der
Ausdruck : ruhendes Sein ungenau ist. Was ich damit
sagen wollte , und in der näheren Erklärung dieses Aus-
drucks auch gesagt habe, ist dieses: die angegebenen
zwei Reihen philosophischer Systeme unterscheiden sich
dadurch, dass die Grundfrage bei den Einen die Frage
nach dem Wesen ist, aus dem die Dinge bestehen, bei den
Andern die Frage nach den Ursachen , durch welche sie
entstehen. Diese beiden Fragen lassen sich nun natür-
lich nicht in der Art auseinanderhalten, dass die eine
schlechthin ohne die andere zu beantworten wäre, sie spie-
yi Vorwort.
Ira daher auch hier so in einander, dass z. B. Anaximan-
der den Process der Weltbildung ausfährlich beschreibt,
und ebenso auch die Pythagoreer sich mit kosmogonischer
Spekulation abgaben; aber der Unterschied ist, -welche
von beiden die Grundfrage, das Beherrschende der ganzen
philosophischen Denkweise, welche dagegen der anderen
untergeordnet und von ihr abhängig ist. Da ist nun meine
Behauptung, dass bei den erstgenannten drei Systemen
die Frage nach der Substanz , bei den folgenden vier die
nach der Entstehung der Dinge das ursprüngliche, denGe-
sammtverlauf derselbeu bestimmende Interesse ausspreche.
Meine Grande für diese Ansicht habe ich in meiner Schrift
selbst entwickelt.
Bis wann der dritte, die gesammte nacharistotelische
Philosophie umfassende Theil dieses Werks erscheinen
wird, vermag idi, von vielerlei Geschäften und Verhält-
nissen abhängig, nidit genau zu bestimmen, doch werde
ich Alles thun, um das Publikum nicht zu lange darauf war«
ten zu lassen.
Tübingen, im September 1S45. ,
Der Yerfasser.
I
(
Inlialtov^rzelehnls«.
Seit«
§. 13. lieber den Gharaliter und Entwicklungsgang ider svrciten
Periode im Allgemeinen •%•.•.!
Bestimmung ihres Charakters im \ erbä'ltniss zur irüheren
(S. 1) und späteren (S. 5) Philosophie; Eintbeilung S. 8. .
Erster Abschnitt SoUrat^s und die unvollkommenen
Sokratiker.
A. Sokratcs
$. 14. Die Persönlichkeit des Sokrates 11
Einleitung: unsere Quellen (ur die Henntniss des Sokrates
und seiner Philosophie ~ 12. Sokr. als Tugendheld — 16.
Das Ungriechische in der Erscheinung des Sokrates : seine
Prosa — 22 > sein Dämoniuni — 24.
V t5. Die Philosophie des Sokrates 33
Sokr. nicht blos populärer Moral phüosoph — 35. Das
Priucip der Sokrat. Philosophie : die Forderung des
begrifflichen Wissens — - 39. (lieber die Subjektivität
des Sokrat. Standpunkts — 42.) Die Sokratische Methode
— 45. (Die Sokrat. Unwissenheit — 46. Die Sokrat.
Mäeutik, die Sokrat. Liebe, die Sokrat. Ironie — 48.
Die Induktiou — • 50.) Der bestimmte Inhalt des Sokrat.
Philosophirens : Verhältniss des S. />ur Naturphilosophie
(- 52) und zur Theologie (— 55); die Sokrat. Ethik.
Zurückfübrung der Sittlichkeit aufs Wissen — 57. Das
Ungenügende dieser Bestin^mung, das eudämonistische
Element in der Sokrat. Moral - 60. Bückblick: der
historische Sokrates (— 65), seine geschichtliehe Bedeu-
tung (— 67}, sein Verhältniss zur Sophistik < - 70).
|. 16. Das Schicksal des Sokrates • 7S
1) Die Motive für die Verurtheilung des Sokrates. Sie
ist nicht das Werk der Sophisten 73; nicht blos aus
viii Inhalt.
Seite
persönlichem Has& zu erklären — 75 (über die Bedeu-
tung des Aristophanes und seiner Polemili gegen Sokrat.
— 11 ff*) 5 <1>^ Betlieiligung des demokratischen Interesses
bei- derselben — 81 ^ ihre allgemeineren Gründe — 84
(die Wolken des Arislophanes - 85); letzte Entscliei-
dung — 89. — 2) Ihre Berechtigung. Die An-
klage gegen S. ist unmittelbar wie sie vorliegt grössten-
theils falsch — 91 > in letzter Beziehung begründet — 94,
aber nie politischer Anachronismus — 101.
%, 17. B. Die unvollkommenen Sokratiker . . . .104
Eintheilung — 104. 1) Die Megariker. Die verschie-
denen Elemente ihrer Philosophie ^ 105. Ihr Princip
und ihr Zusammenhang mit Sokrates 110. — 2} Die G y •
niker. Ihr Princip — 112; seine weitere Ausführung
— 114 5 seine Auflösung — 119. — 3) DieGyrenaiker
— 120. Darstellung der Gyrenaischen Ethik— 121i Phy-
sik — 122, und Logik — 125; Princip der cyrenaischen
Philosophie -~ 126, und Verhältniss derselben zur Sokra-
tischen — 128 ; Auflösung derselben : Theodor, Hegesias,
Aniceris — 130.
Zweiter Abschnitt. Plato und die ältere Akademie •
^.'18. Allgemeine Bemerkungen über Gharakter und Bedeutung
der Platonischen Philosophie 134
1) Das Princip der Piaton. Philosophie und sein Verhält-
niss zum Sokratiscben und Aristotelischen — 134; Pla-
to*8 Bedeutung im Verhältniss zu seinen entfernteren
Vorgängern und Nachfolgern — 136. — 2) Die Pla-
tonische Methode: ihr wissenschaftlicher Gharakter
— 138; ihre Kunstform — 140; ihre Mängel — 145.
— 3) Die Gliederung des Platonischen Systems -* 147.
V 19. Die propädeutische Begründung des Platonischen Systems 152
Bestimmung des philosophischen Standpunkts 1} im Ge-
gensatz gegen das populäre Bowusstsein nach seiner
theoretischen (— 152) und seiner praktischen Seite
(^ 155); 2) im Gegensatz gegen die Sophistik (ihre
theoretischen Grundsätze — 160, die praktischen — 161,
Gesammturtheil — 164); 3) an sich selbst (— 166):
a) der philosophische Trieb — 167 , b) die philoso-
phische Methode — 171 , c) die Philosophie als Gan-
zes und ihre Entstehung im Subjekt —^176*
Inhalt. IX
§• 20* Die Platoiufiche Dialektik oder die Ideenlelire • . « 185
1) Der Beweis für die Annahme der Ideen — 185 9 der
Zusammenhang dieser Lehre mit Plato's geschichtlicher
Stellung — 190. — 2) Der Begriff der Ideen: die Ideen
sind das Allgemeine — • 193^ die Ideen försichseiende
Substanscn — 1955 innere Unterschiede und Bewegung
in den Ideen — 199. *— 3) Die Ideenwelt: unendliche "
Vielheit der Ideen — 203; Verhältniss dieser Vielheit
zur Einheit ihres Wesens — 207 5 System der Ideen
— 208 5 die Ideen als Zahlen ~ 210.
§. 21. Die Platonische Ph)sik 217
1. Die allgemeinen Gründe der Erscheinungs weit, a) Die
Materie. Ableitung der Materie — 218. Platonische
Aeusserungen über das Wesen der Materie — 221. Die
Materie keine Substams — 223 ; die Materie nicht blos
Subjektives — 227 ; positive Bestimmung ihres Wesens
— 231. — b) V^erhällniss des Sinnlichen zur Ideen-
welt, a) Die Immanenz der Erscheinung in der Idee
— 232. b) Der Hervorgang der Erscheinung aus der
Idee — 235 (die Aristotelische Behauptung einer Ma-
terie der Ideen ~ 237 ff.). Widerspruch der Platoni-
schen Lehre von der Idee und Ei'schetnung — 244. —
— c) Die Weltseele, als das Vermittelnde zwischen der
Idee und Erscheinung — 246.
2. Die specielle Physik. Allgemeines über diesen Theil
des. Platonischen Systems — 252. Die Entstehung der
Welt — 254» Die Lehre von den Elementen •— 258.
Die Welt als Ganzes — 259.
3. Die Anthropologie. Der allgememe Begriff der Seele
— 260. Die mythische Geschichte der Seele ( — 262)
und ihr philosophischer Gehalt ( — 266 ). Die Theile
der Seele — 270.
§. 22. Die Platonische Ethi^t . . . . . • .276
1. Die ethische Grundanschauung oder die Lehre vom
höchsten Gut— 277. — 2. Die Tugendlehre — 282» —
3. Die Politik: die Noth wendigkeit und die Bestandtbeile
des Staats — 287 5 die Verfassung des Staats — 289; '
die Bildung der Staatsbürger (-^ 294) und die eigen-
thümlichen socialen Institutionen des Platonischen Staats
(— 296); die Bedeutung dieser Staatslehre im Ganzen
Inhalt.
S«iU
des Systems — 398* — Anhang : die Pl|itoniftche Aest-
hetik — 303.
V 33. Das Verhältniss der Platonischen PhUosopbte cur Religion SOS
1. Ihr VerhSltniss zur Volksreligion — 305. — 1. Ihr
Verhältniss si^m Monotheismus: die Idee des Guten und
die Gottheit — 308; die Frage nach der Persönlichkeit
Gottes — 311; inwiefern hat der Piatonismus einen re-
ligiösen Charakter? ^314.
S» 24. Die spätere Form der Platonischen Lehre* Die ältere
Akademie . . • . . • . . .316
1. Die Schrift von den , Gesetzen. Unterschied derselben
von den früheren Darstellungen der Platonischen Phi-
losophie— 317; Bedeutung dieses Unterschieds — 323;
über den Verfasser der Gesetze — 329.
2. Die ältere Akademie — 331. ihre Zahlenlehre— 332;
ihr Verhältniss xur Religion — 340 (die Epinomis —
541); ihr Uebcrgang zum Empirismus und zur Popu-
larphilosophie — 342.
Anhang zum zweiten Abschnitt. Weitere Untersuchungen über
den Zweck und die Composition des Platonischen Parmenides 346
Stand der Frage — 346. Der Parmen. nicht blos eine Dar-
stellung der dialektischen Methode — 347) aber auch keine
direkte Entwicklung der Ideenlehre — 350, sondern ihre
indirekte Begründung im Gegensatz gegen die eleatische AI-
leinsieh rc — 357.
Dritter Abschnitt. Aristoteles und die Peripatetiker.
%, 25* Allgemeine Einleitung. Die formalen Voraussetzungen des
Aristotelischen Systems , 362
Einleitung. Aristoteles und sein Verhältniss /^ur Piatoni-
sehen Philosophie - 362. — Aristoteles über den Be-
griff der Philosophie — 366. — Die philosophische Me-
thode: a) die allgemeinen Elemente des logischen Den-
kens, Begriff, Urtheil und Schluss — 373. b) Die Me-
thodik; der Beweis — 378; das unmittelbare Wissen —
380; die Induktion — 381 und der Wahracheinlichkeits-
beweis — 384; die Definition — 385. r> Von der Ent-
stehung des Wissens im Allgemeinen; die Erhebung von
der Erfahrung zu den Principien •« 387; das höchste Prin-
cip ~ 390; die besonderen Principien — 391. — Die
Eintheilung des Systems -^ 392.
•
u
Inhalt ^ XI
Seite
S. ^6* Die Aristotcllscbe Metaphysik 397
1. Das Einzelne und das Allgemeine. Gegen die Ideen-
i lehre — 398. Nur das Einzelwesen ist Substanz ^—
M 403. Verhältniss dieser Bestimmung zu dem Satze von
1 der Allgemetnfaeit des Wissens ~ 405.
' 3. Die Form und die Materie« Die viereriei Ursachen,,
und ihre Zurückführung auf die zwei genannten— 409.
} Die Form und die Materie, das Wirkliche und das Mög-
liche — • 412. Genaueres über den Begriff der Materie
— 416. (Zufall und Naturuothwendigkeit — 4d0.) In-
nere Beziehung der Form und Materie — 415*
3. Die Bewegung und das erste Bewegende. Begriff der
Bewegung — 427. Jede Bewegung setzt ein potentiel-
les und ein aktuelles Sein voraus — 428. Die Bewe-
gung bat weder Anfang noch Ende — 432. Das erste
Bewegende oder die Gottheit: seine Wirklichkeit — 433 5
sein Wesen — 434 } sein Verhältniss zur Welt — 439.
$t 27. Die Aristotelische Physik ..•.•• 443
1. Allgemeine Untersuchungen über das Wesen der Na-
tur. Die Natur der Grund der Bewegung — 443. Ar-
ten der Bewegung — 445. Mechanische ui)d dynami«'
sehe Naturbetrachtung — 447. — Die mechanischen Be-
dingungen der Bewegung: Raum und Zeit — 449. —
Die Zweckmässigkeit in der Natur — 454.
2* Speciellc Physik. — a) Die Elemente — 461. — b) Die
Einrichtung des Weligebäudes; Die Stufenreihe der
Sphären; das Diesseits und Jenseits — 464* Der Him-
mel — 469. Die Erde — 472. c} Die organische
Natur — 473. Begriff des Organischen : die Seele und
der Leib — 474. Stufenreihe des Organischen — 47jß.
3. Anthropologie — 483. Der menschliche Leib — 484.
Die Seele, a) Begriff und Wesen der Seele — 485.
b) Formen des Seelenlebens: die ernährende Seele
— 486; die empfindende Seele — 486; die Vernunft
— 489; Verhältniss dieser Formen — 493. c) Die
Fragen nach der Entstehung der Seele — 495 > der
Unsterblichkeit ^* 496» und der Freiheit — 498. Die
Persönlichkeit; der Mensch als Mikrokosmus — 500«
%* 28« Die Aristotelische Ethik SOS
1 . Die Ethik im engem Sinn, a) Der Begriff des sittlichen
Handelns — 504. b) Das Ziel der sittlichen Thätigkeit,
XII Inhalt.
Seke
oder das liöchstoGut -^ 310. c) Die Tugenden — 517.
Mehrheit der Tugenden ^518. Ethische und dianoeti-
sche Tugenden — - 519-
2) Die Politik — 523« a) Die Voraussetzungen des Staats,
die Familie — 525 (Mann und Weib — 525. Vater
und Sohn — 527. Herr und Knecht — ebd.). b) Der
Zweck des Staats — 531. — c) Die Einrichtung des
Staatslebens — 533 : die organischen Bestandtheile des
Staats ~ 534 ', die Staatsverfassung -< 536 y die Sorge
fiir die rechte Bescbaffienheit der Bürger — 541«
3) Die Bhetorik — 545.
§. 29. Das Verhältniss der Aristotelischen Philosophie zur Kunst
und Kur Religion 346
1. Die Kunst — 547. Die Aufgabe der Kunst im Allge- ,
meinen — 548. Die Tragödie — 549.
2* Die Religion ~ 553. Die Wahrheit der Religion ~ 555.
Das Mythische in der Rel. 556.
§.30. Rückblick auf das Aristotelische System. Die Peripatetiker 559
Rückblick — 559. — Die peripatetische Schule — 566.
Eudemus und Theophrast — ebd. Dicäarch» Aristoie-
nus, Strato — 570. Die späteren Peripatetiker — 575.
Zweite Periode.
I
$. 13.
Ueber den Charakter und Entwicklungsgang der
zweiten Periode im Allgemeinen.
Die grieehiflclie Philosophie bis auf Sokrates herab
war apmittelbare Versenkung des Denkens in's naturliche
Objekt gewesen, in der Anschauung der Natarsubstanz und
der Erklärung der Erscheinungen aus ihren physikalischen
Ursachen hatte der denkende Geist seine höchste -Befrie-
digung gesucht, und sich selbst nur im Naturobjekt und
als Nat^robjekt ergriflfen. In der Sophistik hatte sich diese
unmittelbare Einheit des Denkens mit dem Objekt aufge-
löst, die Subjektivität hatte sich auf sich selbst zurückge-
zogen, und sich als das Höhere gegen die objektive Welt,
den Menschen als das Maasis und den Zweck aller Dinge
ausgesprochen. Die Subjektivität selbst jedoch war hier
erst die unmittelbare, empirische Subjektivität gewesen, der
Standpunkt der früheren Philosophie daher noch nicht prin-
cipiell überwunden: die Sophistik ist nur die Selbstauflösung
des vorsokratischen Realismus innerhalb seiner selbst, Aur
die indirekte Vorbereitung, noch nicht der positive schöpfe-
rische Anfang einer neuen Periode. In Sokrates ist auch
dieser gekommen, und wir haben nun zunächst, an frühere
Andeutungen (i.Th. S. 32 f. 47) anknüpfend, den Cha-
rakter und Entwicklungsgang dieser Periode in allgemeinen
Umrissen zu bezeichnen.
Seh^n wir biefür zuerst auf das Verhältniss der Sokra-
tischen und nachsokratischen zu der vorangehenden Philo-
Die Philosophie der Griechen. II. TbeiL 1
2 ' üeber den CharalUer und Entwicklungsgang
Sophie, so fällt der Unterschied beider schon äusserlich als
Yerschiedenheit ihres Unifangs und Gegenstands in die Augen.
Die frühere Philosophie, haben wir gesehen, war durchweg
Naturphilosophie gewesen ^),, und nur die Uebergangsform
der Sophislik hatte sich von der physikalischen Forschung -
ab- und den ethischen und dialektischen Fragen zugewendet.
MitSokrates wird diese Richtung zur herrschenden; er selbst
beschäftigt sich ausschliesslich mit der Begrilfsbestimmung .
und der Untersuchung über die Tugend, auf dasselbe Gebiet
beschränken sicb^ mit unbedeutenden Ausnahmen, die un-
vollkommenen Sokratischen Schulen, auch bei Plato tritt die '
dialektische Grundlegung und ethische Vollendung des Sy-
Sterns der Physik gegenüber entschieden in den Vordergrund,
und wenn Aristoteles die Physik in grosser Breite, und mit
unverkennbarer Vorliebe ausgeführt hat, so ist sie doch auch
ihm nur ein einzelner, und zwar seinem Werthe nach der
Metaphysik untergeordneter Theil des Systems. Schon diese
Veränderung und Erweiterung des Gegenstands der Philo-
sophie weist jedoch auf eine Veränderung des ganzen philo-
sophischen Standpunkts zurück, denn warum anders hätte
das Denken andere und umfassendere Stoffe gesucht, als weil
es vermöge seines eigenen veränderten Charakters sich in
f 4
den< bisherigen nicht mehr befriedigt fand? Auch die philo«
1) In welchem Sinne ich dieses verslanden wissen will, habe Ich
Bwar auch schön im 4. Th. S. 65 angedeutet, wUl aber zur Ab»
wehr von Bllss Verständnissen auch hier noch ausdrücldlch be-
merken, dass ich damit nicht behaupite, die vorsokratische Philo-
sophie habe sich ausschliesslich auf die Gegenstände
beschränkt, die spater 7.ur Physik im engern Sinrt gerechnet wur^
den — diese Beschränkung setzt ja selbst schon, die schärfere
Unterscheidung von Geist' imd Natur voraus — , sondern nur,
die Ge3ammtheit des Seienden werde hier unter dem Gesichts-
punkt der (pva&s, des natürlichen Daseins, betrachtet, und au«
diesem Grunde Ethisches und Dialektisches nur beiläufig be-
sprochen, während das Grundintcrcsse auf die Natur als solche
gerichtet ist.
der zweiten Periode im Allgemeinen. $
sophische Methode ist daher jetzt eine andere : an die Stelle
des früheren dogmatischen Verfahrens tritt als unterschei-
dende Eigenthümlichkeit der zweiten Periode das dialek-
tische. Die frühere Philosofüiie war dogmatisch gewesen,
weil sich das Denken in ihr unmittelbar auf das Objekt,
als solches, richtet, die Sokratische und nachsokratische ist
dialektisch, weil die Richtung des Denkens hier unmittelbar
auf den Begriff, und nur mittelst des Begriffs auf das Ob*
jekt geht; jene hatte ohne weitere Vorbereitung gefragt,
welche Prädikate den Dingen zukommen, ob z. B. das Sein
bewegt oder unbewegt sei, wie und woraus die Welt entstan-
den sei u. s. f., diese fragt immer zuerst, was die Dinge an
sich selbst, ihrem Begriffe nach, sind, und erst aus dem
richtig erkannten Begriffe des Dings glaubt sie auch über
die Eigenschaften und Zustünde desselben etwas ausmachen
zu können. Die Regeln und Gründe für dieses Verfahren
entwickelt die Platonische und Aristotelische Theorie des
Wissens, als allgemeines Princip aber, sowie in unmittel-
bar praktischer Anwendung ,^ist es (s. u.) auch schon bei
Sokrates vorhanden, und dass dieser dialektische Charakter
auch von den einseitigen Sokratikern theils weiter ent-
wickelt, theils wenigstens nicht verläugnet wird, werden wir
später noch sehen. Ist aber hiemit der Begriff als die allei-
nige Wahrheit der Dinge erkannt, so muss er auch ihre
alleinige W ix kl ichkeit sein; hatte daher der früheren Philo-
sophie durchaus die Erscheinungswelt, sei es nun ihrem un-
mittelbaren, sinnlichen Dasein, oder ihrer allgemeinen Sub-
stanz nach für das allein Wirkliche gegolten ^), so .gilt ihr
jetzt die Idee oder der objektive Gedanke für die wahre
Wirklichkeit, die Erscheinung dagegen für das an sich
selbst Unwirkliche, das am wahren Sein nur in dem Maasse
Theil nimmt, in dem die Idee in ihm gesetzt ist. Plata hat
diese Anschauung am schärfsten ausgesprochen , aber als
1) S. Bd. I. S. 65.
1*
4 Ucber den Charakter und Entwicklungsgang
unentwickelte Consequenz liegt sie auch schon der dialek-
tischen Richtung auf den Begriff und der Hervorhebung
der Ethik gegen die Physik bei Sokrates und seinen ihm
näher stehenden Schülern zu Grunde, und wenn Aristoteles
das Wesen der Dinge nicht als transcendente Idee, son-
dern als den der Erscheinung immanenten Begriff bestimmt,
so lässt doch auch er von der alleinigen Wirklichkeit des
Gedankens so wenig nach, dass ihm nur das reine Denken
das absolut Wirkliche, die reine Energie, und die Materie
nur darum nicht das Nichtseiende ist, weil sie an sich , im
unentwickelten Potenzzustand, dasselbe ist, was der vovg
it) entwickelter Aktualität.
Nehmen wir diese Züge zusammen, so zeigt sich als
der Grundunterschied der zweiten Periode von der ersten
das Zusichselbstkommen des denkenden Geistes, diess, dass
der Gedanke als das Höhere geg«n das Dasein, der Geist
als das Höhere gegen die Natur gewusst wird. Der Geist
selbst aber wird hier noch in der Form der Objektivität an-
geschaut, er hat sein Dasein nicht am menschlichen Selbst-
bewusstsein, sondern für sich; die jenseitige, weder der
Natur noch des Menschen zu ihrer Verwirklichung bedür-
fende Idee ist Plato das allein wahrhaft Wirkliche, das von
der Welt abgezogene, nur sich selbst denkende Denken
Aristoteles das einzige in voller und reiner Aktualität seiende
Wesen, und wenn Sokrates das Denken zunächst nur als
subjektives, als philosophischen Trieb und philosophisches
Leben zu haben scheint, so ist doch auch bei ihm diese Sub-
jektivität noch nicht zum bewussten Princip erhoben, für
das Wahre gilt auch ihm der Begriff als das objektive
Wesen der Dinge, auch sein Denken daher ist noch nicht
die Zurückziehung des Subjekts auf sich selbst, sondern
Hingebung desselben an seinen Gegenstand; der Unterschied
dieses Denkens von dem der ersten Periode ist nur, dass
als der wahre ((gegenständ des Denkens und die wahre Wirk-
der zweiten Periode im Allgemeinen* 5
lichkeit nicht mehr die Natur, d. h. die Erscbeinungswelt
überhaupt, sondern nur der Begriff gilt.
Wie sich aber die Philosophie unserer zweiten Periode
durch diese Hingebung an die Objektivität, wenn auch die
ideale Objektivität, der der ersten wieder annähert, so ist
es eben dieser Zug, welcher den Grundunterschied zwi-
schen dieser und der folgenden Periode ausmacht. Darin,
dass der Gedanke für alte Wahrheit und Wirklichkeit, der
Geist für das absolut Höchste gilt, trefi'en beide zusammen,
aber der Unterschied ist, dass der Gedanke, welchem diese
Stellung eingeräumt wird, in der zweiten Periode als der
objektive, in der dritten als der subjektive Gedanke, oder
was dasselbe, als das denkende Subjekt gefasst wird. — Die
Richtigkeit dieser Bestimmung lässt sich an den drei Haupt-
theilen der Philosophie , der Dialektik , Physik und Ethik
nachweisen. — In der Dialektik ist die unterscheidende Ei-
genthümlichkeit der nacharistotelischen Philosophie die Frage
n^ch dem Kriterium. Keiner der früheren Philosophen hatte
diese Frage aufgeworfen, der Stoicismus und Epikureismus
dagegen beginnen mit ihr, die Skepsis dreht sich von Anfang
bis zu Ende um dieselbe, und w enn sie der Neuplatonismus
nicht mehr ausdrücklich erörtert, so ist doch die Sache selbst,
der Zweifel an der unmittelbaren Wahrheit des Denkens,
bei ihm um nichts weniger stark. Schon dieser eine Zug
ist fjir das Verhältniss der beiden Perioden charakteristisch.
Weder Sokrates, noch Plato, noch Aristoteles hatten nach
einem Merkmal der Wahrheit gefragt ^}, weil ihnen die
1) Die Genannten alle fragen wobl, worin das wahre Wissen be-
stehe,, oder welches Wissen das wahre sei, eine Frage, die z.B.
das Thema des Platonischen Theätet bildet. So nahe aber diese
Fragp der nach dem Kriterium verwandt ist, so wenig ist sie
doch mit ihr identisch. Wenn gefragt wird: *7r*ar3|//*i7 o xi noxe
xvyxavfi vp- (Theät. 145, E), so setzt diese Frage die Wirkljch-
lieit des Wissens überhaupt voraus, und nur die nähere Beschaf-
fenheit desselben soll ausgemittelt werden, wird dagegen nach
6 lieber den Charakter und Entwicklungsgang
Wahrheit des Denkens unmittelbar feststeht, weil ihr Den-
ken noch objektives, in den Gegenstand versenktes und von
seiner Angemessenheit an den Gegenstand überzeugtes Den-
ken ist; wenn die Späteren darnach fragen, so kann diess
liur daher kommen, dass ihr Denken diese unmittelbare
Einheit mit dem Objekt aufgegeben, sich als subjektives
in sich zurückgezogen hat, und nun erst eine besondere
Norm der Wahrheit als Vermittlung zwischen sich und dem
Objekt suchen muss. So wenig sich aber dieses Denken
ursprünglich mit dem Objekt in Einheit weiss, ebenso wenig
vermag es auch in der Folge zu dieser Einheit zu gelangen:
das Kriterium der Wahrheit liegt den Stoikern wie den Epi-
kureern nur in der Empfindung, mag diese auch von den
Ersteren wieder als allgemeine, als noivii hvoia^ gefasst wer-
den, die Skeptiker verzichten ganz auf die Wahrheit, und
auch die Neuplatoniker wissen sie nicht im Denken,, als
solchem, sondern nur in der ekstatischen Erhebung über
Begriff und Bewusstsein und der Offenbarung eines transcen-
denten göttlichen Princips zu finden — das objektive Denken
der zweiten Periode ist in der dritten einer in sich zurück-
gezogenen, mit dem Objekt enta^weiten subjektiven Reflexion
gewichen. — Dasselbe Verhältniss wiederholt sich in der
Physik; hatte schon die zweite Periode die physikalische
Forsbhung, welche zuerst alle Spekulation in sich aufge-
zehrt hatte, zu-einem einzelnen und untergeordneten Theile
der Philosophie herabgesetzt, so verliert dieselbe in der drit-
ten vollends alle Bedeutung: der Stoicismus und Epikureis.
TOus SO wenig, als der Neuplatonismus (von der Skepsis
kann hier'ohnedem nicht die Rede sein) haben eine irgend
entwickelte naturwissenschaftliche Lehre aus sich erzeugt.
dem Kriterium gefragt, so wird es hiebei vorläufig noch proble-
matisch gelassen, ob sich ein solches finden wird, — wirklich
hat ja auch die Skepsis keines gefunden — d. h. ob überhaupt
ein Wissen mögb'ch ist.
der zweiten Periode im Allgemeinen. 7
t *
sondern insgesammt nur friihere Theorieen wiederholt, sofern
sie aber wenigstens allgemeine Ansichten über die ^atur nnd
die Materie aussprechen , können auch diese nu4* dazu die«
nen, die Entfremdung des Denkens gegen die objektive
Welt zu beweisen. Der stoische HylozoisiHus so gut wie
der epikureische Atomismus sind ein Zurücksinken auf den
Standpunkt der vorsokratischen Naturphilosophie, dieses aber
kann hier, bei dem gänzlich veränderten Charakter des übri-
gen Pbilosophirens, nur daraus erklärt werden, dass das Den-
ken sich selbst nicht mehr als die Substanz des natürlichen
Daseins zu erkennen vermag, wie es diess in Plato und
Aristoteles gethan hatte, und aus demselben Grunde ist aqch
die neuplatonische Lehre von der Entstehung der Materie
durch einen Abfall der Ideen zu erklären; der Bruch d^s
Denkens mit der Natur, die Unfähigkeit desselben, sich im
Naturleben wiederzufinden, ist der gemeinsame Charakter
dieser Physik; hatte Plato und Aristoteles den Geist zwar
als das Höhere gegen die Natur behauptet, aber ihn doch
auch in der Natur anerkannt, so wird j^tzt, bei weiter ge-
' triebener , abstrakter Reflexion des Subjekts in sich, die
Natur zum entgeisteten Objekt, das dem Denken theils nur
als das Produkt physischer Noih wendigkeit,, theils als das
Nichtseinsollende gegenübersteht, und in d,eni einen wie in
dem andern Fall sein positives Interesse für dasselbe ver-
loren hat. Dass auch in der Ethik zwischen den Systemen
der zweiten und denen der dritten Periode derselbe Unter-
schied stattfindet, und dass auch die Annäherung der unvoll«
kommenen Sokratischen Schulen an den stoischen und epi-
kureischen Typus keine Ausnahme von dem allgemeinen
Charakter der zweiten Periode begründet, habe ich schon
früher (l. Tbl. S. 40 ff.) nachgewiesen, und ebendaselbst
über die Zusammengehörigkeit des Neuplatonismus mit den
übrigen Systemen' der. dritten Periode das Nöthige beige-
bracht; wie sich diesie auch in der Ethik ausspricht, und
f
8 Ueber den Charakter und Entwiclilungsgang
wie die vom Neuplatonisinus geforderte Ascese nur das
Extrem der in der stoisch - epikureischen Apathie und der
skeptischen Ataraxie verlangten praktischen Zurückziehung
aus der Sinnlfchkeit ist, braucht kaom ausdrücklich bemerkt
zu werden.
Was demnach die zweite Periode von der ersten unter-
scheidet ist die Richtung der Philosophie vom unmittelbaren
Dasein auf den Gedanken, oder die Idee, was sie von der
dritten unterscheidet ist die Objektivität dieses Denkens,
diess, dass es dem denkenden Subjekt noch nicht um sich
selbst und die Unendlichkeit seines fürsichseienden Selbst-
bewusstseins, sondern um die Anschauung des an und für
sich Wahren und Wirklichen, als des absoluten Objekts,
zu thun ist. Wenn wir daher die Philosophie der ersten Pe-
riode die Philosophie der unmittelbaren Anschauung genannt
haben, und die der dritten die Philosophie der subjektiven
Reflexion nennen können, so wird der Charakter der zwei-
ten Periode durch die Bezeichnung: Philosophie des objek-
tiven Gedankens richtig ausgedrückt sein.
Die nähere Entwicklung dieses Princips vollzieht sich
nun einfach in' drei philosophischen Systemen, deren Urhe-
ber, auch persönlich im Yerhältniss von Lehrern und Schü-
lern stehend, drei aufeinanderfolgenden Generationen ange-
hören, so nämlich, wie ich diesS schon früher bemerkt habe ^),
„dass zuerst Sokrates den Begriff als die Wahrheit des sub-
jektiven Denkens udd Lebens ausspricht und nachweist, so-
fort Plato denselben in seiner an und für sich seienden Wirk-
lichkeit anschaut, diese Anschauung dem populären Be-
wusstsein gegenüber dialektisch begründet und zur Totalität
einer Ideenwelt ausführt, Aristoteles endlich in der empi-
rischen Welt selbst die Idee als ihr Wesen und ihre Ente-
lechie aufzeigt.^' Sokrates hat noch kein System, ja noch
1) 1. Th. S. 47.
der zweiten Periode im Allgemeinen. 9
gar kein objektives, inateriales Prineip ; die Richtung auf die
Idee ist in ihm erst als unmittelbare, subjektive Bestimmt-
heit, als philosophischer Trieb, philosophische Methode und
philosophisches Leben vorhanden, und auch was an posi-
tiven Lehrsätzen von ihm berichtet wird , ist nur das Aus-
sprechen dieser seiner subjektiven Bestimmtheit als allgemei-
ner Forderung: dass nicht allein das wahre Wissen sondern
auch die wahre Sittlichkeit in der richtigen Erkenntniss des
Begriffs bestehe, ist die einzige philosophische Behauptung
des Sokrates. Dieses Sokratische Suchen des Begriffs wird
nun in Plato zum Finden, zur Siicherheit des Besitzes und
der Anschauung; die objektiven Gedanken, die Ideen, sind
ihm das allein Wirkliche, das ideenlose Sein, die Materie
als solche, das schlechthin Unwirkliche, das fiij of, alles
Andere aber ein aus Sein und Nichtsein Zusammengesetz-
tes, das nur so viel Sein in sich trägt, wie viel es Antheil
an der Idee hat. So weit aber auch hiemit der Sokratische
Standpunkt überschritten ist, so gewiss ist doch diese Ueber-
schreitung nur eine folgerichtige Fortbildung dieses Stand-
punkts: die Platonischen Ideen, wie diess schon Aristo-
teles ^) richtig erkannt hat, sind nur die von Sokrates
aufgesuchten allgemeinen Begriffe von der Erscheinungswelt
abgelost. Eben diese objektiven Begriffe aber sind es, welche
auch den Mittelpunkt der Aristotelischen Spekulation bilden :
nur der Begriff ist nach Aristoteles das Wesen , die Wirk-
lichkeit und die Seele der Dinge (to ri tjp elvai, ivsgyeta, sV-
^eXixsia) , nur der absolute Begriff, der reine sich sdbst
denkende Gedanke das absolut Wirkliche, nur das Denken
auch für den Menschen die höchste Wirklichkeit und darum
auch die höchste Seligkeit seines Daseins. Der einzige wesent-
lichjB Unterschied ist, dass der Begriff, den Plato von der
Erscheinung abgetrennt und, als für sich seiende Idee ange-
1) Metaph. I, 6. 987, b, 1, Vgl. auch unsern 1. Th. S. 38.
10 lieber den Charakter und Entwicklujigsgang
schaut hatte, nach Aristoteles nur in der Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen sein Dasein hat (die Aristotelische Polemik
gegen das ;fö)^/(yTa crotay t« eiö/i); auch diese Bestimmung
indessen ist nicht so gemeint, als ob der Gedanke zu seiner
Verwirklichung der Erscheinung und der Materie bedürfte,
sondern er hat seine Wirklichkeit an sich selbst, und nur
darum will ihd Aristoteles nicht aus der Erscheinungswelt
hinaussetzen, weil er so gleichfalls zu' etwas Einzelnem, zu
einer, wenn auch ewigen und jenseitigen Erscheinung ge-
macht würde. Es ist so Ein Princip, das sich in Sokrates,
Plato und Aristoteles auf versc^hiedenen Entwicklungsstufen
darstellt, in dem ersten noch unentwickelt, aber mit gedrun-
gener Lebenskraft , aus der Anschauungsweise der ersten
Periode sich hervorringend , in dem Zweitexi zu reiner und
selbständiger Entfallung gediehen, in dem Dritten über die
ganze Welt des Daseins und Bewusstseins sich ausbreitend,
aber auch in dieser Ausbreitung sich erschöpfend und seiner
Umgestaltung in der dritten Periode entgegenbewegend.
Sokrates, können wir sagen, ist der schwellende Keim, Plato
die reiche ßlülhe, Aristoteles die gereifte Frucht der grie-
chischen Philosophie auf dem Höhepunkt ihrer geschicht-
lichen Entwicklung.
Nur Eine Erscheinung, scheint es, will sich in diese
Gliederung nicht recht einfügen, und droht die Durchsich-
tigkeit des geschichtlichen Organismus zu trüben, die un-
vollkommenen Versuche einer Fortbildung des Sokratischen
Prinoips, welche in der megarischen, cynischen und cyrenai-
sehen Philosophie vorliegen. Einen wirklichen wesentlichen
Fortschritt des philosophischen Bewnsstseins können wir in
diesen Schulen nicht anerkennen, sofern dieselben die Philo-
sophie, welche dem Princip nach schon in Sokrates auf eine
objektive, nur in einem System des Wissens zu erreichende
Erkenntniss hinstrebt, in der Form der subjektiven Gedan-
ken- und Charakterbildung festhalten;, andererseits sind die-
der zweiten Periode im Allgemeinen. 11
/
•f
selben doch nicht als ganz bedeutungslos aus der Geschichte
der Philosophie zu verweisen, da sie nicht allein spaler dem
Stoicisnius und Epikureisnius zum Vorbild und Ausgangs-
punkt gedient, sondern auch auf Plato unverkennbaren Ein-
flnss geübt haben. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich in-^
dessen auch sonst, und gleich in unserer Periode selbst in
der älteren Akademie und der. peripatetischen Schule, die
gleichfalls nicht selbständig in die Entwicklung der Philo-
sophie eingreifen, ohne doch daruui von der Geschichte der-
selben übergangen werden zu können. Von allen diesen
Erscheinungen ist das Gleiche zu sagen: ihre Bedeutung
liegt nicht in der inneren Fortbildung des philosqphischen
Princips, sondern nur in der äusseren Vermittlung dieses
Fortschritts, darin, dass die ältere Bildungsform für die An«
schauung der Zeit erhalten, auch etwa im Einzelnen ver-
bessert oder weiter ausgeführt, und so dem philosophischen
Gesammtbewusstsein die Vielseitigkeit bewahrt wird, ohne
welche die späteren Systeme die Errungenschaft der frühe-
ren nicht in sich aufnehmen könnten. Diese Dauerhaftigkeit
der philosophischen Schulen tritt daher auch nicht früher
ein , als bis die Philosophie überhaupt eine gewisse Allge-
meinheit gewonnen hat, in Griechenland erst mit Sokrates
und Plato; während dieser Letztere den gesammten vorso-
kratischen Schulen durch die Zusammenfassung ihrer ein-
seitigen Principien in seinem System ein Ende gemacht
hat, so ist von ihm an )cein selbständiges System mehr auf-
getreten , das sich nicht in einer eigenen Schule bis auf
den Schlussstein der griechischen Philosophie, den Neupla-
tonismus, herab erhalten hätte, in und mit welchem gleich-
falls alle früheren Systeme untergiengen. So viele philo-
, sophische Richtungen aber hienach in der späteren Zeit Äusser-
lich neben einander hergehen, so sind es doch immer nur
wenige, welche eine eigene Lebenskraft besitzen ; die übri-
gen sind nur eine traditionelle Fortpflanzung früherer Stand-
12 I>ie Persönlichlieit des Sokrates.
punkte, und können da, wo es sich um den eigenthümlichen
philosophischen Charakter einer Zeit handelt, nicht weiter
itx Betracht kommen, werden daher auch von der Geschicht-
schreibung nur beiläufig, in untergeordneter Stellung, er-
wähnt werden können. Diess gilt nun picht allein von der
akademischen und peripatetischen, sondern auch schon von den
unvollkommenen Sokratischen Schulen. Da sie nfcht eine
principielle Fortbildung, sondern nur einseitige Auffassungen
des Sokratischen Philosophirens darstellen, so kann von ihnen
auch nur zugleich mit diesem die Rede sein. Die folgende
Darstellung wird daher l) von Sokrates und den unvoll-
kommenen Sokratikern, 2) von Plato und der Akademie,
3) von Aristoteles und der peripatetischen Schule sprechen.
"Erster übselinltt.
Sokrates und die unvolUiommenen Sokratiker.
A. Sokrates.
Die Persönlichkeit des Sokrates.
Einer urkundlichen Darstellung des Sokratischen Philo-
sophirens tritt zunächst in der bekannten Differenz des Pla-
tonischen und Xenophontischen Sokrates eine nicht uner-
hebliche Schwierigkeit entgegen. Während sich nun die
Früheren das Bild des attischen Weisen ohne feste leitende
Grundsätze nicht blos aus Xenophon und Plato, sondern auch
aus späteren und zum Theil ganz unzuverlässigen Berichten
zusammenzusetzen pflegten , ist die neuere Geschichtschrei-
bung, seit Brucker , mit Ausschluss aller übrigen Berichter-
statter, auf Xenophon als die einzige authentische Darstel-
lungder Sokratischen Philosophie zurückgegangen, und wollte
\
/
r
Die Persönlichkeit des Sokrates. 13
den Andern, Plato miteingeschlossen, nur für biographische
Notizen und personliche Charakteristik des Sokrates volle
Glaubwürdigkeit, für die Kenntniss seiner Philosophie da-
gegen höchstens supplementarische Bedeutung zugestehen.
Gegen diese Bevorzugung Xenophons hat jedoch neuerer
Zeit wieder Schleiermacher ^) Einsprache erhoben« Theils
der speciell apologetische Zweck der Xenophontischen Denk-
würdigkeiten, bemerkt er, theils, und besonders, der für er-
schöpfende Auffassung einer philosophischen Persönlichkeit
wenig geeignete Charakter ihres Verfassers berechtigen uns
zu der Annahme, dass Sokrates mehr gewesen sein könne,
als Xenophon von ihm darstellt, ebenso zeige aber auch die.
unläugbare Bedeutung dieses Mannes für die Geschichte der
Philosophie, die gewaltige Anziehungskraft, die er auf die
geistreichsten und spekulativsten Menschen, ausübte, und
die Rolle, die ihm Plato übertragen konnte, dass ßr mehr
gewesen sein müsse; ja die Xenophontischen Gespräche
selbst machen den Eindruck, Philosophisches zum Schaden
seines eigentlichen Gehalts jn den unphilosophischen Styl
des gemeinen Verstandes zu übertragen. Xenophon habe
mithin eine Lücke gelassen, zu deren Ausfüllung wir nur
auf Plato zurückgehen können. Freilich aber nicht so, wie
diess Mein^rs verlangt hatte p) , dass als historisch in den
Reden des Xenophontischen Sokrates nur das anerkannt
würde, wais sich aul;h bei Xenophon findet, oder unmittelbar
aus Xenophontischem folgt, oder Plato's eigener Ansicht
widerspricht; denn so hätten wir immer nur den Xenophon-
tischen Sokrates, wenig modificirt, der tiefere Quellpunkt des
1) lieber den Werth des Sokrates als Philosophen (zuerst in den
Abhandlungen der Berliner Akademie, philos. KL 1818- S. 50 ff.
Wiederabgedruckt in den ges. Werken.) W W. III, 2, 293 ff. Vgl..
Gesch. d. Phil. S. 81 f- — Unser obiger Auszug will übrigens
nicht die Worte, sondern nur die Hauptgedanken Sch1.s wieder-
geben.
2) Gescb« d. Wissenschaften in Griechenland und Rom II, 420 f«
14 Die Persönlichkeit des SoUrates.
Sokratischen Denkens dagegen bliebe uns verborgen. Der
einzig sichere Weg ist, vielmehr nach Schleikrmacher der,
„dass man frage:. Was kann Sokrales noch gewesen sein
neben dem, was Xenophon von ihm meldet, ohne jedoch den
Charakterzügen und Lebensmaximen zii widersprechen, wel-
che Xenophon bestimmt als Sokratisch aufstellt, und was
muss er gewesen sein um dem Plafon Veranlassung und
Recht gegeben i^u haben, ihn so', wie er thut, in seinen Ge-
sprächen aufzuführen." Diesem ürtheil über Xenophon sind
auch Andere ^) beigetreten, nachdem schon vor Schleier-
macher DissEN 2) erklärt hatte, dass er in der Xenophon-
tischen Darstellung nur den exoterischen Sokrates zu er-
blicken vermöge; ebenso ist Schleiermachers Knnon über
die Ausscheidung des acht Sokratischen aus der Xenophon-*
tischen und Platonischen Darstellung gutgehei^sen, und dem-
selben nur zur Ergänzung die Bemerkung beigefügt worden ^),
dass wjr an den Aeusserungen des Aristoteles über dieSokra-
tische Lehre auch ein äusseres Regulativ für jene Ausschei-
dung besitzen. Andererseits hat Xenophons historische Zu-
verlässigkeit doch auch nicht ganz wenige Vertheidiger
gefunden *). Sollnun aber zwischen beiden Ansichten ent-
schieden werden, so zergt sich die Schwierigkeit, dass wir
1) Brandis im Rhein. Mus. Von Niebühr und Brasdis I, b, 122 ff.
Vgl. GescIi; d.' griech.-röm. Philos. It, a, 20. Ritter Gesch. d.
Philos. ir, 44 f. Mehr in Beziehung auf die Person, öls auf die
Lehre des Sokrates giebt van Heusde Characlerisml principum
philosophprum veterum S. 54 ff. der mimisch getreuen Plato-
nischen Schilderung vor der apologetisch -panegyrischen Xeno-
phons entschieden den Vorzug.
2) De philosophia moraii in Xenophontis de Socrale commentariis
tradila S. 28 (in Disseic's Kleineren Schriftert S. 87 f.).
5) Von Bbaisdis a. a. O.
4) Hfgel Gesell, d Phil. II, 69. Bötscher Aristophanes und sein
Zeitalter S. 395 ff. Hebmann Gesch. und Syst. des Piatonismus
I, 249 ff. Vgl. Fries Gesch. d Phil. I, 259- Delbrücks >?Xeno.
phon« (Bona 1829) Itcnne ich nicht aus eigener Anschauung.
Die PersönHchkcit des Solirates. 15
über die Glaubwürdigkeit des einen oder des andern von
unsern Berichten nur nach der Uebereinstimniung derselben
hiit dein historisch treuen Bilde des Sokrates, über die
historische Treue dieses Bildes aber, wie es scheint, nur qach
seiner Uebercinstimmung mit -den glaubwürdigen Berichten
urtheilen können. Diese Schwierigkeit wäre wirklich unauf-
löslich, wenn die Platonische und Xenophontische Darstel-
lung auch bei den Punkten, wo sie sich widersprechen, beide
mit dem gleichen Ans()ruch auf Geschichtlichkeit aufträten,
und auch die sparsamen Angaben des Aristoteles überSokra-
tische Philosophie dnrflen zur Entscheidung des Streifs kaufn
ausreichen. Nun Hegt aber vorerst soviel am Tage, dass sich
Plato ntir in solchen Parthieen bestimmt für einen bisfo-
rischen Berichterstatter giebt, an denen zwischen ihm und
Xenophon kein wesentlicher Widerspruch stattfindet, wie in
der Apologie und den Erzählungen, des Alcibiades im Gast-
mahl, wogegen es noch Niemand eingefallen ist, zu behaup-
ten, dass er auch alles Uebrige, das er Sokrates in den Mund
legt, wirklich für Aeusserungen des historischen Sokrates
angesehen wissen wolle. Die Angritfe gegen die Xenophon-
tische Darstellung stutzen sich daher auch nur auf den in-
direkten Beweisgrund, dass sich aus derselben theils die ge-
schichtliche Bedeutung des Sokrates überhaupt, theils im
Besondern die Möglichkeit, ihn ohne gänzliche Verletzung
der Wahrscheinlichkeit so (Sprechen zu lassen, wie ihn Plato
sprechen lasst, nicht erkläre. Wäre nun diese Behauptung
richtig, so müssten wir freilich. die Xenophontische Darstel*
lung für unzureichend, wenn auch nicht für unzuverlässig
erklären, und möchten dann zusehen, wie wir uns aus den
historisch unsichern Zügen bei Platö und den wenigen Aeusse-
rungen des Aristoteles ein Bild der Sokratischen Philosophie
zusammensetzen könnten ; ^he wir jedoch jene Voraussetzung
Zugeben, muss dieselbe erst gründlicher, als dies» vop den
Gegnern Xenophons zu geschehen pflegt, untersucht werden.
16 I^ie Persönliclikeit des Solirates.
Diese Untersuchung aber fällt mit der Darstellung der Sokra-
tischen Philosophie selbst zusammen , und konnte sich von
dieser höchstens formell unterscheiden. .Auch hier sollen
daher beide nicht getrennt werden ; wir schildern den Sokra-
tes und seine Philosophie nach dem dreifachen Berichte des
Xenophon, Plato und Aristoteles; gelingt es uns aus diesen
Berichten ein in sich zusammenstimmendes Bild zu erhal-
ten, so ist ebendamit Xenophoh gerechtfertigt, gelingt es uns
nicht, so wird dann erst zu untersuchen sein, welche von den
vorliegenden Darstellungen Recht hat.
Fassen wir hiefiir zunächst den personlichen Charakter
des Sokrates, der bei ihm wichtiger ist, als bei irgend einem
andern Philosophen, in's Auge, und beginnen mit Xenophons
Darstellung, so lässt sich allerdings nicht läugnen, dass die-
ser seinen Lehrer speciell als Philosophen zu schildern gar
nicht die Absicht hat. Der nächste Zweck der Memorabilien
ist ein apologetischer, und diese Vertheidigung gilt nicht
sowohl dem Philosophen, als vielmehr dem Manschen, dem
av^Q xaXog xaya^og, wie ihn das Xenophontische Symposion
am Anfange bezeichnet, dem unschuldig Verurtheilten, dem
Froromen, Gerechten, Enlhaltsaraen, Einsichtsvollen, dem
Manne der praktischen Tugend und Lebensweisheit, dem
(ocpeXifieitaxog itQog aqerfjg imfitkeiav , dem av^g aqiaxog x«J
sidaifioncxarog ^)* Ebenso liegt am Tage, dass Xenophon gar
nicht der Mann war, um in die Eigenlhiimlichkeit einer philo-
sophischen Denkweise tiefer einzudringen , und dass sich
ihm auch ganz unverkennbar philosophische Behauptungen
zu Sätzen eines ziemlich hausbackenen praktischen Ver-
standes verflachen, die Zurückfiihrung der Tugend aufs Wis-
sen z. B. zu dem wenig besagenden: alle Tugend sei Lebens-
weisheit (oocpla) ^)* Demgemäss ist denn auch das Bild von
Sokrates, welches uns aus den Xenophontischen Schriften
. . . ^
i) Vgl. Mem. I, 1, 1. 20. I, 2, 4. 62 ff. IV, 8, 14.
2) Mein* III, 9) 5: ^claav d^er^v aoipiav c<V««.
Die Persönliclikeit des Sokrates. 17
zttBäcbst Entgegentritt y nur das eines praktkchen Weisen,
«ines Heroen der Sittliebkeit und Humanität. „Niemand
hat je»>als den Sokrates etwas Gott]o8e3 thun gesehen oder
reden gehöri^^ ; ,,er war so fromm, dass är nichts ohne den
Rath der Götter that, so gerecht, dass er nie Jemand auch
nur im Geringsten verletzte, so Herr seiner selbst, dass er
nie das Angenehme statt des Guten wlihlte , so verständig,
dass er in jder Entscheidung über das Bessere und Schlecb-
tere nie fehlgteng," er war. mit Eünem Wort „der beste und
gluckseligste Mann, den es geben konnte — '^ ^) diess ist
das allgemeine Thema dieser Darstellung. Sie zeigt uns in
Sokrates ein Mustei;^der Abhärtung und der Selbstbefaerr-
sebung, einen Mann voll Frömmigkeit und Vaterlandsliebe,
einen Charakter voll unbeugsamer Ueberzeugungstgeue, der
das, was er als Pflicht erkannt hat, dem Volke ap gut wie
den dreissig Tyrannen gegenüber auf jede Gefahr hin gel-
tend, macht, einen einsichtsvollen und treuen Beratber sei-
ner Freunde, im Leiblichen, wie im Greistigen, vor Allem
aber den unermüdlichen Menschenbildner, der jede Gelegen«
heit ergreift, um Alle, mit denen er in Berührung kommt,
zur*Selbsterkenntniss und Tugend zu führen, und namentlich
bei der Jugend der Selbstüberschätzung und Leichtfertigkeit
entgegenzuarbeiten. Auch hat diese Tugend durchyaus den
eigenthüniltchcn Typus der griechischen Sittlichkeit: der
Xenophontische Sokrates ist nicht dieses verwaschene Tu-
gendideal, zu dem ihn eine moderne Aufklärung herabsetzen
wollte, er ist durch und durch Grieche, ein IJ^ann aus dem
innersten Mark seiner Nation, ein Charakter, der Fleisch
und Blut hat und nicht den allgemeinen moralischen Leisten
für alle Zeiten jabgiebt. Gleich seine vielgerühmte Massig-
keit hat nicht allein bei Plato, sondern auch bei Xenophon
nicht den ascetischen Charakter, an den man wohl neuer-
1) Mem. I, 1, 11. %IV, 8, 11. vgl ebend. V 10. I9 2, 1 u. A«
Pie PbUoiopble a«r Oriecben. U. Theil 2
18 T>ie Persönrichkeit des Sokratei.
I
dihgs dabei zu denken pflegt: Sokrates flieht nicht blos dea
sinnlichen Genuss nicht, sondern auch nicht das Uebermaass
d^isselben ; die fa:Ieii>^ Becher des Xenophontischen Sympo«-
sions wenigstens werden nicht verlangt, nni sich rar nicht,
sondern nar, nm sich nicht allzoscbnell zu steigern ^). Die
Massigkeit ist also hier nicht grundsätzliche Enthaltung vom
Genuss, sondern nur die Freiheit des Selbstbewusstseins,
seiner weder zu bedürfen , noch in ihm seine Besonnenheit
zu verlieren. Ebenso in anderer Beziehung .wird zwar die
Enthaltsamkeit des Sokrates bewundert; wie weit er abef
auefa hier von der princtpiellen Strenge nnserer Moral ent^
fernt »It, können Stellen, wie Men.\ I, 3, 14. II, 1,5. 11,2, 4.
in, 11. rV, 5, 9. (vgl. Symp. 4, 38) beweisen. TrSgtdwh
auch dur Umgang des Sokrates mit der Jugend den volks-
thürtllichen Charakter der Knatrenliehe; denn so entschieden
er auch bierin über die Verdächtigungen gleichzeitiger und
späterer Verläuradang erhaben ist, so wenig lässt sich doch
in seinem Verhältniss zu schdneh Jünglingen ein sinnlich
pathologisches Element, wenn auch nur als Ausgangspunkt
mid unschuldige Unterlage geistiger Neigung, verkennen:
tadelt er auch die sinnlichen Auswüchse der griechischen
"Sitte 9), so fasst er doch das geistige und sittliche Yerliält-
nies selbst, noch in der Form des Eros, und diess aus blosser
Accomodation und Ironie zu erklären, giebt wenigstens die
Xenophontische Darstellung ^) kein Recht. Auch sonst steht
die Tugend des Sokrates noch in der Natnrform der griechi-
schen Sittlichkeit: den Gesetzen des Staats zu gehorchen er-
klärt er ^) für die Summe aller Pflichten, vofiifiog und dixMog
^ i •
i) Xe^. Symp. 2, 26: f}r Se t^fuv ol nctiSts juingütC nih^i ^vHVti
dvansi&ofisvoi j 'jT^os t6 naiyvi,o}8iar$Qov dtpi^ojusd'a*
2) Xew. Mem. I, 2, 29 f. 3, 8 AT. Symp. 8, 19 ff. 32-
3) Symp. 8, 2. 24. c. 4, 27 f.
4) Mtm* IV, 4, 12 ff. IV, 6, 6.
Di« Persöklicükeit 4«s Sokitaiei. 19
för gMcbbeliediendi und anderftwo sagt er ^}: des Maniies
Tagend sei mtop tovg fth^ (pHovg ei nötovrca, t^ig di ix^i^oi^g
Ttaneig, wie er denn auch die BetrSbniss iber das CHücic der
Feinde nicht für etwas Unrechtes, 6k eiften q^ofog, aage*
sehen wissen will ^). Yen, jenem Gehorsam g^e» die 6e«
setze des Staats hätte Sokrates, seinen AnkUtgeni sofolge^
in religiöser Beziehung eine Ausnahme gemacht ; Xeoophoa
Jedoch (Mjem. I, 1, 22) versichert mit Bei^iimmtheit das
Oegenthell, und er selbst erklärt (ebend« IV, 3, 15 ffl), dfai
Gdtter vofitp niXs&tg au verehren, sei der beste Gottesdienst^
und setzt in vielfachen Aeusseningen nicht Mos die Rea-
lität der yotksgdtr^, sondern auch ilen Glauben an ihre
Offenbarung in Orakdn and Yorbedeutangen verMe ^*
Bis hieher nun ist zwischen der XenophoAtiscAien und'
der Platoniachen DarsieUang kein Widerspruch. Wenn Xe-
nophon seinen Lehrer ais den besten itad gfl&skseligsie&MmB
preist, so sagt auch der Sofaluss iies Platonischen Phi^do, aeia
Tod sei der eines dv^^og tmv tots äp inu^i^tme^ a^icxov ncX
aXlo^g tpQnnimtit&t ^a\ dixctiorArev , wenn jener seine tiefe
Frömmigkeit rühmt, so ISsst ihn auch die Platonische Apo-
logie^) sein ganzes Leben dem DieÄ^sie des Lottes weihen,
und als Märtyrer dieses Gehorsams gegen die göttliche
Siimilie sterben, und als dea Inhalt dieses Gottesdienstes bei
zeicho^t sie dasselbe, wie Xenephon, die umfatsMrcndsfe sitt^
liehe Einwirkung auf Allej mit denen Sokrates in Berührung
kam, namentlich die Jugend; w^nn jener endlicli schiageiido
Beweise von der Bürgertugend und politischen Unerschrocken*
heit des Sokrat«$ beibringt ^), so weiss auch Plato nicht nur
1) Mem. IT, 6. 35«
2) Mem. III, 9, 8.
3) Mem. IV, 3, 12. I, i, G C IL, 6, 8. IV, 7, iO. Aasbatfi
IH, U5f. , '
4) S, 23, B ff. 28, Bit vgl. Theift 150, C f.
5) Mem. I, 1, i^ fi. 2, 31 ff. IV» 4> 2.
2*
so J>ie. P^rftöaUcblieit de« Sojirates»
dsMS.GleiGnb oder ganz AjebniiGhes 2» bjBrichleii^) , sondern
«r ergänzt diesen Bericht noch, durch die vortreffliche Schfl-
4eru^ jd69 Sfökraies als. Kriegern) ^). Anch den Aationalen
Cbm^akter nnd 4ie nationale Besehrfinktheit des Sokratischeii
Standpunkts hatPlato nicht übergangen: erscheint derPhi*
^osoph.^cbon bei Xc^iophon. keineswegs als ein finsterer As^»
oet, und heiterem L^bensgendss nicht abgeneigt, uo läs^t
• Plbto von ihm riihmM ^), dass er gleich geschickt sei, wenig
and, fiel z^, trinken, dass er Alle mit Trinken überwinde,
phne selbst jemals betrunken zu werden , und zeigt uns am
Sctilüss seines Gastmahls den Philosophen, nach einer beim
Humpen darchwachten Nacht und nachdem er die gante Ge-^
sellscb^ift niedergetrunken, seiner gewohnten Lebensweise^
als ob nichts geschehen! wäre, nachgehend. Stellt fertier der
Xehopbontische Sokrbtes seinen Verkehr mit den Jünglin-
gen, auf die er Einflass zu gewinnen sucht, gerne unter den
Gesicja^punkt des Eros, so braubht man nur auf das Plato-
nische Gastmahl einen Blick zu werfen, um sich von der Be-
d^itung dieser Bosiimmung In der Platonischen Schilderung
zu überzeugen , und wenn in demselben Yerhältpiss bei
^jiATo ^) die Sokratische Hebamm^nkunst vorkommt, so ist
diese nicht nur der Sache nach, wie wir anten noch sehen
werden, bei Xenophon auch vorhanden, sondern selbst itnt
^'{(men koHimt «r nahe g(enug: die fjiaar^neia (Kuppler^
kunst),. deren sifth der Xenophontische Sokrates rühmt ^),
i^t nur ein Theil der Mäeutik im Sinne des Theätet 6). Wie
1) Apal. 32. Vgl. Gorg. 475, E.
2) Symp..2i9, E ff. vgl. Apol. 28, K. Cliarm. Auf* Lach. l&l. uöd
was BfiANDis Gr,-röin. Pbil. II, a, 12 anfuhrt.
3) Symp. 176, C 220, A. 213, E. 223^ ß ffl
4) Theät. 149, A ff. ^
5) Symp. 3, 10. 4, 56 ff.
• §) Vgl. auch Thefit. 15iy B; wo Sokrates von »ich sagt: ivwu SJ,
Ol av fiov firi Sü^ojat tkuS iyxl/novse ilvat ttuw Bvftevoje itQOu-
vwf^at — öjv Ttokloie- fAtv S^ i^i$wxa It^o^Uot u. s. w. mit
Xen. Symp. 4, 62 (über AntistlieAes, yqn d^m es vorher hiess,
Die PertönHcbkelt d«s S^iliKaUi: ff
enge sich aireh der Platontticbe Sdkrates air die Volkar^Migion
anscbliesst, erbellt aus den bolaanteo Ersihlungen dei^ Apo^
logie (8. 2a, E ff.) und des f bädo (S* 118. M, E f. wmhI
Krho 44, B zu vgl.) imd den besttmniten Erkiävängei^fApolj
26i, B ff. 35, E, «ml wenn er sieb in der Moral a«f eina»
freieren Stau dpankt stellt, die stttllebea Pfiiebtsn (in ü^,
Republik) nieht meKr aas der positiven desetzgebnt^, so»«'
dem ans dem Wesefi des Cieiitfes ableitet, und im Wider-
spruch nih denXenopbontischen Stellen dem FeindeUeble»
zn thiin verbietet^), so bereobtigt - uns dodi nichts, diese
Aeussernagen mehr, als humlert andere des natooischenr
Sokrates, auch auf den historischen aa beziehen ^),' wo«"
gegen die von dem letztere im Krito vnd Pbädo (S. &8,' E)
berichtete Weigerung^ durch Flocht ans dem Gefängoiss die
Gesetze zu verletzen^ ganz mit dem van Xenof»hon!übc^lil»r
ferten Bilde zusammenstimmt.'
er übe die der SokratiscfaeD fiaarQOjnia nahe verwandte «(io«e-^
. pocpio JI^o3tX(i> u. 8. f. . ^ ,
1) Rep. I, 334, B fF. Krito 49. Wenn Meihebs Gesch. der Wiss.
II, 456 diese Aeussertingen mit den Xenophbntischen durch die
Annahme ausstigkichen siiehr, dass^es Sohraiet nwar für erliuibl
gehalten habe, den Feinden (sinnliches} Leid zuzHifügen (naxojs
Ttotsiy)^ nicht aber ihnen (moralisch} zu schaden, so lauten die
Platonischen ErltlSrungen hieftir viel zu allgemein 3 erklärt doch
der Krito ausdnic&lich : ro umnws iromv dv^(fwwoivt v^C üuMt
oviiv ^«af /^fii. ,
2) Wenn daher Bra^vdis Gesch. der gr.-röm. Philo». 11, a, 47 an-
nimmt, Sokrates habe nur Abwehr der von Feinden zugefügten
Unbill oder Wiedervergeltung zugelassen, und Xenophon bei sei-
ner DarsteUung die weitere Entwiekelhn^ und fernere Detcirmi-
nation einer Sobratischen Bebaoptung ausser Acht gola^sen, so
weiss ich nicht, waa uns dazu berechtigen soll. G iebt doch auch
Bbavns selbst vregen Abist. Bhet. II, 23» 1398, ^, 24 (3t o
JTMxp. ovK t(ftj ßaüi^uv ws *j40%tXaov vßgw y«t,Q ^rj t2pat to
fi^ Sivmad'tti tiftiva<j&a$ Oftüiwt tv n»&6vTa viaittg uml ^ xanoßS)
zu, dass Sokr. die Feindesliebe nieht in dem lauteren SSnn des
Evangeliums gelehrt habe. : ' ■ - '
11 Dt6 ParsÖAlickk«!! des S^kfat««.
Auch noeh eine Streck« weker geht Plato mä Xeoo««
phoA Hand m Hftnc). So tief Sokrales einerseits in griechi«*
ieben Volksgeiste wiirseIt,,lio auffallend ist andererseits daii
Ungrieehisofae und bis auf einen gewimen Grad Moderne sei«»
ner Erscheiniing , ji^nes fremdartige Element, welches ihn
seinen Zeitgenossen ab einen schlechthin eigeathömlichen,
mit keine« Andern vergleichbaren Menschen erscheinen
Kets, ond das sie, umeiiieB geniigenden Ausdruck dafür
yerlegen, nur als die absoluta Sonderbarkeit, die Tolletadet^
^önktf SU beschreiten wissen ^); Näher besteht diese avo^
itim^ Aese Unbegreiflichkeit fite das griechische fiewuastsein,
wie diess Plato ausdrücklich sagt ^) , in der Incong^uens
der äussern Erscheinung und des innern Gehalts, eine Ineon-
gruens, die sich im Gegensatz gegen das griechisehe pla«
stisohe In^an4er beider Seiten tfaeils als eine ZuHtdfrsie«
hung des Geistes aus der Erscheinung, theils als an jgewalt-*
sames Hervorbrechen desselben darstellt. Nach jener Bezie-
hung bat die Erscheinung des Sokrates etwas Prosaisches,
ja Pedantisches und -^ man erlaube mir den Ausdruck —
Philisterhaftes, das gegen die gesättigte Schönheit und kunst-
lenach gebildete Form des griechischen Lebens auffallend
absticht; nach dieser giebt sie iiich als die unmittelbare Of-
fenbarung eines höheren Lebens^ dessen Hervorquellen aus
seinem Innern Sokrates selbst nur als etwas Dämonisches zu
betrachten wusste. Von beiden Eigenthümlichkeiten des So-
krati^chen Wesens geben uns Xenophon und Plato nberein-
stimmende Nachrichten. Schon ganz äusserlich angesehen
i> Plato Symp. 221^ G: /r«Ala f$kv &vp nv t$9 Hai aklv' 6%oi Jut^
. Mpit^ imup^aa* mal ^ai^pLMta * . . Vo ($i. fitfStvl ap&^nmv ofioiov
ilva^ fjtij€6 rfluf nakaidüp p.^v9 rwv vvt^ ovxwv fovTO aS^ef nav-
Mal fwrotf Hai o* koyoi avrov ov^' ^YT^ ^^ £'*^'Qoi T*i ^tiiolvt
oZvt Tttp vvv ovtß rmv naka^u. < VgL S* 215) A die itoiria und
213« E die ^vfi>99t^ ne/p»Xt} des Soltn
2) Symp. 215, A f. 221, E f .
r
Pie F^rsönlicbJieit des So1(rat^s» SS
matste die von dem Platoqiacbf n Alcibiadea ^) und dem Xe«
nophoniUchen Sokra(^£( selbst ^) mit so vielem Humor ge<«
schilderte Sileüengestalt des Philosophen dem Blii;ke de&
Griechen den Genius eher verhüllen ak andeuten, ai>er auch
in den Reden und dem Benehmen des Sokrates lässt sich eino
gewisse Verstandespedanterie und eine ungriechiscbe Gleich^
giiliigkeit gegen die sinnliche Schönheit der Form nicht yer'*
kennen. Man sehe nur z» B. wie er in den Xenopbontiscben
Memorahilien III, 3 aus einem Hipparchen seine verschiede«
nen Pflichten herauskatechisirt, wie umständlich er III, 10,
9 ff. HI, 11 IKt^e demonsti'irt, welche die Angeredeten
selbst gewiss schon längst . w«ssten , wie er III, 8, 4 ff« die
Idee des Schönen gans auf den Begriff des Nütaslioben su«
ruckfuhrt, M^ie er im Phädrus 230^ D nicht spatsieren gebe«
will, weil er von den Bäumen und Gegeben nichts lernen
könne, wie er dem Xen« Symp. 2, 17 ff. sufolge aller anti«
ken Sitte 8um Trotz ^), zu Hause allein tanzt , um sieb eine
gesunde Bewegung zu machen, und mit welchen Reflexionen
et diese seine Gewohnheit vertheidigt, wie er, gleichfalls
auffallend genug für seine Zeitgenossen, noch als alter Mann
bei Konnus Unterricht in der Musik nimmt % mit welcher
1) Symp. 215- vgL Theät. 143, E.
%) Symp. 4, 19 f. 5, 2 ff. vgl 2,, 19.
3) Man rergl. in dieser Beziehung ausser dem Piaton. Menexenus
S. 236, C (dkkd ^hvoi aoi ys SsZ xagi^sa^ah vjare Hav oXiyov ei'
fjL8 ttsXivoi^ aTroivrra oQx^aaad'ai %a^iaa(fit]v av) und Ciobro
pro Mur. o. 6 (Nemo fere sakat $obriu4ß tmi forte inmmt) Ofj^
III, 19 (Dares hanc vim M.Crasso, inforo, mihi crede, saltaret —^
Tgl. ebend. c. 24 Schi.) bei Xenophon selbst die Aeusserungen
a. a. O. §.17: *Ogx^aofia& vij Jia, 'Evra^a Srj iyikamv anaw^
TS f. S* 19: als Charmides . den Sokrates tanzend traff, to gUv
ys TTQmtov i^tTkdytjv nal itnaa, fiy fjialvoio U. 8. w.
4) Die Gescbichtlichltett dieses Zugs ist mir nämlich, trotz Hbr-
M Ali 98 Einrede (De Socr. magistr. et discipl. juvenili 9. 25 ff,)i
ausser der Stelle im Platonischen Euthydem S.272, C auch dets-
^egen wahrscbeinlicb , weil der Komiker Ameipstas sonst wohl
kaum dazu gekommen sein würde, den Sokrates alt Scbüler des
Konnus darzustellen»
24 !)<€ Persönlichkeit dos Sokrates.
pedantischen Aengstlichkeit er im Phädo 61, A f. dem Be*
fehl der Traumerscheinnng , Masik zu treiben, Folge lei««
nteij wie er selbst beim Mahle (Xen. Symp. 3, 2) seiner
Nütsilichkeitstendenzen nicht vergessen kann — man über*
blicke diese uiid ähnliche Züge, und man wird eine ge-
wisse Phantasielosigkeit, eine Einseitigkeit des dialektischen
und verständigen Interesses, überhaupt eine mit der Poesie
des griechischen Lebens und der Feinheit des attischen
Geschmacks contrastirende Prosa in der Erscheinung des
Sokrates nicht läugnen können^ Sagt doch auch der Plato«
nische AIcibiades ^), die Sokratischen Reden erscheinen
beim ersten Anblick ihrer ganzen Form nach lächerlich und
ungebildet, er spreche da von Last^seln, von Schmiden^
Schustern und Gerbern , und scheine immer dasselbe auf
dieselbe Weise zu sagen — ganz der gleiche Vorwurf, der
ihm auch bei Xenophon gemacht wird ^). Auch schon den
Zeitgenossen desSokrates ist so das Unschöne seiner äusse* ^
ren Erscheinung aufgefallen.
Wie aber diese Eigenthümlichkeit selbst nicht im Man*
gel, sondern in der Ueberfiille des geistigen Gehalts, nicht
in der Unfähigkeit des Geistes zur Erfüllung der Form,
sondern in der Unfähigkeit der Form zur vollständigen Dar-
stellung des Geistes ihren Grnnd hat, so sehen wir auch
andererseits wieder den aus der äussern Erscheinung zu-
rückgezogenen und in der Tiefe seines Innern arbeitenden
Geist des Philosophen in plötzlichen , die Stetigkeit und
Klarheit des iBewusstseins zerreissenden Stössen hervor-
brechen. Sokrates war nicht nur, dem Obigen zufolge, im
1) Symp. 221, E.
2) Mem. I, 2, 37: o Si X^tnias^ aXlA rwvdi rol oe an^x^^^h *V"/»
dtyath ta ^oix^arcp, twv oxvriotv x«i rot» tsxtopwv xal -rviv y^al-
niwVf 9cal yaQ olfiat avFovS ijStj naraviTgifp^ai StadQvklovfittove
vTio üov, Ebendas. IV, 4, 6 : mAI 6 fisv 'licniai — «* .yag av,
l»prj^ ta JVvx^rtf«, ix$7pa td avvd liye&Sf a iyfo ndka^ itozi aov
ijxovaa ;
Die Persönlichkeit des Sohrates« 25
Allgemeinen überzeugt, dags er im Dienste der Gottheit ^)
stehe und whrke, sondern diese Uekerzengung wurde bei
ihm anoh zum Glauben an höhere, dämonische Eingebnogeo,
die ihm zu Theil werden. Bei diesen dämonischen Einge-
bungen pflegte nun «chon das Alterthum an Offenbarungen
eines besonderen, persönlich sobsistirenden Genius zu den*
ken ^), und auch in neuerer Z^it war diese Ansicht lange die
herrsehende ^)^ Dass freilich ein sonst so besonnener Mann,
wie Sokrates, in einer so schwärmerischen Vorstellung be-
fangen gewesen sein sollte, mnsste seinen modernen Ver-
ehrern leid thun, man suchte ihn daher theils mit dem all*-
gemeinen Abefglauben seiner Zeit und seines Volkes, theils
auch mit einer eigenthumlichen körperlichen Disposition zur
Schwärmerei zu entschuldigen ^), wenn man nicht gar das
1) Diess nämlich ist die entsprechendste UebersetKung des bei Plale
so oft vorltoinmenden 6 ^euc, sofern dieser Ausdruck nicht einen
bestimmten, einzelnen Gott, aber auch nicht «Gott« schlechtweg,
d. h. den Einen Gott des Monotheismus, sondern nur das kon-
kret angeschaute &:7ov bezeichnet 5 statt o {^eof steht daher auch
wieder das populärere ol &so}j bei Xehophon das Gewöhnliche.
2) Schon die Anklageakte gegen Sokrates scheint das Sokratische
Dämonium so rerstandeh zu haben, wenn sie dem Philosophen
' schuldgiebt , an der Stelle der Staatsgötter srs^a utuva Satfioput
einzufuhren. Später ist diese Vorstellung fast allgen^ein ; so bei
Plxjtabch De ^enio Socratis c. 20 u. ö., bei Apvlktüs De Deo
Socratis, bei den Neuplatonikern. Doch erwähnt Plütarch c. 11 f.
und nach ihm Apulejus auch der Meinung, dass unter dem Da*
monium nur das Ahnungsvermögen des Sokrates zu verstehen
sei, vermöge dessen er aus Vorbedeutungen (Niesen u. dgl.) die
Zukunft errieth.
3) Vgl. ausser vielen Andern: TiiDEMikvir Geist der spekul. Philo-
sophie If, 16 flF. Mbtnebs über den Genius des Sokr. (Verm.
Schriften III, 1 ff.) Gesch. d. Wissensch. II, 599. 558 ff. Buhle
Gesch. der Phil 371. 588. Krttg Gesch. der alten Phil. S. 358.
4) Der erste von diesen Entschuldigungsgründen findet sich allge-
mein. Eine besondere körperliche Disposition ftlr Ekstasen hatte
schon Marsilios Ficinus bei Sokrates angenommen, wenn er die
/ Empf^'nglichkeit dieses und anderer Philosophen für dämonische
* Offenbarungen aus seinem melancholischen Temperament ablei-
M Die Persd^nlichKeit des SokratiM.
Vorgeb«n dämoniscfaer Offenbarungen gerailtsa {fir itm Er«
zengniss einer poHtisthen Berechnung ^), oder auch der
Sokratttchen Ironie ^) hielt, Ist indegsen die letalere Behanp«
tele (Theol. Piaton. XIU, 2. S. 287 der Basler Ausg.). Auf
dieselbe Hypothese lomen l^^euere zurück, um sich daraus die
IVlöglichkeit des Dämoniamsaberglattbens bei Sokrates eu erklä«*
ren* So Tibdejkahs a. a. 0. )»der bohe Grad von Anttreagung«
welchen Zergliederung abstrakter BegrifTe heischt, hat bei gewis-
sen Körperbeschaffenheiten die Folge, dass Neigung zu Ekstasen
und Entzückungen mechanisch entspringt.« i»Sokrate& war sor
gebildet, dass tiefes Klichdenken bei ihm stärkste VcrschUessung
der Empfindungs- Werkzeuge bewirkte und am nächsten an die
süssen Träume der Ekstatiker grenzte.<^ »Die zu Ekstasen ge-
neigt sind, ^nehmen plötzlich aufsteigende Gedanken für Eiogc«
buagei^ Auch lä^st ihre besondere Hörperhescbaffenheit diess
bald begreifen: der ausserordentliche Gehirnszustand in Ent-
zückungen hat Einfluss auf die Nerven des Unterleibes und macht
sie reizbarer: gleich nach derMahkeit den Verstand stark ange-
strengt oder in anhaltendem Nachdenken erhalten giebt besondere
Empfindungen in den Hjpochondrieen^ u.s. w. u.fi.w. ' Aehnlich
Mbiners Venu. Sehr. lU , 48. Gesoli. d. Wissensch. H, 538 ff.
Vgl. Schwarze, historische Untersuchung: war Sokrates ein Hypo-
cbondriat? angef. von Kbüg Gesch. d. alten Phil. 2* A« S. 163,
wo überhaupt die äHere Litteratur über das Sokratische Dämo-
niiim verzeichnet ist Ergänzungen dazu aus der französischen
Litteratur s. bei Ulüt Du Demon de Socrate S. 163.
1) Pi.B6SiN<» Osiris und Sokrates 185 ff« (angef^ von Wiggkbs Sokra-
tes S. 40).
2) Fbagdieb Sur Tlronie de Socrate u« s. w. in den Memoires de
TAcademie des Inscripttons IV, 368 C Fr. stellt hier die Ansicht
auf, Sokr. habe mit seinem Damonium nur seine natürliche Klug-
heit und Combinationsgabe bezeichnen wollen, die es ihm mög-
lich machte, über Zukünftiges richtige Vermuthungen aufzustel-
len. Mit einer ironischen 'Wendung habe er diese als Sache .des
blossen Instinkts,, des &stov oder der ^eJa f$o7g<$ dargestellt, und
sich dafür des Ausdrucks Siufi4viov und ähnlicher bedient, ohne
doch damit einen g-enim famitiai-is bezeif^bnen zu wollen« da üai^
fiov. hier nicht substantivisch, sondern adjelutivisch zu nehmen
sei. Ebenso Rollin Histoire ancienne I^, 4, 2 (B< IV, S. 360
der Ausg. vom J'. 1737). Auch BARTniLEMY Voyage du jeune
Anacharsis eh. 67 (Bd. V, S. 289 f. 299) behandelt dib Aeusse-
rungen der Platonisdien Apologie über das Damonium als »plai-
^atuerief, und will« es uoenUchieden lassen ^ ob Sokr. durchaus
Die Persönlichkeit des Socratei. fff
tofig imvoreiBbar mit dem Tone, in^dem der PlatODisdift wi«
der XenophontMche Sokrates T<m seinem däoMMHsehen ZeU
eheo redet, und der Bedentung, die er demselben aoeh in den
wichtigfirten Angelegenbeiteii beilegt ^)y ßo ist von der Ab*
leituDg des Dämomum «as einer krankhaften körperlichen
Reizbarkeit nicht mehr weit zu der Annahme, daes daa^
gelbe die Einbildung eines Verrückten ^ und der grosse Re«>
formatoc der. Pbilosopihie weiter nichts, als ein Wahnsinniger
gewesen Sei^). Für nns sind alle diese Erklärungen entbehr*
lieh, seit 8c»JLBiRäMA<hiER ^) nnter allgemeinem Beifall der
stimmfähigsten Benrtheiler ^) gezeigt hat, dass unter iMß
- 1
in. ifutem Gliuil^ea von ^ioem Genius gesprochen babe« Andere,
welche diese Vermuthung theilen, s. bei Lelvt su a. O. S. 16S.
i) Vgl. Xenophon Mem. IV, 8, 4 ff.
' 2) Waclidem Frühere sur sehüdtfierner toü Schwärmerei und Abei*-
glauben des Solirates gesprochen hatten, hat neuerdings Lelvt
(Du Demon de Socrate 1S36) in ausführlicher Unterauehung den
Beweis ' zu liefern unternommen, que Socrute Hak ttn fou — eine
Kategorie, in die er übrigens (s. S. 17* 148) nicht blos einen
Gardanus pder Swedenborg, sondern auch einen Lutbert Pascal,
Rousseau' u. A. mit subsumirt Den Hauptbeweisgrund bildet
Üim die Behauptung, dass Sokrates nicht allein an die Realität
und Persünlichlieit seines Dämoniums geglaubt,, sondern auch in
häufigen Hallucinationen seipe Reden förmlich sinnlich xu hören
gemeint habe. Die historische Begründung dieser Behauptung
' freüich bedarf für solche, die den Flato richtig cu erldären und
Apohryphisches von Aechtem xvl sondern Tvissen, liaum der
Widerlegung, wie denn überhaupt die ganze Schrift von Lelvt
ein merkwürdiges Gemenge scharfsinniger psychiatrischer Bemer-
kungen mit den plumpsten philologischen Missverständnissen und
einem fabelhaften Mangel an historischer und 'litterarisclier Kritik
in Verbindung mit grt>bem philosophischem Maierialismu&,darstellt.
3) Pklons Werke I, 2, 432 t vgl. das oben (S* 36,2) aus Fbagvibb
Angeführte.
4) Bbasdis Gesch. d- gr.-röm. Phil, II, a, 60. Ritt kr Gesch. der
Phil. 11, 40 f. HsBicANN Gesch. u. Syist. d. Plat. I, 236« Sochbb
üb^r Platons Schriften S. 99 ff. Cousin in den Anmm. zu sei-
-ner Veberset^ung der Plat. Apolegie 8. 87 ff* Vergl. Hegel
Gesch. der Phil. II, 77» Auch Ast (Platon's Leben und Schrif-
ten S. 482 f*} 9 wenn er gleich das dcn^^oviop der Apologie sub-
/
/
K Dit PersÖnlicblteit des Sohrates;
Dämanium im Sinne des Socrates überhaupt kein Genivs;
keine besondere, diskrete Persönlichkeit, sondern nur die
«nbestimnite Idee einer dämonischen Stimme, einer glitt«
liehen OiSenbarung, 2u verstehen sei. Nirgends in einer
Platonischen oder Xenophontischen Schrift ist wirklich von
dem Verkehr eines Genius mit Sokrates die Rede , sondern
immer, nnr von einem ^f^onor, einem daifwpiop afjfAetov ^)j
einer gxuf ^ ^), die dem Sokrates zu Theil werden, daron,
dass xo daifiöPiov ihm etwas kundthue ^). Darin liegt aber
nur, dass sich Sokrates einer göttlichen Offenbarung in sei«
nem Innern bewusst war, über die Quelle dagegen oder
die Person, von der dieselbe herstamme, enthalten alle
diese Aussagen nicht das Geringste, eben ihre Unbestimmt-
heit zeigt vielmehr deutlich genug, dass sich weder Sokra-
tes- noch seine Schüler darüber irgend eine bestimmte An-
stantiTisch in der Bedeutung Gottheit gefasst witaeh will, denkt
doch dabei nicht an einen Genius, sondern nur an das &s7or
überhaupt.
1) Plato PhSdr. 242, B: t6 Soufiovtop rs Mal ro itoß&of fjrjfiuvv
fioi yfyfto^a$ iy^viTOj xai tira tfiuviiv iSo^a avtod'sv $LHOvaai.
Rep. VI, 406, B: to Batuovtov afjfMtov, £uthyd/272, E: tyi-
vito ro iUQ&ot otjfibtQv ro da*ji6vtoy. Apol. 40: t6 t^v &eov
orjfAhtov — ro siat&oQ orjuuov.
3) Plato Apol. 31, D: ifiol Si tovt' eartP in iteudof d^a/ievovj
(puivrj t%Q y^yvofjiiv^ u. s. w.
3) PirATo a.a.O. on fioi &676v Ti nal ßaifAoriop ytyvlva^* S. 40, A:
t) el(h&vtd ftoi fiavT$Mt} jj rov Butfiovtow Tbeät 151, A: to y*y-
vofM^rop fiot, Satuopiop. Xenophoit Mem. I, 1, 4: to dätfioptop
^tptj aTfjtietiptip, IV, 8, 5: ^vavTita&^ ro SäiftoPtoif. Selbst die
unterschobenen Schriften, die Xenophonfische Apologie (§. 4 ff* 12),
der Platonische erste Alcibiades (am Anfang) und der Euthyphro
(3, B) führen nicht weiter, und so Mäbrcbenhaftes der Theages
über die Wahrsagerei des Damonium zu berichten weiss, so
drückt doch auch er sich durchweg unbestimmt aus, da sich
auch die tfotvfj rovj Batuoviov, S. 128, 'E als Genitiv der Ap-
position erldaren liesse. Die Unachtheit des Theages bedarf
übrigens, trotz Sochkbs Widerspruch, keines weitern Beweises^
besonders nachdem sie auch Hbrmann (a. a. O. S. 427 ff*) er-
schöpfend dargethan bat.
m '
Die Pertönlichkeit des Sokrates.
«ieht gebild^ hatten ^). Den Gegttistand dieser OffenbaroDg
bildet die Zweckmässigkeit oder UnzweckBiässigkeit ge*
Avisser Handlangen binsichtlich ihres kukanftigen Erfolgs,
oder genauer nur die letztere'); das dämonisch^ Zeichen
-tritt dem Sokrates . tfaeik in der Ansfubrnng eigener Ah*
-sichten in den Weg, theils treibt es ihn andi, Andern fik
ihre Plane einen ungänstigen Erfolg voranssosagen, nnd ans
diesem Gr;]nde Ton denselben abzurathen, wogegen von philo^
sophiscfaen Lehrsätzen oder sittlichen Belehrungen, die es
ihm erthcilt hätte, nicht allein nichts berichtet, i^ondern auch
dieses ganze Gebiet von Sokrates selbst ausdrückHch aus der
Sphäre der göttlichen Offenbarung ausgeschlossen und der
besonnenen menschlichen Erwägung zugewiesen wird ^).
1) Ziemlleh gleichgüUlg ist es dabei^ ob man dea Ausdruck ro dat-
(jLvvuiv substantivisch oder adjektiviscli fasst. Das Richtige ist
>vohl, dass ilin Xenophon substantivisch gebraucht. := ro Qzlov
oder J t'^cuff, Fli^to dagegen adjektivisch, wenn er ihn durch ^ai-
fioviop atffielov erklärt und sagt Sai/u,6vi6v fioi ylyveTai,
Wenn daher Ast (a» a. O.} gegen die Erklärung des Satfiovia
durch Saifioi^tA Tr^ayfiavm in der Platonischen Apologie den Xo-
nophon zu Hülfe ruft, so ist das fAtvaSpLai^ sls aXXo yhos,
Uebrigens zeigt aueh diese Differenz zwischen Plato und Xeno-
pbon, wie unbestimmt Sokrates von seinem Dämonium geredet
haben muss.
3) XjtNOPHON Mem. I, 4 vgl* Apol. 12. sagt: nollots rviv ^waytutv
TTQOTjypgevs rd (Atv TtoistVy rtji Ss fii/ TroieiPj vU tov Stu/iioviov
irQooTjfiaivovToQ^ und ebenso Mem. IV, 3, 12, die Götter verküiy
den dem Sokr. ä re x^V '^otetM netl m fii) , bei Plato dagegen
Apol. $1, D versichert Sokr., das Dämonium halte ihn nur von
der Ausfuhrung einer Absicht ab« nie aber treibe es ihn an, and
aueh in allen übrigen Stellen, wo. des Dämonium Erwähnung
geschieht (auch Mem. IV, 89 5)« erscheint dasselbe nur verhin-
dernd, nie .antreibend. Mit Recht ist aber dieser scheinbare Wi-
derspruch vielfach durch die Bemerkimg gehoben worden, Plato
habe hier das Genauere, dad Dämonium habe unmittelbar
nur ■ abhaUend) und nur mittelbar auch antreibend gewirkt» sofern
das Nichtverbieteo ein Erlauben, das Verbieten des Einen ein
Bathen des Entgegengesetzten ist
S} VgL ausser den oben abgeführten Stellen , welche säm^llich der
dämonischen Stimme nur mit Besiehang auf kdi^ge Erfolge er«
80 l>ie Persönlichlieit d^es Soktatea.
'.Das Dämämain jM ahd mtt*Einetii Wort ein inneire» Orlit
keil, wie es dean ausdrücklich von Xenöphon ^) undPidiTo^)
unter den allgemtioen .Begriff der pLUvctta substtniirt winl.
Wollen wir uns nun diase innere Offenbarung mit Katego^
rieen oaserer Psychologie klar machen , so gellt far^s Erste
atfs dem Bisfaerige'ii hervor, dass dieselbe nicht, mit Ael^
teren und Neueren ^)^ vbn der Sttaime djes Gewissens erklärt
werden darf.. Qieses bezieht sich immer nad Weseatlicfa aaf
die siitlieba Beschaffenheit unsers Handelns, indem es theils
wäbnen, Mem. I, 1, 6 'ff.: ra (itv dvayKaia awlßovXsvs nal
ojrw9 Sv ttnoßi}<foiTO ftttPTSfiaofiivov^ sntfiTtip el ^otJjria — *•
TtHTßptiiov fiiP y<i^ ^ jj^aXae^vrtJioi' 17 yetit^Mov 9 a0&(fion(ftp dgr
%Mov 1} Tojv Totovrwv l'(jy(uv i^traoTixop ij XoytOTtnov ^ oinovo-
/AMOv fj aTQattjyiDtov yev&o&ntti navta rd rotavra fta'&i^uaTU xal
dv&^dnov yvwfxrj al^tia tpdfju^sv ttvat* ra Si fiiygürtt rmv iv
toitot^i l'(f>9i T0V9 &€0vs iavTo79 xarakainBod'a^ Dieses Grösste
aber ist nach %» 8 nur der sukünfüge äussere Erfolg einer Hand-
lung. Jaiftov^y Ss , hcisst es demgemass weiter y vovs fiavxsvo-
fitpovs , d Toif dv&pojiTOiS sSujHap oi ■O'ca» fMi&ovo*' SiamQii'Siv
u. s. w. . Was aber bl^r Ton der Mantik überhaupt gesagt wird,
gilt auch von der Sokratiscben Mantik , oder dorn Dä'monium.
Vgl. Mem, IV, 3, 12, wo die Bemerkung, dass die Götter dem
Sokr. vorbervediünden, was er tbun solle, aus dem Vorhergehen-
den 8^d fiavTtxiji roiS. irvvd'atOfiivoi.Q f^a^ovrttQ td dnoßtjaofitvay
xal 9iödanopTai rj av agtar» yiyvotvro Sich genögend erklärt.
Das dgioTöp ist hier das Ntttsliehste.
1) Mem. 1, 1, 5 -ff. IV,' 3» 12, vgl ApoL 12.
2) Apol. 40, A (s. o.) Pbädr. 242,0. vgl. Ealhypbro 5, B.
5) So STiPFBB (Biographie universelle T. XLII, Socrate S. 531),
d^r' unter dem Dämonium des Sokr. son sens tnoral p^rsonnifie et
trnmformi en monkeur divin versteht^ ebenso Bbabvis Gesch. der
gr.-röm. Phil. II, 61, wenn er die dämonische Stimme als »Er-
höhung und Erweiterung des inneren Sinnes ^er des Gewissens«
bezeichnet), Bötscbks ArisÄophänes und sdn Zeitalter S. 256, ,
wenn er sagt, es sei damit »das Wesen des Gewissens angedeutet«,
Und thoilweise auch Marbigh Ge6t>h. d. Phil« I, 183 mit der Be-
merkung, das Dämonium habe dem Sokrates den Willen der
Gottheit geoffenbart, es fsei »einentbeils Gewissen, anderntheils
bei Weitem mehr, die ganze Innerlichkeit des Geistes, wie sie
«ieh dem Bewusstsein beim einzelnen Falle kund that««
Die Persönlichkeit des Sokratea Sl
als geseUgeb'endea die aUgemeine sittliofae Noim auhtelil,
tbeils als nchteodes nnd regierendes diese Norm anC dift
einzelnen, vergangenen oder zaknnftigftn Handinsgen an«,
tvendet. Das Sokrattsche Dämoniara dagegen hat es wadar
mit der. allgemeinf^n sitilichen Norm zu tbno, die ja gerade
nach Sokrates Saohe der klaren Einsieht sein soll; noch
auch mit der sittlichen Eescbaffenheit schon voUendfiter
H^adlun^en ; aber auch die zakOnfiigen , v auf die es sich
allein bezieht, kommen bei seinen Wafrilungea nieht nach
der Seite ihrer sittlichen Werthschätzung , sondern nur nach
der Seite ihres Erfolgs in Betracht, nor dieser ist das des
Mensch^ Yerborgeney dessen Keiinimss die Gottes sich Tor^-
behalten haben, ffir das daher Sokrates theils auf die Mantik
überhatfpt, theils auch auf sein Dämonium verweist, dato
ffitrliche Haaddn dagegen kann und scdl durch deutliches
Wissen bestimmt sein: es sei verrückt, sagt der Xanophon-
tische Sokrates,! j[«s^£v«<r^(tt, ä TOtg ä$fd^(onoig IdoiXiXf oi &€ol
lia&ov<n iiav^irBip , dass aber das sittlich Gute i|nd Schlecht«
ein solches sei, tnüssten wir bei dem Philosophen, der die
Tagend aufs Wissen* zurückgeführt hat, selbst daitn vor^
aussetzen, y^^mi seine ausdrücklichen Erklärungen weniger
bestimmt würan,..als sie es sind ^)* Ebensowenig darf ab<)|r
ditt' /dftmoniacfae Stimme mit dem allgemeinen 'Glauben des
Sokrates an seiqe gottlicKe Berufung zum Philos^phireli ven-
wechselt werden^), denn ausserdem^ dass diese Annahme
1) Sokr. rechnet ja Mem. I, 1, 7 zu dem, was in der Macht des
Menschen liege, auch das dvd'Qwnmp a(>;^«»dv ysvia&äi und Aehn-
liches, und unterscheidet 111,9, 14 die tvitQn^iA von der evtvxia
so, dass jene daCrid begehe fitj Ct^ovpra t7HTv.%uif twjl t£p dtov-
T(av^ diese darin, fiad'ovta r* mal ji^iXettiaüvra iZ itoiatvi Gegen-
stand der Mantik aber ist nur, was nicht gelernt werden kans, s. o.
S> Wie 4iess z. B. Msisjcas tfaut (Verao. Sehr. III, 34) und noch
auffallender Lbiot an vielen Stellen seiner Schrtft^ wie S. 113 ff.,
wo der .^^o?, von dem Sokr. im Theätet seinen maeuttschcn Be-
ruf ableitet, geradeeu als Beweis für seinen Glauben an eiuca
Genius gebraucht tvhrd. >
32 Die Persönlichkeit des Sokratei.
der Platonkebfen Aog^be über die Art ibrto Wirkeiift ( der
Behaiiptung, dass sie nicht geboten sondern ndr abgemahnt
habe) za auffallend widerspreoheii wiirdei, stellt ihr auch die
gana^ Schilderung des Dämoniums entgegen: von diesem
'Werden, immer nur einaelne Handlungen abgeleitet, es
widejrräth z. B. dem Sokrates in einzelnen Fällen, abtrünnig«
Freunde wieder in seine Gesellschaft zuzolassen ^), wo es
sich dagegen um den philosaphischen Beruf des Sokrates im
Allgemeiaen handelt, da wird dieser nicht auf das Dämo*
nium, sondern auf den ^eogy die Go<,theit überhaupt zurück*
geführt^), und nur als eine besondere Unterstützung für dieseli
Beruf wird das dämonische Zeichen betrachtet, sofern es
flümlich den Sokrates abhiek, durch Beschäftigai^ mit^ der
Politik sdner philosophischeo Bestimmung untreu zu wef**
den ^)* Demgemäss werdi^n wir nun das Sokratische Dämo-
9tttm, psychologisch angesehen, nur für «das halten können,
wofür es auch in ' der Hauptsache von den meisten Neu^reo
erklärt wird, für ein Vorgefühl über Zuträglichkeit oder
Schädlichkeit gewisser Handlungen, für ,ydie innere Stimme
des individuellen Taktes, der dem treuen und anhalteiiden
Beobachter der Welt und des Menschenlebens am Ende
gleichsam zum uawillkührlichen Bestimraungsgrunde wird^' ^),
eine innere Stimme, die sidh theils aus der Lebenserfebruag
und dem ^harfblick des attischen Weisen, theils aber auch
««s setner Selbsterkenatniss, seinem Bewusstsein über das'
seiner Individualität Angemessene^^ natürlich erklären lässt.
1) Theät. 151, A.
3) Plato ApoL 23, B fF. 28, B fL Theät 150, C ff,
5) PiATO Rep. VI,. 496, B f. Apol. 31, C t «
4) Hkrmann Platonumus I, 236.
5) Auch dieie Bestimmiuig mit aufsiuiehtnen nütliigt um theils die
cfoenangeftUirte Bemerkung des Thca'tet 151, A, theils und beson-
ders die Notiz (Xeh. Mem.IV,8,5. Apol. 4. vgl. Pla.to Apol.40),
dass das Damonium den Sohi;. abgehalten habe , auf seine Ver-
theldigung Tor Gericht zu sinnen. Der eigentlijche Abhaltungs-
Die Persönlichkeit des Sokrates. SS
deren psychologischer Ursprung sich aber dem Blicke des
Sokrates rerborgen und dem Geiste seiner Zeit gemäss in
den Glauben an eine nnmittelbare göttliche Offenbarung
verwandelt hatte. So wenig aber hienach der Inhalt dieser
dämonischen Offenbarung^ als etwas besonders Charakteristi*
sches zu betrachten ist, so sehr ist es ihre Form. ,,Im Dä-
mon des Sokrates", bemerkt Hegel treffend ^), ,ykdnnen wir
den Anfang sehen , dass der sich vorher [in dem griechi-
schen Orakelwesen] nur jenseits seiner selbst versetzende
Wille sich in sich verlegte und sich innerhalb seiner er-
kannte"; indem Sokrates an die Stelle der sotistigen Zei-
chen und Vorbedeutungen die unmittelbaren Aussprüche
seines Innern setzt, so hat er ebendamit die vorher vom
äusseren Objekt abhängig gemachte praktische Entschei-
dung in's Subjekt verlegt. « Zugleich aber , worauf IJegbl
gleichfalls hinweist ^) , ist dieser Fortschritt hier noch mit
dem Mangel behaftet, dass die freie, sich selbst durchsich-
tige Subjektivität sich noch nicht für alle Fälle die letzte
Entscheidung zutraut, sondc;rn für einen Theil der Hand-
lungen, für das Grebiet des Zufalls und der Willkuhr, fuel-
fach erst die bewusstlose, selbst wieder in der Naturform
des blinden Instinkts wirkende und darum ihrem eigenen
bewussten Leben als ein Anderes, als göttliche Offenba-
rung gegenübertretende Subjektivität den Ausschlag giebt.
„Der Genius des Sokrates ist nicht Sokrates selbst, son-
dern ein Orakel^^, „ein Wissen, das zugleich mit einer Be*
griind war offenbar, dass diese Beschafllgung mit seinem eigenen
* Schicksal der philosophischen Individualität des Sokrates zuwider
war, dass es gegen seine Natur war, sich anders, als durch seine
unmittelbare Selbstdarstellung, zu rertheidigen ; ihm selbst jedoch
stellt sich auch diess dem allgemeinen Ghtirakter des Dämonium
gemäss. so dar, dass ihm die Gottheit offenbart, es sei ihm e u-
' träglicher, sich nicht Vorzubereiten.
1) Rechtsphilosophie §. 279. S. 369.
2) Gesch. der Phil. II,* 77.
Die Philoiophie der Cnechen. H. Tbell. 3
a Die Persöolichlieit des Soltrate».
wnsstbsigkeit verbunden ist/^ Die Bedeutang dieser Er-
icheinung liegt also darin, dass sich in ihr einestheils die
Zurückziehung des Sokratischen Geistes aus der Aussen-
weit in's Innere der Subjektivität, andererseits die hier noch
vorhandene Unfähigkeit zu vollständiger Gestaltung des Le-
bens aus der bewussten Subjektivität heraus darstellt.
Beides ist aber Ein und dasselbe ; indem hier das abstrakt
Allgemeine der Subjektivität im Gegensatz zur Aussenwelf
als das alle Wahrheit Enthaltende ergriffen wird , so ist
das Subjekt ebendamit noch nicht dazu gekommen, auch
seine einzelnen Thätigkeiten mit seinem Selbstbewusstsein
zu durchdringen, und diese erscheinen noch als die Wir-
kungen eines praktischen Instinkts. Kein anderer Grund ist
es auch, woraus wir uns die mit dem Dämoninm vielfach
in Verbindung gebrifchte Eigenthümliehkeit diBS Sokrates zu
erklären haben, dass er oft längere oder kürzere Zeit gegen
die Aussenwelt völlig abgeschlossen in Nachsinnen verloren
dastehen konnte ^) ; denn mag auch bei dem bekannt^en Vor-
fall in Potidäa wirklich ein kataleptischer oder ekstatischer
Zustand mit in's Spiel gekommen sein, so sagt doch Plato
ausdrücklich, dass dieser sowohl als die verwandten Auf-
tritte im Nachsinnen über schwierige Gegenstände ihren
Anlass hatten. Es ist. dieselbe abstrakte Vertiefung des Gei-»
stes in sich selbst, dasselbe Ringen mit einer noch nicht
zur vollen Klarheit des Bewusstseins herausgearbeiteten
Idee,. Welches den Sokrates das einemal in ekstatische Be-
trachtung versinken, das anderemal aus einer seinem be-
ivussteii Geistesleben jenseitigen OQenbarung heraus han-
deln lässt. Die gleiche Zurückziehung aus der unmittelbaren
Wirklichkeit haben wir aber auch schon oben als die Quelle
^es Prosaischen und Silenenhaften in der Erscheinung des
Sokrates kennen gelernt. Die zwei dem ersten Anblicke
1) Plato Syrap. 174, D ff. 220, C f.
Die Philosophie ctes Sbltrates. S5
nach fia weit ans einander liegenden Züge, das prosaisch
verständige und das scfawärnierische Element in dieser £r-
scheinang, haben so Einen gemeinsamen Grand, was den
Sokrates auch schon seinem persönlichen Charakter nach
von allen seinen Volksgenossen unterscheidet ist eben diess,
dass in ihm zuerst der Bruch zwischen dem Inneren des
Snbjekts uäd seinem äusseren Dasein in die plastische Ein-
heit des griechischen Lebens gekommen ist.
Welches ist nun aber die allgemeinere Bedeutung die*
ser EigenthtimKchkeit und welche Form hat sie fiir das
Denken des Sokrates angenommen! Diese Frage fuhrt zu
der UntersuchtHig über seine Philosophie über.
§.15.
Die Philosophie des Sokrates.
Hält mau sich für die Autfassung des Sokrates zu-
nächst an die Xenophontische Darstellung, so könnte es
scheinen, als ob die philpsophisdie Bedeutung dieses Man-
nes nicht sehr gross sein könne; was uns Xenophon in
ihm schildert, soll ja (s. o. S. 16) seinen cfigenen Erklä-
rungen zufolge nicht der Philosoph, sondern nur der vor-
trefiUcbe und schuldlose Mensch sein. So hat sich denn auch
an Xenophon besonders in älterer und neuerer Zeit die
Ansicht angeschlossen , als ob Sokrates , allen spekula-
tiven Fragen abhold , nur ein populärer Moralphilo-
soph und überhaupt weniger eigentlicher Philosoph, als
ethischer Jugenderzieher und Volksbildner gewesen sei ^).
1) Wie verbreitet diese Ansicht in der früheren Zeit Tvar, braucht
nicht erst durch besondere Belege, deren uns von Cicebo bis
auf WiGGEBS und Reinhold herab eine reiche Ausbeute zu Ge-
, « bot stände, erwiesen zu werden, dass sie aber auch jetzt noch
nicht ganz Terschollen ist, zeigt ausser solchen, die der neuesten
Wissenschaft ferner stehen, wie tan Heusde Charactertsmi S. 53>
selbst ein Schüler der Hegel'schen Philosophie, MAasACH näm-
3*
N -
S6 Die Philosophie des Sokrates,
Unbegreifliqh \i'ltre dann aber freilich die Wirkung, welch«
Sokrates nicht blos auf unselbständige und unphilosophisch«
Köpfe, sondern auch auf die Geistreicbisten ndd Spekula-
tivsten seiner Zeitgenossen. geübt hat, unbegreiflich die Rolle,
die ihn Plato in seinen Dialogen spielen lässt, unbegreif-
lich die Thatsache, dass die ganze spätere Philosophie bis
auf Aristoteles herab, ja selbst noch die stoische und skep-
tische Schule in ihm den ersten Begründer einer neuen
Epoche gesehen, und ihre eigenthumliche Richtung auf die
von ihm ausgegangene Anregung zurückgeführt hat; Aber
auch in den unmittelbaren Berichten über Sokrates and sein
geistiges Treiben findet sich mehr als Eines, was jener
Vorstellung über ihn widerspricht. Dehn während man nach
dieser voraussetiien müsste, alles Wissen habe ihm nur
insofern Werth gehabt, inwiefern es als ein Mittel fur's
Handeln betrachtet werden konnte, so bezeugt die Geschichte
vielmehr das Umgekehrte, dass er dem Handeln nur inso-
weit einen Werth beilegte, als dasselbe aus richtigem Wis-
sen hervorgegangen ist, dass ihm der Begriff des Wissens
der höhere war, auf den er den des sittlichen Handelns
oder der Tugend zurückführte, und die Vollkommenheit
des Wissens der Maasstab für die Vollkommenheit des Han-
delns^), und während er nach der gewöhnlichen Voraus-
lich, wenn er In seiner Gesch. der Philos. I, 174. 178. 181 ge-
radezu behauptet, Sokr. habe ^die auf allgemeine Kenntnis« ge-
richtete spekulative Pbilospphie für überflüssig, eitel und thörioht
. gehalten«, sei »gegen alle Philosophie, nicht nur gegen die So-
pliisten, als Scheinweisheit zu Felde gezogen«, sei »überhaupt
nicht Philosoph gewesen.« Vergl. dagegen Jahrbb. der Gegen-
, wart 1843, Oktbr. S. 247.
1) Aristoteles Eth. Nik. VI, 13. 1, 44, b, 17. 28: ^(anQavTjS ..
. (p^ovi^asis (j^fTO £iya& ndaas rds d^s^ds* .. ^(uMQdvtji fihv ovv Au«
yovi rac dgstd^ ofsro itvai, intori^fias yaQ sivai naaai. . Ebend.
III, 11. 1116^ b, 4: o^fv «ai o ^ojx^dti^Q «Jjy^jy tTttar^uijv elvai
T7fV dvBgslap^ weil nämlich der KriegSkundige sich weniger fürchte,
als der Unkundige. Eth. Eud. I, 5« 1216, b, 6: imoT^f^af ^tv
' Die Philosophie des Solirates. 37
Setzung in seinem Verkehr mit Andetn in letzter Bezie-
hung nur immer darauf ausgegangen sein könnte, diese mora-
lisch umzubilden, erscheint st^tt dessen in seiner eigenen
Erklärung als das ursprüngliche Motiv seiner Wirksamkeit
das Interesse des Wissens ^) , und dervgemäss sehen wir
ihn denn auch in seinen Gesprächen nicht blos auf ein
Wissen ausgehen , das keinen moralischen Zweck hat ^})
aivtxi TToWc raff dgeraft ojad* a/iia avfißalrtip siStvai r« pj»' J«-
naioavvtfv ttal eivai dtnatov. Vcrgl. ebend. Itl, 1. 1229» a, 14*
VII, 13, Schi. M. Mor. I, 1. 1182, a, 15: (-SWxpariyff) ras dgs-
rde tniatfifiai trroiti. Ebend. I, 35. 1198, a. 10: 8io ovk og&uis
^ojitffurrjS iXeye, fpauytujv tivai ti]p agetrjv koyov ' ovStP yaQ otpS"
koi ehat TT^aTTSiv rd dr9QSianal rd^Sinaiayfiij st9oTa uai Tr^oa*-
QOvfAivov Ttf Xdyta, Xenophoit Mem« III, 9, 4 f.: 2otpiav di nal
aoj<pgoavv7]V ov Btvttgi^tv ... ttftj de xal xijv Smaioo^tnjv %al xtjv
cUXtjv Ttdaav dgsTijv aotpimv bivaiy denn ndvvai ydg otfiai ngoat-
QOvfiii'onQ ^H Tviv h96%Ofuv(ov a av otmvrat avfJKpoQWtaxa avxo7s
ilvatj ravxa irQdrtatv , ., nal ovt av rovS tavta [vd utaXd wxl
*8Uata\ eldoraS akko dvri tovratv avdhv ngoskitt^ai^ ovxs xovs fifj
inioxaft^vovs Svvaa&ai 7Tgdtx8it\ Vgl. Mem. IV, 6, wo der eJ-
oeßt}s durch '0 xd.negl xovs d'sovs vofufia eiSais y der dUmog
durch eiSoU xd nsgl rovt d^'>vTtovs »^fitfia, der dvdgs7o9 durch
in^axd fjtsvos ro^ff ^BtvoXi xe nal iniHiv^vvois nakws yg^a&ai ' und
die ao(pia selbst, auf welche Xenophon seinen Solirates alle Tu-
gend zurückfuhren lässt, einfach durch iniax^fi?} definirt wird.
Dasselbe in Beziehung auf die Tapferkeit Mem. III, 9, 1 f. Symp.
2, 12. Auch der Platomscjhe Protagoras beschäftigt sich zu ei-
nem guten Thcile damir, alle Tugenden auf die iirioxfj/itj zurück-
zufuhren, vgl. S. 329, B ff. 349, B — 360, E.
1) S. Plat. Apol. 21 ff., \Hr9 Sokrates seine ganze Thätigkeit darein
setzt, KU untersuchen, bei wem die wahre aoq>ta zu finden sei.
XmwopHOK Mem. IV, ^, l : ü«oitdiv avv xoli owovai , xl tnaoTov
eiij^xdjv ovtiuv ovStitomox* l'krjye.
2) Beispiele geben die Unterredungen Mem. III, 10, in denen Sokr.
den Maler Parrhasius, den Bildhauer Klilo und den Panzer-
macher Pistias auf den Begriff ihrer Künste zu fuhren sucht.
Xenophon, nach seiner apologetischen Weise, fUhrt freilich auch
diese, mit Aer Bemerkung ein, Sokr. habe sich auch den Künst-
lern nützlich zu machen gewusst. In der That ist aber diese
NützlichkeitsTücksieht hier offenbar eine gasK untergeordnete, der
wahre Grund ist vielmehr jener von der Platonischen Apologie
38 DtevPhilosophie des Sokrates.
sondern auch auf ein solches » das in seiner praktischen
Anwendung nur unmoralischen Zwecken dienen konnte ^),
und diese Zuge fipden sich nicht etwa nur bei dem einen
oder dem andern unserer Berichterstatter! sondern ziehen
sich durch die Xenophontischen, Platonischen und Aristo-
telischen Angaben gleiohmässig hindurch. Wäre Sokrates
nur der gewesen, wofür ihn die früher gewohnliche An-
sicht hält, so wäre diese Erscheinung nicht zu begreifen;
ihre Erklärung findet sie nur in der Annahme, 4ass allem
seinem Thun, auch da wo er speciell als Sittenlehrer auf-
tritt, ein tieferes philosophisches Interesse zu Grunde liege.
angegebene, dass der Philosoph im Interesse des Wissens alle
darauf ansieht, ob sie über ihr Thun ein klares Bewusstsein
haben.
1) Mein, III, 11, ein Abschnitt, der voraugs weise geeignet ist, die
VorstelkiRg, die in Sokrates nur einen populären Moralisten
sieht, zu widerlegen. Sokr, hört von einem seiner Bekannten die
Schönheit der Hetäre Thepdota loben, und gebt sofort mit sei-
ner GesellschaA hin, um sie zu sehen. Er trifft sie eben einem
Maler Modell stehend, und verwickelt sie nachher in ein 6e-
aprach, worin er sie auf den Begriff und die Methode ihres 6e-
werbs su fuhren sucht, und ihr zeigt, durch welche Mittel sie
die Männer am Besten gewinnen könne. Mag nun immerhin ein
solcher Schritt für den Griechen nicht das Anstössige gehabt
haben, wie fUr uns, so t^t doch von moralischer Absicht auch
nicht das Geringste daran zu bemerken, es ist rein das abstrakte
dialektische Interesse, das den Sokrates Jede Thatigkett, die ihm
aufstösst, ohne Berücksichtigung ihres sittlichen Werths, auf ihren
allgemeinen Begriff bringen lässt — Es sei mir erlaubt, hier an
eine theologische Parallele zu erinnern, die ich übrigens nicht
über den nachfolgenden Vergleich ungspunkt hinaus ausgedehnt
wissen möchte« Wie Sokr. mit der Theodota, so uAterredet sich
der Jokanaei'sche Christus c. 4 in Samaritanien nut einer Frau
von ebenso verfänglichem sittlichem Gharahter (s. V. 18), aber
statt eine moralische Einwirkung auf sie zu versuchen, wie man
erwarten sollte, enthüllt er tbr sofort die tiefsten religiösen
Ideen. Der Grund ist ein analoger: wie es dem Sokr. nur um's
Wissen zu thun ist, so dem Johanneiscben Christus nur um
smne Selbstdarstellung als Sohn Go4tesy der movalische Gesichts-
punkt dagegien tritt hier zurück.
l
I>ie Philosophie de» Sokrates. 39
Welelies di^s soi, darSber lasflren uns die obenange*
führten Data nicht im Zweifel. Das wahre Wissen ist es^
das Sokrates im Dienste des delphischen Gottes anfsucht^
das Wissen vom Wesen der Dinge, um das er sich mit
seinen Freunden unablässig bemüht, die Forderung-des rieb-
tigen Wissens, auf die er auch alle sittlichen Anforderungen
in letzter Beziehang zurückfCibrt — die Idee des Wksens
bildet mit Einem Wort den Mittelpunkt des SoknMischen
Philosophirens ^). Um ein Wissen ist es jedoch aller Philoi-
sophie zu thun, diese Bestimmung also jedenfalls durch die
weitere zu ergänzen, dass das Streben nach wahrem Wis«-
sen, welches bei den Früheren nqr unmittelbare, iastinkl^
artige Thätrgkeit war, bei Sokrates zuerst zu einer be*-
wussten und methodischen wurde, in ihm zuerst die Idee
des Wissens als solche zbm Bewusstsein kam und mk
Bewusstsein zur kitenden erhoben wurde ^). Auch dies«
genügt indessen noch nicht vollständig, denn so richtig es
ist, dass mit Sokrates zuerst die bewusste lUchtung auf4i
Wissen, die Begründung der Philosophie durch eine Theorie
des Erkennens angefangen hat ^), so erfördert doch dieses
1) ScHLEiEBniACHEB "WW. Hl, 2, 360: )^I>ie»eÄ Erwachen nun der.
Idee des Wissens und die ersten Aeusserungen derselben, das
muss zunächst der philosophische Gebalt des Sokrates gewesen
sein.« Ganz übereinstimmend damit Rittbr Gesch. der Philos.
* II, 50. Nur unwesentlich weicht auch Bbaitdis ab (Rhein. Mui.
Ton NiBBUHB und BbandisI, b, 130. Gr.-röm. Phil. II, a, 33 fr.),
wenn er die Sokratische Lehre zwar zuerst von dem Interesse
ausgehen lä'sst, die Ünbedingtheit der sittlichen Werthbesti mm un-
gen gegen die Sophisten festzustellen , dann aber bemerkt ,» für
Riesen Zweck sei Sokrates zunächst und Torzüglich auf Vertie-
> fung des Selbstbewusstseins bedacht gewesen, um vermittelst der-
selben das Wissen vom Nichtwissen mit Sicherheit zu unterschei-
den Aeinlich Bbakiss Gesch. der Phil. s. Kant I, 155: »Diess
war das Bedeutsame bei Sokrates, dass ihm da» Sittliehe wesent-
lich ein schlechthin gewisses Wissen war, hervorgehend aus
dem der Seele ursprünglich einwohnenden Gedanken des- Guten.«
2} SCHLEIEBMACHEB B. B. O. S. 299 f* BbABI^IS (S. O.)
3) Vgl. uasem 1. Thl. S. S2. Wenn ebend. S. 21 gesagt ist, Sokr«
40 Die Philosophie des Sokratet.
*
gelbst wieder eine weitere Erklärung: wenn doch das In-
teresse des Wissens auch schon bei den Früheren vorban.
den war, warum hat sich ihnen aus diesem Interesse noch
nicht die bewusste, dialektische Richtung aufs Wissen ent-
wickelt? Der Grund davon kann nur darin liegen , dass
das Wissen, welches sie anstrebten, auch an sich selbst
' 4schon von dem, das Sokrates verlangt, verschieden ist, 4ass
in ihrer Idee des Wissens nicht ebenso, wie in der Sokra-
ttschen, . eine Nött)igung lag, auf das Selbstbewusstsein als
die Quelle der wahren Erkenntniss auriickzugehen. Diese
N5tbigung aber lag fiir Sokrates darin, dass ihm nur das
vom richtigen Begriff der Sache ausgehende Wissen für
das wahre galt, in dem Grundsatz, dass Alles um wirk-
%]ich erkannt ^u werden auf seinen allgemeinen Begriff za-
jrnckgeführt und aus diesem beurtheilt werden müsse, die-
j€fm Grundsatz, der auch in den zuverlässigsten Berichten
.mit grosser Einstimmigkeit als die Seele des Sokratischen
.Philosophirens hervorgehoben wird ^). Indem Sokrates nur
habe noch keine Theorie des Erhennens aufgestellt, so ist diess
Ton einer ausgeführten Theorie der Art zu verstehen; den An-
fang einer solchen hat er dagegen allerdings gemacht
1) XsnoPHOfir Mem. IV, 6, 1: ^(uagatiji ya^ tövS fibv sidocae, rt
enaarov tiij rtSv ovra/v, ivouiie nnl roXs a)J.oie av Ist^yst-
o^ai Svvao&aiy rovs 8^ iitj tidoras ovSiv iftj (^av/iaaroy §iv(fi
avTOvQ ra a^aikea&ou xal ulXovs atpakXetv. ojv evsKa oxotcmv ovv
tOi% avrovaii rl txaarov tXTjroiv ovrotv^ ovisnionor l'Xr^ye» §.13:
inl rjjv vno&totp inavyys navta top Xoyovy d. h. wie der Zu-
sammenhang es erklärt, er führte alle Streitfragen auf die allge-
meinen Begriffe zurück, um sie aus diesen zu entscheiden. IV,
5,12: itjf^tf St Nflti ro SiaXiyta&a* ovofiaad'^vai in rov avviovrae
noAVfl ßovltveo&at y dtaXiyovrae tutrd yivtj xd TtgayfMxa, Setv
ovv fiBiQaad'ai ort fiAX^ora ttqoq Tovro iaurof tvoifiov na^aoAtva-
iaiv n, s. w. Aristotsles Metaph. XIII, 4». 1078, b, 17. 27:
^atxffdrovS dt TtfQi rds '^d'titAf d^tevaS nQayaatsvofUvov mal nsq)
Tovratv CfjlSea&a* xa^oAov fi^rot/f ro? ttqwtov ... ittsivos evloyvjc i^yj-
TH to xi ioTiv.,, Svo ydg iovtv a riff aV aTroSoirj ^uj^gartt Si~
uaioiSy Tovs X tTraATiKOvS koyovs nal ro ogi^ea&at' Ka&okor. Bei-
des ist aber im Grunde dasselbe : die kcyot' inanriitol sind nur
Die Pbilotopbie des Sokrates. 41
die Ertienntnias des Begriffs als ein wahres Wissen aner«
kannte, so eitstand ihm die Forderung, alles vermeintliche
Wissen darauf anznsehen, ob es diese Elrkenntniss ffe-
währe oder nioht, ob es mithin ein wahres Wissen sei oder
keines, die t^orderung der philosophischen Selbstkenntniss,
durch die eben sein Philosophiren aus einem instiniMar»
tigen in ein bewusstes verwandelt wurde ^). Diess also
macht in letzter Beziehung den Unterschied der Sokra.
tischen von der gesamnUen früheren Philosophie aas, dass
das Mittel, um die allgetneinen Begriffe zu finden, wessbalb Ari-
stoteles mit Recht anderwärts (Met. I, 6. 987, b, 1. XUI^ 9.
10869 b, 3- de part. anim. I, 1. 642, a, 28) das Suchen der all-
gemeinen Begriffe, oder was dasselbe, des vi ^v shat allein als
das eigentbümliclie philosophische V'erdienst des Sohrates nennt
Demgemäss sehen wir ihn nua auch in den Gesprächen, die uns
Xenophon aufbewahrt hat, immer auf den allgemeinen Begriff,
das Ti tan, lossteuern, und auch in der Piaton. Apologie 22, B
beschreibt er sein Geschäft der Menschenprüfung als ein dtegu)^
r«v rt Uyoisp, d. b. ein Fragen nach dem Begriff dessen, was
die Praktiker thun oder die Dichter sagen. 'Dass dagegen Sokr.
auch schon ausdrücklich zwischen der iuMT^fAtj und der Sol^a
unterschieden habe, wie Br\ndis Gr.-rÖm. Phil. I(, a, 36 glaubt,
lasst sich aus Plato schwerlich beweisen, da die Stelle des Meno
989 B ohne Zweifel auf den Thoätet eurück weist, noch weniger
ausr Xen. Mem. IV, 2, 33, und, wenn Antisthenes diese ^Unterschei-
dung machte, verdankte er sie wohl den Eleaten.
1) Zwar wird dem ypM&i atavrov sowohl in den Memorabilien IV,
. 2, 24 ff., als im Platonischen Pbadrus 229i ^ und im Gastmahl
^16) A zunächst nur die Bedeutung gegeben, die Menschen ;Bur
Erkenntniss ihres sittlichen Zustands aufzufordern, in der Piaton.
Apologie jedoch erhält das s^stdCeiP iavrov xnl tovs aXkovs
(289 E) 9 welches doch nur die praktische Erfuljung jener For-
.derung ist, die ganz allgemeine Bedeutung: untersuchen ob- das
eigene und fremde vermeintliche Wissen auch ein wahres sei
(vgl. S. 2I9 B ff. 29, A f.) und erst nachher (S. 29, D) wird
auch der moralische Nutzen dieser Prüfung hervorgehoben, und
da nun Sokrates überhaupt das richtige Handeln nur als Folge
des richtigen Wissens betrachtet, so sind wir wohl berechtigt,
die Beiftiehiuig der Sokratischen Selbsterhenntaiss aitffs Wissen
überhaupt für ihre ursprüngliche Bedeutung «u halten.
4t Die Philosopbie des Sokrates. ,
das Denken, welches sieh bisher nnroSttelbar auf fi Objekt
gerichtet, und aus diesem Grunde aueh nur mit dem unmit-
telbaren Objekt, mit der Welt des natürlichen Daseins
beschäftigt hatte, sich jetzt unmittelbar auf den Begriff als
das allgemeine Wesen der Diage richtet und nur mittelst
des4egriffs auf das konkrete Objekt. Sofern nun der Be^
griff nicht mehr Sache der unmittelbaren Anschauung und
Vorstellung ist, sondern des Denkens, und darum auch
nur durch kritische Ausscheidung des Gedankengehalts aus
den Vorstellungen, durch Absonderung des Wesentlichen
in denselben vom Unwesentlichen, durch philosophische
Selbstpräfuiig gewonnen .werden kann, sofern überhaupt in
der Forderung des begrifflichen Wissens djess enthalten ist,
dass der Gedanke die Wahrheit des Seins, dass mithin auch
für das subjektive Leben und Denken nicht das Sein als
solches, die natürliche und sittliche Objektivität, sondern
nur seine eigene innere Nothwendigkeit das Betimmende
sein dürfb, so liegt darin allerdings jene Vertiefung der
Subjektivität in sieh selbst, in welcher der eigenthnmliche
Charakter der Sokratischen Philosophie von Neueren ^) ge-
sucht worden ist. Nur darf man andererseits nicht übersehen,
dass diese Vertiefung hier noch keine absolute, noch nicht
die reipe, sondern erst die durch's ideale Objekt vermit«
telte Beziehung des Subjekts auf sich selbst ist. Sokrates
macht noch nicht die Denkoperationen als solche, nach ihrer
psychologischen Form zum Gegenstand seiner Urftersuchung,
sondern die philosophische Selbstprüfung bezieht sich hier
immer auf den Inhalt -des Denkens, die letzte Frage ist
immer, ob Einer das Wesen des Gegenstands, um den es
sich eben handelt, richtig zu bestimmen wisse. Ebenso hat
Sokrates auf dem praktischen Gebiete zwar allerdings durch
die Zurückrührung der Tugend aufs Wissen, durch die For-
ii
1) Hegel Gesch. der PhiL II, 40 ff. u. ö. Rötschbh Aristephanet
S. 245 ff. 388 ff.
Di6 Pbilotophie des Sokrates. ^4S
ietung der moralischen Selbtterkenntniss und die Begrün-
dung ethischer Untersuch angen die sittliche Selbstgewiss-
heit des Subjekts gegen die prüfungstose Hrngebang an die •
bestehende Sitte, pnd die Vertiefung des sittlichen Selbst'-
bewus^seins in sieb gegen die unmittelbare Richtung aufs
Objekt ^) geltend gemacht, aber doch ist es doch nicht die
abstrakte Zurückziehung des Subjekts auf sich selbst, die
stoische und epikureische Seibetgenügsamkeit des Weisen,
die er anstrebt : nicht die Idee der in sich vollendeten Sub-
jektivität, oder des Weisen, sondern die iVatur des Gegend
Stands, auf den,, oder des sittlichen V^rhUltnisses, id dem
gehandelt werden soll, ist ihm die Norm des Handelns^),
nicht die eigene freie Selbstbestimmung, sondern die iyqaqia
do^fiata der Golter, oder gar der vofzog noXsoyg die Quelle
des sittlichen Wissens ^), und so weit geht bei ihm , wie
wir unten noch -finden werden, die Ableitung der sittlichen
Pflichten aus der Beschaffenheit des Objekts , dass er es
nicht verschmöht» dieselben vielfach durch die Reflexion aäf
die äusseren Folgen der' Handlungen zu begründen. Wenn
daher allerdings mit Recht gesagt werden konnte, „in Sokra-
tes sei die imendliche Subjektivität, die Freiheit des Selbst-
bewusstseins aufgegangen^^ ^), so müssen wir doch anderer-
seits hinzufügen, dass diese Bestimmung das Sokratiscbe
Princip noch nicht ecschopft, und so wird sich der Streit
über Subjektivität oder Objektivität der Sokratischen Lehre ^)
1) Vgl. hierüber Plato Symp. 216^ A: dvayiidCet ydg jus oftoXo^
ytiVy' ort TTOAJ^ov ivobff^ (UV avToi tri t/Luivrov fiev afislw ra o
* AOtjvaton" TtgaTTf», ApoL 29, D. Mem. IV, 2. III, 6-
2) Die Belege finden sich in den Xenopb. Mem^rabtlieii, z.B. II, 2.
n, 6, 1-7. in, 8, 1—3. IV, 4, 20 ff.
3) Mem. IV, 4, 19. 12 ff. IV, 3, 15 ff.
4) Hbgii. a. a. O.
5) VgL hierüber einer»ett$ RöTSOHsa a. a. O,, andererseits Bbasdis
»Üeber die vorgebliche Subjectivität der Sokrat. Lehre« im
Rhein. Mus. II, 1, 85 ü&.
44 Die Philosophie des Sokrates.
dahin entscheiden lajssen: das Sokratische Princip seinem
Inhalte nach betrachtet, kann es nicht als ein Princip der
Subjektivität bezeichnet werden, da hier nicht das Subjekt
das Bestimmende des objektiven Seins, sondern das objekr
tive Wesen der Dinge das Bestimmende des Subjekts sein
soll, dagegen passt diese Bezeictinung allerdings, wenn wir
die formelle Seite dieses Princips in's Auge fassen, so-
fern die philosophische Erkeontnissqnelle hier aus dem äusse-
ren Objekt und der bestehenden Sitte in das eigene Denken
des Subjekts verlegt ist. Wiewohl daher dieser Standpunkt
noch nicht die einseitige Zurückziehung der Subjektivität
auf sich selbst darstellt, wie die nacharistotelische Philo-
Sophie und in anderer Weise die Spphistik, so zeigt er
doch in Vergleich mit der früheren Philosophie eine entschie-r
dene Vertiefung des Subjekts in sich: es soll nicht blos ein
fiir das Subjekt Wahres, sondern ein an und für sich Wah-
fes gefunden werden, aber der Boden, auf dem es gesucht
wird, ist nicht mehr das äussere Dasein, sondern das eigene
Innere des denkenden Subjekts ^).
Dieses Princip ist nun allerdings in Sokrates noch nicht
weiter entwickelt; was er ausgesprochen hat, ist erst, dass
nur das Wissen um den Begriff ein wahres Wissen sei,
zu der weiteren Bestimmung dagegen^ dass auch nur das
Sein des Begriffs das wahre Sein, der Begriff daher das
1) Nichts Anderes sagt im Wesentlichen auch Hegel, wenn er
Gesch. der Phil. II, 40 ff. 66 den Sokr. von den Sophisten durch
die Bestimmung unterscheidet, dass bei jenem »das durch das
Denhcn producirte Objektive zugleich an und für sich ist«, dass
das Subjclitive hier zugleich »das an ihm selbst Objektive und
Allgemeine (das Gute) ist«, dass an die Stelle des sophisrischen
Satzes: »der Mensch ist das Maass aller Dinge«, der Satz tritt:
»der Mensch als denkend ist das Maass aller Dinge« — dass
mit Einem Wort nicht die empirische, sondern die in sich allge-
meine Subjektivität, sein Princip ist — Bestimmungen, mit denen
auch RöTSCHEB a. a. O. S. 246 f. 392. und HERXAsif Gesch. und
Syst des Plat. 1, 239 f. übereinstimmen.
t>ie Philosophie des Sokrates. 4§
allein Wirkliche sei, und znr systematischen Darstellung
der an' und für sich wahren Beg^riffe ist er noch nicht fort-
gegangen. Das Begreifen des objektiven Gedankens ist so
hier erst Postulat, erst eine vom philosophirenden Subjekt
zu losende Aufgabe, oder sofern ihm diese Aufgatje aus sei«
nem eigenen Innern entsteht, erst philosophischer Trieb und
philosophische Methode, erst ein Suchen, noch nicht ein
Besitz der Wahrheit, und eben dieser Mangel begünstigt
noch den Anschein, als ob der Sokralische Standpunkt der
einer einseitigen Subjektivität gewesen wäre; nur darf man
darüber nicht vergessen, dass doch das^ wornach Sokrates
strebt^ nicht der blos subjektive Zweck der Rede- und Denk-
fertigkeit oder gar des Genusses, sondern die Erkenntniss
und Darstellung des an und für sich Wahren und Guten ist:
der Begriff wird als das allein Wahre gewusst, sofern er als
die Wahrheit des subjektiven Lebens tindi Denkens ge-
wusst wird.
^ Hierin liegt bereits, was über die weitere Ausführung
des Sokratkschen Principsv zu sagen ist. Da dieses Princip
hier erst die Forderung seiner Verwirklichung für das Sub-
jekt ist, so erhält es diese auch nur in der Bildung des
Subjekts für die Philosophie, in der philosophischen Me-
thode, oder sofern diese doch einen Gegenstand voraussetzt,
an dem sie geübt wird, so ist auch dieser nur das Sub-
jekt und sein Thun, die ganze Philosophie daher ihrem In-
halte nach Ethik ; auch hier jedoch kann es zu keinen kon-
kreten Bestimmungen kommen , sondern das Denken bleibt
bei der allgemeinen und blos formellen Forderung stehen,
dass alles sittliche Thun durch das begriffliche Wissen be-
stimmt sei.
Das Eigenthümliche der Sokratischen Methode ist im
Allgemeinen dieses , dass der Begriff aus der gewöhnlichen
Vorstellung entwickelt, andererseits aber noch nicht über
dieses epagogische und pädeutische Verfahren zur systema-
46 Die Philosophie des Sokratej.
tischen Darstellang hinausgegangen wird. Indem dag Princip ,
des begrifflichen Erkennens hier erst als Forderung auftritt,
so ist einestheils das Bewusstsein seiner Noth wendigkeit
i^nd das Suchen der Einsicht in das Was der Dinge vor-
handen, anderntheils bleibt das Denken bei diesem Suchen
stehen und hat noch nicht die Bildung, sich zu einem System
des objektiven Wissens auszubreiten, daher auch noch nicht
die zur Gestaltung eines Systems erforderliche Reife der
Methode. Ebensowenig ist, aus demselben Grunde, jenes
epagogiscbe Verfahren selbst hier auf eine genauer ausge-
V führte Theorie gebracht; wias Sokrates mit bestimmtem Be-
wusstsein ausgesprochen hat ist erst die allgemeine Forde-
rung,, dass Alles auf seinen Begriff zurückgeführt werde,
das Nähere aber über die Art und Weise dieser Zurückfüh-
rung, die logische Technik derselben, finden wir bei ihm
noch nicht zur Theorie herausgearbeitet , sondern erst un-
mittelbar in seiner konkreten Anwendung als persönliche
Fertigkeit vorhanden. Denn auch das einzige einer logischen
Regel Aehnliche, was von ihm überliefert wird, dass sich
die dialektische Untersuchung an das allgemein Zugestan-
dene halten müsse ^), lautet viel zu unbestimmt, um diesen
Satz umstossen zu können.
Näher enthält dieses Verfahren drei Bestimmungen.
Das Erste ist die Sokratische Unwissenheit^). Diese
1) Mem. IV*, 6, 15: oTtCvs $8 avvoe n ri} Xoy^t ^tBl^loi^ 8ia nuy
fia?uaTa ofioXoyoyfiivwv tTrogtviTOf vofii^oiv ravtrjv ryv da(pd?<.siav
sivai loyov,
2) PiiATO Apol. 21, D: tovtov fiep tov dp^gwnov iyo) afxponsgoi
slfii ' ttiydvvevtt fitv yaQ i^fiduu ouSirsgoi ovSstf icaX6»f ndyad'6»
siSivai, dX)y ohros fiiv oisvai r* liSivai ovx tiSojSj lyd Sa oJansQ
ovv ovx oida, övde oio/iiai. 25, B: ovroe vfituv, oj av&QOJ7toif
oorpohatos iaTtPj^ oaris oianeQ ^t/jxQarijS i'yvojuiv ^ ort ovSevoi
d^toi iari zy dXrj&stijf^ nQOQ ao(piavy und vorher: to St nivSv
vevst , OJ dvÖQss * Ad"i}vaXoi , tw ovti 6 ^tos ao(p6s sivat > "xal iv
TW XQ^/Ofioj Tovzoj TovTO X^ytiP y OTi jj avdrQüJTtlvrj aofla oliyov
fii'oi d(ia itrl nal ovdsvos, Theät 150) C: ä^^o^^o^ sifit aotpias,
Die Philosophie des Sokrates.
47
IlBwi«»eiiheit ist «war allerdings nicht die slctptkche Läng«*
nung des Wissens, denn mit einer solchen wäre alles ührige
akratische Philosophiren, das Sachen des wahren Wissens,
nnd die Begründung der Sittlichkeit aufs Wissen unver-
einbar, sie enthält vielmehr zunächst nur eine Aussage des
Philosophen über seinen persönlichen Zustand und höch-
$tejis noch den Zustand derer, deren Wissen er zu prüfen
Gelegenheit gehabt hat, und auch die allgemeiner lautende
Aeusserung der Apologie darf uns hierin nicht irre machen,
da sie die Unzulänglichkeit alles menschlichen Wissens
doch mir theils relativ, sofern dasselbe mit dem göttlichen
verglichen wird, theils nur in der apologetischen Absicht be-
hauptet, den Sokrates in dieser Beziehung mit allen Andern
auf die gleiche Linie zu stellen, und das Gehässige, was
der Anspruch auf eine besondere Weisheit mit sich bringt,
von ihm abzuwehren. Andererseits darf man aber die Sokra«
tische ayvoia auch nicht fiir blosse Ironie oder übertriebene
Bescheidenheit halten. Sokrates wusste wirklich nichts, d.h.
er hatte keine entwickelte Theorie, keine positiven dogma*
tischen Lehrsätze; indem ihm zuerst die Forderung des be-
grifllichen Wissens in ihrer ganzen Tiefe aufgieng, so musste
ihm Alles, was bisher für Weisheit und Wissenschaft ge-
golten hatte, als ein blos vermeintlich Gewnsstes erschei-
nen; weil er aber zugleich der Erste war, der diese Forde*
rung aufstellte, so hatte er noch keinen bestimmten wissen-
schaftlichen Inhalt gewonnen, die Idee des Wissens war
utal oneg ^Stj noXXoi fioi ojvelSiaaVf uS tovs fiiv aXXovS tQüaTOty
avTos Si ovdsv dnongivofjiai nsgl ovSevoe Sid t6 fiTjBtv k'xsiv ao~
ifOVy dXrj&h ovsidi^ovai, t6 ös ai'rtov tovtov toSs * fiaisvea&aC fts
6 dsos dvötynd^sii yavvav 8h dntHotlvosv. Vgl. Rep. I, 337, E.
Meno 98, B. Dass sich diese Aussagen nicht auf den Plato-
nischen, sondern nur auf den historischen Sokrates beziehen kön-
nen, sieht man aus den Platonischen Dialogen selbst, io denen
Sokr. keinesvyegs als so unwissend geschildert ist.
>'
4S Die Philosop^iie des Solirateft.
ihm noch eine unendliche Aufgabei der gegenüber er sieh
nur seiner Unwissenheit bewusst sein konnte ^).
Ist aber diess die Bedeutung dieser ayfoia,^^o liegt in
ihr selbst unmittelbar die Forderung ihrer A^ufhebung, der
Mangel des wahren Wissens wird zum Suchen desselben.
Weil aber dieses Suchen des wahren Wissens wesentlich
, mit dem Bewnsstsein des eigenen Nichtwissens verknüpft ist,
das philosophirende Subjekt die Idee des Wissens zwar hat,
zugleich aber sich unfähig fühlt, sie aus der Allgemeinheit
des Princips heraus zur konkreten Erfüllung zu bringen, so
nimmt dieses Suchen naturgemäss die Gestalt an, dass sich
der Philosophirende an Andere wendet, um zu sehen, ob das
Wissen, das ihm selbst fehlt, nicht bei ihnen zu finden
sei ^), Daher hier die Nothwendigkeit des gemeinsamen, dia*
logischen Philosophirens, das für Sokrates nicht etwa blos
die pädagogische Bedeutung hat, seinen Ideen auf diesem
Wege leichteren Eingang und fruchtbarere Wirkung zu ver-
schaffen, sondern eine ihm selbst unentbehrliche Bedingung
der Gedankenentwicklung ist,* von welcher auch der histo-
rische Sokrates nie abgeht ^). Näher besteht das Wesen die-
ses Dialogs in der i^ttamg, wie es die Platonische Apologie,
oder der Sokratischen Mäeutik, wie es der Theätet (149 ff.)
nennt, d. h. der Philosoph veranlasst die, mit welchen er
sich unterredet, durch seine Fragen, ihr Bewnsstsein vor
ihm auszubreiten, und sucht auf demselben Wege, durch
fragende Zergliederung ihrer Vorstellungen, den darin ver.
borgenen, ihnen selbst unbewussten Gedanken herauszu-
1) Vgl. hierüber auch Hegel Gesch. der Phil. II, 54.
2) Deutlich genug tritt dieser Zusammenhang in der Piaton. Apol.
21, B hervor, sobald man hier der äiisserlic|ien Veranlassung
des Sokratischen Philosophirens durch den delphischen Orakcl-
spruch seine innere Begründung in dem philosophischen Trieb
seines Urhebers substituirt.
5) Vgl. ausser den Xcnophontischen Memorabillen auch Plat. Apol.
24^ C ff. Protag. 355, B. 356, B f. Theät. a, a. 0.
Die Philosophie des Sokrates. 49
heben. Sofern nun hierin einerseits die Voranssetziing liegt,
dass das dem Philosophen fehlende Wissen bei den An-
dern zu finden sei, so erscheint dieses Thon als der Trieb,
sich durch Andere zu ergänzen, der Sokratische Eros ^);
sofern aber die Andern jenes Wissen nicht wirklich haben,
mithin das Suchen desselben bei ihnen nur ihre Unwissen-
heit an den Tag bringen kann, so erhält das Verhalten
des Sokrates den Charakter der Ironie, unter welcher wir
nicht blos ^) eine Manier der Gonversation, noch weniger
freilich jene spottende Herablassung und gemachte Unbe-
fangefiheit verstehen dürfen, die den Andern nur darum
aufs Eis führt, um sich an seinem Falle zu belustigen,
oder jene absolute Subjektivität und Vernichtung aller all«
gemeinen Wahrheit, die in der romantischen Schule mit
diesem Namen bezeichnet worden ist. Das eigentliche Wesen
der Sokratischen Ironie besteht vielmehr darin, dass Sokra-
tes, ohne eigenes positives Wissen und vom Bedürfniss des
Wissens getrieben, sich an Andere wendet, um von ihnen
zu lernen, was sie wissen, unter dem Versuche aber, dieses
auszumitteln, auch ihnen ihr vermeintliches Wissen in der
dialektischen Analyse ihrer Vorstellungen zerrinnt ^). Diese
1) S. über diesen oben S.18.30 undBBAVDis 6r.-röm.Pbil.I,a,64f.9
der mit Recht darauf aufmerksam macht, dass auch von Euklid,
Kriton, Simmias, Antrsth^nes Schriften über den Eros erwähnt
iverden. ^
2) Mit Hegxl Ge&cb. der Phil. II, 53. 57. Vergl. Abist, Nik. Etb.
IV, 13. 1127, b, 22 fr.
3) Diese tiefere Bedeutung giebt wenigstens Plato der Sokratischen
Ironie. Man Tgl. Rep. I, 337, A: avttj inslvri 17 situ&vZa si(f(o^
vtioL ^(UKQaTove Kai favr' iyoj jjbij xs mal tovto&c n^ovXtyopt ot&
av dnoxgivaa&ai fie» ov» i&sXijaotey etgouvevaoio Se Kai ndvra
firdXXov noii^aoie ^ aTVoxgipoio el' %U vi aa igajTa vgl, 8. 337» E 2
«tH» ^ojK^dztjS t6 sl(»-&0S ^ianQaiijtaiy avros fiiv fi^ dnoK^lvt^Tah
aXXov de ditoxQivofiivov Xafißavtj Xoyov ttal iXiyxjif worauf Sokr«
antwortet: ttmc ydg av ••• ris aTtoKQivaivo ngölTov fiiv /t^ etSoig
. fit}Ss tpdaxüiv tidivat u. 8. w. Symp, 216, E: si^wvivofisvos 6i
xal nal^mv itdvra top ßiov n(f69 tov£ dv^qiunovi 3&ükT»Xitf was
Die Philosophie der Griechen. 11. TheiU 4
n
so Die Philosophie des Sokrates.
Iroaie ist mithin im Allgemeinen das dialektische oder kri-
tische Moment der Sokratischen Methode, das aber hier wegen
der vorausgesetzten eigenen Unwissenheit dessen, der diese
Dialektik ausübt, jene eigenthiimliche Gestalt annimmt.
Allerdings aber, mochte sich Sokrates auch keines
wirklichen dogmatischen Wissens bewusst sein, so musste
er doch wenigstens die Idee und Methode des wahren Wis-
sens zu besitzen überzeugt sein, und hgtte ohne diese Ueber-
zeugung unmöglich weder seine eigene Unwissenheit be-
kennen, noch fremde aufdecken können, da beides doch
nur dadurch möglich war, 'dass er sein und Anderer fak-
tisches Wissen mit der in ihm lebenden Idee des Wissens
iEusammenhieltj und so ergiebt sich als das Dritte in dem
philosophischen Verfahren des Sokrates der Versuch, ein
wirkliches Wissen zu erzeugen. Als ein wahres Wisseti
konnte aber Sokrates (s. o. S. 40) nur das vom Begriff
der Sache ausgehende anerkennen. Das Erste daher und zu-
gleich hi(Br, wo es noch zu keinem ausgeführten System
kommen konnte, das Einzige für die Gestaltung eines posi-
tiven Wissens musste die Begriffsbildnng sein. Den Stoff
für dieselbe aber konnte beim Fehlen eines materiellen
sich nach dem Vorhergehenden theils darauf bezieht, dass Sokr
sich Terliebt stellt, ohne es doch in der sinnlichen Weise der
Griechen wirklich ku sein, theils darauf, dass er dyvosZ irawa
%al ovSsv otSsv. Dasselbe, nur ohne das Wort ei^vs^a, sagt die
oben (S. 46, 2) angeführte Stelle des Theätet, der Meno,
S. 80, A {ovSiv akko ij avTOS re anOQUi not tovS aXkovQ noislQ
aito^siv) und die Plat. Apologie 23, £, wo nach einer Beschrei-
bung der Sokratischen iS^raüte fortgefahren wird : sh ravTtjal Sij
Ttjs iierdasoje noXXal filv a.Tiixd'Siai fAOt ysyovaat .... ovofia 8e
TovTO . . ., ao(p6s slvai, oiovrai yaQ fis ivtdatotB ot nagoptsQ ravra
avTop alvai aocpov d dv dlXov iSak^y^oj, Vergl. das. oben über
die Sokratische Unwissenheit Bemerkte. Mit dieser Ironie hängt
dann allerdings zusammen, dass sich Sokrates auch der Ironie
als Gesprächsform gerne bedient, z.B. Plat. Gorg. 489, E. Symp.
218, D. Xejs(, Mem. IV, 2, nur dar! ihre Bedeutung nicht hier-
auf beschränkt werden.
DU FhJldsophie dt% Sokratel. 51
Prinzips des Witsirtis nor di6 gewöhnliche Vonftellung h4w*
geb^ti. Diese Seite d#r Sokratischen Methode besteht dfthet
in der Ueberfährntig der Yerstelluflf tum Begriff bim der
I il d ti k t i o A. Den A tisgangspttnkl dieser todok tlon bildeti die
altergewdhnliehsten Vorstelldngen , und eben diels isi fir
Sokrates charakteristisch, dass er stets von dem AUbekaBii«^
ten nsgeht: die Quelle des Wissens soll iin Subjekt, und
2Wiir dem in eioh allgemeinen Subjekt liegen, weil aber
dieses die Wahrhaft allgemeine Seite seines Bewiisstseins^
das Denken, noch tu keinem bestimmten Inhalt ilitwicÜelt
bftt, so bleibt für die Ableitung der betttimtnt^n BegriflRi
nur die Golleotirallgemeinheit der Vorslellong übrige WimA
daher die Alten einstimmig bezeugeil ^), dass S(riErates seine
UniterstoKtbungen durchaus auf das Bekannteste nmd aüscbei-
nend Triviale gestittt habe, wenn wii* ^selbst ihn bei Xeno*
pben dieses Yeifahren befolgen und im Zusammenhang 4ft*
mit, ohne alle siehtbareti weiteren Zwecke, im abiirdktta
Interesle der BegrlffsentwicklUng nicht alleiii aus Haind«
Werkern ^ sondern selbst aus Hetftren den Begriff ibr^s 6e«
werbe berauafragen sehen ^), so haben wir uns dneh diesei
nioht aus pftdagofgistben eder sonstigen eltoleriseheti BfSek*
siehtäi)^ sondern aus inneren GründeUj aus der fineatwiekekeh
Cbstalt seines phllosophischefi PrinoipS zu erkläreui Dtfi
Weitere ist Aber freilieh, dass Sokrates bei diesen Ausganj^a*
punkten nicht stiehen blieb^ Sondern aus der Vorstellung ikh
Begriff heraussuaiehed suchte, und eben dieses ist das Epfi<^
gogisehe seines Verfahrens« Die Induktion hat hiei' nodh ni4lit
die Bedeutung^ Uns einer vollständig gesaMmwlied Erfabntng
den Begriff au abstrahiren^ sondeifn es wird aif trereinsdlM
VorstdUimgeli und Zugestand niese a«gcknüpft, und ftns ii^*-
sen zunächst zufälligen Grundlagen der Gedanke eotwickelty
indem theils der Widerftprueh elnef Vd^elltmg mit si^ selbst
>l l| 'I TT 1 II (1 I <.!
1) ^. O. S. 24< i6, 1.
2) S. 0. S. 37 f. '
4*
S2 Die Philosophie des Solirates«
od«r mit andern dem gewöhnlichen Bewusstsein gleichCill«
fesKstehenden Voraussetoungen beraerldieh gemacht, tbeils
tüd in ihr liegende Wahrheit weiter verfolgt und analysirt
wird — ^ eine Besehränknng, die unmittelbar mit dem dialo*
giscken Charakter des Solgratiichen Philosophirens gege»
ben war.
Fragen wir nun aber nach Beispielen, an denen wir
ims diese Sokratiiiche Methode anschaulich machen können,
so werden wir von den Memorabilien (IV, 6) ausschliess*
lieh ian €iegenstände aus dem Gebiet der Ethik verwiesen:
die Sokrati$che Philosophie, ihrem allgemein wissenschaft-
lichen Gharaktet nach Dialektik, wird in ihrer konkreten
Anwendung zur Etliik.
Sokrates, sagt Xemophon (Mem. I,' 1, 11), redete nicht
von der Natur des AH, wie die meisten Andern, sondern
zeigte sogar im Gegentheil, dass es eine Thorbeit sei, sol*
eben Dingen pachzuforschen; weil es nämlich, wie hier
weiter ausgeführt wird, verkehrt sei, üb^r das Göttliche za
grübeln, ehe man das Menschliche gehörig kenne, weil
ferner auch schon die Widersprüche der Physiker unter ein-
ander beweisen, dass die Gegenstände ihrer Untersuchungen
das menschliche Erkenntnissvermögen übersteigen^ weil end-
lich diese Untersuchungen ohne allen praktischen Nutzen
seien» Aehnlich sehen wir den Xenophontischen Sokrates
(Mem. 4, 7) auch die Geometrie und Astronomie auf das
Maiass des unmittelbaren praktischen^Gebrauchs, die Wissen-
schaft der Feldmesser und Steuermänner zurückfuhren. Neuere
Jedoch ^) haben die Treue dieser Darstellung bezweifelt
Siföge.auch Sokrates, hat man gesagt, diese oder ähnliche
Anssprücbe gethan haben, so können sie doch keineswegs
\) ScRLstsncAcnB W.W. III, 2, Sd5 — 507. Gesch. d. PbiL S.8&
Bbandis Rbein. Mus. I, 2, 130* Gr*-röm. Phil. II, a, 34 ff, Rittbb
Gesch. d. Philos. II, 48 ff. 64 ff* SüvxBsr über die Wölken des
Aristophanes S. 11. ''
f
, Did Philosophie des Solii^ates« - it
fio veratandeii werden^ als ob er die spebalattve Naturfw«
Bchung überhaupt aufheben wollte, da eine »eiche Behäiip«
tung seiner Grundanschauung ^ der Idee der Einheit aftes
Wissens, zu auffallend widersprechen, und so, wie sie Xene«
phon ihn vortragen lässt, zu allzu verkehrten Oensequeacen
fuhren würden Auch Plato 1) aber bezeuge, dass8okrates
nicht die Physik überhaupt, sondern nur die gewöhnlich«
Behandlung derselben angegriffen habe, und Xeivopiioü
selbst ^) könne nicht verbergen, dass er auch der Natur im
Oanzen seine Aufmerksamkeit zuleokte, um mittelst teleolo-
gischer Naturbetrachtung die Idee ihrer vernünftigen Gesetz-
mässigkeit zu gewinnen. Habe daher auch Sokrates ohne
Zweifel kein besonderes Talent zur Physik gehabt, und sioli
nicht ausführlicher mit ihr abgegeben, so müsse doch wenig-
stens der Keim für eine neue Gestalt dieser Wissenschaft
bei ihm gesucht werden, d^r näher in dem „GedUnken von
einem allgemeinen Verbreitetsein der Intelligenz im Ganzen
der Natur", in der Idee „einer absoluten Harmonie der Na«
tur und des Menschen und eines solchen Seins des Men-^
sehen in der Natur, wodurch er Mikrokosmus ist^^ 3), Ire*
gen soll, und auch das Stehenbleiben bei diesem Keime' und
die Beschränkung der Naturforschung auf das praktische
Ö^dürfniss solle der eigentlichen Meinufig des*Pbilo8ophen
gemäss eine blos vorläufige Maassregel sein, und nur diesi
besagen, dass man nicht in's Weite gehen solle, ehe in
O Phädo S. 9Q, A f. 97, B E Rep. VII, 529, A. Phileb. 28, D fc
Gess. Xir, 966, E fl
3) Mem. I, 4. IV, 5. Wenn sich Bbavdis Gr.-röm. Phil. a. a. 0.
auch auf Mem. I, 6, 14 (tovs ^tfcav^ovs rdSv ndkai, aotpmp bV-
Sqwv, ovs insivoi naxiXbnov iv ßißXiois ygdif'avTSS) dvsUvraiv
%oivff avv Tots {piXoiS SUqx^H'^'') beruft, so steht doch nirgends,
dass diese ao^ol gerade die früheren Physil(er seien (aocpol sind
auch Dichter, Historiker u. s. w.), ausdrücklich wird vielmehr
gesagt, S. lese sie, um dann zu finden, was ihm und seinea
Freunden moralisch nützlfcb sei.
3) ScHLKiBfiKA.cHEB a. a. O« äbullch Ritter.
M I>>0 Philosophie dpt Soliralt»«
dar Tiafe 4«« SeÜMthewQSsttf i«« der dblektuieb« Grimd ge*
InMrig geUgl «•!. DiMe ganze Ansieht beruht indessen auf
mibaltbaren Vorausietiungen, Fnr*e Erste nämltch sagt nieht
UosXsnophoq, senden auch AniSTOTSiiiss, daas Sokrates
keiae nuturwissensohaftlicbeo Forschungen getrieben habe ^),
wie 4ie«8 Sicwr^nisHoi achsh und seine Nachfolger recht ivöbl
wlscany um von den Späteren nicht xu reden; welche Con*
•eqnew nun, eben den Zeugeni den man sonst als Sobieds*
richier awisohen Xenopbon nnd Pinto herbeiruft, sobald er
sich gegen den Letzteren erklärt, su perborresciren ! beson*
dera da wir die Besiehnng der Platonischen Stellen auf den
bistoriscben Sokrates nicht beweisen können, und die
einsige derselben, bei der eine solche Beaiehung nicht gani
upwabrscheinlicb ist, die de« Phädo, nur dasselbe ausfuhrt,
was auch Xenophon berichtet, dass Sokrates eine teleolo-
gische Natnrbetrachtung gefordert habe. Hält man sieh- aber
eben hieran, und verlangt, dass diese Teleologie „nicht in
dem späteren niederen Sinn'^ wie sie Xenophon auffasste,
ventanden , sonder« die philosophische Idee einer Immanens
des Qeistfs in der Nator darin gefunden werde, so weiss ich
nicht, wo wir die historische Berechtigung daau hernehmen
acAlfo^ Beruft man sich endlich auf die Conse^uens des So*
kvMiachcn Principe, so aeigt eben diese, dass es Sokrates
mit seiner Verachtung der spekulativen Physik und seiner
populären Teleologie voller Ernst sein musste. Hätte frei«
lieh Sokrates die Idee der Zusanunengehöfigkeit alles Wis-
sens in dieser entwickelten Form mit Bewusstsein an die
$pi^e seiner Philosophie gestellt, so Hesse sich seine Gering-
scbftlxung der Physik nicht erklären ; war dagegen der Ge-
I^rw2^<>r¥^i ni(fl Si T^s ÖXtfS (piaewi ov&ev^ De part. anim.
ovaiav] ijv^ij&ijy rd 6e Sv^tv rd n^l fva«^? i2^e. Vgl. Met.
XUI, 4. i078, b, i7, E*i ^ud. J, i2i6, h, ?.
Die Philosophie des SoBratesi S5
danke in ihm erst als personliolie Bestimmdieit, als der Trbli
und die Fertigkeit der Begriffsentwicklung, so war es natura
lieb, dass derselbe auch erst die persönlichen Zastände, die
aber vermöge ilorer Beziebnng auf dieldee diesiulichen sind,
zum Inhalt hatte. Indem hier zwar die Idee des begrifflioben
Wissens vorbanden ist, ihre systematische Aasbreiftnng da^
gegen neeb fehlt, so ist diese Idee erst die Forderung au
das Subjekt^ sich selbst ihr gemäss isu bestimmen, und da^
mit unmittelbar praktischer Trieb, das philosophische und
das sittliche Interesse daher noch Ein und dasselbe und daa
sittliche Gebiet das einzige, auf welchem das in die objek«
tive Welt noch nicht eingedrungene Denken einen ihm eat-«
sprechenden Ciegenstand findet ^). Hjdt daher Sokrates auch
eine eigenthilmliche Natnransehauung ausgesprochen^ so ist
doch auch diese nur die Uebertragung der ethischen Betracb«
tungsweise als Teleologie auf die Natur, eine an sieh seibat
unphilosophisebe, populäre Reflexion, welche für die . Sekra«
tische Philosophie Mir das negative Moment hat, den Mangdl
des naturphilosophiscfaen Elements in ihr anzuzeigen.
Aehnlich verhält es sich mit der theologischen For««
sehung» die in der altern Philosophie unmittelbar mit der
pbysikalisclien verknüpft war. Auch von dieser bezeugt us
13 Auch hier bietet die neuere Philosophie eine Parallele. Nachdem
die Kantische Kritik die ganze ältere Metaphysik zerstört hatte;
. . blieb nur noch das denkende Ich übrig, dieses Dmiken aber, c^
nes positiven Inhalte beraubt, wurde zur F^orderung, das Objekt
aus dem Ich hervorzubringen, zum absoluten Sollen des kate-
gorischen Imperativs, an die Stelle der Metaphysik trat die Moral.
Aebnlich hatte die Sophistik nach Zerstörung der frühem Philo-
sophie nur noch die subjektive Denkthätigkeit übrig gelasseii.
Sokrates wies dieser am Begriff ihren wahren Gegenstand an, in-
dem er aber das Princip des begrifflichen Denkens erst als An-
forderung an das philosophirende Subjekt hatte, so war ihni das
wahre. Wissea unmittelbar eine vom Subj^t darcb seine Selbst-
tbatigkeit zu vealistrende Aufgabe, die theoretische Forderung
des Erkennens fiel ihm noch mit der praktischen des pbilosophi-
•eben Xebea» susammen«
SA Die Philosophie des Sohrates.
Xenophon ^) , das8 sich Sokrates nicht mit ilir beschäftigt
habe, und damit steht es nicht im Widersprach , wenn et
anderwärts (Mem. IV, 3, 2) sagt, er habe seine Freunde
cwpqofog mqi d^sovg zu machen gesacht ; diese Ermahnang
mm rechten Verhalten gegeh die Gotter gehört zur Ethik,
nicht xar theologisclien Spekulation. Wir finden daher aach,
dass alle Aensserangen des Xenophontischen Sokrates über
die Götter durchads nur einen populären Charakter tragen.
Er beschreibt dieselben als Urheber der zweckmässigen Na-
tareinrichtung, als allwissende weise und götige Wesen, die
zwar der sinnlichen Anschauung verborgen sind , abeit
theils durch die Natur, theils auch durch Orakel und
Vorzeichen sich 9ffenbaren, und bei deren Verehrung es
nicht aaf. die Grösse der dargebrachten Gaben, sondern auf
Reinheit der Gesinnung und Rechtschaffenheit des Lebens
ankommt ^). Diess Alles sind aber doch erst populär reli-
giöse Anschauungen, dergleichen sich auch ganz ausserhalb
des philosophischen Gebiets, bei Dichtern z. B., nipht selten
finden. Auch was Meni. IV, 3, 1 4 gesagt wird , dass die
menschliche Seele am Göttlichen theilhabe, ist noch keine
philosophische, sondern erst eine religiöse Bestimmung , da
über die Art dieses Theilbabens noch nicbts Näheres fest«*
gesetzt wird, und selbst die merkwürdige Unterscheidung
zwischen dem rov oXov noaiAOif avrcdxrmv und den , übrigen
Göttern (ebehd. §. 13. vgl. I, 4, 5. 7) erscheint hier nur als
unmittelbare Voraussetzung, nicht als Resultat philosophischer
Reflexion, wesshalb sich denn auch Sokrates durchaus an die
Formen der griechischen Götterverehrung und des griechi-
schen Götterglaubens anschloss ^). Gaiiz in derselben Weise
1) Mem. I, 1, 11 ff.
2) S. Mem. IV, 3. I, 4. I, 6, 10. I, 1, 19. IV, 4, 19. I, 3, 2 f.
Symp. 4, 46 ff. Platonische Parallden dasu bei Bbaitdis Gr.-
röm. Phil. 11, a, 56 ff.
3) S. o. 8. 19* 21. Auch hier yerl(eimt ScsLsiBBSAciiia die geschieht-
Die Philbsophie des Sokratei. 8T
ist auch der Sokratische Unsterbttcbkeitsglaube gehalten^),
dem überdies« Sokrales selbst nieht den Werth eines ganz sl^
ehern Wissens beigelegt za baben scheint ^); erst bei Platö
erhält derselbe philosophisohe Bedeutung;
Auch in der Eihak jedoch sind es nur wenige *philbso<^
phisohe Bestimmungen, die Sokrates mit Sidierheit zuge«
abrieben werden können, wie diess auch nicht -anders sein
konnte, da eine systematische Ausbildung der Ethik ohne
metaphysische und psychologische Grundlegung unmöglich
ist. Was Sokrates hier gethan hat, ist nur das Formelle, das
sittliche Handeln öberhaept auPs Wissen zurückzuführen, so-
bald dagegen die besonderen sfttlichen Thätigkeiten und Ver-
hältnisse abgeleitet werden sollen, beruhigt er sich theils bei
der Berufung auf die bestehende Sitte , theils tritt eine äüs-
serliche Teleologie an die Stelle der philosophischen Be-
gründung.
Das allgemeine Princip der Sokratischen Ethik spricht
der Satz aus, dass alle Tugend im Wissen bestehe 3). Zur
Begründang dieser Ansicht berief sich Sokrates darauf, dass
liebe Beschränktbeit des Fbilosopben, wenn er demselben (Gesch.
d. Pbil. S. 84) schon die »reinste Einsicht von dem Verhältniss
des Mythischen zum Spekulativen« zuschreibt, und seine An*
Schliessung an den Volksglauben aus Accomodation ableitet.
1 ) Plat. Apol. 40, £ ff. Wieweit die Aeusserungen des Xenophon-
tischen Cyrus (Cyrop. VIII, 7, 19 f.) Sokratisch sind, fragt sich 5
wären sie es aber auch, so sind sie doch ohne philosophischen
■ Gehalt, und auch die Aehnlichkdt derselben mit der Ausführung
des Phädo 105, Gf. giebt ihnen diesen noch nicht, denn gerade
was die letztere zu einer philosophischen macht, die Anknüpfung
an die Lehre von den B^riffen, fehlt hier.
3) Es verdient alle Beachtung, dass nicht blos der Sokrates der
Platonischen Apologie S* 40, G, die übrigens auch zu einer Ac-
comodation an die Vorstellungsweise des Volks keinen Anlass
hatte, sondern auch der Xenophontische Gyrus a^ a. O. §. 22*
sich über die Unsterblichkeit zweifelhaft äussert. Im Uebrigen
Tgl. HiBXAifN Plat. I, 684 f*
$) Die Belege aus Xenophon, Plato und Aristoteles i. 0. 8. 36 f.
98 I>i« Philosophie des Sokratetb
koiaer etwas Anderes thne, als wavon er glaubt, dass^s ffir
ihn got sei ^), denn das Wissen sei immer das StäAste, and
könne nicht von der Begierde überwältigt werden ^), es sei
Niemand freiwillig böse ^); was 'insbesondere die Tagend
der Tapferkeit betrifft, so führte er fnr seine Ansiebt auch
das an, dass in allen Fällen der, welcher die wahre Besobaf-
feabeit einer scheinbaren Gefahr und die Mittel , ihr an be«
gegnen, kennt, mehr Math bebe, als wer dieselben mcht
1) XxBOPBOir Mem« 111, 9, 4 f* (•• o. a. a* O.) IV, 6| 6: tldoras
oio/jutif Vtpri* OlSaS 8i tipuS akXa Ttotovvra^^ ^ a otovTa& SsJp j
Ovit ty(oy\ itptj u* s* w. Vgl. ebd. % S. 11* ABiaT0TXt.s8 M/
Mor. I, S9 (8. o.)
3) F1.A.T0 Protag* 352) G f* a^* o!p xal aol xototxov xi ?rc^2 avtiji
[r^C iniortifirii] doxe7^ ij nakov ra shat 1; ijnar^fifjt xal olov ag^
yHi^ Tov dp&QiuTtov 9cal idvTtig yiypojoxTf riQ r^yud'd xai rd xaxd
fjt^ av stgarrj^ijvai vno fir^dtvos^ wore dXk* dxra n(fdxtitv^ 9 «
ap 97 imaxiifM^ mkev^i dkl* Ixav^ elpai x^p <p^pfjaip ßorjd'sip
xii} dp^gojTtdjf; das Letztere wird sofort mit Einstimmung des
Sokrates bejabt CDie weitere Begründung kann wohl nur als
Platoaiach angesehen werden). Abist. Etb. Nik. VH, 3, An£
intaxdfAtvop /dip ovp ov tpaai xtpce oiop xe etptu {dHgax%vead'ai\.
Sftvov ydgt in$oxijf4yi ipovmje^ vis ^txo ^orngdr^s, dXXo xi ttga-
. xtiP, Eth. Eud. Vn, 13, Schi, vg&die x6 JSwxgaxtnovt Öri ovSiv
loXVQ^xfffov 9fOf^aMtfff* dlX ilxi fatiaxi^fMiP «^17, ov» dg&Wy dgs-
x^ ydg iaxt xmi qvh eni9xiffiy»
3) Abist. M» Mor. I, 9. ^hm^x^s I^j; 01^ if i^fup y9Pio&a& x6
on^vSaiovS §ivm$ ^ (pavXovs* el ydg xit^ tprjclvy igwxi^^ttep ovxi-
vtiovvt iroxagov ap ßoihnxa ßixaios «7ra« ^ ddtxoQ^ ov&els dp
«Ao*TO x^p mdixiaa^ u. s. w. Unbestimmter und ohne d^n Sokra-
tes SU nennen, redet die £dt. Nik. III, 7* 1113, b, 14 (vgl III, 6,
Anf. Eth. Eud. II, 7. 1223, b, 3) von der Behauptung m ov.
hii ixuip noptfgoß or^ mm»p fbdxmg. Mit Recht bemerkt Bbait-
Dis Gr. röm. PhiL II, a, 39» das« sich diess aunlkrbst auf Argu-
nentationen des Platonischen Sokrates beziehe, dass jedoch auch
die obea aageföhrtee Stellen der MemcoraUIien III, 9> 4. IV, 6
6. 11. uad die Pkt. Apol. 25, £f. <<V^ ^' ••• r^vvo xe xocov-
vap xaxop ixoMP n<utSf ols ffjS ai^ xaufTüu iym üqI ov vti&o^a^ c3
ÜT^Atre . . . M ^£ anoHf Sunp^ilgo^ . . . Sifkev ux$ idp fAd&w nttv^
aofiai ye dxotp notd!) dasselbe besagen« V^ IM» de justo
S^hi Dioe. L^SBi. II» 31«
Die PkU^ftpliU dei So^vau«. 69
\ubtkni ^). F^tB^tse jwH ftllgemeiiitii PriiMip« mi die
Beb9up(«ogen« das« diß eios^lnen Tugenden nicht ran ein-
ander v6riobifd?n ^)9 Qod «benio die Tugend der Tersehie*^
denen Stllnde und Ges^hleehter eine und dieielbe ^), und die
Anlage zur Tagend in Allen die gleiche «ei ^), denn die
Anlage aqin Wiasen ia( für Alle weeenUich gleich; dass nnr
die Wissenden die wahre Tugend beeilsen, mithin «uch not
sie «ur Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten ge-
Kcbickt» dass sie als solche schlechthin berechtigt seien, su
herrschen ^); dass die Unwissenheit Ober das, was re«ht ist|
der gr^sste FebUr» und wissentlich Unreeht zu thnn besser
sei, als unwissend ^), weil nttmlicb im letaternFaU mit dem
i) Xpn. Mein. III, 9, ,2. Sjmp. 2, 12. wo Sokrates aus Aalass ei*
ner Tänzerin, die über Degenspitzen radscblagt, bemerkt: ovro»
rcv9 y§ &§wf*irovS vaSt iirttXiSt^p IV« oXofMn^ ttU ovxt nal ij
dvi^$ia StSanjQV. AiuftT* Etb. Nik. UI, i. ilft6, b^ S: ^»t« Ü
xal 17 tf^mi^a ^ ntgl enaata, avd^eia r«( 9(vckt * o&bv nal 6 ^(m-
Kgart^e 4v^^ iTrjcrrjJaiyv ilvai rfjv dvSgiiav, V|l. Eth. £ud. 111,
1. 1329, a, 14.
t) Mem. HI, $» 4. S. o. S. 56, 1.
3) Abist« Folit l, 1$. 1)16, a« 30 ff. oiart tpavt^ivt vr* hxlw i^^u^
difBTtj töiv itQTjfjkivwv ndvTOtVy xai ovx ^ avr^ awfQOQvrtj yvvai^
noi nal dydQofy ov^ dvi^la nal Smaioavvff , ita&aTrag (^aro .2%»-
trpari^ff • • • ««ilv yd(f if4,nv^v liyov^av •» ita^^&iktiv»us rdi d^§^
Taff. Vgl PiATO Meno S. 71it P H^ und die Lehre von der Eia-
beit aller Tagenden bei den Gynikern und Megarikem,
4) XiK. Syrap. 2, 9: JCal 6 2(.oyiQdtfi^ tlntv iv noXkoIs fiiv, <u
va$n^{ct (fVQ^S opdiv %6lQ¥iV r^ tov dvtfci aiaa rvyxdvih 4^t^^9
de ttal taxvoe Suvai. Vgl. Plato Bep. V, 452, £ ff.
5) Mem. III, 9, 10: BaaiXui Si ttal agxovTai ov tovs td on^nTga
f'XOPtaS tfffi $ivai^ <^9i tov^ vttq tmv tpxovzviv mQS&ivrttSy ov9h
TOvs «?^^gt^ kaxoyjaSi ov^i T0C9 ßiaaafjUvov^ y ovdi rove i^ana-
T^QavTKti^ dU.d Tat)( ,inii<trotfnivov^ ä^X^nft was sofort mit dem
bekamitee Seispiele der St^neraMinner, Aerzte u. i. w, bewiesen
wird. Dasselbe Mem. I, 3 , 9« vgl« euch I9 3 , 44 f« Pieselben
Grundsätze wiederholt Plato, z. K FoUt 3^7» £) ff, » wo gleich-
falls das Beispiel des Steuermanns u^d Arztes« s^nm Schema dient«
6) Mem* IV, 3, 19 f. Tuitf 9i djj r#r( tfUavs «£a;raja«4'va)r inl
fildfirj nat9(fQS dSiH<i^9(fif «Wf^i indivt 17 o cuMMf; was im
^ Die Philotöphie des Sokra'tes«
wahren Wissen die Sittlichkeit fiberhaüpt fehlt, im erstem,
Wenn er überhaupt möglich w^re, dieselbe nur Vorfiberge*^
hend verletzt würde. Nur eine praktische Anwendung jener
Lehre ist aber auch die Sokratische Forderung der morali'*
sehen Selbsterkennfniss ^). Diese ist nftmlioh dem Sokrates
nicht blos ein Hülfsmittel der Sitüichkeit, sondern unmittel*
bar die gesammte sittliche Bildung selbst; da alle Tugend ein
Wissen und nichts stärker sein soll, als die Einsicht, so ist
unmittelbar mit der Erkenntniss der sittlichen Mängel auch
der Trieb gesettt, sie aufzuheben^); wer daher sich selbst
recht kennt, der arbeitet ebendamit noth wendig so, wie er
soll, an seiner sittlichen Vervollkommnung.
Diess ist indessen erst eine formelle Bestimmung; alle
Tugend soll ein Wissen sein, aber was ist der Inhalt dieses
Wissens? Auf diese Frage antwortet Sokrates zunächst im
Allgemeinen: das Gute; tugendhaft, gerecht, tapfer u.s.f.
ist, (s.o.) wer weiss, was gut, recht, bei Gefahren zu thun
ist u. s. w. Auch diese Bestimmung jedoch ist ebenso allge«
mein und blos forniell, wie die vorige; das Wissen, welches
tugendhaft mächt, ist das Wissen des Guten, aber was ist
das Gute? Das Gute ist eben nur das allgemeine Wesen, oder
der Begriff, als praktischer Zweck , das Thun des Guten nur
das dem Begriff der Sache entsprechende Handeln , also das
Wissen selbst in seiner praktischen Anwendung, das Wesen
des sittlichen Wissens daher durch die allgemeine Bestim-
mung , dass es das Wissen des Guten , Rechten u. s. f. sei,
Folgenden so entschieden wird: Td dUaia itorsQov oittdiv tpev-
SofisvoQ ital e^aTraTütv olSev, rj 6 äxmvj JtjXov ort 6 ixdv. J$~
naiotiQOV Si \jpjji elvai] tov iniardfisvov rd dlxa&a rov fjtrj t^r*-
axafiivov; 4>alvofiai, Vgl. Pla.to Rep. 11, 382. IH, 389, A. f.
IV, 459 C f. VII, 535 E. Hipp. min. 371, E ff. und dazu meine
Flaton. Studien S. 152.
1)8. über diese oben S. 41.
2) Ein Zusammenbang, der auch Mem. IV, 2, 26 f., trotz der un*
philosophischen Form, deutlich genug hervortritt.
Die fhilotopbje des Soliratet. A\
nicht erklärt» lieber diese allgemeine Bestimmung ist aber
Sokrates in seinem Philosopbiren nicht hinausgekommen; ^ie
seine theoretische Philosophie bei der allgemeinen Forderung
des begrifflichen Wissens, ^ bleibt 4ie praktische bei der
ebenso unbestimmten Forderung des begriffsmässigen Han-
delns stehen. Aus diesem allgemeinen Princip lässt sich aber
noch keine bestimmte sittliche Thätigkeit ableiten; soll es
daher doch zu einer solchen kon^men, so bleibt nur übrig,
die Grundsätze dafür entweder aus der bestehenden Sitte
ohne weitere Prüfung aufzunehmen, oder sofern sie doch, deni
Princip des Wissens gemäss, deducirt werden sollen, sie auf
die besonderen Zwecke^ und Interessen der handelnden Sub-
jekte, also auf äusserliche, eudämonistische Reflexionen zu
gründen. Beide Auswege hat Sokrates auch eingeschlagen«
Auf der einen Seite erklärt er den Begriff des Gerechten
durch den des Gesetzlicheh , und die den Gesetzen entspre*
chende Verehrung der Götter für den besten Gottesdienst,
und will er selbst sidi sogar dem ungerechten Urtheil n^cht
entziehen, um die Gesetze nicht zu verletzen ^); auf der an-
dern Seite — und diess ist vermöge der allgemeinen Richtung
auf's sittliche Wissen bei ihm das Gewöhnliche — bedient er
sieh für seine ethischen Sätze einer endämonistischen Be-
gründung, die sich, für sich genommen, von der sophistischen
Moralphilosophie nur im Resultat, nicht im Princip unter-
scheidet ^). Erklärt doch Sokrates selbst ausdrücklich, wenn
man ihn nach einem Guten frage, das nicht für einen be-
stimmten Zweck gut sei, so wisse er weder ein solches, noch
begehre er es zu wissen. Alles sei gut und schön für das, zu
dem es sich gut verhalte 3), d. h. es gebe kein absolut, son-
1) S. o. S. 21.
3) Wie dies^ schon Dissinr in der oben (S. 14» 2) angeföhrten Ab-
handlung grUndUch gezeigt hat. Vgl. auch Wiooass, Sohratei,
S. 187 f.
3) Mcm. III, 8. 3. 7«
62 I>ie Philoftöplile des Sökrate«.
dern ntir ein rdätiv Gntdn; sagt ^t doch aufs Befttimmtesle,
das Gute sei nichts Andei^es, als das NÖtsIiche, das Schöne
nichts Anderes als das Brauchbare, Alles daher für dasjenige
gttt und schon, dem es nützlich und brauchbar sei ^){ sehen
\vir ihn doch in den Xenophontischen Gesprächen fast aus'^
nahmslos die sittlichen Vorschriften selbst a^f das Motiv des
Nutzens gründen, die Ermahnung 2ur Enthaltsamkeit darauf,
dass der Enthaltsame angenehmer lebe, als der Unenthalt«-
same '), die Ermahnung zur Abhärtung darauf, dass der Ab*-
gehärtete gesänder und fähiger sei. Gefahren abzuwehren,
und sich Ruhm und Ehre zu erwerben '), die Ermahnung Zur
Bescheidenheit darauf, dass die Prahlerei in Schaden und
Schande fBhre ^), die Aufforderung zur Bruderliebe auf die
Erwägung, dass es thöricht sei, zum Schaden zu gebrauchen,
was uns zum Nutzen gegeben sei ^), die Lobpreisung der
Freundschaft auf die Aufzählung der Vortheile, die ein treuer
Freund gewährt^), die Verbindlichlseit zur Theildahme an
den öffentlichen Angelegenheiten auf die Ueberzeugung, dass
das Wohlbefinden des Ganzen auch allen Einzelnen zu Gute
komme ^), die Verpflichtung zur Gerechtigkeit auf die Be-
trachtung ihres Nutzens^), die Werthschätzung der Tugend
überhaupt auf die Vortheile, die sie von Seiten der Götter
und Menschen Terschafft ^), und auch in der reinsten Gestalt
dieses Eudämonismos doch nur auf den Genuss des mora-
lischen Selbstbewusstseins ^O). Und kein Grund dagegen ist
1) Mem. IV, 6, 8 f. vgl. Xcn. Symp. 5, stf.
2) MeiM. y, 5. 6. II, 1, i ff. tgl. IV, 5, $.
3) Ebd. Ili, IJ, 4. 11, 1, 18.
4) Ebd. I, 7.
5) Ebd. II, 5, 19.
6) Ebd. II, 4, 5 f. n, 6, 21 ff.
7 ) Ebd. UI, 7, 9. II, 1, 14.
8) Ebd. IV, 4, I6ff. m, 9, 11 ff.
9) Ebd. II, 1, 27 ff.
10) Ebd. I, 6, 9. IV, 8, 6*
Die PLilotophie det 8okrat«t. 6S
•
68, das« der Platonische Sokrates an mehr ali Etner Stelle ^)
den selbstfindigen und absoluten Werth der Sittlichkeit gel-
tend macht, denn dass diess auch der geschichtliche in der^
selben Weise gethan habe, Ifisst sich daraus um so weniger
abnehmen , da ja Pl ato selbst in dem am Meisten Sokrati-
schen Ton seinen Dialogen ^) seinem Meister eine durchaus
auf die Identität des Guten mit dem Angenehmen gegründete
Beweisführung in den Mund legt. Verweist man uns aber ^
auf die sonstigen Erklärungen des Sokrates, auf seine Aeus-
serungen über den Werth und die Kraft des sittlichen Wis-
sens und den Unterschied der evnQa^ia und evrvxia^)^ und
^ auf den Widerspruch solcher Erklärungen gegen die von uns
vorausgesetzte eudämonistische Begründung der Sokratischen
Moral, so können wir diesen Widerspruch zwar vollkemmea
zugeben, um so mehr aber müssen wir uns dagegen verwah-
ren , dass aus demselben gegen die Treue der XenophontU
schen Darstellung etwas geschlossen, und unzweifelhafte Er-
klärungen, wie die aus Menü III, 8, 3. 7 angeführten, mit
Brandis für solche Bruchstücke von Gesprächen angesehen
werden, deren letztes Ziel das gerade entgegengesetzte, der
Beweis von der wesentlichen Verschiedenheit des Goten und
Nittzlichen gewesen sein soll. Durch diese Behauptung wird
nicht allein die Glaubwürdigkeit der Xenophontiscben Dar-
stellung in einer Weise verdächtigt, die sie als Geschiokt»-
1) Z. B. Bep. X, 612, Af. Gorg. 495, E f.
2) Protag. 35S, GfL vgl. 533, D.
3) Mit Braiüdis Gr. rpoi. Phil U, a. 40 f. Bhtim Miu. I, b, 138 ff.
Vgl. DissBir a. a. OJ S. 88 (28). Bittsb, Gesch. d. Fkil. II, 70 ff.
4) Mem. III, 9, 14. Mit Unrecht fügt Bbahdis dieser Aeussening
auch Mem.lV, 2, 34 bei, denn \veaa hier auch Schönheit, Stärke,
Reicbthum, Euhm, und Torfaer <^. 33) a«cfa die Weisheit selbst
für dfKpiloya aya^.a erklärt werden, so wird doch dieses selbst
nur damit begründet^ dass daraus noXXd xal x^^^d 9VfißaivH
Tots dv&Q(o7tois» Diese Stelle würde also yielmehr gegen Bbait*
SIS beweisen»
ß4 Pi0 t*hilo$opbie de« Solcratet.
quelle fast anbraachbar maehte, und ein nicht etwa nur durek
einzelne Aeusserungen, sondern durch die ganze Darstellung
der Schrift yon Anfang bis zu Ende sich hindurchziehender
Zug ohne alle bestimmten geschichtlichen Zeugnisse des Ge-
g0ntheils für falsch ericlärt, sondern es wird auch die Cigen-
thumllchkeit des Sokratischen Philosophirens und die noth-
wendige Grenze seiner consequenten Entwicklung verkannt.
Dass das Wis^n des Guten allein die wahre Tugend, und die
Tugend das Höchste, und dass doch dieses Wissen und Han-
deln selbst wieder durch die empirischen Folgen der Hand-
lungen bestimmt sein soll , diess widerspricht sich allerdings,
aber dieser Widerspruch war eine unvermeidliche Folge der'
abstrakten und blos formellen Fassupg der Tugend als int"
iTc^lAti' indem so nur das Wissen überhaupt zum Princip der
Sittlichkeit gemacht, über den Inhalt dieses Wissens dage-
gen nichts Näheres , oder nur das ebenso Formelle, dass es
Wissen des Guten sein müsse, bestimmt ist, so ist es unmög-
lich, die bestimmte sittliche Thätigkeit aus jenem allgemei-
nen Princip abzuleiten, sie kann daher nur mittelst der Re-
flexion auf den empirischen Charakter und die empirischen
Folgen des Handelns construirt werden. So rein daher auch
das allgemeine Princip der Sokratiscben Ethik ist, so wenig
.weiss dieselbe in ihrer weitern Entwicklung einen diesem
Princip widersprechenden eudämonistischen Anstrich zu ver-
meiden ; wie aber dieser Mangel selbst aus der abstrakte^
und unentwickelten Fassung jenes Princips zu erklären ist,
so erklärt er seinerseits die Thatsache, dass unter den aus
der Sokratischen Philosophie hervorgegangenen Schulen,
welche das eine oder das andere von den in jener vereinigten
Momenten einseitig zum Princip erhoben, neben der cyni-
jcben Moral und der megarisohen Dialektik auch die cyre-
naische Lustlehre eine Stelle fand ^) , und so erscheint auch
1 ) Ein Punkt, auf den Hibmistn Gesch. u« Syst. d. Fiat I, 257 mit
Die Pliilosaphie des Solirated. 63
nach dieser Seite hin die Xenophontische Darstellung voll-
kommen gerechtfertigt. >
Sehen wir nun Von hier aus auf die am Anfang des to«>
irigen Paragraphen aufgeworfene Frage zurück: bei welchem
von unsern Berichterstattern wir eine historisch treue Dar*-
Stellung desSokrates und seiner Philosophie finden, so liegt
zunächst ^o viel am Tage, dass uns die Persönlichkeit
des Socrates von Plato und Xenophon im Wesentlichen gleich
geschildert wird, und wenn dies^ Schilderungen in einzel-
nen Zügen sich gegenseitig ergänzen, so widersprechen sie
sich doch auf keinem Punkte, und der Ueberschuss der ei-
nen über die andere lässt sich in das von beiden aner-
kannte Gesammtbild mit Leichtigkeit einfügen. Aber auch
die Sokratische Philosophie wird von Plato und Aristo-
Recbt aufmerksany macht. Wenn derselbe ^Ebd. 8. 354 f. über
Ritters Darstellung der sol&rat. Systeme S. 21 f.) in dem Nütz*
lichkeitsprincip, oder wie er es lieber ausdrücken will, dem Vor-
herrschen der Relativität bei Sokrates nicht blos eine, auch von
ihm zugestandene^, Seh wache, seines Philosophirens, sondern zu-
gleich einen Zug Sokratischer Bescheidenheit findet» so wass ich
nicht, auf welche geschichtliche Gründe sich diese Ansicht stützen
soll, und wenn er damit weiter die -allgemeinere Lehre von der
« Relativität aller accidentiellen Bestimmungen und der blös'äusscr-
lichen und unwesentlichen Bedeutung aller Begriffgverltnüpfung
in Verbindung bringt, die seiner Ansicht nach den Grundunter-
schied der Sokratischen JDialektik von der sophistischen und die
Grundlage der Sokratischen Satze über die Wahrheit der allge-
meinen Begriffe bilden soll, so gestehe ich diese Lehret in die*
ser ihrer Allgeraeinheit, weder Mem. III, 8, 4~7. 10, 12. IV, 6, ^
9. 2, 15 ff. noch im Platonischen grössern Hippias S. 288 ff. —
ohnedem einer sehr trüben Quelle — finden zu können. Was
hier ausgeführt wird, ist nur, dass das Gute und. Schöne nur
vermöge seiner Brauchbarkeit für gewisse Zwecke gut und schön
sei, nicht, dass überhaupt alle Anwendung des Prädikats auf ein
Subjekt nur relative Geltung habe. Noch weniger verstehe ich,
wie diese Lehre den Unterschied ^er Sokrattscheh Pbiloso*
phie von der Sophistik begründen sollte, da ja gerade diess der
Grundcharakter der Sophistik ist| allen wissenschaftlichen und
sittlichen Grundsätzen blos relative Geltung zozuerketindn*
Die Pbiloiopkie der Griechen. U. Theil, 5
66
Die Philosophie des Solirates.
teleg in der Hauptsache nicht anders dargestellt, als von
Xenophon, sobald wir von dem Ersten derselben hur das
unzweifelhaft Sokratische und nicht auch solche Aeusserun-
gen in Betracht ziehen, die nur Eigenes oder eigenthtimlieh
umgebildetes Sokratisches enthalten , und ebenso bei dem
Letztern die philosophische Bedeutung SokratischerSätze von
der allerdings oft unphilosophischen Form unterscheiden.
Die Ueberzeugung , das$ das wahre Wissen das Höchste,
dieses Wissen aber nur in der Erkenntniss des Begritfs zu
finden sei, die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der
Methode, durch die Sokrates dasselbe hervorzubringen ver-
sucht hat, die Zurückfuhrung der Tugend aufs Wissen, nebst
den Folgesätzen dieser Lehre •— diese Grundzüge des So«-
kratischen Philosopbirens hat auch Xenophon aufbewahrt,
mag er auch den philosophischen Gehalt mancher Sätze
nicht vollständig erkannt, und sie desswegen weniger, als
sie es verdienten, hervorgestellt haben, und andererseits
dann und wann statt des philosophischen den populären
Ausdruck setzen, statt des genaueren Satzes z. B., dasis
alle Tugend Wissen sei, den minder genauen: alle Tu-
gend sei Weisheit. Treten andererseits die Mängel der
Sokratischen Philosophie, das Populäre und Prosaische ih-
rer äussern Form, der Mangel an einer systematischen Ent-
wicklung, die eudämonistische Begründung der Sokratischen
Moral bei Xenophon stärker hervor als bei Plato und Ari-
stoteles ^ so kann diess bei der Kürze, mit welcher der Eine
von diesen, nur die philosophischen Grundbestimmungen
berücksichtigend, von Sokrates redet, und bei der Freiheit,
mit welcher der Andere das Sokratische Element nach Form
und Inhalt fortbildet, nicht auffallen, wogegen umgekehrt
^uch hier die Xenophontische Darstellung theils durch ein-
seloe Zugeständnisse Plato's ^)^ theils durch ihre innere
1) S. 0, S, 24. 46 T.
Die Ftiilosophie des SokraUfi. tff
Wahrheit und UebereioAliininang mit itm Bilde, das wir
uns von dem ersten Anffreten des neuen dnrch Sokrates
entdeckten Princips machen müssen , bestätigt wird. Was
wir daher den Tadlern Xenophons zugestehen können, ist
nur dieses, dass dieser Mann allerdings die pl^ilosophischi
Bedeutung seines Lehrers weit nicht verstanden hatj und
darum auch in seiner Darstellung zurücktreten lässt, und
dass uns insofern Plato und Aristoteles als Ergänzung selt-
ner Berichte willkommen sein müssen ; nicht zugeben kön*
neu wir aber, dass er uns über wesentliche , Punkte positiv
Falsches berichtet habe, und dass es nicht m5glich sein
sollte, auch aus seiner Darstellung die wahre Gestalt ntad
Bedeutung der Sokratischen Lehre herauszufinden«
Mag aber auch diese Ansicht von der Sokratischen
Philosophie mit den unmittelbaren Zeugnissen über dieselbe
vereinbar sein, widerspricht sie nicht der ganzen geschieht-
liehen Bedeutung dieser Erscheinung'? Hätte sich Sokrates,
meint ScHLKiERMACHER ^), nur mit Reden von dem Gehalt
und aus der Sphäre beschäftigt, über welche die Xenophon«
tischen Denkwürdigkeiten nicht hinausgehen, wenn auch
*
mit schöneren und blendenderen, so begreife man nicht, wie
er in so vielen Jahren nicht den Markt und die' Werkstät-
ten, die Spatziergänge und die Gymnasien entvölkerte durch
die Furcht seiner Gegenwart, wie er einen Alclbiades und
Kritias, einen Plato und Euklid so lange Zeit befriedigen,
wie er in den Platonischen Gesprächen diese Rolle spielen,
wie ^r überhaupt der Urheber und das Vorbild der atti-
schen Philosophie werden konnte. Gerade Plato jedoch
lässt den Alcibiades, wo er das unter der Silenengestalt der
Sokratischen Reden enthaltene Göttliche enthüllen will,
nichts Anderes nennen, als jene moralischen Reflexionen,
die den Inhalt der Sokratischen Gespräche bei Xenophon
1 ) WW, III, 2, 295. vgl. 287 ff.
• 5«
0$ Die Philosophie des^Sokrates.
ausmachen, uiid ihn an eben diese Reden Jene bewdnde-
rungswürdigle Schilderung des Eindrucks anknüpfen, den
Sokrates auf ihn gemacht hatte, eine Schilderung, welche
uns die durch Sokrates hervorgebrachte Verwirrung und
tJmkebrung . des griechischen Bewusstseins lebhafter, als
irgend etwas Anderes zur Anschauung bringt ^)^ und wenn
er anderwärts den Reiz des Sokratischen Philosophirens in
dem dialektischen Interesse sucht, so bezieht sich doch auch
dieses nur auf das bei Xenopfaon gleichfalls nicht Feh-
lende, dass Sokrates die Leute ihrer Unwissenheit überführt^).
Dieser Erfolg der Sokratischen Reden, wenn sie auch nur
von der Art waren, wie Xenophon berichtet, darf uns nicht
wundern. Die Untersuchungen des Xenophontischen Sokra-
tes mögen uns freilich oft trivial und langweilig erschei«
1) Symp« 215» E ff.: orav yaQ dxovw [2wHQaT0vi\ aoku fioi fiaX^
Iqv tJ tojv HO^vßavTirOjvT.ojy rj TS M9Q(fi(t ntj^f xal SdxQva ixxsi^ai
vTTO Tüßv koyutv TOJV TOVTOv, — vTio TOvTOv TOv MaQOva Ttokla-^
xiS Brj ovTüj disrid'tjv^i oJoTs fioi So^äi firj ßtokov stvai t'zovTi
vU i'x^ . • • dpayttd^Et yuQ fis ofioXoyilv oti> nolkov tvBt^i wV
avToi Ivi ifiavTov /*tV dfiiXö/ tu S* *ji&yjvaio)V jrparrw ....
(vgl. Xen. Mcm. IV, 2. III, 6.) Titnavdta Sa n^os tovtov fiovov
dt^Qwnojv, o ovK dp Tis oiotro iv ifiol ii't7vai, tu aioxvvta&ah
^VTivovv .... BgansTsvoj ovv avtov xai tpsvywy ttal orav i'Sw ««-
oxvvofÄOii ra hjfiokoyrjuiva* xal noXkdxiS fitii i^d^atS dv idoi/M
avTov fiij ovva iv dv&^ojTroic tl S* av tovto yivoiTOy sv ot3a\
uTi TtoXv fisi^öv d^ dx&oifiTjVy war« ovx i'jfw, o r* ;|r()jJao;*a« toJ-
Tcj» TtjT dvß^QWTtw, S. 221, D ff. y.al ol Xoybi avTov 'OfAototosrol
siai' TOiC JSetltivoXi TOtS Siotyo^ivoiS .... Sio^Ofiivove öt ISoJv av
Tii ^al iVToe avTwv yiyroftsvos 'Trgiotov juev vovv i'xovTai l'vSov
fiovpvs svQtjasi TV)v XoyojVf l'nsiTa ÜsioraTOve xal nXsiOT dydX^
fiar* d^sTTJs iv avtoHi l'xovTtts^ xal i-rrl nXsiarev Tsivovrai ^dX-
Jyov Si iitl ndv öaov n^OQi^xsi, axoTralv T(^ fiilXovTi^ 9taX(a xaya&it*
k'asa^ai.
2) Apol. 23, C: 7r(jQS St TovTttg ol vioi fiop inaxoXov&ovvTSS Oii
fiaXtOTa oyoXrj tanv ol tojv fiXovotwTdTwv avTOfiuTOt xatQOvatv
axovovTts iisxa^ofiivoxv zwv dv&^oinojpf xal aural TtoXldxte ifii
fAifjbovvrai eha tTnx^iQovavv aXXovi i^srd^tiv u. 8. w* Ein Bei-
spiel einer solchen Früföhg ist die' Unterredung des Alcibiades
mit Pericles Mem. I, 2, 40 ff.
#
^ \ Die Philosophie 4®^ Sokrates^ 69
nen, und wenn \fir nur auf das Resultat für den beson-*
dern Fall sehen, mögen sie es auch nicht selten sein; das«
z.B. der Waffenschmidt den Panzer dem Körper des Tra-
genden anpassen müsse (Mem. III, 10, 9 ff.), dass die Kör«
perpilege vielfache Vortheile gewähre (ebd. III, 12, 4), dass
man sich durch Wohlthaten und Aufmerksamkeit Freunde
erwerbe (II, 10. 6, 9 ff.), diese und ähnliche Sätze, die So*
krates oft breit genug ausführt, enthalten allerdings weder
für uns etwas Neues, noch können sie ein solches für die
Zeitgenossen des Philosophen enthalten haben. . Das Nen^
und Bedeutende solcher Ausführungen liegt ^aber auch nicht
in ihrem Inhalt, sondern in ihrer Methode, darin, dass jetzt
erst mittelst des Denkens ausgemacht werden sollte, was
vorher nur unmiltelbare und ununtersuchte Voraussetzung
und bewusstlose Fertigkeit gewesen war, und .wenn'Sokra*
tes von diesem Princip nicht selten eine kleinliche und pe«
dantische Anwendung gemacht hat, so mochte auch diese
seinen Zeitgenossen nicht so ^bstossend erscheinen, als
vielleicht uns, die .wir die Kunst des selbstbewussten Den-
kens und die Befreiung von der Anktorität des blinden Her-
kommens nicht erst, wie jene, von ihm zu lernen brau-
chen ^). Oder hatten ni(^ht die Untersuchungen der Sophisten
zu einem guten Theile noch weit weniger positiven Inhalt,
und haben nicht auch sie trotz der leeren Spitzfindigkei-
ten, in denen sie sich so oft herumtreiben, eine elektrische
Wirkung auf ihre Zeit hervorgebracht, einzig und allein
desswegen, weil auch in dieser verkehrten Anwendung dem
griechischen Geiste eine ihm noch nei^e Macht des Selbst-
bew.usstseins und der Abstraktion vom Objekt zur Anschauung
kam? Hätte daher Sokrates auch nur jene unbedeutenderen
Gegenstände besprochen, mit denen sich manche seiner Un-
terhaltungen allein beschäftigen, so würde uns, zwar noch
1 ) Vgl. hierüber auch Hbgbl , Ge«tb. d. Phil, fl, 59.
70 Die Philosophie des Sokrates«
nicht seine philosophische Bedeatnng, aber doch seine un-
mittelbare Wirkung auf seine Zeit theil weise erklärlich sein.
Aber diese Nebendinge nehmen ja auch iki den Xenophon-
tischen Gesprächen nur eine untergeordnete Stelle ein; als
die Hauptsache dagegen erscheinen auch hier die philoso-
phischen Sätse von der Nothwendigkeit des begriiHichen
Wissens und dem Aufgehen der Sittlichkeit im Wissen, die
Forderung der moralischen und intellektuellen Selbsterkennt-
nisse die Dialektik, durch welche das Bewusstsein aus der
Objektivität in sich seihst zurückgetrieben, und die Vor-
stellung Bum Begriff übergeführt wird. Kdnnen wir uns
wuntlern^ wenq diese Momente jenen tiefen Eindruck aqf
die Zeitgenossen des Sokrates und jene Umkehr im Denken
des griechischen Volks hervorbrachten, die sie dem Zeug-
niss der Geschichte znfolge hervorgebracht haben, und auch
BUS dem scheinbar Trivialen und Unbedeutenden der So-
kratisohen Reden, das die Berichterstatter einstimmig aner-
kennen, dem tiefer Blickenden die mehr oder weniger ent-
wickelte Ahnung einer neuentdeckten Welt entgegentrat?
Plato und Aristoteles war es aufbehalten, diese neue Welt
zu erobern, aber Sokrates war der Erste ^ der sie gefunden
und den Weg zu ihr gezeigt hat; indem er ^ es zuerst er-
kannte, dass alles wahre Wissen vom Begriff der Sache
ausgehen müsse, und dass nicht das natürliche Objekt, son-
dern der Geist --^ mag er diesen auch zunächst nur als
den^ sittlichen Geist gefasst haben — das wahre Objekt der
Philosophie sei, »& hat er ebendamit die Priorität des Detir
kens vor dem Sein^ die Erbabeiiheit des Geistes über die
Natur zum Bewusst^ein gebracht, und der Philosophie an
der Welt der objektiven Begriffe das Feld gezeigt, auf dem
sie sich fortan zu bewegen hatte.
Eben diess ist es auch, worin ebenso der Unterschied
des Sokrates von den Sophisten, wie seine Verwandtschaft
mit ihnen, und der letzte Entscheid ungsgrund für dieSchlich-
i
l)ie Philosophie deg Sokrates. 71
tudg des Streits über das Verhtiltniss des Sokratiseb^n Stand-
punkts zurSophistik zu suchen i8t\ -Die Behauptung, dass
Sokrates mit den Sophisten den Standpunkt der Subjekti*
vität theile, hat ohne Zweifel stärkeren Widerspruch her-
vorgerufen, als sie verdiente. Denn wenn doch auch von
den Urhebern dieser Ansicht nicht geläugnet wird^ dass die
Sokratische Subjektivität eine wesentlich andere war, als
die sophistische, jene die ideale, diese die empirische ^),
andererseits bei keiner Ansicht geläugnet werden kann,
dass die Sophisten zuerst die Philosophie von der objekti-
ven Forschung zur Ethik und Dialektik zuriickgelenkt, im
Le1)en und Denken des Subjekts den letzten Zweck und im
Menschen das Maass aller Dinge erkannt haben, dass sie i
mithin zuerst das Denken auf den Boden der Subjektivität
versetzt haben, so reducirt sich am Ende der ganze Ge«
gensatz auf die Frage: sollen wir sagen, Sokrates und die
Sophisten haben sich in der gemeinsamen Subjelctivität ih-
res Standpunkts geglichen, aber durch die nähere Bestim-
mung dieser Subjektivität unterschieden, oder: sie haben
sich durch den Gehalt ihres Princips unterschieden, aber in
der Subjektivität desselben geglichen? d. h. wenn sowohl
die Verwandtschaft, als der Unterschied beider Erscheinun-
gen anerkannt werden muss, welches von diesen beiden
Momenten haben wir als das wesentlichere und als das
beherrschende des andei'n anzusehen? Was nun hierüber
zu sagen wäre, ist bereits in unserer früheren Ausführung,
1. Th. S. 33 f. 247 ff., enthalten. Die Sophistik bildet erst
die negative Auflösung der früheren Philosophie und die
indirekte Vorbereitung einer nepen Periode; Insofern
kann auch als das sie ursprünglich beherrschende Interesse
nur das Interesse einer negativen Aufklärung betrachtet
werden, die bisher geltenden Vorstellungen und Grundsätze
1) S. o. S. 45 f.
72 Die Philosophie des Sokrates.
zu zerstören und nur indirekt und unbewusst liegt darin
das positive Interesse, die Unendlichkeit des Selbstbewnsst-
seins zur Anerkennung zu bringen. Bei Sokrates umge-
kehrt, dem schöpferischen Urheber einer neuen Epoche, ist
dieses Positive das Erste und der eigentliche Quellpunkt
seines Philosophirens, und nur um dieses Positive durch-
zusetzen wendet er sich skeptisch gegen die geltende Vor-
stellung und SiUe. Wenn Jene den Menschen als das Maass
aller Dinge preisen, so thun sier es nur desswegen, weil
sie an einer objektiven Wahrheit verzweifeln, wenn dieser
das, was seinen Zeitgenoss.en für objektive Wahrheit ge-
golten hatte, auflöst, so thut er es nur, weil -er in der
denkenden Subjektivität das Maass aller Dinge entdeckt hat.
Ist daher auch d,ie Zurückziehung . aus der unmittelbaren
Objektivität des natürlichen Daseins und der sittlichen Auk-
torität, die Reflexion der Subjektivität in sich beiden ge-
mein, so hat doch dieses Gemeinsame eine verschiedene
Bedeutung: in der Sophistik bildet den innern Grund des-
selben die Auflehnung der Subjektivität gegen alle objek-
tive Norm, in dejr Sokratischen Philosophie ' die Ueberzeu-
gung, diese Norm in sich selbst zu finden; jene löst die
objektive Wahrheit in die Subjektivität auf, diese führt die
Subjektivität zur objektiven Wahrheit als einer* ideellen
zurück; was dort Resultat ist, ist hier Voraussetzung, was
dort der einzige Inhalt, hier blosse Form, wa^ dort letzter
Zweck, hier Mittel zu einem höheren Zwecke: diesubjek-
tive Dialektik und d»» Nichtwissen, womit die Sophistik
eildigt, ist das, wovon Sokrates ausgeht; die Sophistik ist
daher erst das Enc|^e der Naturphilosophie, Sokratei^* der
Anfang der Idealphilosophie ^).
1) Diess giebt im Grunde auch Hermann zu, wenn er sagt (Plat.
I9 232): wir müssen »Sokrates« Bedeutung in der Geschichte der
Philosophie be^ weitem mehr aus seinem persönlichen Gegen-
sätze gegen die Sophistik, als aus seiner allgemeinen Verwandt-
J)as Schic^tat des Sokrates. 79
$.16.
Das Schicksal des Sokrates.
Wie die Geschicbtschreibang der früheren Zeit die philo-
sophische Bedeutung des Sokrates nur oberiläehlicb und un-
vollfttfindig zu \i'ürdigen verstand, so wusste sie auch den
Konflikt, in den er mit dem Geist seines Volkes gerieth,
nur aus den zufälligen Triebfedern der Leidenschaft abzu-
leiten. War Sokrates nur dieser unphilosophiscbe Mora-
list, dieses reine Tugendideal, zu dem ihn eine von tie- ^
ferer Geschichtsbetrachtung verlassene Zeit gemacht hatte,
so blieb es freilich unbegreiflich, dass sich irgend welche
wesentliche und berechtigte Interessen *so sehr durch ihn
verletzt gefunden haben sollten, um ihm in gutem Glauben
an seine Gefährlichkeit entgegenzutreten; wenn er daher
doch angeklagt und verurtheilt wordeh ist, so konfite diess
nur ^n den schlechtesten Motiven des persönlichen tlasses
seinen Grund haben. Diesen glaubte man nun bei Niemafid
mehr voraussetzen zu dürfen, als bei denen , deren Treiben
sich Sokrates so kräftig in den Weg gestellt hatte, und die
man zugleich vermöge der ganzen Vorstellung, die man sich
von ihnen machte, jeder Schlechtigkeit fähig hielt, den So-
phisten. Sie sollten es daher sein, auf deren AntrieB Melitus
und Anytus zuerst den Ariijtophanes zur Verfertigung seiner
Wolken vermochten, und nachher mit der gerichtlichen
Klage gegen ihn auftraten, die seine Hinrichtdng zur Folge
hatte. So erzählt schon Aelian ^) und seine Erzählung fand
Jahrhunderte lang allgemeinen Glauben. DiegänzlicheFalsch-
schaft mit derselben ableiten«, die Sophistik habe vsich yon der
Sokrntischen Weisheit nur [freilich em bedenkliches Nur] durch
den Mangel des befruchteten Kernes unterschieden«^ nur will
sieh dieses Zugestandniss damit nicht recht vertragen, dass nicht
Sokrates, sondern die Sophisten die zweite Hauptperiode der
Philosophie eröffnen sollen.
1) Var. Bist II, 13. ' - ,
K
74 I^as Schicksal des SokrattS.
• heit dieser Darstellung hat indessen schon Fröret nachge«
wiesen ^). Er hat gezeigt, dass Melitus zur Zeit^er ersten
Aufführung der Wolken noch ein Kind war, dass abör auch
Anytus noch längere Zeit nachher mit Sökrates In gutem Ver-
nehmen stand, dass weder Anytus, 'den Plato im Meno
(S. 91, E ff.) als erbitterten Feind und Verächter der Sophi-
sten darsltellt, mit diesen, noch der von Aristophanes in den
Fröschen verspottete Melitus mit dem Komiker gemein-
schaftliche Sache gemacht haben kann , dass kein glaub-
wiirdiger Schriftsteller ?on dem Antheil der Sophisten an
der Anklage gegen Sokrates etwas weiss, dass endlich die
in Athen in politischer Beziehung nicht sehr einflussreiche
Klasse der Sophisten die Verurthellrrng des Sokrates schwer-
VitAi hätte durchsetzen, am AlIerweDigsten aber gerade solche
Ansichuldigungen gegen ihn erheben können, welche unmft*
telbar sie selbst traffep , wie denn noch vor Sokrates Prota-
. goräs wegen Atheismus verurtheilt wurde , und auch^ von
Aristophanes eben dieSophistik,die er überhaupt nicht schont,
in der Person des Sokrates gegeisselt wird. Diese Beweiii-
fiihrung Frerets hat nun auch, nachdem sie lange unbe-
achtet geblieben war ^), in unserer Zeit atlgemefiae^f Bei-
i) In der vortrefEichen Abhandlung : Ob&ervations sur ' les causes-
et sur quelques circonstances de la condamnation de Socrate, in'
den Mem. de TAcademie des Inscrtpt T. 47) b, 209 ff.
3) FnicRET las seine Abhandlung schon im Jabr 1736 Tor, aber erst
1809 wurde sie n^bst einigen andern Arbeiten desselben Ver-
fassers gedruclit. S. Mem. de l'Acad. T. 47, b, 1 ff. So kam
es, dass sie den deutseben Bearbeitern der Geschichte der Philo-
sophie aus ^em Ende des vorigen Jahrhunderts noch unbeliannt
blfeb. Dies« folgen ddher lYieist der älrern M^tnong > so Meinbbs
Gesch. d. Wissensch. ff, 476 ff* TitavMkviv Geist d. spek. Phil.
II, 21 ff. Andere jedoch, wie Bohlk Gesch. d. Phil. I, 372 f.
Tebnem^nr G«sch. d. Phil. II, 40, halten sich nur an das Allge-
meine, dass sich' Sokrates durch seine Bemühungen um Sittlich-
keit viele Feinde zugezogen habe, ohne der Sophisten ausdrück-
lich zu erwähnen.
Das Schicksal des Sokrates.
75
fall gefunden ^); wird aber auch die Annabme, dassSokra^
tes dem Hass der Sophisten zum Opfer geworden sei,
allgemein aufgegeben, so sind doch die Sfinimen sowohl über
die Motive als über die Berechtigung, seiner Verurtheilung
noeh sehr gefheilt: während die Einen dieselbe fortwährend
nur für ein Werk der Privatrache halten, wollen sie A^ndere
aus allgemeineren Motiven ableiten, die dann wieder bald aus^
schliesslicher in dek* politischen , bald umfassender in der
kulturgeschichtlichen Stellung des Philosophen gesucht wer-
den, und während sie von den Meisten als ein schrSiendes
Unrecht betrachtet wird, haben ihr neuerdings beacbtens-
werthe Stimmen eine relative Berechtigung zuerkannt, und
von Einer Seite ^} ist man sogar so w^t gegangen , die
strenge, Ansicht des alten Cato ^) wiederholend, sie ffir das
gesetzlichste Urtheil, das je ausgesprochen worden Isei , zu
erklären.
Von diesen Ansichten steht nun diejenige der älteren
am Nächsten, welche die Hinrichtung des Sokrates aus per«
sönlicher Feindschaft herleitet; was si« von jener unter-
scheidet ist nur, dass die unhaltbare Vorstellung von eider
Betheiligung der Sophisten'bei derselben aufgegeben wird^).
Diese Auffassung hat auch an d|er Platonischen Apologie
eine Si^tz«; diese behauptet wirklich ^23, C. 28/A), doM
1) Ausnahmen, wieHiiNSius (Sokrates nach dem Grade seiner Schuld
S. 26 ff), werden büHg nicirt gezählt.
2) FoRCBHAioLEfi dl« Athener vnd Sokrates, die Gesetelichcn und^er
Revolutionär.
3) Plut. Cato c. 25. .
4) Diese Ansicht findet sich z.B. bei Fbies Gesch. d. Phil. I, 249 fi
wenn di^er nur »Hass und Keid eines grossen Tbeils im Volkere
als die Mottve des Processes gegen Sokrates nennt. Aach Sio-
wiBT Gesch. d. Phil. I, 89 f jstellt dieses Motiv voran, und wenn
Bba5dis Gr.-röm. Phil. If, a, 26 ff. zweierlei Gegner des Sokr.
unterscheidet, sokhe, welche seine Philosophie mit der alten
Zucht und Sitte für unverträglich hielten, und solche, welche
$einen sittlichen Ernst nicht ertragen konnten, so lässt er doch
die Anklage zunächst tod den Letzteren ausgeheur
76 Bas Schicksal des Sokrates.
die YeraribeiluBg des PhUosopheit keinen andern Grund
gjehabt habe, als deli Hass, den ihm seine Menschenprüfung
xu2og, und ebenso führt der Meno S. 94, E den Auftritt
mit Anyt US offenbar in der Absicht herbei, eben dieses Motiv
«Is das des genannten Demagogen siu bezeichnen ^). Diese
Aussage ist jedoch für uns nicht bindend, denn theils kann
überhaupt Ton einer gerichtlichen Vertheidigongsrede und
i&s panegyrischen Schilderung eines Sokratikers nicht er*
wartet werden, dass sie die Sache, welcher sie dienen, an«
ders als im günstigsten Lichte darstellen, theils fragt es sich
auch, ob Sokrates selbst oder Plato sie in. einem anderen
Licht erblickt, und den Anstoss, welchen Viele an ihm nah-
inen, aus der rechten Quelle abgeleitet hat; sehen wir doc1i
auch sonst oft genug, dass solche, die sich einer redlichen
Absiebt beW^st sind, die Opposition, die sie finden, wenn
sie auch noch so sehr ihren Grundsätzen gelten mag, sich
doeh nur aus schlechten persönlichen Beweggründen zu er-
klären wissen* So konnten auch dem Sokrates, wenn er die
Vorwürfe seiner Ankläger nicht zu verdienen überzeugt war,
die tieferen und allgemeineren Gründe d'er gegen ihn ge-
richt0ten Angriffe verborgen bleiben, und als die eigentliche
Triebfeder derselben nur die beleidigte Eitelkeit seiner Geg«
aer erscheinen , und noch leichter konnte diess bei dem
seinem Lehrer unbedingt ergebenen Schüler des Philosophen
der Fall sein. Dass aber wirklich solche allgemeinere Gründe
zur Anklage gegen Sokrates mit\yirkten , ja dass sie das
eigentliche Motiv seiner Verurtheilung waren, diess müssten
1) Noch mehr wissen Spätere: nach Plütabch Ale. c. 4. S. 193
und AthenIvs XII, 534, £ war Anjtus Liebhaber des Alcibiades,
wurde aber von diesem verschmäht, wälirend er dem Sokrates
jede Art von Aufmerksamkeit erwies, und ohne Zweifel sollte
sein Hass gegen Sokrates hiemit zusammenhängen. Diesem offen-
baren Mäbrchen hätte Lüzac (de Socr. cive S. 133 f.) nicht
glauben sollen, um so weniger, da Plato und Xenophon einen
solchen Anlass der Klage, gewiss^ nicht .verschwiegen hätten.
r
Das Schi'cksal des Sokrates» 77'
^tf schon an und für sich wahrscheinlich finden, da es sehr
auffallend wäre, wenn der persönliche Hass, der in den un-
ruhigsten und verdorbensten Zeiten des. Staats keine ernst*,
hafte VerColgung gegen Sokrates hervorgerufen , und weder
' beim Hermokopidenprocess seine Verbindung mit AIcibiades,
noch nach der Schlacht bei den Arginnsen die Aufregung
der Volksleidehschaft gegen ihn zu seinem Schaden, zu
benützen gewagt hatte, eben in der Zeit der wiederbegin«-
nenden Ordnung seinen Zweck erreicht hätte ^). Diese Wahr-
scheinlichkeit wird aber noch vermehrt, wenn wir Platq
selbst ^), mit unverkennbarer Anspielung auf das Schicksal
seihes Lehrers, den Hass der Menge gegen den ächten
Philosophen ans dem allgemeinen Wesen^ der Demokratie
ableiten sehen; zur Gewissheit wird ^ie endlich durch
die Data, welche uns Xenophon und Aristophanes an iKe
Hand gebeli. Wenn es Xenophoti noch fünf Jahre nach
dem T^de seines Lehrers nöthig fand, diesen gegen die Be-
schuldigungen des Atheismus und 'der JngendVerführung,
gegen den Vorwurf einer der alten Sitte und der demo-
kratischen Staatsverfassung feindseligen Richtung zu ver-
theidlgen, so müssen wohl diese Beschuldigungen in. Athen
tiefe Wurzel geschlagen haben , und selbst wenn wir sie
ihrem Ursprünge nach ans der Verläumdung persönlicher
Gegner erklären wollten, würden wir doch die nächsten Be-
weggründe zur Verurtheilung des Sokrates in ihnen suchen
müssen, uhi so mehr da auch Plato zugiebt^), dass ei|
nur die allgemeine Ueberzeugung von dem sophistischen und
gefährlichen Charakter der Sokratischen Lehre war, die
seine Veriirtheilung herbeiführte* Was Aristophanes betrifft,
1) Wenn, daher auch TEHisEMAWEr a. a. O. seine Verwunderung hier-
über ausspricht, so ist diess von seiner Ansicht aus sehr natür-
liefa, nur kann seine Lösung der Schwierigkeit schwerlich genügen.
2) Polit 209, B f. Rep. VI, 488. 496, D, vgl. Apol. 32, E. Gorg.
473, E. 524, B ff,
3) ApoL 18,^ B f. 19, B. 23, D.
78
Pas Schicksal des Sol(rat«$.
so ki zuar auch neoest^ns wieder behauptet wocden ^), mit
der Aristophanischen Art des Spottons sei Gesinnnng nicht
vereinbar, man dürfe keinen Ernst und keinen ^'ahren Pa*-
triotismus von ihr erwarten, und auch wo sie im Ernste
zu reden scheine, sei diess nur die Phraseologie eines Heine,
die Lobpreisung des Grossen und Heiligen fiir einen Augen*
blick, um es desto gewisser im nächsten in den Koth zu
treten. Wäre dem nun wirklich so, so hätten wir freilich
an Aristophanes eine sehr trübe Quelle zur Kenntniss des
öffentlichen Urtheils über Sokrates, Mit Becbt haben je-
'S '
doch Andere ^) den Dichter gegen diese Herabsetzung sei-
nes sittlichen Charakters in Schutz genommen. Ihn zum
trockenen Moralprediger zu machen, wäre allerdings lächer-
lich, und ebenso war es eine Einseitigkeit, wenn da und
dort die politischen Motive seiner Dichtungen so hervor-
gehoben worden sind, dass die künstlerischen darüber ver-
loren giengen, und der Komiker, det* in toller Laune 'alle
göttlichen und menschlichen Auktoritäten dem Gelächter preis-
giebt, mit dem tragischen Ernst eines politischen Propheten
umkleidet wurde ^); nur eine andere Einseitigkeit ist es da-
gegen, wenn über der komischen Ausgelassenheit Seiner
Dichtungen ihr substantieller Hintel'grund übersehen, un4
ihre Behauptung einer allgemeineren und ernsthafteren Ten-
deoz für weiter nichts, als ein frivoles Spiel mit dem Hei-
1) Von Dboyses in seiner UcberseUung des Aristophanes I, 263 f-
m, 12 ff.
2) Bra-ndis Gr.-röm. Pbil. IT, a, 26 f. Schnitzeb in seiner Üebers.
n Aristopb. Wölken (Stuttg. 1843) S. 19 ff.
^} An dieser Einseitigkeit leidet nameiltlicb Rötscbsrs soittt geisU
reiche Darstellung, und auch Hegel in dem Abschnitt über das
Schicksal des Sokrales Gesch. d. PhU* H, 82 ff. hat sich davon nicht
ganz frei gehalten ^ wiewohl beide (Hegki. PbänoinenoL 560 f.
Aesthetik lU, 537- &62. Rötschbr S. 365 ff.) richtig anerkebnen,
dass in der Aristophanischen Heniödie selbst so gut, als in den
Ton ihr gegeisselten Erscheinungen, ein Moment zur Auflösung
des griechischen Lebens liegt.
Das Scliiclisal des Sokratei. 79
ligen erklärt wird. , Wäre sie qicht mehr, so müsste diese
innere Unwahrheit der Gesinnung vor Allem auch in kiinst*
lerischen Mängeln xum Vorschein kommen^ wie denn ge-
^ rade in der modernen d^eutschfransösischen Romantik, auf
deren Beispiel man uns verweist, nichts Anderes, als die
Ausgehöhhheit des sittlichen Bodens der letzte Grund jener
verletzenden Disharmonie ^ist, die sie zu keiner dichte*
rfschen Vollendung kommen lässt, und jeden Anfang einer
, schönen Stimmung immer wieder mit schrillen Misstönen •
zerreisst* Statt dessen sehen wir bei Aristophanes den Ernst
einer patriotischen Gesinnung nicht allein in der ungetrüb-
ten Schönheit vieler einzelner Aeusserungen, wie die herr^-
liehen Parabasen in den Acharnern (V, 676'ff.) und den
Wespen (V, 1071 ff.)) sondern dasselbe patriotische In-
teresse zieht sich als Grundton durch alle seine Stücke
hindurch, und wenn es in den früheren, wie treffend be-
merkt worden ist ^), sogar die Reinheit der poetischen Stim-
mung bisweilen stört, so mag das nur um so mehr bewei-
sen, *wiis sehr es dem Dichter damit Ernst war. Nur dieses
Interesse ist es auch, das ibo bestimmen konnte, seiner
Komödie diese überwiegend politische Richtung zu geben,
durch die er derselben, wie er mit Recht von «ich rühmt^),
einen wesentlich höhern Gegeni^tand angewiesen hat, als
• seine Vorgänger. Hält man uns aber entgegen, dass doch
Aristophanes selbst der von ihm geforderten altväterlichen
Sittlichkeit ebensosehr ermaiigle ,..^ate die im Namen der-
selben von ihm Bekämpften, dass er mit seiner cyniscben
Ausgelassenheit, mit seinen leichtfertigen Scherzen über
die Götter der Volksreligion, mit seinen qngemässigten und
selbst verläumderischen Ausfällen auf einen Sokrates, einen
Meton, einen Kleon und so manche Andere nichts weniger .
1) Vgl. Schnitzer a. a. O. S. 24, und die dort angeführten Stellen
von Welckib, SüvERiür und Bötschbr (Aristopb. S. 71.),
t) Frieden 752 ff. Wegpca 1022 iE Wolken 557 ff.
80 ' Das Schicksal des Solirates.
als das Bild der alten Biederkeit darstelle , dass das Zu-
^ rückfordern der alten Zeit selbst, wenn es ernstlich gemeint
War, ein durchaus verkehrtes Beginnen sei, so können wir
das Alles zugeben; nur folgt daraus nicht, dass wir dem
Aristophanes die Gesinnungslosigkeit eines Heine sqhuld-
geben dürfen. Wir haben vielmehr hier einen , von den
. Fällen, die in der Geschichte so häufig sind, dass der-
selbe', der ein neu einbrechendes Princip in Andern be*
kämpft, eben diesem Princip selbst huldigt, ohne es sich zu
gestehen. Aristophanes sieht das Verderbliche der zügel-
losen Demokratie, er fühlt den Widerspruch der Sokra-
tischen und sophistischen Reflexion gegen den Standpunkt
der substantiellen griechischen Sittlichkeit, e^ verachtet den
grossen alten Tragikern gegenüber die moderne Poßsie des
Euripides, aber selbst in seinem innersten Wesen der Sohn
seiner Zeit weiss er dieses Moderne nur im Geiste und
mit den Mitteln eben dieser Zeit zu bekämpfen , und ver-
wickelt sich 80 in ^ den V Widerspruch, mit Einem und dem-
selben Thun die alte Sittlichkeit zurückzuverlangen und zu
zerstören« Dass er diesen Widerspruch begangen hat, wollen
wir so wenig in Abrede ziehen, als dass es • ein Beweis
von Kurzsichtigkeit war, eine nun einmal rettungslos unter-
gegangene Biidungsform heraufbeschwören zu wollen; nur
dass er sich dieses Widerspruchs bewusst war, können wir
nicht glauben, und ihm aus diesem Grunde den Vorwurf
moralischer Gesinnungslosigkeit so wenig machen, als wir
denselben Vorwurf allen denen ohne Ausnahme machen
möchten, welch« in unserer Zeit die negative Kritik auf
dem theologischen und philosophischen Felde als gefährlich
angreifen, während sie selbst in andern Gebieten genau in
demselben Geiste arbeiten. Schwerlich würde auch der ge-
sinnungslose Spötter, zu dem Droysen unsern Dichter machen
will, den gefährlichen Angriff auf Eleon gewagt haben,
(von H. Heine wenigstens erinnern wir uns nicht derglei-
Das Schicksal des Sokrates. Sl
chen gehört zu haben), und ebensowenig • würde ihn Plato
in seinem Gastmahl in diese nahe Verbindung mit dem
Ton ihm Terläumdeten Sokrates bringen, und ihm jene be*
kannte Bede voll des geistreichsten Humors in den Mund
legen, wenn er diesen sittlich verächtlichen Charakter in
ihm gesehen hätte. Ist nun aber der Angriff des Aristo-
phanes auf Sokrates ernstlich zu nehmen, und hal er in die-
sem wirklich jenen der bestehenden Sitte und Religion ge-
fährlichen Sophisten zu erkennen geglaubt, den uns die
Wolken vorführen, so haben wir hierin^ den deutlichen Be-
weis dafür, dass die Vorwürfe, die ihm von seinen An-
klagern gemacht wurden, nicht blosser Vorwand, und dast
es nicht blos persönliche Motive waren, die seine Verur-
theilung bewirkten.
Fragen wir nun, welche es denn sein konnten, so hat
schon Fröret ^) nachzuweisen gesucht, dass das politische
Glaobensbekenntniss des Philosophen der Hauptgrund sei-^
ner Verurtheilung gewesen sei, und Andere sind dieser An«
sieht beigetreten ^), wogegen Hegel ^) und mehrere seiner
Schüler ^) diesem Ereigniss lieber die allgemeinere Bedeu-
tung geben wollten, dass Sokrates durch sein Princip der
Subjektivität, durch die Forderung der Entscheidung aus
dem Innern des Selbstbewusstseins heraus, mit dem Geist
des athenischen Volks und seiner substantiellen, unmittel-
bar in der Sitte, den Gesetzen und dem Glauben des. Staats
die absolute Auktorität anschauenden Sittlichkeit in Kon-
flikt gerathen, und in diesem Kampfe untergegangen sei.
1) A. a. O. S. 233 ff.
2) SüvBBN über Arist. Wolken S. 86.^ Bitter Gesch. d. PhÜos.
II, 30 f. FoRCBHAMMEE die Athener und Sokrates vgl. bes. S.39.
Weniger bestimmt Hbrmaiih PlatI, 35. Wiggers Sokr. S. 123 ff.
3) Gesch. d. Phil. II, 81 ff.
4) RöTSCHBR a. a. 0. S. 236 f. 268 ff. eunächst mit Besiehung auf
die Wolken des Aristpphanes. HEviniiG Princc. der Ethik S. 44.
Vgl. Baue Sokrates und Christus Tüb. Zeitschr« 1837, S, 128—144.
Die Philosophie der Griechen. II. Theil. 6
■/-•
82 Das Schicksal des Sokrates.
Diese beiden Auffassungen stehen sich nun ziemlich nahe,
sofern doch auch die erste den Hass der Demokraten gegen
Sokrates nur aus der Ueberzeugung von der Schädlichkeit
seiner Lehre ableiten kanU) und ebenso die zweite nicht
läugnet) dass der Widerspruch des Sokratischen Principa
mit dem Geist seines Volks zugleich ein Widerspru<;h gegen
die Grundlagen der athenischen Demokratie war ; die Frage
könnte daher nur sein, ob die vorausgesetzte Gefährlichkeit
des Sokrates von den. Urhebern seiner Verurtheilung aus-
schliesslicher in seiner antidemokratischen Tendenz, oder
jillgemeiner in seiner Opposition gegen die bestehende Sitte
und Religion gesucht wurde. Hier führt uns nun allerdings
Mehreres auf die Annahme, dass es zunächst das domo«
kratische Interesse war, von dem der Angriff gegen den
Philosophen ausgieng. Von den drei Anklägern desselben
sind uns zwei als angesehene Demokraten bekannt: Any*
tus war^ neben Thrasybul Feldherr in Phy4e, und auch spä-
ter einer der einilussreichsten Männer im Staate, Melitus,
gleichfalls mit Thrasybul zurückgekehrt, stand mit Kephi-
sophon an der Spitze der Gesandtschaft, welche aus dem
Piräus nach Sparta geschickt wurde um über den Frieden
2u unterhandein ^). Auch die Richter des Sokrates werden
in der Platonischen Apologie S*21,A als solche bezeich-
net, die mit Thrasybul verbannt und zurückgekehrt waren.
Weiter bezeugt Xenophon ^), es sei dem Sokrates voa sei-
nem Ankläger besonders auch das zum Vorwurf gemacht
worden, dass er den Kritias, diesen ruchlosesten und ver-
hasstesten aller Oligarchen zum Schüler gehabt hatte, und
Aeschines^) sagt den Athenern geradezu: Ihr habt den
1} S. FoBCHHAiKMEii 3. a. O. S. 35 f. Uebar Anytiis vgl. auch Xeit.
Hell. II, 3, 42 f«, wo er neben Thrasybul und Alcibiades unter
den angesehensten Demokraten genannt ist
2) Mem; I, 2, 12.
3) Adv. Tim. $. 71 ^d. Bbvxi. Dass übrigens diesem Zengniss nicht
la viel Gewicht beigelegt werdea dar^ zeigt der Zusammenhang,
r
Das SchicJisal des Sokrates. SS
^pbfeten Soktates g^todtet, weil er der Lehrer des Krttias
gewesen war* Auch sonst finden wir unter den Freunden
und Schülern des Sokrates Männer, die wegen Ihrer oIU
gdrcbiscben Tendenzen den Deilu)kraten verhassl sein muss-
ten, wie Theramenes^ der Kothurn , neben Kritias der be-
deutendste ^der dreissig Tyrannen , wie Piato und seine
Brüder nebst ihrem Oheim Charmides, wie Xenophon, der
um die Zeit des Sokratischen Processes, und vielleicht in
Zusammenhang mit demselben, wegen seiner Verbindung
mit dem Spartanerfreund Cyrus d. j* aus Athen verbannt
wurde ^). Ausdrücklich wird endlich aus der Klagrede des
Melitus angeführt, dass er dem Sokrates die Aeusserungen
99r Last legte, worin dieser die den:okratische Einricbtung
der Wahl durch*s Loos tadelt ^), und ihn beschuldigte, mit
den Versen der Ilias II, 188 ff., die er oft im Munde führte,
übermüihige MisjshandluQg der. Armen eu lehren ^). Diess
in dem es stobt. Ae&cbines spricht hier nicht als Historiker, f on-
dern als Hedner.
1) $. FoBCBSAXHBa s. 8* O. S. 84 f.
t) Mem. I, 2, 9*
3) Mem» I, 2« 58. Wenn Fobcxhahmeb a. s. O« 6. 52 l£ diesen
Versen im Munde des Sokrates die Bedeutung giebt, -dass dieser
darin seine politische Theorie von der Nothwendigkeit einer oli-
gajxsbischen Verfassung vorgetragen, und sofort mit dem von sei-
nem Ankläger gleichfalls benützten Hesiodiscbea t^yop i* oidtv
vvEt$os da(fy6/ti di t ÖvtiSoi aufgefordert habe, »nicht zu EÖgern,
sondern, wean die Zek der That da sei, zu handeln«, so stützt
sich diese Auffassung nur auf die VorausseCsung, das« der eigent-
liche Sinn der Homerischen Citate nicht in den von Xcnophon
angeführten, soadem nur in den von ihm weggelassenen Versen
II. II, 192—197. 203—205 su suchen sei^ und dt^nso die Anklage
wegen derselben sicJk nicht auf die von Xenopboa allein genannte
Verbreitung einer anlideeioliratiaehen Gesinnung, sondern be-
stimmter auf die Aufforderung zur Einführung einer ob'garchischen
VejrfassXing befH>gen habe. Dies« ist aber doch das offenbare
Gegentheil eines geschichtlichen Verfahrens. Ein soldies hatte
sich entweder an die Xenopfaontiscben Angaben halten, oder es
hätte, wenn der iporausgesetste politische Charakter des Sokrates
und seines Proceasee erst bewiesen gewesen wäre, dann auch
6*
'n
S4 ' Dafi Schicksal des Sokrates.
Alles zusammengenommen läs^t keinen Zweifel darüber übrig,
dass allerdings beim Process des Sokrates das Interesse der
demokratischen Pafthei mit im Spiele war.
Andererseits können wir doch bei diesem Motiv allein
nicht stehen bleiben. Schon die Anklage gegen den Philo-
sophen stellt die antidemokratische Tendenz desselben kei-
über den dem Xenophontisclien Bericht' zu Grunde liegenden
Sachverhalt Schlüsse ziehen mögen, welche aber selbst dann
• immer nur Muthmassungen geblieben sein würden, auf keine
Weise durfte es aber Xenophons Bericht zur Begründung einer
Ansicht gebrauchen, die sich nur durchführen lässt, wenn man
diesen Bericht in den wesentlichsten Funkten für verfälscht er-
klärt. — Auch sonst hat der genannte Qelebrte oligarchische
Tendenzen entdeckt, wo diese schlechterdings nicht zu finden sind,
wenn er S. 24ff. 39- 42 ff. üicht allein den Kritias, sondern auch
den Alcibiades unter den antidemokratischen Schülern des Sokra-
tes aufHihrt, und S» 29 über die politische Thätigkeit des Philo-
sophen nach der Schlacht bei den Arginusen bemerkt: «DieOli-
gdrchen hatten ihren politischen Glaubensgenossen in den Bath
gewählt.« Alcibiades, wie verderblich auch sein Leichtsinn der
Demokratie geworden sein mag, galt doch seiner Zeit nicht für
einen Oligarchen, sondern für. einen Demokraten, und wird als
solcher auch von Melitus ausdrücklich bezeichnet Mem. 1,2,12:
*^kl* 6(pfj ys 6 xan^yo^öSt JSmHQaTai of^^ikrjra ytvofiivto X^nias
TS Hai *u4liußidd7je nkuara naxd r^v noki» inoitjadrTjv, Kgirlas
fiev ydg rdSv t¥ ry oXtyagx^^ ndvtißjv nksortHtiarar^f t8 uai
ßiatovaroQ iyiverOi' uikxißidStfi dt av rötv iv rj} drjfioyQaTflq ndy~
Tojv dxQaTiaraTos xal vßQiotorotros. (yg\» Thücyd. Vllf, 63 das
ürthcil der aristokratischen Verschworenen in Samos über Alci-'
biades: ovx Innriietov avtov elvai «ff oltyuQxiap ik&slv und ebd.
c. 48, 68.) Was die Verartheilung der zehen Feldherm betrifft,
die bei den Arginusen gesiegt hatten, so hatte Athen damals die
durch Pisander eingeführte oligarchische Verfassung ohne Zwei^
fei nicht blos zur Hälfte, wie Fobchha.vmbb will, sondern ganz
abgeschüttelt, wie diess nicht nur, schon nach Fberets Bemer-
kung, (a. a. (>. S. 243), aus dem Detail des von Xerophogt Hell.
I, 7 erzählten Processes der arginusischen Sieger, sondern auch
aus der bestimmten Erklärung Plato's (Apol. 32; £: xal tavta
fiiv ?jv Mtt dtjfioKQavovfiivrji rije nokswe)^ und aus derThatsache
hervorgeht', dass diese Feldherm sammtlich entschiedene Demo-
kraten, mithin gewiss nicht von OHgarchen gewählt waren.
Das SchicJisal des Soiiralos. .S5
neswegs voran. Was ihm Torgeworfen Wird ^) ist l)Läag-
Bung der StaatsgöUer, und 2) Verführung der Jugend» Jene
Götter aber sind nicht nur die Golter der Demokratie, son-
dern des athenischen Volks überhaupt, und wenn auch in
•einzdnen Fällen, wie im Uermpkopidenprocess, der Frevel
gegen die Gotter zugleich mit AngriJBfen auf die demokra-
tische Verfassung in Verbindung gebracht wurde, so war
doch diese Verbindung weder nofhwendig, noch wird sie
in der Klage gegen Sokrates behauptet. Was sodann die
Verfuhrung der Jugend betrifft, so wird hiefür allerdings
(Mem. I, 2, 9 ff. 58) zuerst angeführt, dass Sokrates den
Jünglingen Verachtung geg^n die demokratische Verfassung
und aristokratischen Uebermuth cingeflösst habe^ und dass
er der Lehrer des Kritias gewesen sei; ebenso wird ihm
aber auch die Schülerschaft des AIcibiades schuldgegebeo,
der nicht als Oiigaroh, sondern als Demagog dem Staat
geschadet hatte, weiter wird ihm vorgeworfen, dass er die
Söhne ihre Väter verachten lehre ^), gleichfalls kein un-
mittelbar gegen die Demokratie, gerichtetes Verbrechen, und
dass er gesagt habe, man brauche sich keiner noch so
ungerechten und schändlichen Handlung zu enthalten, son-
dern dürfe um seines Vortheils willen Alles thua 3). Als
Gegenstand der Klage erscheint daher hier nicht blos im
engern Sinn der politische, sondern der allgemein sitt-
liehe und religiöse Charakter der Sokratischen Lehre». Noch
ausschliesslicher wendet sich AaiSTOPtiANes gegen diesen.
Nach allen älteren und neueren Verhandlungen über den
Zweck, den dieser Dichter ' in seinen Wolken verfolgte ^),
1) Xbn. Mem. I, 1, 1. Pla.t. Apol. 24, B. Phatobiuuä bei Dioc.
L. II, 40.
2) Xen. Mem. I, 2, 49. Tgl. Apol. §. 20. 29 f.
3) Mem. I, 2, 56.
4) Eine Uebersicht der früberea AnsiCbten gicbt Bötscher Aristö-
pbanes S. 272 (F. Neu binzugekommea sind seitdem die Alisfub-
rungen von 1)rotsen und Schnitzer in den Einleitungen zu ihren
Uebersetzungen der Wolken, vgl. auch Forchhaumbr a. a. 0. S. 23*
S$ Da» Schicksal des Sokrate». ,
kann es als ausgemacht angesehen werden, dass der So«
krates dieser KoinSdie nicht blos mit komischer Licenz zam
Repräsentanfon einer Denkweise gemacht wird, die der
Dichter ihm selbst fremd weiss, dass nicht etwa nur im
Allgemeinen der Hang zu philosophischen Grübeleien, oder
das Lächerliche einer annützeh Gelehrsamkeit, oder ancfa
die Sophistik, und nicht vidmehr ganz bestimmt die philo-
sophische Kichtong des Sokrates hier angegriffen werden
solle ^). Ebensowenig ISsst sich, nach dem schon oben über
die Tendenz des Aristophanischen Lustspiels Bemerkten,
annehmen, dass dieser Angriff nur aus Bosheit, oder aus
einer persönlichen Feindschaft hervorgegangen sei, welcher
auch schon die Schilderung ihres beiderseitigen Verhält-
nisses im Platonischen Gastmahl schlechthin widersprechen
würde. Auch die von Reisig ^) versuchte Theilung der dem
Aristophanischen Sokrates beigelegten Zuge zwischen dem
Philosophen selbst und seinen Schälern, namentlich Euri-
pides, kann sich so wenig Erfolg rersprechen, als die Wolfi-
sche Unterscheidung der frühern, von Aristopbanes geschil-
derten, den Charakter dunkler Naturspeknlation tragenden
Sokratischen Philosophie von der spätem ^) — die erstere
nicht, weil doch die Zuschauer nicht anders konnten, als
aHe die Züge, welche der Sokrates des Lustspiels zeigt,
auch wirklich auf diesen beziehen, daher auch der Dich«-
ter diese Beziehung wollen musste; die letztere schon darum
nicht, weil noch achtzehn Jahre später, in den Fröschen
(T. 140 ff.)) dieselben Vorwürfe gegen Sokrates wieder-
kehren, und die Platonische Apologie die in den Wolken
ausgesprochene Meinung über ihn bis zu seinem Tode fort-
1) Wie dicss G. Hkbmann Praef. ad Nubes ed. 2. S. xxxiu. xi. ff.
und Andere annehmen. Vgl. dagegen Süvebbt S. 3 ff» Bötschib
S. 275 ff. 307 ff. 3H.
2) Praef. ^d Nubes. Rhein. Mus. II, (1828) 'i. H. S. 191 ff.
3) Wolf in s. Uebers. d. Wolken s. Bötscher a. a. Ö. Vaet Hiusdb
Characterismi S< 19* 24* vgl. auch Wigoebs Sokrates S. 20.
Das Schicltsal des Sokrates. 8T
dauern lässt; weiter aber aach desshalb^ weil Sokrates vier*
nndzwaiung Jahre vor seinem Tode in der Hauptsache
sebon mit sich abgeschlossen haben mosste, und weil die
WoIken»keineswegs blos dder hauptsächlich den Naturphilo-
sophen in ihm verspotten. Wir müssen vielmehr annehmen,
dass Aristophanes wirklich in eben dem Sokrates, den wfr
aus der Geschichte der Philosophie kennen, ein Princip zu
entdecken glaubte, das einen Angriff, wie der seinige, ver-
diente, und wir können uns dieses Zugestand niss, sofern
es sich um die Absicht des Dichters handelt, auch nicht
durch die Behauptung wieder unbrauchbar machen lassen,
dass dieser in seiner Darstellung die von dem historischen •
Sokrates entlehnten Grundaiige in einer ihm ganz hetero- ^
genen Richtung verfolge und zur Karikatur ausarbeite, däss
also diese Darstellung im Grunde doch nicht dem Sokra«^
tes selbst, sondern theils nur der verderblichen sophistisch-
rhetorischen Schule im Allgemeinen, theils insbesondere
dem als Phidippides persohificirten Alcibiades gelte ^). So
kUmen wir doch am Ende wieder darauf zurück, dass der
Sokrates des Lustspiels theils nur als Träger eines ihm
selbst fremden Princips, theils nur statt seiner persönlichen
Freunde figurire, es bliebe aber ebendamit die Schwierige
keit, dass der Dichter dem Philosophen eine seinem wirk-
lichen Charakter widersprechende Rolle übertragen, dass er
sich mithin eine nur aus der muthwilligsten Bosheit erklär-
bare Verlänmdung gegen diesen erlaubt hätte, eine Ver-
läumdung, die wir üni so weniger begreifen könnten, da
sie nicht allein dem sonstigen Charakter der Aiistopba-
nischen Komödie, sondern auch der Schilderung des Ari-
stophanes und seines Verhältnisses zu Sofcrates im Plato-
nischen Gastmahl widerspricht, und da sie nberdiess dem
Eindruck des Stücks nothweodig hätte nachtheilig werden
1) Die Ansteht, welche SiJvern in der mehrerwähnten Abhandlung
ausgeführt hat^ 8. S. 19. 26. 30 ff. 55 ff.
88 I^iis Scbickfal des Sokrates.
iniissen; denn so wenig der Dichter selbst oder seine Zu-
hörer der koroischen Darstelhing absolute Natnrwahrheit
ihrer Schilderungen zur Pflicht nlachten, so wenig sich auch
Aristophanes in einzelnen Fällen vor nachweislich unwah-
ren Beschuldigungen scheut, so wenig konnte er doch, ohne
sich selbst am Meisten zu schaden, den Gesammtcha*
rakter der Personen, die er auftreten lässt, auf eine der
allgemeinen Meinung iiber sie widersprechende Weise dar-
stellen, und ebensowenig haben wir ein Beispiel davon, dass
er einer historischen Person wissentlich einen ihr fremden
Charakter angedichtet, und sich nicht vielmehr darauf be-
schränkt hätte, Richtungen und Personen, von deren ver-
derblichem Einfluss er überzeugt war, durch Uebertreibung
oder Erfindung einzelner Züge zu karikiren. Wozu noch
kommt, dass ja die öffentliche Meinung (Plat. Apol. 18)
dem Sokrates alle jene Züge der Aristophanischen Schil-
derung wirklieh beilegte. Aristophanes also, so viel steht
fest, muss wirklich geglaubt haben, dass Sokrates, als öffent-
liche Person betrachtet, die ihm durch seine Schilderung
gemachten .Vorwürfe verdiene. Welches sind nun diese?
Nicht Eün Zug an dem Aristophanischen Sokrates trägt ein
unmittelbar politisches Gepräge ; was ihm schuldgegeben wird
ist vielmehr, von blos Aeusserlichem oder augenfällig lieber-
triebenem und Erdichtetem (wie das Berechnen der Floh-
sprünge und das Stehlen des Opferstücks aus der Palästra)
abgesehen, dreierlei : die Beschäftigung mit unnützer natur-
philosophischer und dialektischer Grübelei (V. 143 — 234.
636 ff.)) die Läugnung der Volksgötter (V. 365 — 410),
und — der Hauptpunkt um den sich das ganze Stück dreht —
die sophistische Redefertigkeit, welche der ungerechten Sache
den Sieg über die gerechte zu verschaffen , den ijrraiv loyog
zum xQsixxap zu machen weiss (V. 889 ff.) ^). Es ist also
1) Mit Unrecht tadelt Drotsif (Wolken S. 17) aa dieser Scene,
dass aus dem starkem Logos ein gerechter werden der Xayos
Das Schicksal dos Sokrates.
nur fiberhaupt der unpraktitsofae, irreligiöse und sophistiscfa«
Charakter der Sokratischen Lehre, der hier angegriffen wird,
von antidemokratischer Tendenz dagegen, die doch Aristo*
phanes, sollte man meinen, vor Allem hätte hervorheben
müsäfn, findet sich nichts, und selbst wenn unter dem Phi«
dippides der Wolken Alcibiades gemeint wäre, was übri-
gens nichts für sich und Vieles gegen sich hat ^), würde
auch damit, dem früher Bemerkten zufolge, noch keine
oligarchische Gesinnung des Philosophen angedeutet. Ari-
stophanes mithin kann das Anstössige und Gefährliche der
Sokratischen Lehre nicht speciell in ihrem politischen, son-
dern nur in ihrem allgemeinen sittlichen , religiösen und
philosophischen Charakter gesucht haben, wie er denn auch
später noch ^) nur diese Vorwürfe gegen sie vorbringt. Nur
diese Beschuldigungen sind es aber auch, die nach dem
Zeugniss der Platonischen Apologie^ bei den Gegnern des
Sokrates stehend geblieben sind ^), und wenn nun eben
diese Schrift S. 1 8 versichert, dass gerade sie dem Sokrates
am Meisten gefahrlich geworden seien, so müssen wir wohl
nach dem Bisherigen dieser Versicherung Glauben schenken«
Wenn wir aber doch zugleich auch das politische Motiv
des Processes gegen Sokrates zugegeben haben, wie lässt
KgetTTcov ist der an und für sich, dem Rechte nach stärkere, der
' aber thatsä'chlich von dem rechtlich schwächeren, dem Xoyos
iJTTOJV überwunden wird, und t6v ijrruj koyov ^gsiTrat noisiv
heisst: die Sache, die dem Rechte nach die schwächere ist, dem
Erfolg nach zur stärkeren ^machen, die ungerechte Sache als die
gerechte erscheinen lassen«
1) Vgl. Droyseuj a. a. O. S. 20 f. Schetitzib S. 34 f.
2) Wespen 1037 ff. Frösche 1491 ff.
3} S. 23« D: Ityovaiv, ws ^(u)t(taTys ris iari fnagfuraros ttal Siatf^
Zeigst Tovs v^ovS, xal i-nndav rte atrovi sqojt^, o t$ fromv nal
o Ti SiSdaxojVy i'xovai fitv ovSev sinetv, dXk ayvoovaiVi 'Iva di fit}
donwoiv dnogstv ree xätd ndvroiv rwv (piXoootpovvrotv itgoxs^ga
•^avra k/yovotv, ön rd fisr^atga ttal td vno yiji^ xoX ^tov^ fi^
vofii^HV nal tov ijrtoj Xoyov mgeiztiu tto&siv. Vgl. S. 18» B.
M Das Schicksal des Sokrates.
sich beides vereinigen? Die richtige Antwort auf diese Frage
haben aach schon Andere angedeutet ^). Die Uebersengnng
von der Schold des Sokrates gründete sich auf den vor-
ansgesetzten sophistischeni sitten- und religionsgeföhrlichen
Charakter seiner Lehre iiberbaupt| dass aber diese Schuld
gerichtlich verfolgt wurde, den Grund davon haben wir ohne
Zweifel in den besondern politischen VerhSltnissen jener
Zeit zu suchen. Die Frivolität der sophistischen Aufklä*-
rung stand mit dem politischen Fall Athens im peloponne-
sischen Krieg im engsten Zusammenhang, ans der Schule
der Sophistik waren die bedeutendsten und gefährlichsten
jener modernen Politiker hervorgegangen, welche theils als
Oligarchen theils als Demagogen den Staat zerrissen hat-
ten, aus ihr stammte jene verderbliche Moral, welche die
Wünsche und Einfälle des Subjekts an die Stelle der be-
stehenden Sitte und Religion, den Vortheil an die Stelle
des Rechts setzte, und die Tyrannis als den Gipfel mensch-
lichen Glücks begehren lehrte, und jene gesinnungslose
Rhetorik, die einen Reichthura technischer Mittel nnr data
anwandte, jeden beliebigen Zweck durchzusetzen, und ihren
höchsten Triumph darin suchte, die ungerechte Sache zur
siegenden zn rhaohen ^). Dass auch schon jene Zeit selbst
diesen Zusammenhang der sophistischen Bildung mit dem
politischen Verderben des Staats erkannte, zeigt Niemand
deutlicher, als eben Aristophanes ^), und dass.Aristophanes
mit dieser Ueberzeugung nicht allein stand, Hesse sich zum
Voraus annehmen, wenn es uns auch an ausdrücklichen
Zeugnissen mehr fehlte, als diess wirklich der Fall ist.
Weiss doch auch gerade Anjtus bei Plato ^) seii/en Ab-
1) RiTTBH a. a. O. S. 51. Marbach Gesch. d. Phil. I, 185, 9.
2) Vgl. unsere 1. Th S. 260 ff.
5) Z. B. Wolken 959 ff. Wespen 1037 ff. Ritter 1373 ff. — wei-
lere Nachweisungen s. bei Süvebn über die Wolken S. 24 ff.
4) Meno 91, G ff.
Das Schicksal des SokratesC 91
sehen vor de? Terderbiichen Erziehong der Sophisten nicht
stark genirg auszusprechen. KonOte man aber je in frühe-
re^ Zeit gegen die Folgen dieser Erziehong die Aiigen ver-
echliessen , so musste der Verlauf des ' peloponnesischen
Kriegs darüber aufltlären. Natürlich daher, dass diejenigen,
welche Athen von der dnrch Lysander eingef&hrten Oli*
^rchie befreit, und mit der alten Verfassung auch seine
politische Unabhängigkeit wiederhergestellt hatten, daran
dachten, durch Unterdrückung der sophistischen Erziehung
das Uebel an der Wurzel abzuschneiden. Nun galt Sokra-
tes nicht Mos überhaupt, dem Obigen zufolge, /or einen
Lehrer von der modernen, sophistischen Richtung, sondern
man glaubte auch seinen schädlichen Einfloss in manchen
seiner Schüler empfunden zu haben, unter denen Kritias
und AIcibiades vor Allen hervorragten ^). Was ist unter
solchen Umständen erklärlicher, als das« eben die, welchen
es um die Wiederherstellung der demokratischen Verfassung
und der alten Herrlichkeit Athens zu thun war — solche
waren aber sowohl die Ankläger, als die Richter des Sokra-
tes — in ihm einen Verderber der Jugend und einen staats-
gefährlichen Menschen zu finden glaubten? Sokrates fiel
mithin allerdings als ein Opfer der demokratischen Reak-
tion, die nach dem Sturz der dreissig Tyrannen eintrat, nur
nicht in dem Sinne, dass ausschliesslich seine politischen
Ansichten als solche das Motiv des Angriffs gegen ihn ge*
Wesen wären, seine unmittelbare Schuld wurde vielmehr in
der Untergrabung der vaterländischen Sitia und Frömmig-
keit gesucht, von welcher die antidemokratische Tendenz
seiner Lehre theils nur eine mittelbare Fofge, theils nur
ein vereinzelter Ausläufer sein sollte.
Wie es sich nun mit ^d er Berechtigung dieser Beschul-
1) Wie viel dieser Umstand zur Yerurtbeiliing des Sokrates bei-
trug, xetgt ausser dem ohettatngefühften Zeugtiiss des Aeschlnes
XsHOPHOS Mcra. I, 2, It if.
92 I^as Schicksal des Sokrates«
digungen und des darauf gebauten ÜrtheiU verhält, ist
zu untersuchen ^), Durchgehen wir hiefiir die einzelnen
Punkte, welche dem Sokrates theils in der gerichtlichen An-
klage, theils ,von Aristophanes zur Last gelegt werden, so
ist freilich bei den meisten derselben zuzugeben, dass sie
so unmittelbar, wie sie ausgesprochen und geraeint waren,
den Philosophen nicht treffen. Die Beschuldigung, dass er
Bicht an die Staatsgötter glaube, wenn sie gleich auch neue-
Btens ohne Beweis, als ob sich ihre Wahrheit Ton selbst
verstände, wiederholt worden ist ^), hat nicht nur keinerlei
geschichtliche Zeugnisse für sich , sondern sie widerspricht
auch Allem, was uns von den glaubwürdigsten Zeugen iiber
die Gespräche und die Handlungsweise des Philosophen über-
liefert ist^), und wenn mit diesem der weitere Vorwurf
in Verbindung gebracht wird, dass Sokrates neue dämonische
Mächte einführe, und dass er der atheistischen Anaxago-
rischen Meteorosoph^e ergeben sei ^), so ist nicht nur das
i) Die Rechtfertigung desselben Tom Standpunkt des griechischen
Rechts aus hat bekanntlich Hegel a.a.O. versucht; noch weiter
geht F0BCHHA.MMER in seiner mehrerwähnten Abhandlung. Die
Gegenschrift gegen diese von Heinsius (Sokrates nach dein Grade
seiner Schuld Lpz. 1839) ist unbedeutend ^ und auch die gelehrtere
Apologia Socratis contra Meliti redivivi calumniam Ton P. van Lim-
BURG Rrouwbr (GrÖn. 1838} 9 so manches Richtige sie im Ein-
zelnen gegen Fobchhammbr bemerkt, lässt doch eine tiefere Ein-
sicht in die allgemeinen Fragen, um die es' sich hier handelt, in
hohem Grade vermissen? und steht der Abhandlung von Preller
(Haller *A. L.Z. 1838 9 Nr. 87 f.) in dieser Beziehung weit nach.
Ebensowenig leistet für unsere Frage, trotz aller sonstigen Ge-
lehrsamkeit, LvzAc de Socrate cive. Desselben Lectiones Atticae
mit ihrer Abhandlung de Calumniatoribus Socratis kenne ich so
wenig als Dressig's Epistola de Socrate juste damnato (Lpz. 1738)
aus Autopsie.
2) Fobcbhaiiixer a. a. O. S. 3 ff.
3) S. o. S. 19. 21. '
4) Das Letztere nicht blos bei Aristophanes, sondern auph Plat
Apol. S. 26) G. Wenn es Forchhamker S. 10, wie schon früher
Ast (Platon's Leben und Schriften S. 482) unglaublich findet,
Das Schicksal des Solirates. 9S
Letstere entschieden falsch, sondern auch das Erste in dem
Sinn, in dem es hier gemeint ist, da Sokrates nicht die
Absicht hatte, sein Däraonium an die Stelle der Götter zu
setzen, oder doreh dasselbe anch nar die Orakel for An-
dere, als sich selbst, entbehrlich zn machen. Ebenso nn-
gegründet ist die flehauptnng des Aristophanes, dass Sokra-
tes lehre , wie man die schwächere Sache . 2nr starkem
machen könne, wesshalb sie auch der gerichtliche Ankläger
nicht ausdrücklich berührt zu haben scheint, und dass auch
der eudämonistischen Begründung der Moral, im Zusammen-
hang der ganzen Sokratischen Denkweise betrachtet, diese
Bedeutung so wenig gegeben werden kann , als dem Citat
aus Hesiod, piit welchem der Ankläger nach Mem. I, 2, 56
beweisen wollte, dass Sokrates um des Gewinns willen Alles,
auch das Schändlichste, zu thun erlaubt habe, wird unsere
frühere' Entwicklang gezeigt haben. Wird dem Sokrates
weiter seine Verbindung mit Kritias und Alcibiades zur Last
gelegt, so hat hierauf schon Xenophon ^) geantwortet, dass
diese beiden ihre Schlechtigkeit nicht von Sokrates gelernt,
sondern so lange sie um diesen waren im Zaum gehalten
haben, und kann man auch sagen ^), die rechte Erziehung
müsse die Zöglinge für immer zu guten Menschen machen,
SO lässt sich doch nicht überall, wo eine Erziehung die*
sen Erfolg nicht hat, sogleich dem Lehrer die Schuld davon
beimessen. Auch dass Sokrates Elitern und Verwandte ver-
achten gelehrt habe (Mem. I, 2, 49 ff.), kann wenigstens
I
nicht als seine bewusste Absicht, sondern höchstens als eine
dass Melitus dem Sokrates so ongescbickt geantwortet habea
sollte, wie er hier thut, so ist dabei übersehen, dass es stets die
Weise der Welt war, und auch in Athen gewesen sein wird, den
relativen Albeismus mit dem absoluten, den Zweifel gegen diese
bestimmten rdigiösen Vorstellungen mit der Laugnung aller Reli-
gion 2u verwechseln.
1) Mem. I, 2, 18. 24.
3) FOBCHHAMXBB S. 43.
94 Das Scbiclcsal des Sokrates.
#
Folge beirachtel. werden, 4ie seine Lehre gegen seinen Wtl«
len bei Einzelnen hatle ^)/ und ebensowenig kann er, dem
früher (S. 1 8 ff.) Bemerkten zufolge, des Uagehorsains gegen
die Staatsgesetze oder der Aufforderung zu denselben be-
schuldigt werden. Was endlicji noch angeführt wird (Mem.
][, 2, 58 ff.) 9 dass Sokrates Missbandfaing der Armetf durch
die Reichen gutgeheissen habe, ist so gefasst auch ohne
Grund, wenn auch die fragliche Aeussernng desselben aller-
dings nicht ohne bedenkliche Folgen sein mag.
So viel Missverstand und Entstellung aber auch dem
Verfahren gegen Sokrates zu Grunde liegen mag, so unläug-
bar enthält doch die Lehre und Denkweise dieses Philo«
sophen ein Element, dessen Unverträglichkeit mit dem Priaeip
des griechischen Stäatslebens und der griechischiefi Sittru^h*
keit dasselbe nach Einer Seite hin rechtfertigt, wie diese
Hkgel liefsinnig erkannt bat. EUt ist diess im Allgemeinen
die Zurückziehung aus der unmittelbar gegebenen sittlichen
Objektivität auf das Subjekt und sein Bewusstsein, die För-
derung, dass der Einzelne, statt sich unbediegt durch die
Gesetze, Sitten und Vorstellungen seines Staats und Volks
bestimmen zu lassen, sich aus seiner eigenen Einsicht her»
aus entscheiden solle, die Behauptung, dass nicht die re*
flexionslose Hingebur^ an die bestehende Sitte, sondern
nur die selbstbewusste Thätigkeit von sittlichem Werth,
dass alle Tugend ein Wissen sei. Sokrates hat dieses Prin«
cip freilich nicht in der einseitigen Weise der Sophisten aus-
gesprochen, er hat nicht die subjektive WiUkühr ziun höch-
sten Gesetz erhoben, sondern die durch's Denken gewonnene,
aus den objektiv wahren Begriflfen geschimpfte Einsicht. Aber
theils widerspricht sein Princip auch so noch dem Wesen
der griechischen Sittlichkeit, welche diese moderne Frei-
heit der subjektiven moralischen Ueberzengung nooh nicht
1) Vgl. Mem. II, 2, 3.
Das Schicksal des Sokrates« 95
kejHit und nicht ertragen kann, theiU war auch da« Sokra*
tische Wissen noch zu unentwickelt, um seine Ueberein^
Stimmung mit dem, was der Staat für wahr und recht er*
kaante^ in bestiivmten Resultaten nachweisen zu könnaa.
Hätte sich Sokrates auch auf keinem einzelnen Punkte den
Sitten und Gesetzen seines Landes widersetzt, schon' das
Formelle, dass er dieselben nicht ungeprüft annehmen wollte,
machte ihn zum Verbrecher gegen das Princip des griechi-
schen Staats, und sein Verfahren bei dieser Prüfung konnte
n«r zur Erhöhung dieser Schuld beitragen, denn als iler
letzte Bestimmungsgrund des sittlichen Handelns erscheiol:
doch bei ihm immer nur die Reflexion auf den Vort heil des-
selben; unmöglich koniite aber der Staat dieses Motiv aner-
kennen, und wenn, es von Sokrates noch so sehr zur Empfeh-
lung der bestehenden Gesetze gebraucht wurde, denn wer
konnte dafür bürgen, dass es nicht bei Andern die en^egen-
gesetzte Anwendung findien werde, und was anders, als eine
Inconsequenz , oder doch eine blos subjektive Nothwendig*
keit war es, wenn nicht auch schon Sokrates diese Anwen-
dung gemacht hat? Und wirklich war ja auch diese. Sokra-
tische Methode von einem Kritias und Alcibiades nur zu
egoistischer Bestreitung der sittlichen Auktoritäten verwendet
worden , und bei Andern musste sie wenigstens das Resultat
haben, dass dieselben, der Sokratischen Dialektik auf ihrem
ganzen Gange zu folgen unfähig, bei der Verwirrung ihres
sittlichen Bewusstseins und dem Zweifel an den geltenden
Grundsätzen und Einrichtungen stehen blieben. Aber auch
in den Sätzen, welche Sokrates selbst und seine Echtesten
Si^üler ausgesprochen haben , lässt sich die Unverträglich-
keit seines Standpunkts mit dem Wesen des athenischen
Staats nachweisen. Nach altgriechischen Begriffen ist der
StaaA das ufimktelbare und ursprüngliche Objekt der sitt-
lichen Thätigkeit, und eine Privattugend, die sich auf
sich selbst beschränkte, giebt es nicht; nicht allein wer
\
Das Schicksal des Sokrates.
positiv gegen den Staat handelt, sondern auch \?«r dem
Staat seine Thätigkeit entzieht, ist ein schlechter BQrger.
Sokrates umgekehrt verlangt, dass sich Jeder zunächst mit
sich beschäftigen solle, und erst wenn er mit sich im Rei-
nen sei, dann auch mit dem Staat ^), und er seilet be-
trachtete es sosehr als seinen Beruf, sich dem bildenden
Privatverkehr mit Andern zu widmen, dass er sich von
aller politischen Thätigkeit gänzlich zurückzog ^), und auch
in den wenigen Fällen, wo ihni.diess unmöglich war, dem
Verderben seiner Zeit nur passiven Widerstand entgegen-
setzte ^); ebenso sind aus seiner Schule ausser den entar-
teten Zöglingen derselben, Kritias und Alcibiades, fast
nur politisch unthätige Männer hervorgegangen. Dem Grie-
chen war ferner der Staat, wie das absolute sittliche Ob-
jekt, so auch die absolute sittliche Auktorität; Sokrates,
wenn er auch gegen die sophistische Bestreitung einer ob-
jektiven sittlichen Norm an die Gesetze des Staats appellirt
(s. o, S« 1 8 ff.), stellt doch seinerseits gleichfalls die sittliche
Selbstgewissheit des Subjekts über die Entscheidung des
Staats in seiner berühmten Erklärung ^), dem Gott ( d. h.
1) Plato Symp. 216, A. Xkw. Mem.III, 6. IV, 2. Doch wirdMem.
III, 7 Cbarmides Ton ihm ermahnt, sich der StaatSTerwaUung '
zu widmen, Mem. III, 5 unterhält er sich mit dem jüngeren Pe^
rikles über öffentliche Angelegenheiten, und II, 1, 13 ff. zeigt er
dem Aristipp die Nothwendigl(eit, einem Staat anzugehören.
Wenn Ablian V.H. II, 1 die Mem. III, 7 ersähUe Unterredung
mit Alcibiades gehalten werden lässt, so ist diess ohne Zweifel
aus Mem. I, 2, 40 ff. geflossen.
2) Plal. Apol. 31, Cff.
3 ) Die Solonische Gesetzgebung bedrohte Neutralität bei polidscheo
Fartheikämpfen mit der Todesstrafe; Sokrates nahm an diesen
so wenig thätigen Antheil, dass er sich auch an der Befreiung
Athens Ton der Herrschaft der dreissig Tyrannen nicht bethei-
ligt zu haben acheint, und ebenso vorher dem ungerechten Be-
fehl derselben zwar nicht gehorcht, aber auch keinen Versuch'
macht, ihn zu hintertreiben. Plat. Apol. 32, C.
i) Plat. Apol. 29, D.
Das Schicksal des Sokrates. ft7
dem inneren Berufe, ohne den auch das defphisehe Orakel
diese Bedeutung für ihn nicht gehabt hätte) mehr gehör-
ehen su wollen, als den Athenern, urtd mögen sie ihm
diess auch noch so streng verbieten. Aus jenem Verhillt«
niss zum Staat folgte für den Griechen unmittelbar die
weitere Forderung, sich der bestehenden Staatsverfassung
unbedingt zu unterwerfen, und sieh nicht blos keine ge-
wahsamen Angriffe, sondern auch keinen Tadel gegen die-
selbe zu eriaqben. Sokrates dagegen sprach seine Ueber«
Zeugung von der Unzweckmässigkeit der Demokratie un-
verholen in den stärksten Ausdrücken aus. Wie die wahre
Tugend nach seiner Ansicht nur im Wissen besteht, so sind
auch die wahren Herrscher nur die Wissendem ^). Wenn daher
die demokratische Verfassung Athens jedem Bürger -als sol-
chem das Recht gab, in Staatsangelegenheiten mitzusprechen,,
die ai>solute Staatsgewalt in die Gesammtheit der Bürger
verlegte, und alle besonderen politischen Funktionen aus
dieser durch Wahl odefLoos hervorgehen liess, so musste
ihm eine soldie Einrichtung schlechthin verkehrt erschei-
nen, und dass sie diess sei, sagt er auch aufs Bestimm-
teste, wenn er es nach der von Xenophon nicht widerspro-*
ebenen, und mit seinen und seines bedeutendsten Schülers
sonstigen Aeusserungen zusammenstimmenden Angabe des
Melitus für eine Thorheit erklärt hat, die Staatsbeamten
durch's Loos zu wählen, während doch Niemand einem so
gewählten Steuermann oder Handwerker sich anvertrauen
würde ^). Was er nach diesem von der Demokratie über-
1) Mem. 111, 9, 10. S. o. S. 59, 5.
2) Mem. I, 2, 9 vgl. III, 9, 10. (s. o.) und Plato Polit 297, E ff-
Rep. VI, 488 f., wo auch die schon bei Sokrates, wie es scheint,
stehenden Vergleichungen des Staatsmanns mit dem Steuermann
und dem Arzt .wiederholt werden. Ebendahin gehört, was Diqg.
L. VI, 8 von Antisthenes erzählt, er habe den Athenern gcra-
then, ihre Esel zu Pferden zu ernennen, was ja eben so leicht
gehen werde, als die Erwählung Unwissender zir Feldherr A
Die PhiloMphift dir GrkobtP. II. TbeU, 7
98 ^ds Schicksal des Sokratea.
hanpt hielt, bekennt er selbst seinen Richtern gegen-
über schroff genugi in der Bemerkung, wem es um's Recht
zvi thun sei, der thue in einer solchen am Besten, an der
Staatsverwaltung keinen Antheil zu nehmen, da er doch
d^ Leidenschaft des Volks, zum Opfer fallen müsste, ehe
er etwas ausrichten könnte^); und wenn er bei einem an-
dern Anlass einen Freund ermahnt, sich mit der Staatsver-
waltung zu befassen, so thut er doch auch dieses nur auf
Grund einer Ansicht von der Demokratie, die unmittelbar
eine Majestätsbeleidigung gegen das souveräne Volk ent-
hält: er sucht dem Charmides seine Sehen vor öffentlichem
Auftreten zu benehmen, indem er ihm zeigt, dass der De*
mos, vor dem er sich fürqhte, nur ein Haufe von Schu-
stern, Bauern und Krämern sei, der diese Rücksicht int
Geringsten nicht verdiene ^}. Kein Wunder, wenn wir den
Charmides nachher als einen der zehen von den dreissig
Tyrannen aufgestellten Befehlshaber des Piräus an der Seite
seines Verwandten Kritias im KaiHpfe gegen die Befreier
seines Vaterlands fallen sehen ^), nachdem der oligarchische
Hang seiner Familie in ihm durch solche Grundsätze be-
fruchtet war, und ebensowenig, wenn wir den Alcibiades
von diesen Grundsätzen die naheliegende Anwendung ma-
chen hören, dass die von einem solchen Haufen Unwis-
sender ausgehenden Gesetze keine wahren Gesetze seiend).
Was aber vom Staate gilt, das muss von der sittlichen
Objektivität überhaupt gelten; mit der Beschuldigung, dass
Sokratea Geringschätzung der bestehenden Staatsverfassung
1) Plat. Apol. 31, E vgl. Rep. VI, 496, C, wo die Stellung des
Philosophen zur demokratischen Masse der Lage eines Menschen
verglichen wird, der unter die wilden Thiere gerathen ist; Theät
173, Cff. Gorg. 521, D ff.
2) Mem. III, 7.
S) Xen. Hell. II, 4, 19.
4) Mem. I, 2, 4St
Das Schiclisal des Sokrates. 99
»
lehrie, steht daher die weitere ^) in Verbindong, er habe
zar Verachtung der Eltern und Verwandten aufgereizt, in«
dem er gelehrt habe, wenn die Kinder weiser seien, als die
Eltern, dürfen sie diese als Wahnsinnige binden, und wenn
Jemand der Hülfe bedürfe, nützen Ihm nicht seine Verwand-
ten, sondern die, welche ihm diese Hülfe zu gewähren ver-
stehen. Diese Beschuldigungen sind allerdings so unmittel-
bar, wie sie der Ankläger meinte, unstreitig falsch, nichts-
destoweniger liegt auch ihnen etwas Wahres zu Grunde»
Wenn Sokrates in richtiger Consequenz seiner Liehre vom
absoluten Werth des Wissens ausführte^ dass Freunde und
Verwandte keinen Werth haben, wofern sie nicht auch
das rechte Wissen besitzen, wenn er solche mit entseelten
Leichnamen oder unbrauchbaren Abfallen des menschlichen
Leibs verglich, wenn er den allgemeinen Grundsatz Sn to
S.qiQOv ärifiov icxiv auf sie anwandte ^), so mochte er diess
noch so sehr nur in Verbindung mit der Aufforderung sa«
gen, sich durch wahre Einsicht seinen Verwandten werth
zumachen; aber wer konnte verhindern, dass Andere auch
die Folgerung daraus zogen. Verwandte', denen es an Ein«
steht und Brauchbarkeit fehle, dürfen als werthlos verach-
tet und vernachlässigt werden , uitd wohin konnte diess
nicht führen, wenn doch Sokrates zugleich erklärte, dass
er das wahre Wissen bei seinen Mitbürgern allenthalben
vergeblich gesucht habe, dass die Meisten von alle dem,
was sie zu wissen meinen, nichts wissen, und dass (Mem.
III, 9, 6) der Verrücktheit nahe stehe, wer sich selbst nicht
kenne,, und zu wissen glaube, was er nicht wisse ^)% Auch
1) Mem. I, 2, 40. 55.
2) Mem. a. a. O.
3) Insofern ist auch das Zugeständniss der Xenopbontischen Apo-
logie § 20, dass Sokrates allerdings Manche beredet habe« bin«
sichtlich ihrer Hildung ihm mehr zu folgen, als ihren Eltern,
und die dasselbe bestätigende Erzählung vom Sohne des An}tu9
§. 30 f. nebst den Bemerkungen Hbgxi.'8 darüber , (Qescb. der
7*
100 Das Schiciiftal des Solirates,
der Vorwurf endlich, dass Sokrates nicht an die Staatsgötler
glaube, 80 ungerecht er in dieser allgemeinen Fassung ist,
hatte doch eine Seite der Berechtigung. Indem dieser we-
nigstens für sich selbst die innere dämonische Stimme an
die Stelle der öffentlichen Orakel setzte, hatte er ebenda-
mit ausgesprochen, dass er für seine Person dieser nicht
mehr bedürfe ; welcher gefährliche Vorgang war diess aber
nicht in einem Lande, wo diese Orakel nicht blos ein re-
ligiöses, sondern zugleich ein politisches Institut waren,
und wie leicht konnten Andere, sosehr es dem Sinn des
Philosophen zuwider sein mochte, diesem Beispiel in der
Art nachahmen, dass sie aus derselben subjektiven Selbst-
gewissheit heraus, aber ohne diese phantastische Form
derselben, die eigene Einsicht den Aussprüchen der Götter
und dem allgemeinen Götterglauben gegenüber geltend mach-
ten! welche Folgerungen mussten sich überhaupt ergeben,
wenn die Sokratische Forderung des Wissens consequenter,
als er es gethan hatte, entwickelt, und auch die religiö-
sen Vorstellungen darauf angesehen wurden, ob die Leute
wissen, was sie sich dabei denken!
Es wird sich unter diesen .Umständen nicht bestrei-
ten lassen, dass Sokrates, so fest er auch unstreitig für
sich selbst nicht allein von der absoluten Berechtigung,
sondern auch von der Gesetzlichkeit seines Thuns überzeugt
war, doch der Vertreter einer Denkweise gewesen ist, die
dem Princip der altgriechischen Sittlichkeit wesentlich ent-
gegengesetzt, war, und sich nicht ohne den Untergang der-
selben durchführen liess, und dass der atheniscl^e Staat nach
griechischen Begriffen von dem Rechte des Staats über die
Gesinnung und Meinungsäusserung seiner Bürger dieses ihm
feindselige Princip in der Person des Sokrates zu bestrafen
befugt war ; die Strafe aber konnte bei einem Manne, der jede
Phil. II, 92 f.) immerbin zu beachten, wie unsicher es auch sonst
mit der Zuverlässigkeit jener Angaben stehen mag.
Das Schicksal des Sokrates. 10t
Milderung darch eine annehmbare Selbsfscbätsnng Terwor*
fen hatte ^), und einem richterlichen Verbot seines Tbuns
zum Voraus den Gehorsam verweigerte, nur die Verbau«-
nung oder der Tod sein. Nun dürfen wir allerdings die
reine Einsicht in die Bedeutung des Sokralisehen Piinoips
und sein Verhältniss zum griechischen Volicsleben weder
bei seinen Anklägern noch bei seinen Richtern suchen, dies«
Einsicht war hier vielmehr in eine Menge zum Theil höchst
alberner und ungerechter Vorurtheile verhüllt, und ohne
Zweifel auch bei Vielen durch persdniiche oder politische
Leidenschaft getriibt. Dass aber darum doch nicht diese
Leidenschaft, sondern die Ueberzengung von dem schädli«
eben Einfluss des Sokrates das letzte Motiv seiner Verur-
ibeilujng war, wird die bisherige Erörterung gezeigt haben,
und dass di^e Ueberzengung trotz alles Verkehrten, was
sich daran ansetzte, doch auf einem richtigen Takt bet-
rübte, dass mithin das Urtheil iibor den Philosophen, vom
Standpunkt desgriechischen Rechts aus, gerecht war, soHte
man gleichfalls nicht mehr längnen ^).
Eihe andere, von den Vertretern der eben ausgefuhr«
ten Ansicht in der Regel viel zu wenig beachtete Frage 3)
ist nun aber freilich, ob fiuch das Athen der damaligen
1) Fiat Apol. 36, D ff . vgl. Forchhammer a. a. O. S. 64 f.
2) Ich möchte desswegen auch nicht mit Hersiann Gesch. u. Syst.
des Plat. I, 241 sagen, dass »seine Verurtheilung nur auf einer
Verwechselung seiner Lehre mit der sophistischen beruhtet habe.
Es bedurAe in der That keiner solchen Verwechslung, um «die
Lehre des Sokrates der griechischen Sittlichkeit gefährlich zu finden.
3) Das (lichtigste hat auch hier Hboel a. a. O. S. 100 ff., wenn
gleich auch er im V^orhergehenden die Athener allzu ausschliess-
lich als Repräsentanten der altgriechischen Sittlichkeit bebandelt;
höchst einseitig verfahrt dagegen Forchhamuer in der mehrer-
wäbnten Abhandlung, wenn er hier die Athener schlechtweg als
die Gesetzlichen, den Sokrates schlechtweg als ReTolutiooär be*
zeichnet, und diesem die extremsten Consequenzen seines Prin-
cips, mag Sokrates selbst auch noch so sehr dagegen protesti-
ren, als bewusste Absiebt unterschiebt
\
102 I^as Schiclital des Sokrates.
Zeit znr Vernrtheilung des Spkrates noch ein Recht hatte,
und diese Frage müssen wir vom geschichtlichen Stande
pnnkt aus unbedenklich verneinen. Hätte zur Zeit des Mil-
tiades und Aristides ein Sokrates auftreten können, und er
wäre verurtheilt worden, so möchte man diess rein als eine
Gegenwehr der substantiellen griechischen Sittlichkeit gegen
das hereinbrechende Princip der Subjektivität auffassen, in
der Periode nach dem peloponnesischen Kriege dagegen
ist diese Auffassung nicht mehr unbedingt zulässig. Das
Athen, welches seit einem halben Jahrhundert von sophisti-
scher Bildung durchfressen wal*, welches seit dem Tode des
Perikles an der Stelle der grossen, sich ohne Nebenrnck*
sichten an das Gemeinwesen hingebenden Staatsmänner nur
noch Demagogen und Oligarchen an seine Spitze stellte, die
in allem Uebrigen entgegengesetzt nur in der Unterordnung
des öffentlichen unter ihr Privatinteresse, in dem gesinnungs-*
losen Spiel der Intrigue und der Ehrsucht einverstanden
waren, welches statt des alterthümlichen Ernstes eines Aeschy«
lus und der tiefen Frömmigkeit eines Sophokles die Euripi*
delsche Reflexion und Aristophanische Leichtfertigkeit be-
klatschen gelernt hatte, dieses VoJk, welches die sittliche
Substanz längst an die individuelle Willkiihr verrathen hatte,
dieser durch und durch auf die subjektive Freiheit und
Bildung gebaute Staat halte kein Recht mehr, den Philo,
sophen, der dieses Princip seiner Zeit aussprach, darum zu
verdammen. Sokrates nmgekehrt, so wenig er auch auf
dem Standpunkt der früheren Unmittelbarkeit steht, war
doch aufs Ernstlichste bestrebt, die von der sophistischen
Reflexion wankend gemachten Grundsätze der Sittlichkeit
zu retten, und insofern eher Dank, als Strafe, anzuspre-,
eben berechtigt. Nun wurde freilich gerade nach dem pelo-
ponnesischen Kriege eine Rückkehr zur alten Sitte in Leben
und Verfassung versucht, und da Sokrates durch sein Prin-
cip der subjektiven Selbstbestimmung den Boden der sub-
/
Das Scbieksal des Sobrttes. ' IM
stantiellen Sittlichkeit rerlasden hatte, so fiel er als ein
Opfer dieser Reaktion des Alten gegen das Nene. Abet
diese Rückkehr war jetzt nicht mehr möglich und gesehlofat«
lieh nicht mehr berechtigt./ Die Verurtheilung des Sokrate«
ist ein politischer Ahachronismus, und sie hat sich als sol-
chen dadurch bewährr, dass weder sie noch eine der an*
dern damit in Verbindung stehenden Maassregeln dem athe-
nischen Staate seine alte Kraft wieder zu geben und dem
immer unaufhaltsamer hereinbrechenden Verderben zu steuern
vermocht hat. Müssen wir daher auch die Verschuldung
des Sökrates gegen den Geist seines Volks anerkennen,
dass er Ton seiner weltgeschichtlichen Sendung getrieben
den ursprünglichen Boden des griechischen Bewusstseins ver-
lassen, und dieses über die Schranken hinausgehoben hat,
innerhalb deren allein diese bestimmte Gestaltung natio-
nalen Lebens möglich war, so ist doch diese Schuld nicht
xliß vereinzelte dieses Individuums, sondern die gemeinsame
seiner Zeit und seines Volkes, und indem das athenische
Volk diese, gemeinsame Schuld ah ihm als Einzelnem be-
straft hat, so hat es nicht nur in Ihm sich selbst verur-
theilt, sondern es hat zugleich das weitere Unrecht began-
gen, nur das bestimmte Individuum für das büssen zu lassen,
wofür Alle der Geschichte verantwortlich waren. Schuld
. und Unschuld vertheilt sich also nicht gleichmässig an beide
Partheien, sondern während Sökrates das absolute Recht
des geschichtlich höheren Princips für sich hat, so habeil
seihe Gegner nicht mehr das volle Recht ihres Princips,
weil sie selbst nicht rein in demselben stehen, und eben
das ist die eigenthümliche tragische Verwicklung in dem
Schicksal des Philosophen, dass es nicht die einfache Colli-
sion rein entgegengesetzter sittlicher Mächte ist, die sich
uns darin darstellt, dass vielmehr jede dieser Mächte die
andere in ihr selbst hat, dass die Athener in Sökrates ihr
eigenes Princip verurtheilen, und Sökrates nicht blos für
Ift Die uiiToHliommanaA Sokratiker.
•eiQon Abfall vom Prinoip der stibstantielleB Sitilichkeit,
sondern ebenso für seine Bemöbungen sar Wiederherstel*
long der von der Sopbistik ersdiütterten sUtlicben Grund«
lagen bütsen rauss.
»
§. 17.
B. Die unvollkommenen Sokratiker.
J^s war naturlich, dass Sokrates durch das Bedeutende
seiner Persönlichkeit und das Grosse und Nene seines philo«
sophischen Princips die tiefste und umfassendste Wirkung
hervorbrachte. Wird aber diese Wirkung eines grossen Gei-
stes auch sonst je nach der Beschaffenheit derer, die sie
aufnehmen, bei Verschiedenen verschieden sein, so kani
hier noch die unentwickelte Gestalt der Sokratischen Philo*
Sophie und der theilweise Widerspruch ihrer einzelnen Sei*
ten hinzu, um für ihre Auffassung der Individualit&t den
weitesten Spielraum zu eroffnen. Im Besondern hat man
mit Recht drei Klassen Sokratischer Schüler unterschieden^):
während ein Theil derselben sich begnügte, aus dem Um-
gang mit Sokrates Tüchtigkeit der Gesinnung und prak-
tische Lebensweisheit zu schöpfen, oder denselben auch
wohl gar, wie die Schule eines Sophisten, für egoistische
Zwecke benützte, so suchten Andere sein philosophisches
Primsip in einseitiger Auffassung festzuhalten, nur Einem
aber ist es gelungen, dieses in seiner Totalität zu begreifen
und weiter zu bilden. Diesem nun wird unser .nächster Ab-
schnitt gewidmet sein; die unphilosophischen Sokratiker,
wie Xenophon und Aeschihes, gehen uns hier nichts an;
von denen dagegen, welche das Sokratiscbe Princip zwar
1) Hegil Gesch. d. Pbil. II, 106 ff. Bbasdis Gr.-röm. Phil. II,
a, 67* Vgl. auch Tsnnexavn Gesch. d. Phil. II, 84 f?. Ritteb
Gesch. d. PhUos. II, 84 ff. Schleibbxacheb Gesch. d. Pbilos.
S. 85 u. A,
Dia unYoUIiominatteo Sokritilee. |M
{rfrilosophitcb, aber einseitig io sieh aofgeDommen und ver«
arbeitet haben, ist noch za sprechen. •
Sokrates hatte das Wissen des Guten als das höchste
Ziel der Philosophie und des Lebens bezeichnet, was aber
das Gute sei, hatte er nicht zu sagen gewusst, sondern
sich mit der nnmittelbar praktischen Darstellung desselben
begnügt, oder sofern er eine theoretische Bestimmung ver-
suchte, sich auf eine eudämohistische Relativitätstheorie be*
schränkt. Indem diese verschiedenen Seiten des Sokratischen
Philosophirens auseinandergiengen, und jede für sich zum
Princip erhoben wurde, traten zunächst diejenigen, welche
sich an den allgemeinen Gehalt des Sokratischen Princips,
die abstrakte Idee 'des Guten hielten, ieüen gegenüber, die
von der eudämonistischen Begründung dieser Idee ausgehend
das Gute selbst zu einem blos Relativen machten; weiter
aber innerhalb der ersten Klasse die, welchen die theore-
tische, denen, welchen die praktische Auffassung und Dar-
stellung des Guten die Hauptsache war; die Eine Sokra*
tische Schule gieng in die entgegengesetzten Schulen der
Megariker und Cyniker auf der einen, der Cyrenaiker auf
der andern Seite auseinander. Wie aber in dieser Isoli-
#
xung seiner Momente der «eigenthümliche Gehalt des Sokra-
tischen Princips theilweise verloren gieng, so sahen sich
auch alle diese Schulen durch ihre Einseitigkeit auf ältere,
von der geschichtlichen Entwicklung im Ganzen bereits
überwundene Standpunkte zurückgeführt, die Megariker nnd
Cyniker zu der eleatischen Alleinslehre und der Sophistik
des Gorgias, die Cyrenaiker zur Protagorischen Skepsis und
ihrer Heraklitischen Begründung.
In der megarischen Philosophie^) — um mit die-
1) Man Tgl. über dieselbe, ausser deii betretenden Abschnitten in
den QaehrerwShnten Werken von Ritter, Brisois, K. Fa. Her*
M4IIV und Hegel: Dbtchs de Megaricorum doctrina (Bonn 1837)y
eine durch sorgfältige Materiaüensamrolung ausgezeichnete Ar-
106 Die unvollko^mmenen Sokratikeif.
ser anai^fifangen — können wir mit Ritter ^) drei Elemente
unterscheiden, ein Sokratisches , ein eleatisoheff und ein
sophistisches. Zunächst an die Sokratische Lehre schliesst
sich der Satz des E^klides an, dass die Tugend nur Eine
sei, die mit vielen Namen genannt werde ^), und das Gute
überhaupt nur Eines, nämlich die Einsicht ^). Ebenso So-
kratisch, als eleatisch, ist ferner die Forderung, dass man
sich nicht auf die sinnlichen Wahrnehmungen und Vorstei-
longen, sondern nur auf die Vek'nunft verlassen solle ^),
wenn sie auch in dieser bestimmten Form nicht unmittel-
bar dem Sokrates angehört ^). Wenn endlich die Behanp-
tnng, dass nur die körperlosen Begriffe das wahrhaft Wirk-
liche seien, also ein Anfang der Ideenlehre, mit höchster
beit^ Ritter über die Philosophie der Megar. Schule im Bhein.
Mus. ir, b (1828) S. 295 ff. HERMA.iiif über Bitteres Darstellung
d. sokrat. Systeme S. 32 ff*
1) Rhein. Mus. II, b, 299.
2) DioG. L. VII, 16). Dasselbe sagt von Menedemus, dem Stifter
der crelriscben Schule, Plot. de virt. mor. c. 2.
3) Diog. II, 106: lEvHl$iSt^f] ev ro dya&ov dititpaivsro voXXoXt ovo^
fiaai iMtXoofitvov' ort U6v ydg (pgovtja i.Vy ort ^e d'toi'y xal dl-
XoTs tovv X. r. X, Cic. Acad. Qu. II, 42: [Meg^arici] id bonum
soium esse diceiant, quod esset ünum et sitnile et idem semper *.• A
JUenedßmo autem • . Eretriaci a^liati; quorum omne bonum im
mente positum et mentis acte, qua verum cerner etur, Uli [näm-
lich die eigentlichen Megariker] similia, sed, opinor, explicata ahe-
rius et ornatius, Nach diesen Zeugnissen haben wir wohl auch
die Platonischen Aeusserungen im Pbilcbus (Anf. u. ö,) und der
Rep. (VI, 505i R: dXXd /a^v utai tode ye ota&a, ort, toU (Atv
noXXots fjÖovTj Souei iivai. ro dyad'op , toU Se ytouipotfQon rfgO"
VfjqiS . . y.al or» ye ot tovto ijyovfisvoi ovh l'yorai Sbi^ai ^ r»ff
(pQcvTjatQ dXX' dvnyHa^ovrai TtXevrojtfTtS rrjv tov dyrtd'ov qdvat) ,
nicht blos atif Antisthenes, sondern zugleich auch auf die Mega«
riker zu bezieben. Vgl. auch Detcrs S. 26 ff.
4) Aristohles b. Eus. praep. ev. XIV, 17, 1, wo die Megariker mit
den Eleaten unter die gerechnet werden, welche behauptet haben,
Bsiv Tai fjiiv aio&tJQits xal (pavraclas naraßdXXtiVy avrt} ii (ao-
vov rcJ Xoyo» itiortvHv,
5)- S. o. S. 40, Aura.
Die unvoUkommeneik Sokratiker. 107
WahrscheinUehkeit auf die M egariker surückgerühit wird ^)^
so werden wir äu«h hieria nar eine Anwendung der So-
1) Nachdem Plato im Sopbbten die eleatische Lehre rom Seia
durchgegangen hat, fahrt er fort, S. 245, E : tovs fiiv toiwv S$a^
nQtßokoyovfiivovi ovroe te nigi. mal ^tj navv fitv ov SteX^lv&a"
ftevy oftwe Si ixavwe tilru) * rovs di aXkwi XiyovraQ av ^ioriot
Q. 8. w. Unter diesen werden nun sofort zwei Klassen unter-
schieden: solche, die nur das Börperlicbe für seiend gelten las*
sen ^voIIen, und solche, die im Streit gegen diese fiala ivlaßmQ
avQj^sv *f doQaTOv no&tv auvvovrai , potjto. ärra xal aofofiara
tidrj ßtaCofifvoi Tijv akrj&ivijv ovainv eivnt * ra Si insiwjv awfAaxa
nal Ttjv ksYOftlvtjv in olvtvHv dl^&Hav naTo, Ofitxgd iia^^pavov^
res IV roi€ Xoyots yivsaiv dvr ovaiac tpegofiivtjv tivd TTQofayO"
gevovatv. Eben diese werden dann nachher (248, A) als alStZv
tpilo$ wieder erwähnt, und als ihre Lehre wird angegeben vot^
fiar& fiev 7^(10,9 yeviaei Si aia&ijotiW6 xoivwvfTy , 9$d Xoyiofiav Si
yji^Xfi "^QOS tijv övTtue ovaiaVi yv dsl «"T« Tavrd ot'rwff i'xi^v»
Dass nun unter diesen Letzteren Euklid mit seiner Schule ge-
meint sei, hat zuerst Schlkibrkachsb (Plalon's Werke II, 2, 140 ff.)
wahrscheinlich gemacht, und auch mir, wie Andern (Ast Pia-
tons L. u. Sehr. S. 201. Dxtcks S. 37 ff. Brakdis Gr.-röm.
Philos. II, a, 114 ff* Hermanb Plat. I, 339 f. Stailbaum Plat.
Parm. 60 f X empfiehlt sich diese Annahme trotz Ritters (Rhein.
Mus. II, b, 305 ff«) und Pbtxrsxks (Zeitscbr. für Alterthumsw.
1836, 892) Widerspruch. Denn wenn doch allgemein zugestan-
den wird, dass diese von den Eleäten ausdrücklich unterschiede-
nen Freunde einer Ideenlehre viel zu specicll charakterisirt sind,
um nicht auf eine bestimmte historische Erscheinung jener Zeit
bezogen zu werden« wo sollen wir diese suchen, wenn nicht in
den Megarikern? denn dass eine philosophische Schule, die es
zu dieser entwickelten Theorie gebracht hatte, uns ganz unbe-
kannt -geblieben sein sollte (Ritter), ist nicht wahrscheinlich.
Und wirklich wird in den Worten: ra Se ixs'voju autfiara —
wffOQayoQbvovaiv das Verfahren der megarischen Dialektik treffend
genug bezeichnet, und ebenso passt auf dieNe Schule aufs Reste,
dass die siBiav (fikot nach S. 249, C. 248, A ebenso, wie die Eleä-
ten, alle Rewegung läugneten, und von der ovTtui ovota behaup-
teten, dass sie dtl nard ravrd (a^avtcus i'xsi. Hält man uns aber
entgegen, dass die Megariker von Plato schwerlich als akkojc A/~
yovTte^ d. h. wie Detchs übersetzt, qui temere nullogue certo cott"
siäo ea de re digputant, bezeichnet worden wären, so müssen wir
diess zugeben, nur glauben wir, auch die ton Plato geschilder-
ten tiBiiiy tfikoi haben nicht so genannt werden können, jenes
108
Die unvollkommenen SokrttikeT.
krarifiiohen Lehre Tom Werth des begrifllicben WUsens
auf die eleatische Anschauung des absoluten Seins fin*
den können. Diese Sokratischen Sätze haben aber hier
einen Unterbau ans der .eleatischen Spekulation erhatten«
Wollte Sokrates mit seiner Lehre vom Guten nur die Ein-
heit des sittlichen Zwecks ausdrücken, so bekommt dieselbe
hier zugleich metaphysische Bedeutung: das Gute ist das
Eine sich selbst gleiche Sein ohne Werden und Verände-
rung, das diesem Entgegengesetzte, das Nichtgute, ist auch
das NichtSeiende ^), und ein Mittleres zwischen beiden, ein
blos Mögliches, giebt es nicht ^); legte jener allen Werth
aL Xiy. slei daher einfach su übersetKen: die, welche anders re-
den. Wird femer bemerkt, S. 246, G (fV ftiaut ie irtgi ravra
äirXttoQ ajbiforiQwv f*otxv ^*^ — «cJ St'viarrjxsy) werde die hier
bekämpfte Denkart als älter und weitverbreitet bezeichnet, so ist
dem EU entgehen, wenn wir entweder dti mit »jedesmal« (seil,
so oft beide Partheien streiten) übersetzen, oder hier dieselbe
Verallgemeinerung wie S. 242, D annehmen. Dass endlich die
Vielheit der Ideen der megarischen Lehre von der Einheit des
Seins widerspricht, und Stilpo gegen die Platonische Ideenlehre
polemisirtc, ist richtig ; eine andere Frage ist dagegen, ob Stilpo
diess als Megariker oder als Cyniker gethan hat, und ob Jener
Widerspruch auch schon den ersten Stiftern der Megarischen
Philosophie klar wurden von einer Vielheit von Begriffen spra-
chen die Megariker wenigstens auch sonst > vgl. DstcBS S. 83.
Nach dem Vorstehenden ist auch meine beiläufige Aeusserung
1. Th. S. 275 zu berichtigen.
1) S. o. S. 106, A. 3. Abistorlis b. Eus. Praep. ev. XIV, 17, 2:
(pi ntQl ^cilnojpa Mal tovS Meyagixovs) ij^iovp xo ov «V sifat
IC«» TO fifj ov sTiQov slvaii ufi^t ysPvaaOai ti fii^Se (f^elQsa&ait
fifjSe Hipsla&ai tonaga'Jtav, Diog. II, 106: Ta B' di^ixsif^eva rta
dyadn} dvfj^s* [EviJ.6idtjs] fit) eivai tpdoitojv,
2) Abist. Metaph. IX, 3. Anf. JEial Si xtvtQ oi tpaaiv, alov oi Me^
yaQ&Holf ürav ivsffyf^ fiovov ^vvoadtnh orav ^6 fir/ ivBQyy ov Sv^
vaa&at u. s. w. Dasselbe drückte später der Zeitgenosse des
Ptolemäus Soler, Diodorus Kronus so aus: fitiSiv sivai Swarov,
o ovT iorlv dhjdts ovt iara«* d. h. möglich sei nur, was ent-
weder schon wirklich geworden ist, oder noch wirklich werden
wird, (Arbuit Epikt Diss. II, 19 S. 282. Cic. de fato c. 79)
und damit stand auch seine Lehre von den hypothetisehen Ur-
r
Die unvoUlioinmenen Sokratiker. IM
aof s Wi«sen, so wird dieses hier darch die eleatisch«) Un-
terscheidung der ai<jd't](7ig nnd des Xoyog genauer im Gegen*
salz gegen die Vorstellung bestimmt ^); fand Sokrales in
den Begriffen zwar das aliein wahre Wissen, aber noch nicht
Jint alleinige Sein, so behaupten die Megariker, dem Obi-
gen zuiolge, auch das Letztere. Indem aber so das Gute
mit dem reinen Sein der Eleaten identificirt wird, so tritt
es in dasselbe ausschliessende Verhältniss zum Mannigfal-
tigen der Erscheinung, wie dieses, wesshalb die Megariker
die Möglichkeit der Bewegung mit ähnlichen Gründen be-
stritten , wie Zeno ^). Hatte jedoch schon dieser mit der
einseitigen Negativilät seiner Dialektik der Sophistik vor-
gearbeitet, so geriethen die Megariker mit ihren Trug-
schlüssen ^) und ihrer Verzichtleistung auf alle positive wis-
senschaftliche Entwicklung, ja zuletzt auf alle objektiv
tbeilen in Verbindung, von denen er (Seitüs adv. Matbemat. VIII,'
113 f*} nur diejenigen als wahr anerliennen wollte, in denen
nicht blos die Consequens, sondern auch der Vordersatz richtig
sei. Vgl. über diese beiden Puukte die sorgfaltige Auseinander-
sefi&ung von Deycrs S. 69 ff*
1) S. p. S. 106, A. 4 und dazu Arist. Metaph. I, 5. 986, b. 31:
(^HaQfABvlBfjS) to 6v fiiy Hatd rov koyovj nXslfu Si xard ti^v al'a^
^tjaiv vnoka/tißdvojp ejvai» PiBM. Fr. V. 28 if. vvo gleichfalls
die dki^&sia den 96^ait der ?,6yo9 der sinnlichen Wahrnehmung
entgegengesetzt wird.
2) Zwar werden erst von einem der letzten Megariker, von Diodor,
ausdrücklich Beweise gegen die Möglichkeit der Bewegung ange*
fuhrt (SextdsEx^. adv. Math.X, 85 f. 112 f. vgl. Detcbs S. 64 ff.),
da aber die Läugnung der Bew^ung der ganzen Schule gemein*
sam war, mUss'en ähnliche Beweisführungen auch früher ^chon
vorgekommen sein. Nur hypothetisch, behufs dieser Argumen-
tation, scheint Diodor, ähnlich wie Zeno, eine Zusammensetzung
des Bäumlichen aus Atomen angenommen zu haben. S. Dbtcks
s. 80 fr.
S) Durch solche Trugschlüsse hat sich namentlich Eubulides, ein
Gegner und Zeitgenosse des Aristoteles und mittelbarer oder un*
mittelbarer Schüler des Euklid bekannt gemacht. Manche seiner
' Sophismen sind übrigens wohl schon älter. Vgl über dieselben
DiTCüs S. 5i ff.
110 Die unvollkommenen Sokratiken
gältigeti Urtheile ^) noch entschiedener auf sophistische Be-
sultale, und verdienten deil Namen der Eristiker, den sie
später erhielten, in vollem Maasse«
So weit sich aber diese Schule mit diesen sophistischen
Resultaten von dem Sokratischen Geist entfernen mochte,
•0 wenig dürfen wir doch das Sokratische ihrer urspriing-
1) Schon von Euklid wird berichtet <Dioo. II, 107 und dasuDETCKS
S. 34 f.)} er habe sich für die Widerlegung fremder Behauptun-
gen nur der indirekten Beweisführung bedient^ die aber eben
immer nur ein negatives Resultat giebt, und er habe die Beweis^
führung (oder Definition) mittelst der Vergleichung verworfen.
Die späteren Megariker, namentlich Stiipo, giengen so weit, nach
dem Vorgang des Antisthenes die Verknüpfung mehrerer Begriffe
zu Urtbeilen zu bestreiten (Plut. gegen Kolotes c. 22 ff. S. i 119,0.
SiMPL. Phys. f. 26)* Dasselbe thalen auch die eretrischen Philo-
sophen nach SiMPL. In Phys. f 20 med. (bei Brandis Schol. in
Arist. S. 330, a, 3). Um so weniger empfiehlt sich die Ansicht
von Dbtoks S. 85, der mit Plutarch annimmt: Stilponem non tarn,
ex animi sentenlia, quam ad sophistas coercendos , ita pronuntiasse*
Dazu wäre ein so sophistischer Satz das schlechteste Mittel ge-
wesen; derselbe war ja aber auch schon .von Antisthenes (s. u.)
in vollem Ernste vorgetragen worden. Wenn von demselben
Stiipo Diooebbs L. 11,119 berichtet: JnvoC $i ayav utv iv rtüs
{(jiartHOtS avi,Q%i moI ra ttSrj ^ so könnte man swar diese, nicht
eben megarische, Bestreitung der allgemeinen Begriffe gleichfalls
aus dem Einfluss der cynischen Lehre ableiten; aus dem Zusam-
menhang jedoch, in dem jener Satz bei Dioo. steht, wird mir mit
Hegel Gesch. d. Phil. II, 123 und St4Llba.um Plat.iParm. S 65
wahrscheinlicher, dass er lediglich auf einem Missver^tändniss
des Laertiers beruht. Dieser fahrt nämlich nach den angeführten
Worten fort: ual e'hyit rov Ityovra ap&^wnov tlvat [?], urfi.'va
[sc. kiy9iv] , OVIS yag zoida Xtynv ovxs topSb ' ti yag fiallov
TovSs rj Tovds; ovre a(ja tovSa. na) naXiv' to Xaxnvov ovh Ion
to Suxvvfitvov, kaxavov fiiy yd(t jyv ttqo fivQiwv irdip* ovx aga
iotl Xdxotvov. Offenbar ist nun in diesen Beispielen nicht gesagt,
dass der Begriff nicht wirklich' sei — seine Wirklichkeit wird ja
in beiden vorausgesetzt — sondern, dass es falsch sei, die den
Begriff, also das Allgemeine, ausdrückende Bezeichnung auf das
Einzelne zu übertragen, was theils nur eine specielle Anwendung
des Satzes von der Unmöglichkeit der Urtheile, theils eher gegen
die Realität der Einzeldinge, als gegen die der Begriffe ge-
richtet bt«
' Die unvoUkammenen Sohratllier. 111
Uokeii Richtung, und die^ wenn auch einseitige, Consequenz
verkennen, mit der sie dieses Sokrätische Elenien.t ent*
wickelt hat. Worin dieses liegt, habe ich bereits angedeutet:
es ist das Puncip des Wissens, Ton dem die Megariker
ausgiengen. Indem dieselben die Forderung des Wissens
abstrakt festhalten, als Inhalt des wahren Wissens aber
eben nur den allgemeinen Begriff des Wissenswerthen oder
des Guten anzugeben wissen^ ohne dieses abstrakte Princip
durch die lebendige Persönlichkeit und praktische Thätig*
keit des Sokrates zu ergänzen, so erscheint ihnen alles
Andere, ausser dem Guten, als ein solches, das nicht ge-
wusst werden könne, mithin auch nicht sei; das allgemeine
Wesen, von Sokrates in der Forderung des begrifflichen
Wissens und der Zuriickführung aller Tngend aufs Wissen
des Gu^en nur als Ziel und Norm^ des subjektiven Den-*
kens und Thuns ausgesprochen^ wird von den Megarikern
auch für das alleinige objektive Sein erklärt, und durch
diese Behauptung die Sokratische Lehre auf die eleatische
zurückgeführt, deren sophistischer Consequenz sie sich dann
auch nicht entziehen konnte. Wenn nur das Eine ist, das
Viele aber schlechterdings nicht ist, so ist auch keine Viel-
heit von Begriffen, die unterschiedenen Begriffe sind viel-
mehr nur eben so viele Namen für das Eine, so haben wir
auch kein Recht, von irgend etwas ein von ihm Verschie-
denes auszusagen, es giebt keine objektiv gültigen Urtheile.
Man kann nicht läugnen, dass solche, die diese sophistische
Seite der megarischen Lehre ausschliessend hervorkehrten,
wie Eubulides und Alexinus und theilweise auch Stilpo,
von dem Sokratischen Princip weit abkamen, auch dieses
gänzlich Unsokratische jedoch entstand nur aus einer ein-
seitigen Verfolgung von acht Sokratischem , und auch in
ihrer extremsten Ausbildung fällt die megarische Philosophie
nie weder mit der eleatischeh Metaphysik noch mit der
Sophistik schlechthin zusammen ; was sie von diesen unter*
112 Die ttnTollkominenen Sokrätiker.
scheidet bleibt immer die Sokraiiache Idee des Guten nni
der hieran anknüpfende ethische Charakter der Schule, der
gerade in einem ihrer sp&testen Repräsentanten, in Stilpo,
freilich nicht ohne Cinfluss des Cynismus, wieder mit aller
Kraft hervortrilt.
Mit der megarischen Schule ist nun die cynische
nahe verwandt, wie sich diess schon äusserlich an der Ge.
meinsamkeit ihres Anfangs- und Schlusspunktes zeigt; denn
beide giengen .ursprünglich aus einer Verbindung eleatisch*
sophistischer und Sokratischer Philosophie hervor, und beide
giengen, nachdem sie längere Zeit getrennt nebeneinander
bestanden hatten, in Stiipo wieder zusammen, und durch
den Schüler des letztern, Zeno von Cittium, gememschaft«
lieh in die Sioa über ^). Das gemeinsame Princip beider
ist die Sokratische Idee des Wissens, welches als Wissen
des Guten zugleich das sittlich Gute, oder die Tugend,
selbst ist. Wie die Megariker lehrte auch Antisthenes, die
Tugend sei für Alle dieselbe ^) , nämlich die Einsicht ^),
1) Es ist aus diesem Grunde der Einsiebt in den gcscliichtlicben
Zusammenhang nicht zuträglich, wenn Hegel, Marbach, BaAmss
und Bravdis nach Tebbemarns Vorgang in ihren Darstellungen
die Cyrenaiker zwischen die Cyniker und Megariker einschieben.
Im Uebrigen ist es ziemlich gleichgültig, ob man von Aristipp
zu Antisthenes und von da zu den Megarikem fortgeht, oder
umgekehrt, da diese drei Schulen nicht eine aufeinanderfolgende
Stufenreihe, sondern neben einander bestehende Artunterschiede
darstellen ; doch scheint mir die hier befolgte Ordnung die natür-
lichste, sofern die mcgarische Philosophie mehr die allgemeine
Grundlage des Sokratischen Philosophirens festgehalten hat, die
cynische ihre konkrete Anwendung, und die cyrenaische nur eine
unwillkührliche, jenem allgemeinen Princip widersprechende Con-
sequenz. i
2} DiOG. L. VI, 12 vgl. Bbabdis Gr.-rom. Phil. II, a, 77.
S} Dioo. VI ^ 13* T&Txos daqutXiaTarov (p^vffoip ..* Ttixv xara-*
üKsvaariov hv TOif avTtup avakojrois koyiQfiOiS. $* 11: uivtaQttti'
tlvai TOP aoffov. §.12: T(o aotpv» ^ivov ovSiv ovS* ano. Plü*.
de Stoic. Bep. 14, 4: ^uv nraQÜa^ votv tj ßQo%ov, Denselben
Die unToUhomroenen Sokratiker. ilS
daher auch lehrbar ^), wie jene wossie aber aueh er nicht
genauer zu bestimmen, worin die Tugend oder das Gute
bestehe, sondern begnügte sich theils mit der allgenieiaen
und blos formellen Forderung der Tugend, theila mit der
pegativen Bestimmung, dass die Tugend das Vermeiden
des Schlechten sei ^) , oder sofern er sich auf Besonderes
einlasst, so geschieht diess nur unsystematisch in aphori«-
stischen Apophthegmen, dergleichen uns der Laärtier von
ihm und seinen Schülern so viele aufbewahrt hat« Von die*
ser Lehre über das Gute wurde ferner auch Antisthenes
auf dialektische Sätze gefuhrt, die ^ sich ihm ebenso, wie
den Megarikern, an die eleatische Philosophie anschlössen;
,Wie bei j«nen gieng endlich auch bei ihm das Eleatische
vielfach in die Sophistik über, mit der Antisthenes auch
äusserlich durch seinen früheren Lehrer, den Gorgias, zu-
sammenhängt. Was aber die cynische Philosophie bei die*
ser ihrer Verwandtschaft mit der megarischen von diesef
unterscheidet, ist das verschiedene Verhältniss, in weichet
das theoretische und' das ethische Element in beiden Syste«
men gesetzt werden: während bei den Ein^a das theore-
tische Interesse das Erste ist, uQd das praktische nur eig
Abgeleitetes, so ist bei den Andern das praktische Inter*
esse das Erste, und das theoretische ein Abgeleitetes, wäh«
rend jenen das sittliche Handeln nur als nothwendige Folge
des wahren Wissens Werth hat, hat diesen das Wissen
einen Werth nur als Mittel zum sittlichen Handeln, Diese
Ausspruch erzählt Diog. L. VI, 24 von dem Gyniker Dtogenet
in den Worten': «<V t6v ßiov naqaantva^sa^ai Selv Xoyov y /S^^o-
xov. Vgl. oben S. 106i3.,
I) Diog. vi, 10: JiSattri^v dntdiinwt r^v dgsr^v,
2} Das Erstere liegt in der obenangefiihrten Stelle aus Plato's Rep»
Vly 503, B und dem Mangel aller genaueren Bestimmung in den
▼on den Gyhikem berichteten Sälxen, das Andere in Aeiisserun-
gen, wie die bei Diog. L. VI, 7* 8: recbtscbafTen * werde man,
wenn man Ton den Wissenden das Böse fliehen lerne.
Die Philosophie der GriecbeR. II. TheiU 8
114 Die unToUkomTnenen Sokratiket»
verschieden« Stellung des Theoretischen und Praktischen
^eigt sich zunächst schon Susserltch an dem verschiedenen
Umfahg, der dem Einen und dem Andern in jedöm der
beiden Systeme eingeräumt wird : von den Megarikem haben
sich Viele, so weit wenigstens unsere Kenntniss von ihnen
reicht, ausschliesslich, auch die Uebrigen aber ganz über,
wiegend mit dialektischen Fragen beschäftigt, und nur Stiipo
scheint vermöge seines gleichmässigen Zusammenhangs mit
Antisthenes und Euklid dehi Ethischen grössere Aufmerk*
samkeit geschenkt zu haben, im Cynismus dage^gen tritt
schon beim Stifter desselben das Dialektische entschieden
hinter das Ethische zurück, und bei seinen Nachfolgern
verschwindet es so völlig, dass diese Denkweise schbn bei
Diogenes von Sinope und Krates aus einem philosophischen
System ganz in eine Form des praktischen Lebens über«
geht. Dasselbe Uebergewicht der Praxis über die Theorie
hat aber auch schon Antisthenes als Grundsatz ausgespro*
chen, wenn er sagt ^) : die Tugend sei Sache der Werke
und bedürfe nicht vieler Reden und Kenntnisse; sie sei
hinreichend zur Glückseligkeit und bedürfe nur Sokratischer
Stärke. Stimmen daher auch die'Cyniker in der Zurück«
führung der Tugend auf die Einsicht und ebenso ohne Zwei«
fei in der eleatischen Unterscheidung der richtigen Ein*
sieht, oder des Wissens, von der Vorstellung^) mit den
Megarikern überein, so gehen sie doch sogleich in der wei-
teren Entwicklung von ihnen wieder ab: statt dep Inhalt
der richtigen Einsicht, die Idee des Guten, wenigstens im
Gegensatz gegen das Viele der Erscheinung näher zu be*
stimmen, halten sie den formellen Grundsatz' der Sokra-
tischen Philosophie, dass das wahre Wissen das Erkennen
des Begriffs sei, in einer Abstraktion fest, durch welche
1) DfOG. L. VI, 11.
t) Antisthenes schrieb naeh Dtoo. Tl, 17, vier Büeber irsgii 66S^t
mal iniorrjfjtij^»
bie unvollkommenen Sölit^ittilt^h 115
tiitht Uos jeder Fortachritt Vofn ^fäch^ Begriff tix einer
Vi^rbindUrtg vob Begriffen, sondert^ ^m Entle ^tieh di^ Mdg^
lichk«it der B^griflfsbilduitg ikelbat ituf^ehobtBri tvird ; schon
Antisthenes lätignct^, dass Ein^s Von %}n^iii Andern nns-
gesagt werden dürfe ^), und seine Schüler (wenn nicbt er
selbst) zogen daraus die richtige Folgerung, dass keine Defi*
tiition möglich sei ^) «^ ein Standpunkt, von dem aus die
1) Ahist. Mclapb. V, 29. 1024, b, 53: ho *AvuaQhrj9 «iftro tJjff^aic
fiTjdkv diioiv Xi'yto&ai nk^v rcj» otititf koyijt sv i^* ivoS' iS wy
avvißaivs^ ft^i shai atTtkiyaPt a)^eS6v ^ fttfSi ^tvSeo^at» Top.
I, 11* 104, b, 20: övtt iar^p dt^iUye&Vf nm&i7rc^ 'Ifij *Av*^iO&i^
'vtj9, Plato Soph. 251, B: o96v ye^ otfAdi^ rots ts riüti »al rwif
ysgüvTotßP ToU o^ifia&iot (Antbth.} (^oivtjv na^69%tfi€0ifuv tv&tS
yd^ dvTikaßia&ai navt) iT^oXii{jov oh dSvvatoif td rt voXXd eV
nal to bv nokkd tipdh xa2 dtf nov %ai(fOvo$v ovn idivra dya^op
liyt&r aP&QWTTOv, dlkd to ftiv dya^ov dydO^ov, top Si ap&QWTov
^vdgoiitop u. s. w. Vergl. Tbeät. 201, E ff. PIrileb. 14, C IT.
Abist. El. «Sopb. c. 17. 175, b, 15 E Pliys« 1, 2^ 185, b, 25 fL
SiMPL. Pbys. f. 20. Wenn HerHiit!» (Sokr. Syst S. 30} in die*
sen Sätzen des Antisthenes do>i « (grossen Fortsrbrkt <( finden
wollte^ dass Antisthenes »alle analytischen Urtbeile a ptiori als
solche ftir wahr anerkannt habe«, so hat ibnt Rittbb (Gesch. d.
Phil. 2.A. II« 133) mit Becbt entgegnet, dass es sich hier weder
um analytische Urtlieile a priori noch überhaupt urti analytische,
sondern nur um identische Urtheile handle. H. hat nun (Plat*
I, 267) diess auch anerkannt, bleibt aber dabei, dass durch die
Lehre des Antisth. »die Philosophie zum erstenmale wieder an
den identischen Urtheilen einen selbständigen Inhalt gewonnen,
babe.<( Worin jedoch dieser Inhalt beständen haben sollte, lässt
sich nicht abschen, da weder mit der Anerkennung der iden*
tischen ÜHheile irgend etwas gesagt, noch deren Läugnung der
Philosophie jemals eingefallen ist. I^döh wenigei* kann in der
Bestreitung aller andern, als der tdentischrn Ürthelle ein philo*
sophischer Fortschritt, und nicht Tielmehr eine alles Wissen zer*
störende Consequen/i einei) einseitigen Stamlpnnkt» gefunden werden*
t) Abist. Metaph. VIII, 3. 1043, b, 23: mots xi dno^ta, ijp o$ *j4p*
tia^lvHOi naX ot övttai ttitaiBtvrot iJTtogovi; l'xsi fiPd xai^op, ort
Ott ioTi ro ti iattP ipioao&ai {rov ydg vqov k6yoU thni fift"
^Qop ^ d.h. sei eineBattologie; vgl. über den Auftdruck llfetaph.
XIV, 3. 1091, d, 7), dkkd ftoXov ftip ti tanp ipSix^tm na\ St-
. Sdiaty äoniq a(fyv^op xi fitp iartPf ov^ ort 8*üIop »nrr/ri^^« äat*
8*
r
r
11«
Die unvollhommenen Sokratiker«
Polemik gegen die Platonische Ideenlehre, zngleich aber
iuidi das Zurücksinken dieser Schule in einen rohen Empi-
jrismus höchst natürlich war l). I]ier werden daher die un-
wissenschaftlichen Folgerungen, welche bei den Megarikem
i«*i
oiaiaQ ^0Tß fjiip ^9 ivBi^rak ttvai oqov nal Xoyov^ oiov tiJ9 ow^
oCn tattv, Dass indessen dies^ Ansiebt auch schon von Antisth.
selbst vorgetragen wurde, erhellt mit grosser Wahrscheinlichkeit
aus dem Plat Theät 201 9 £ ff.: iy<u yd^ av i$6itovp dxovsir
Tivtnv vTi ret ftiy n^iuta (uaitMQtl OTOix^ia, tS *uv ^jfiisli re ary~
Kiifts&a Kai tikUif kcyov ovu i'xo*» ttvto ydg nad'* avro enaarov
ovofidaat fiivop sl'rj^ n^suntiv Si ov^iv iiXXo Swarov^ ovd^ ojs
l'oTtP 0V& wQ ovH i'oTiv .., dttv Si sineg ^v Svvatov avro Xiyta^
^ &at 9 ital ßtxfv otKt7ov avtov Xoyov , av%v rdStf pikXwv dndvratv
Xiy»o&a$, vvv 8i dSvvarov §iyai ottovv xtuv ngtutüiv ^tfO^vat Ao-
y<^* ev yaQ eepa$ uvviTt dXX* rj ovoudCea&at ftovov ovofia yd^
fiovov l'xiiv. Hier erinnert nicht blos der olntioi Xoyot an die
oben (S. 115, 1) aus Aristoteles angeführte Behauptung dies Anjtis-
thencs, dass Jedes nur mit seinem oUuoi Xoyos bezeichnet werden
dürfe, sondern auch die Unterscheidung der ngüira, die nicht
definirt werden können (keinen X6yo€j sondern nur ein ovofia
haben), an den Satr,, den Arist Metaph. VIII, 3 den Antisthenem
beilegt, nicht die it^ötra^ sondern nur das Zusammengesetzte,
habe einen o^oq hoI Xoyos. Diese Behauptung scheint also, da
sie schon Plato in einem nicht allzuspäten Gespräch berücksich-
tigen konnte» gleichfalls dem Antisth. selbst anzugehören.
1) TzETz. Chil. VU, 605 :
yfiXdf ivroias yaQ <ftjat ravras (die Ideen) 6 *j4irr&Q&ivtj9
Xiyüiv ßXiiroi fitv ard'^wnov nal 'Innov Se 6fiol(u6
innovtjxa ov ßXina) Sit ovS* dvd'Qoyjtitritd y».
Dioo. L. VI, 53 (über Diogenes — dasselbe erzählt aber der
Scholiast zu den Aristotelischen Katcgorieen, beiBBAKDis^.66,b,45
Tgl. S* 689 b, 26 von Antisthenes «— ): nXdrwvos nt^l iStöiv Sia-
Xhyofiivovi »al ovo/id^ovroC Tffam^ortjTa ual »va-öoTf^a, iywt et-
neVf 6v UXaTütVf rgdm^av nal »vad^ov ognjj TQamSort^a ii nni
nvai^ottjxa ovSafnäis, worauf Plato mit den Worten: Natürlich,
denn es fehlen dir die Augen, um dieses zu sehen, gewiss eben-
sosehr m seinem Recht war, als dem gut cynischen Angriff des
Antisthenes in seinem 2a&otv (Diog. III, 35. VI, 16.. Atheet.
V, 20. S. 220. Xlt 15) S. 507) gegenüber mit den Bemerkungen
Soph. 251, C
Die uiiTollkommeneii Sokratiken llY
erst spät uild unter fremdem Einiliiss hervortreten ^)^ von
Anfang an ungescheut ausgesprochen, 2um Beweise des
geringen Interesses, welches diese Schule dem theoretischen
Erkennen in Vergleich mit der praktischen Durchführung der
phiTospphischen Gesinnung beile^^te. Auch die cynisohe Ethik
jedoch ist dürftig, es fehlt ihr nicht allein, wie schon be-
merkt wurde, die systematische Entwicklung fast gänzlich,
sondern auch ihr Princip ist einer solchen Entwiciciung
unfähig; einer allgemeineren theoretischen Grundlage er-
mangelnd muss sich diese Ethik auf die abstrakte Forde-
rung der Tugend oder der Einsicht beschränken , eine For-
derung, die ohne positiven Gehalt nur in der Entgegen-
setzung gegen das gewöhnliche, dem sinnlichen ßedurfniss
dienstbare Leben der Menschen ihre Erfüllung findet * Das
Princip der cynischen Ethik ist daher die praktische Be-
freiung von allem Bedürfniss, die Selbstgenügsamkeit des
Subjekts , welche durch die Zurückziehung aus allen be-
sondern Lebenslagen und Verhältnissen auf die Allgemeinheit
des Bewusstseins , durch das Aufgeben aller bestimmten
Zwecke erworben wird. Wer zu dieser Bedürfnisslosigkeit
gelangt ist, ist der Weise, der als solcher auch allein gluck-
lich ist, und auch in jedem besondern Falle allein das
Rechte zu treffen weiss ; was uns an derselben hindert, ist
ein Uebel, was uns darin fördert, ein Gut, alles Uebrige
eiii Gleichgültiges ; d. h. die Lust als solche ist ein Uebel,
weil sie das Subjekt in besondern Interessen und Bedurf-
nissen festhält, die Mühe umgekehrt ein Gut, weil sie diese
Besonderheit vernichtet ^), Alles endlich, was nicht unmit-
1) Der Erste, dem sie bestimmt beigelegt werden, ist Stilpo; Ton
diesem schieinen sie dureh seinen SchUler Mencdemus in die ere-
triscbe Schule übergegangen zu sein (s^ o. S. 110, 1). Mit Stilpo
beginnt at^er die Vermischung der megarischcn und cynisohea
Philosophie.
2) Die Belege fUr diese und die übrigen hier erwähnten Punltte s. bei
Bbasdxs a. a^ 0. S. n ff. Wenn Ritteb Gesch. d. PhiL II, 121
f elitär den einen Q^er andere dieser Erfolge hqt, ist eii|
^diaphoron, und ancb die eidlichen Yerhähnis^e des Staats^
^pd Fan^ilieplf^bep;^ ^iod ein anlohen^ da auch ^ie jeden^.
der SYP^ ihnen ^n\ ihrer ^e\\t9^x willen, und nicde, \vi^ det
Weiae, au9 phiUi^pbiseher EiaMoht hinigi^bt, von der Gllekh-
gQliigl^eit gegen da9 Bfs^pndere al^iiehep. Jh aber ni^r die-
ses die wfihr^ Tugend, so bedarf es geringer philosophi-
scher Bildung» mn i^ie ^a gewinnen, >vie diesj» auch schon
Antisthene^ ^elbst^trot« seiner aophisiiscbenVielschreiherei^
find noch niehr ohne Zweifel seine Schüler anerkannt ha*
ben ^); wochteo daher auch Einzelne vpn den Mitgliedern
dieser Schule^ wie Aptisihrnas und Kratea ^), höhere Geir
stesbijdung besitzen, so wajr doch ihre natilrliche Conne«
gnenz eben nur die l^|t(erphilo9ophie eines Piogen?s, welche
die rohe Stücke etne^^ h^ ^nr GefiUillosigkeit abgehSrl?teii
Willens und d?fl bels«ftnden Mutterwitz des Plebejers ebenso
der Philosophie (man erinnere sich nur der Anekdoten, di^
sich um da» Yerbältols^9 des Diogenes und Plato drehen),
wie der Yi^rweichlipbung c^ne« iiberfeiqerten ^eiialtera ent^
gegens?izte, und welche die Cyniker z» den Kapuzinern
der griecM^icheu W^U pa^jht^. Nicht weiter führte es auoh,
wenn dio^e^Phule dj? Befr^i^ng- von den Vorurtheilen der
Yolksreltgion n^it zur UnahhHngigkei.t des Weisen rech^*
bemerkl, n^a» liömte in der tatgegeo^esetelen Lehre des Antiir
th^n^ und Afistlpp ii(ber die Lu.^ den. tieferen Gedanbea imdent
4^ss jener die Bewegung der Seele s^Ibs^, dieser das Ende der-
selben für das Oute gehalten habe, so giebt er doch diese Ver-
itiuthung mjt Rscht selbst wieder au^ und wird mit Unrecbl von.
Hsi|iiA?.N (Syokr. Sor$t, $. ;^) dafür getadelt» denn theila la'st<
sich mit nichts nachweisen, dass Antisth. jenen Gedanken mit
^ewusstsein ausgesprochen h^^ theils hat Aristipp die Lust ^us-
•& ^rücklich nicht als Buhe, sondern als Beweguns| definirt^ Dioo.
U, 85 A Pi<ATO Phileb. 43^ A. SS^ C.
i) S. o^ S., It4. und Brakdis <>•. a* O* ß* ^^\ 1* ^'
9) Vgl. seine Verse bei Diog. L. VI, 86:
Die unTollhommenen Soliratiker. |I9
nele ^), denn auch diese wurde hier, wie es scheint^ nicbt
systematisch begründet, und die Anklänge an Xeoophaiiiscb»
ond Sokratische Sätze, die sich bisi Antistbenes finden ')|
nicht weiter entwicicelt ^). Je weniger es aber Inemii die
wirkliche, durch Philosophie und Bildung gewonnene AIU
gemeinheit des Bewusiseins war, die sich im Cynismqs in
ihrer Selbstgenügsamkeit behauptete, um so unvermeidlicbec
war es, dass diese Autarkie des Weisen mit dea berech?
tigten Ansprüchen der bestehenden sittlichen Mächte ta
einen das sittliche Gefübl verletzenden Konflikt gerieth ^),
und dass sich andererseits die Partikularität der sieb auf
diese Art auf siob selbst zurückziehenden Subjekte theils
1) Die Belege über Antistbenes und Diogenes bei Bbandis S» SS«
über Stilpo, der auch bierin mebr Cynilier als Megarilier ist,
DiOG. If, lt6 f. Anftv. X, 5. A2t, d.
2) An Xenpphaaes erinnert^ wa» CiBMBss Aabx. Strou^ V» S* 60|
Stlb. berichtet: ' ApTia&ivrjS . . ovdfvl iot-Aiyai ^tiol (t9v '&t6v)
SioTTSQ avTov ovSsii ixfiax>6iv *5 tiAOvos dvparai (vollständiger
bei Tbeodobkt Gp. Äff. Cur. I, fiS angef. TOn WiBCKKLMAnir
AaiLstb. Fra^m. S. 35X >n die oben S. SS angefUbrte SokraliBcbt
Aeusserung Cic. IVat. De. I, 13: y/ntisthenes iti eo libro, qui Phf-
sicus insci^ibitur, populäres Deos muhos naturalem unum esse dicens
toUit vim et naturam Deörum.
3) Wenn Rittbb S. 128 (und ähnlich Bbandis S. 83) Temnuthet«
die Lehre Ton Gott habe sieb wohl dem Antislh. an §eiae Ethik
durch dea Gedanken angescblossca, dass alles in der Gestaltung
der Verhältnisse von einem Ternünftigfii Wesen mit Bücksicht
auf die Bedürfiusse des Weisen geordnet sein müsM, so weiss
icb nicht oJ> hier nicht ein entwickelterer Zusanuaenbang ange-
nommen wird, als sich gescbicbtlicb nachweisen lässt. Mir scheint
' in der Theologie des Antisth. und seiner Schüler die aegatire,
an Xenopbanes und die Sophistik anschliessende Seite, die Oppo-
sition gegen die Volksreligion, die Hauptsache.
4) Wie wiv diess nicht blos bei einem Antistbenes und Diogenes,
sondern au<!b bei Stilpo nachwei&eq können, wenn die beiden
Erslercn.CDiOG» VI, 11. 29* 71« 93) ▼erlangen,, dass der Weise
sieb ym die bestehenden Gesetze nichts bekümmeve imd eines
Vaterlands entbehren kön^e, und Stilpo (P^uf. de Tr^qu* an.
e. 6, S. 448. a. Dioo. II, 114.) durch das «Asittliche Leben sei-
ner Tecbtev sieb weiter nicht afEciirt ßndet«
120 Bie UBTollkammenen Soltratilier.
in dem ItochiiHith und der Eiletkeit einer eigensinnigen, alle
Sitte verh5hnenden Sucht nach Originalität ^), theils anch
in der Ungebundenheit kundgab, mit welcher die Cyniker den
Genuas als ein Gleichgültiges am Ende dQch wieder, nur in der
hftsslichen Weise einer rohen, vom Geist wie von der Leiden*
Schaft verlassenen Sinnlichkeit freigaben ^). Hatte daher die
cynische Philosophie mit der acht Sokratischen Ueberzeugung
von dem unbedingten und ausschliesslichen Werth der Ein*,
sieht angefangen, so wurde sie doch durch die einseitige
und unentwickelte Fassung dieses Princips zu Folgerungen
gefuhrt, die zuerst alle Möglichlceit der Wissenschaft, dann,
aber auch die von ihr selbst verlangte Allgemeinheit des
sittlichen Bewustseins aufhoben, und die Willkiihr des In-
dividuums mit dem Anspruch auf absolut^ Anerkennung auf
den Thron setzten, womit dasPrincip des Cynismus in das
entgegengesetzte des Hedonismus umschlug.
Was nun diesen betriflft, so haben wir uns zunächst
über seinen Ausgangspunkt und* seine Tendenz im Allge*
meinen zu verständigen. Die ältere cyrenaische Lehre, wie
sie durch den altern und jungem Aristlpp, ihren Grundzugen
nach aber ohne Zweifel schon durch den Erstem ^) ausge*
1) Man rgl. in dieser BefJebiing, ausser den bekannten Anekdoten
über Diogenes, was Dioo. L. VI, 92. 97 von Krates und der
Hipparc'hia erf«ä'hlt
2) Die Belege s. bei Xenophon Sjmp. 4, 38. Diog. VI, 3 f. 73.
Dass übrigens auch dieses nur theil weise unsokratisch is>, be-
weist das früher S. 18 Angeführte.
S) Dass schon diesem nicht blos das ethische Princip der Cyrenaiscben
Philosophie, sondern auch (was Ritteb S. 93 und Wibot in
dem Berichte über seine Abhandlung de philosophia Gyrenaica,
Gott. Gel. Ans. 1835, S. 787 f. unwahrscheinlich finden) die
systematische Ausfuhrung und physikalische Begründung dessel-
ben der Hauptsache nach angehört, wird hauptsachlich durch
den Platonischen Philebus wahrscheinlich, der S. 4), C. ff. 53, E
diel -Lustlehre bereits auf die Heraklitisch-Protagorischen Satee
▼om Fluss aller Dinge gegründet sein lä'sst Da nun diese V^er-
bindung des Hedonismus ^it der Physik and Erkenatnisslehre
Die UBToUkamiiienen Sokratiker* ISl
«
bildet worden ist, enthält neben der ethischen Theorie, welche
ihren Hauptinhalt bildet, auch pb^psikalische nad logische
Sätze. Der ethische Grundsatz des Systems ist bekanntlich
die Behauptung, dass die Lust der Zweck des Lebens und das
höchste Gut sei. Diese Lust wurde sodann näher ds^in be*
stimmt, dass darunter die positive Lust, nicht die blosse
Schmerzlostgkeit , und die Lust des einzelnen Augenblicks,
nicht die Glückseligkeit als eii) das ganze Leben umfassender
Zustand, verstanden werden sollte, woraus weiter die Fol-
gerung hervorgieng , dass jede Lust als solche gut und die
Annahme schändlicher Lüste nur durch positive Institution
nicht ans der Natur entstanden sei, dass mithin kein Art — ,
sondern nur ein Gradunterschied 4) unter den Genüssen statt-
später ausdrücklicb bei den Cyrenaikern, sonst aber« so ticI wir
wissen, in keinem der vor platonischen Systeme vorkommt, so
müssen wir die Platonisciien Stellen doch wobl auf die Cvre-
*
naische Philosophie, dann aber auch schon auf ihren Stifter be-
ziehen. Auffallend ist freilieh, dass Aristoteles (mit Ausnahme
Ton swei unten zu besprechenden Stellen} Ton diesem ganz
schweigt, und auch Eth. Nik. X, 2 als Vertreter des Hedonismus
nicht den Aristipp, sondern den Eudoxus nennt, und man könnte
sich durch di^se Bemerkung versucht finden, der Angabe Ev-
sbb's Praep. ev. XIV, 18, 23 oder eigentlich wohl des Peripa-
telikers Aristobies, Glauben zu schenken, dass der ältere Aristipp
das Princip der Lustlehre noch nicht bestimmt ausgesprochen
habe , wenn dem nur nicht alle sonstigea Zeugnisse im Wege
ständen.
1} Einen solchen nämlich scheint Aristipp allerdings angenommen
zu haben, vgl. Wbbdt a. a. O S» 778 ff. 789 f. Dioo. L. II, 90,
welche Stelle der vorhergehenden Behauptung $. 87 : M Siaq>i^
QHv '^Sov^v '^Sov'iji ptj^i 7jS§6v Ti elvai offenbar widerspricht.
Gleichfalls übertrieben ist die Behauptung des Dtoo. II, 87 und
Cicero Ac. qu. II, 45, dass Aristipp die körperliche Lust für
die einzige gehalten habe, denn derselbe soll nach Dioe. ^. 89
(vgl. Pldt. Qu. Gonv. V, 1, i, 7) auch ausdrücklich gelehrt
haben : ov ndaas ras xfßvxiiftdi fjdovde ual dXyr^dovaQ iirl oat/*«^
Tinotle ^dovals %al dkyfjS6a& yivea^at^ nur das mag daher richtig
sein, dass er die körperliche Lust als Sie ursprüngliche und
höchste betrachtete. S. Diog. II, 90. X, 137. Plato PhUeb.
m Die UBTollkommenen Sokratiker^
finile. DaftMlttel mr Erreiobuiig der wahren Last »bor stille
die Einseht sein, sofern diese (beils Ton allen den leerdn Vor*
slelhmgen erlost, welche dem Genuss des Lebens im We^«
stehen, wie Neid, leidenschaftliche Liebe, Aberglauben ^),
theib und besonders durch Entfernung aller Sehnsucht nach
dem. entschwundenen, aller Begierde nach dem künftigen^
aller Abhängigkeit von dem gegenwärtigen Genuss dieFrei^
heil des Selbstbewusstseins von den äusseren Verhältnissen
hervorbringt, welche in jedem Augenblick die Gegenwart
rein zu geniessen und sieb schlechthin in ihr befriedigt su
finden geatattel ^y» Die physikalische Grundlegung für diese
> I > ^^W^^i^
45, A. WxBOT a, a. 0. S. 781* Bittsb S. 104. Wenn derLetz^
tere ebd. die Angabe, dass die Cyrenaiker auch Gradunterschiede
der Lust gelaugnet haben, gegen Wendt in Schutz nimmt,*' so
muss er doch selbst sogleich wieder durch die Unterscheidung
reinerer UAd weniger rekier Genüsse solche zugeben« Auch
P1.AT0 PhiielK 45, A redet übrigens im ^ino de& Hedoniswus von
i} DiOQ. II, 91 : To*f cofpQV jtir^re *jp&avi^aup ftyrs tgtuß&t^to&at ij
8) Dioe. |I, 91: !Z>/tf ^foy^ff«»' dya&Qv fih tjvd* kiyQV9n' ^ ov ^
^' iavTijfV Si ai^STfjy dkkqi Sid tu iji avr^i nmytvifiBva* Was
dieas aber sei, das sagen ausser der oben angeföhrtcn Stelle die
sablreichen Aeusserungen , in deaen Arlstipp för die höchste
Lebeoftweifibeit die Kunst erklärt, die Gegenwart rein und frei
SU geniessen,; vgl. Aelun V.H. XIV, ^i ndw Q(f.6S^a i^^wfii-
vuit tojxsi Xiytiv 6 *u4^iaTt7tnoSr Tra^syyvwvj firjxa tqIs na^fld'ov-
ßkv iituiUA[4,t(ttv y. fAtiTS Ttiiv iHkavTMV n^xeifiv^iv* iv^v^iai yaQ
S&HyfM fo TQiiOvTOy md 'P^v» S^avoias aTto^i^iS* n^Qüizarrs Sa
i(p '^fii^^t^ t^v yvo/fikTjp k'xft^v Mai. av TidUv i^i T^fti^ «V insivü»
Tt^ /4i^i iuf,&* u 6Haox0S ^ TT^aTTH Ti V iwosl * fjLOvov yoiQ
etpagntTV t^fttte^op 9tV9tk t na^av^ fi7}T9 de tö tpf^dpov
/At'jzs to. nQ09i8im(ifit3fov' v6 (itv ydi^ dwpXojlivairi jo-Sa aSrjlov
iipw fi^TTs^ hra&m (Da3Selbe, nur unvollständiger, bei AraEif«
XU, SS. S. 5440 Pi'üT. de cup. div. c» 3. C^tawTr^roff tloj&ei *
kiyeip oTit} ZOP nism rotv^iwf^oiv i'xovra xal Ttkeidimtv o^tyous^
von ai xQ^^^ hotlv qv$* d(fyvQ$op ro &s(fa7iivov, . dlk i^ßokiji
dslTo^i x(ti uLa&tß^f^^h, Vgl. Dens. n. posse suav. vW\ sec.Epic.
4,^ 5. Di^e. II, 7J; T« a^9T« vntU&tT^ tij &vy€ffQl *^(fixrj
etbUchen Säue bUdal eine der Prot Agenacben iehf milif
verwandle Theorie def ^ewegting und Elmjpfindung, die
Lehre von dein FIties aller Dinge und der daher riihreii^
den nelaUvität alles Wissen»« Von der Lätigming eine«
ruhenden Seins ausgehend ^) erklärten die Cyrenaiker-fSt
das Einzige, was wir wissen k^^nnen, d(e Bewegungen nn-
sers Innern Sinns, oder die E)nipfin4ung der Lust und dei*
Unlust, bestritte« dagegen das K^oht, von der Enipfindnng
auf ein ruhendes Objekt und eine bestiinmle Beschaffenheit
desselben zu schliessen ^) , ^ine Lehre , die sich von der
avvaoHÖÄif alv^v vntQom tw^v rov nkiiovac §ivon. Stob.
Senn. XVII, 18. K^^ar«? ^dovtjs ov% 6 d7rsx6fts»09 oi?X 6
XQUt iisvoQ fikv ^ri 7ra^eK(p£Q_6/4'Bvos it, .Hobaz £p. I, 1,
18: Nimc in Aristippi furtim jwaecepta relabor. Et mihi res, non
me rebus subjungere eonor» Dera. £p. I, 17^ 33: Omnis
Arislippum dacuit color et Status et res Tentantsm mnjora , fere
praesentibus aequunu Dioo. ff, 66 t» ^v dÜ Ua.vv9 dfffio-
aaa&ai Mal ro?r^ xoa xQovfi^ Moi TigoQojTr^f. nnl .^«<rav ns^araaiv
d^fioviats vnottQlvag^ai . , . . 4ko ttot» ^Ffdvtuvat of Si HkaTOivay
n{fQi avTOif iinalv% ^ol fAOvof BiBozai %9,l j^ktufiüß ^pe^str xal
idti09 (Tgl. Hob. Ep. I, 17, 27 if. Pli^t. de Alex. Virt I, 8)
Aristipp bei Xen. Mem. 11, 1, 8 ff* "Myoty ov^' i^lo^s y$ xdtto»
t/jtßvTov eii 7TIV rüiv aQ%eiv ßovXof*4v<uv tq^iv ... ov^i ais tijy
Sov?.9iav al ifiavrov rdwut^ dlk^ tlvul vii f/^ot Soxsl fA^ffff toviCjv
6S(j,9% ijv ^si(f(»f4ai ßa^i^Hv, ovzs dt d^jt^9 ovrs d*d dovkbtaSy
dkXd S^ iXtv&egia^, V^^Q fidhara tt^osi alßaifAovimf dyst.
Nur die weitere Ausiühruog dieser GrundsäUe lind dif vielen
Anekdoten aus Aristipps Leben bei Diogenes« Athbnä.0S «. a, O.,
pLUTABCH de tranqu. an. c. 8. de ed, puer. c. 7. Stob. Floril.
XVII, 18, XWX, n* LVH,13. WXVI, 14. XCIV% 32. , Die
sonstigen Belege «u der obigen EMirstellung 9, b* AiTTf a und
1) AhC diese wird wenigsten^ im Platonlseben Fbilebus die Lust-
lebre «urücltgefubrt $. 4^ 1^; ftrj ^yov/ntvßv %ou' OMfiwros itp
iitdrs^a (arl^^v nal (p&ioiv'X ,.. Sijloif,* üa^ ovzs i^vii yiyvoiz
^V (V T(j^ TOtOVTtft TTOri oifT6 TIS kvTttl .. dkld yd(f, OtfU^ly TvSs
ktytify WS dii Ti TOvT(uv dvaynaiQV ^if^tf ^vf^ßauvuv o\s 01 ootpoC
faaiv^ dil yd(f ditavxa, dtoj t^ tt^i ndro) ^ti, S. 53* C: d{fa mgl
r^dortjs ovx dy^r^naafikiVy oJs, dil yiveois iqtiv, ovgia ^6 «M^k iari
xoTtagditckV i^Bovij^»
S) Flut. adr. Col. c. 24)3: (qv KvQrjvaCUoiy xd nd&rj xal ras <fav^
IS4 I^>o unvollkommenen Sokratilier.
ProtRgorischen nur dadurch unterscheidet, dass Protagoi'as
die aia&ij<jig oder dh» sinnliche Wahrnehmang inr einzigen
Quelle und Norm des Wissens machte, die Cyrenaiker
dagegen das na^og oder das Gefühl einer irgendwie be-
schäflfenen Lust oder Unlust ^). Im Uebrigen scheinen sie
sich nicht weiter auf die Physik einj[elassen zu haben, wie
diess ausser sp&teren GewUhrsmffnnern >auch schon Aristo-
teles bezeugt ^). Auch jene allgemeinen Sätze aber soll-
rciaicC cV avtcüi xt^hrtQ ova tljovTO tijv ano toitotv nlaxtv tlvai
9iaQ4^ nQ06 Tcis vntQ rviv ngayfiarmv xaraßißaKuaeie . . . . ro
tfaivitat Tid'ifitvot, ro ^ iorl fAtj ngocanotfaivofisvoi ttsqX tviv
inxQi, . . . yXvMaiPto&at yd^ liyovoi *al niMgaiweod'at Mal tfotxl^
^8o&a$ Mal OMOTOia&ai ro^y na&tfjv rovt(av tMaarov trjv ivi^yeiay
ointiav iv ctr«}* nal aTti^ianaorov l'xovroQ* «/ Si yXvnv ro fiili
Mal TTtM^og ^akfioQ u. I. w. vno nokXöiV dpTifia^Tv^e7o&at.
Weitere Belege bei Brabois S. 94 f.
1) Gic. Acad. Qu. II, 46: Aliud Judicium Protagorae est , qui putet
id cuique verum esse, quod cuique videatur: aliud Cyrenaicorum,
q%d praeter permotiones ituimas ni/til putant esse judicü (c. 7: de
tactu, et eö quidem, quem philosophi interiorem vocant , aut doloris
aut voluptatis , in quo Cyrenaici solo putant veri esse Judicium').
Abistobles b. Evs. praep. ev. XIV , 19, 1* 'JS^^s It av tUv oi
XtyovTti fiova rd na&rj MaxaXijnxd, Tovto d* etvrov ^tnoi tojv
tM tijs KvQTjvrii, . . . Kpitofievoi yag l7.iyov Mal re/ivotnevoi yvut^
()/^»iV, ör» TtdaxoUv r*' not t(fov 9k to MaXov ttrj nvQ ij ro r/^-
vov oldtj^Q ovM ^x^iv HTisiv, Hieeu fügt nun Euseb. selbst %. 5
bei: "£7T6Tai tovtots oiv, aweitrdaa* Mal rot)c r^v ivavrtap
fadtiorrat Mal ndvra XQijvat moTSveiv raiS tov oiofiaroi aio~
^tjatatv o^ioafAtvovSy dtv itvai MtitQohwQOv tov Xtov Mal Ügoita^
yegav tov *j4ß8rjQhrr}v. Offenbar ist aber diese Lehre der c^re-
naiscben nicht entgegengesetzt, sondern mit ihr identisc;b, denn
auch Protagoras sagte nicht , dass alle Empfindungen objcfktiv,
sondern nur,^ dass sie subjektiv, oder für den Empfindenden
wahr seien 5 rgU unsern 1 Th. S. 257 f* und die eigene Angabe
des Abistoblbs a. a. O. c 20, 1*
2) DiOG. II, 92: *jiq,latavto Si Mal rvüv <pvotM(»v dtd tyv ifitpaivO"
fiivtjv aMataXijifUaVy tdSv 6i loyiHWV Bid XfjV sv%QTjotlav yntovto,
M^XdaygoQ Si . . * Mal Kleito/iaxoS . . . tpaalv avrovs ax^t^ota
^ytlad'ai to ta (pvaiMOv fiigos Mal to diaktMtiMov. jlvaad'a* yaQ
6v Xiystv Mal BeuikdaifAOvlai ixtot tlvai Mal tov negl ^avdtov
tpoßov fMfevyttp tov ne^l dya^wv Mal MaM(uv Xoyov iMfitfia^riMotui*
Die unvollkommenen Sokratiken 125
ten nur dazu dienen, das ethische Princip.za begründen;
wenn die Empfindung für den einzigen Gegenstand unsers
Wissens angesehen wurde, mnsste sie consequenter Weise
auch zum einzigen Zweck des Handelns gemacht werden.
Im Besöndern unterschieden die Cyrenaiker zwei Arten der
Bewegung, die sanfte und die rauhe; die sanfte Bewegung
sollte die Lust und als solche der höchste Zweck sein, die
rauhe oder stürmische die Unlust, das zwischen beiden in
der Mitte Liegende dagegen, die Ruhe der Seele, weder
Lust noch Unlust ^). In dem oben Angeführten ist nun ohne
Zweifel auch die Hauptsache der Cyrenaischen Logik ent*
halten^), und wenn sie ausserdem noch in einem beson*
dern Theile ihres Systems von den Beweismitteln («riVref^)
handelten ^), so kann doch der Inhalt dieses Abschnittes
unmöglich bedeutend gewesen sein, wie sich diess theils
aus dem Umstand, dass sich gar nichts von demselben in
der Ueberlieferung erhallten hat, theils auch aus 4®r oben
angeführten Behauptung vieler Aken, dass die Cyrenaiker
die Logik gar nicht bearbeitet haben, abnehmen läset.
Sritvs adv. Math. VII, 11: ionovat Si^xard nvas xal ot and
tiji KvQtjVti^ fAOVov dand^ea&at t6 i^&ihov fUgoi naganifinnv di
t6 (pvaiHov ftal ro Xoymov ws fitjBev itQOQ x6 evSatfiovatS ß$ovv
avvsQyovvra» Plvtarch b. EüS. Praep. ev. I, 8» 9: *uäyiari7tJT09
6 KvQr,vaioi riXos dya^iup tjJv ijdovi^v, xaxdjv Si rijv dXyrjoova^
Tyv de cillijv qjvaioloyiav negiygdqiei, fiovov (utpiliftop tlvai H-
yotv t6 fj^rtti'* "OtW toi iv fisypl^öiat xaxov % dyatf'ov t» t^-
Tixrai» Abist. Metaph. III, 2. 996, a, 33: cUar« did ravxa twp
ootpiordl» tipts oiov 'jä^ioTiTtTtoe 7r^oen?jXdxi^ov avrdf [tccc fia^rj^
fiartxds iniOTi^fjtas]' iv fjLtv yd^ zatS akkais rixvatij xal taiQ
ßavavooiSj oiov vexxovixjj xal attvTtxfjt Si6t& ß^kxtov fj XUQOP
liyso&ai ndvra , rds ie fia&tjßarixds ov'&iva noisTad'a* loyo»
TTtgi dyad'OiV %al »ax(uv.
1) DiOG. II, 85 — 87. 89. Euskb. praep. ev. XIV, 18, 24 (wahr-
. scheinlich nach Aristokles). Sbxtcs adv. Math. Vif, 199.
2) Eine Bemerkung, durch die sich auch der Widerspruch dw An«
gaben bei DiOG. II, 92 O.o. S. 124} e) ausgleicht, wie Bbahdis
S. lOS richtig gesehen hat. *
3) Sextvs adv. Math. V|I, 11.
126 Die uiiTolIl(oihmeiieii Sokratikef.
£s fragt siüh nun, in ivelchetn von diesen Elementen
wir den Mittelpunkt and tias treibende Interesse des Cy re-
naischen Systems eu snchen haben. Aristipp, giaabt Her-
mann ^), habe vori den zwei noch nii^ht systematisch ver*
mtttelten Elementen der Sokraiischen Lehre, dem logischen
ond dem religiösen , das erste cdnseqaent festgehalten :
„hatte Sokrates durch die Trennung der Begriffe von den
Urtheilen g^^eigt, wie jeb« auch durch die Verändernngen
dieser unerschüttert ttpd folglich auch von den zufälligen
und subjektiven Bestimmungen menschlicher Willkuhr an«-
bertihrt blieben/^ so soll Aristipp dasselbe gelehrt haben,
„wenn er bemerkte, dass die Menschen nur ruoksi^htlich
der bestimmten Vorstell angen, die durch die empfangenen
Eindrucke in ihnen erzeugt werden, nicht rücksichtlich der
Gegenstände^ von welchen Jene Eindrücke ausgiengen, über*
einstimmten/^ Mit Hetht ist indessen hiegegen ben:erkt
worden ^), dass die Cyrenaiker mit der Behauptung 3), Jeder
kenne nur seine inviduelle fimpfindurig und die gemein«»
samen Namen bezeichnen J^dem wieder etwas Anderes, die
AllgemeingiiltigkeiLder Begriffe so gut, wie die der Ur*
theile aufgehoben haben, und diese ganz6 Unterscheidung
'^zwischen Urtheilen und Begriffen ihnen fremd sei, wie sie
denn auch döm Sokrates fremd ist. Das dialektische Cle-
ment der Cyrenaischen Lehre, nur in seiner bestimmteren
Verbindung mit dem physikalischen, hebt auch Brandis ^)
hervor. Wiewohl er nämlich s^ugiebt, dass der subjektive
Grund dieser Lehre zunächst in der Lustliebe ihres Urhe-
bers gelegen sei, so will er doch ihren objektiven Aus-
gangspunkt vorherrschend auf dem theoretischen Gebiete
1) Plat. f, 265 tt. tgi. über Gittert Damelluhg i, sökrat. %steme
S. 26 ff.
3) tliTtfiB Gescb. d. Phil. 1 A. II, 100.
3) Sextüs adv. Math* VII, 195. 198. Vgl. obcii.S. IM, 1.
4) Gr.-röm. Phil. II, a, 94.
Die uavolll&omiii«neii Sokratiliei*. 127
suchm; in dem Grundsätze, dass das wahre Wissen Be*-
stimmuDgsgrund des Handelns sein nitisse, mit Sokrates ein«
verstanden, habe Aristi[ip das Wissen mit Protagoras auf
unsere innern Affektionen bescliränkt, und dadurch das Re«
sultat gewonnen, dass nur die Einp6ndung, mithin die Lust,
der Zweck des Handelns sei. Aber theits bleibt bei dieser
Darstellung unerklärt, was den Aristipp veranlassen konnte^
Von der Sokratischen Lehre über die Wahrheit und Nolh«
wendigkeit des begrifflichen Wissens auf die Protagorische
zurückzugehen, theils -^ und diess gilt ebenso auch gegen
HeiiMANN — ^ verbietet auch die gau]» Gestaltung der cjrre*»
naischen Philosophie, das ursprüngliche Motiv derselben
anderawo als in der Ethik zu suchen. Eine Philosophie,
die nicht blos in ihrer systematischen Ausbildung das Dia«
lektische und Physikalische' in hohem Grade vernachlässigt
hat, sondern auch von Hause aus des Sinnes dafür sosehr
ermangelt, dass ihr die praktische Nützlichkeit der einzige
Zweck dte Wissens, die Einsicht nicht an und für sich
von absolutem Werth, sondern nur ein Mittel für den
praktisched Lebensgenuss ist ^) -»^ eine solche Philosophie
kann auch ursprünglich nur aus dem praktischen, nicht
aus dem theoretischen Interesse hervorgegangen sein« Wo
aber dieses praktische In teroise für Aristipp lag, dürfte
unschwer zu sagen selA.
Es sind nämlich offenbar zWei Elemente, welche sich
in seiner Ethik durchdringen. Das ein« ist der Hedonis«
mus als solcher, die Behauptung, dass die Lust der höchste
Zweck sei» Das andere ist die nähere Bestimmung dies^
Uedouismus durch- die. Sokratische Forderung der wissen«
schaftlichen Besonnenheit, der Satz, dass die Einsicht das
einzige Mittel zur wahren Lust vud nur dem Weisen der
1) S. o.S. 122, 2 124, 2. Wie ganz anders es sich in dieser Bcaiebuag
trotz mancher äbniich lautenden Aeusserungen mit Sokrates ver«
hielt, muss unsere frühere Entwicklung gezeigt haben.
128 I^>^ anyollkommenen Sokratiker.
ungetrübte Genass des AogeDblicks möglich sei. Jenes filr
sicli fesigebalten hätte zu einer Lehre geführt, bei der
roher Sinnengennss ats einziges Lebensziel übrig geblieben
wäre,- dieses fu|r sich zu der strengeren Sokratischen Mo«>
ral; indem Aristipp beides verband, so entstand ihm jene
eigenthümliche Lebensansichl, die i^ich in allen seinen Aeus*
serungen ausprägt und zu der auch sein persönlicher Cha*
rakter nur der« praktische Commentar ist, die Ansicht,
welche die höchste Aufgabe und Lebenskunst darin findet,
4Bich mit voller Freiheit des Bewußtseins dem Genüsse der
Gegenwart hinzugeben« Das Princip der Cyrenaischen
Ethik ist also mit Einem Wort die absolute Befriedigung
des gebildeten Subjekts in seinem unmittelbaren Dasein,
die philosophische Freiheit des Geistes als praktische Be«
freiung der Individualität,^ das Wissen, welches nach Sokra*
tes der höchste Zweck sein sollte, einseitig als Reflexion
des individuellen Selbstbewusstseins in sich, als individuelle
und darum auch nur dem individuellen Zwecke des unmit-
telbaren Genusses dienende Bildung aufgefasst» Nur eine
Hülfsvorstellung im Dienste dieses praktischen Princips ist
die dürftige physikalische und dialektische Theorie der Cy«
renaiker, deren ganzer Inhalt darin aufgeht, die uqmittel*
bare Empfindung, welche für das alleinige Ziel des Han*
delns galt, auch als die alleinige Wahrheit des Erkennens
zu behaupten, deren untergeordnete Bedeutung sich aber
auch schon darin ausspricht, dass Aristipp und seine Schüler
ohne eigene Produktivität hier nur Sätze Früherer mit einer
einzigen durch ihr praktisches Interesse gebotenen Modifi*
kation wiederholt haben.
Inwiefern kann nun eine Schule, die diese Lebens«*
ansieht vertrat, als ein ächter Ableger der Sokratischen Philo«
Sophie betrachtet werden? Dass Aristipp so gut wie seine
Mitschüler ein ISokratiker sein wollte, beweist schon sein
fortgesetzter Umgang mit Sokrate^i und WAr auch seine Hin«
Die ttnTollkommeneii Sokratiken 12V
gebnng nn diesen weder so unbedingt, dass er seine eigen«
thumliche Lebensrichtung darüber aufgegeben, noch so stark,
dass sie duch in der letzten Probe aüsgefaalten hätte ^),
so erscheint er doch auch nach dem Tode seines Lehrers
fortwährend als dessen Verehrer: nach Diogenes (II, 76)
wirnschte er zu sterben, wie Sokrates, und nach Aristo-
teles ^) verwies er den Plato auf das Vorbild Sokratisoher
Bescheidenheit. Auch seine Philosophie jedoch ist nicht so
durchaus unsokratisch , wie man wohl geglaubt hat, denn
in ihrem physikalisch - dialektischen Theile zwar ist nur
Protagorisches zu finden, das ethische Princip dagegen, wel-
ches ihren eigentlichen Kern bildet, hat allerdings seinen
Anknüpfungspunkt in der Sokratischen Philosophie. Denn
wenn doch auch Sokrates se'ine Ethik, sofern sie nicht bei
blossen Postnlaten stehen blieb, immer nur eudämonistisch
zu begründen wusste, so ist es nur in consequenter Ver«
folgung dieser Seite, dass Aristipp die Lust überhaupt zum
höchsten Gut macht, und wenn Sokrates andererseits die
Einsicht als das einzige Mittel zur wahren Glückseligkeit
darstellte, so fehlt auch dieser Zug bei Aristipp nicht, nur
dass er die Einsicht, seinem allgemeinen Princip gemäss,
näher als Lebensklugheit und Kunst des Genusses bestimmt.
Allerdings aber, Wfis bei Sokrates nur Moment war, hat
Aristipp zum Princip erhoben, während jener die objek-
tiv gültigen Begriffe als Norm des Wissens und Handelns
anerkannt, und nur die Begründung dieses Princips für die
Reflexion eudämonistisch gehalten hatte, so ist bei diesehi
das Princip selbst eudämonistisch, und das Wissen, unter
ausdrücklicher Verzichtleistung auf seine objektive Gültig-
I^ett, nur ein Mittel im Dienste dieses Eudämonismus. Gebt
1) Xiv. Mem. II, 1. 111, 8. PtATO Phädo 59, G.
2) Rhet. II, 23. 1398, b, 29: ' ji^flatirnoi tt^gq nXaroiva iitnyyth»
DU rhUoiophie dtr Griecheii. 11. Tbtil. 9
1
130 Dl« unvollkommenen Sokratiker.
daher der tiefere Gehalt der Sokrätischen Philosophie hier
auch nicht gänzlich verloren, sofern er wenigstens in der
Forderung selbstbewusster Besonnenheit sich erhält, so «it
er doch dem, was bei Sokrates ein blosses, seinem eigent-
lichen Princip widersprechendes Aussenwerk gewesen war,
vmtergeordnet, und können wir Aristipp auch nicht schlecht-
hin einen Pseudosokratiker nennen ^), so müssen wir ihi|
doch nicht bios überhaupt als einen einseitigen Sokratiker,
sondern noch bestimmter als denjenigen unter den einsei-
tigen Sokratikern bezeichnen, der am Wenigsten in den
Mittelpunkt der Sokrätischen Philosophie eingedrungen, und
Statt dessen bei einem aus der Mangelhaftigkeit ihrer ersten
Erscheinung hervorgegangenen Nebenpunkte stehen geblie*
ben ist.
Ebendamit war aber iit der Cyrenaischen Philosophie
derselbe Widerspruch ihrer Elemente gesetzt, wie in den
übngen einseitigen Sokrätischen Systemen, der Widerspruch
des Princips und der Form, in der es festgehalten wurde,
und dieser Widerspruch kam auch im Verlaufe ihrer, ge-.
schichtiichen Entwicklung in Consequeuzen zum Vorschein,
welche das Princip aufhoben. Nur war der Gang hier der
umgekehrte, ah dort. Die Megariker und Cyniker hatten
das Allgemeine des theoretischen und praktischen Bewusst-
«eins zum Princip, indem sie aber dieses ohne positive Entr
Wicklung in der Form der abstrakten Allgemeinheit fest«»
hielten, so hatten sie es vielmehr zum Partikulären gemacht,
die Allgemeinheit ihres Princips ist daher im Verfolge in
die Besonderheit eiaer blos subjektiven, sophistischen Dia-
lektik und einer die individuelle Willkühr und Laune an
die Stelle der objektiven Sitte setzenden Lebensweise um-
geschlagen. Die Cyrenaiker umgekehrt hatten das rein In-
dividuelle der Lustempfindung zum Princip, indem sie aber
1) Wie ScHLEiEBMACHis thuty Gescb. d. Pbü. S* 87.
/
(
1
DU unvollkommenen Sohratiher. 131
alu Bedingung der wahren Lust pliilosophlsche Bildung, Er*
hebung des Bewusstseins zur Allgemeinheit verlangten, so
konnten sie das vorausgesetzte partikuläre Princip nicht
festhalten, sondern sahen sich zu Bestimmungen genöthigt,
durch die dasselbe auf die eine oder andere Weise aufgeho-
ben wurde, wie diess bei den späteren, sämnitlich um das
Ende des vierten und den Anfang des dritten vorchristlichen
Jahrhunderts lebenden Cyrenaikefn, Theodor, Hegesias und
Anniceris ^) in bemerkenswerthen Modifikationen der Ari*
stippischen Lehre hervortritt. Aristipp hatte für das höchste
Gut die Lust und zwar die Einzelne Lust als solche, für
das einzige Mittel zur Erreichung dieses Guts aber die Ein-
siebt und Bildung erklärt. Aber die Einsicht ist eben das
iii sich allgemeine, denkende Bewusstsein, das sich als
solches in dem Einzelnen der Empfindung nicht befriedigen
kann. Soll daher nur durch die Einsicht wahre Lust zu
gewinnen sein, so kann diese nicht in der sinnlichen Em«
pfinduUg^ sondern nur in der mit der Einsicht als solcher
verbundenen Befriedigung, in der durch die Erhebung des
Bewusstseins zur Allgemeinheit hervorgebrachten Heiterkeit
des Gemüths gesucht werden. ^ Diese Heiterkeit aber ist
nicht, möglich, so lange Lust und Unlust noch ein Interesse
für das Subjekt habäfi, da in dem beständigen Wechsel
dieser Zustände keine Sicherheit des Bewusstseins zu finden
ist; nicht die Lust daher, sondern nur die Zurückziehung
des Interesses aus der sinnlichen Empfindung, die innere
Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit gegen alles Aeussere
kann der letzte Zweck sein. Bei diesem blos Negativen
jedoch kann das Denken nicht stehen bleiben, ebensowenig
aber, nach dieser Erfahrung, die positive Lebenserfüllnng
in die Lust als solche selzeit, und so sieht sich die Cyre«-
1) Die Angaben der Alten über diese Männer findet man am Voll«
fttändigsten bei Beahdis a. a. O. S. 105 ff.
9*
r /
I
I
I
132 DiQ unTollkommenen Sokratifcer.
" naische Philosophie selbst am Ende genöthigt, mit Verzicht*
leistung auf ihr ursprüngliches Princip, die allgemeinen sitt*
liehen 2 wecke als das Höhere gegen den individuellen Zweck
der Lust anzuerkennen. Die erste dieser Polgerungen hat
Theodor gezogen, wenn er zwar alle sittlichen Normen
als solche ebensogut, wie den religiösen Glauben an die
sittlichen Mächte , die Götter, verwarf, dagegen auch Lust
und Unlust (^dovij und nopog) für an sich gleichgültig, und
nur die mit ^der Einsicht verbundene Heiterkeit (xctQo) für
das Lebensziel erklärte; die zweite Hegesias, welchem
das vorausgesetzte Princip der Lust durch die Reflexion
auf die Unmöglichkeit eines wirklich angenehmen Lebens
in die . Verzweiflung an der Erreichung dieses Ziels (sein
Beiname Ueujid^dvarog) umschlägt, aus der er sich nur durch
die Annahme zu retten weiss, dass die wahre Weisheit in
der vollkommenen Gleichgültigkeit gegen alle äusseren Zu-
stände und gegen das Leben selbst bestehe; die dritte
Anniceris mit der Behauptung, dass der Weise der Er«^
füllung seiner Pflicht gegen Vaterland, Freunde u. s. f. die
Lust zum Opfer bringen müsse, und auch mit weniger Lust
in derselben glücklich sein könne. Das Allgemeine desBe*
wusstseins, welches Aristipp der Empfindung dienstbar ge-
macht hatte, macht sich so zuerst als das Höhere gegen
diese, dann als das Negative der Empfindung und endlich
als den schlechthin höchsten positiven Lebenszweck geltend,
von den drei Grundbestinimungen der Cyrenaischeu Ethik,
dass nicht der geistige Gesammtzustand (die ^dop^ nara^
aTiifia'ciHij)^ sondern das Einzelne der Empfindung der höchste
Zweck sei, dass diese Empfindung nicht Sohmerzlosigkeit,
sondern positive Lust sein müsse, und dass die Lust, nicht
das tugendhafte Handeln das höchste Gut sei, löst sich eine
um die andere auf. Weil aber dieser Process hier nicht
.mit wissenschaftlichem Bewusstsein vollzogen wird, sondern
nur unwillkührliche Consequenz ist, sa kommt es auch da*
/
/
, Die unvollkommenen Soltratiker^ JSS
durch zu keinem neuen Princip, nnd dieselben Männer, in'
denen rieh diese Consequenz herausstellt, setzen im Üeb-
rigen immer wieder die Aristippische Lehre Jn widerspruchs-
voller Weise voraus.
Ueberblicken wir nach diesen Erörterungen die Be-
deutung der unmitt^ilbaren Sokratiker für die Fortbildung
• der Philosophie, so kann dies^elbe nicht sehr hoch ange-
schlagen werden: die verschiedenen Seiten und Momente
der Sokratischen Philosophie werden hier isolirt zum Prin-
cip erhoben, von den Einen das Wissen des Guten als des
Einen sich gleichbleibenden Seins, von den Andern die
praktische Verwirklichung des Guten oder die Tugend in
derTorm dier Zurückziehung aus aller Besonderheit der In-
teressen und Thätigkeiten in die abstrakte Allgemeinheit
des bedürfnisslosen Willens und Lebens, von einem Dritten
die individuelle Befriedigung mittelst der durch die Einsicht
erworbenen Freiheit des Geistes, der gebildete Lebensgenuss;
jedes dieser Momente kann sich ferner in dieser Isolirung
mit voller Energie, als das Beherrschende des ganzen Geistes-
lebens geltend machen ; zugleich aber geht in der abstrak-
ten Trennung des innerlich Zusammengehörigen diejspeku-
lative Bedeutung und die Entwicklungsfähigkeit des Sokra-
tischen Princips unter, und statt einer positiven Erweiterung
des philosophischen Standpunkts bringen es alle diese Sy-
steme nur dazu , die Nothwendigkeit einer tieferen und
allseitigeren Fortbildung des Sokratischen Philosophirens
theils durch das Stehenbleiben bei abstrakten Principien
und das Umschlagen in Consequenzen, die diesen Principien
' widersprechen, indirekt zu beweisen, theils durch einseitige
Herausarbeituii^ seiner einzelnen Momente mittelbar vorzu-
bereiten. Der aber, welcher sie wirklich zu Stande ger
bracht, und eine neue Epoche in der Geschichte unserer
Wissenschaft herbeigeführt hat, ist Plato.
134 Allg. Bemarlcuiigen üb. Cbarakter n« BeA^utung
Zweiter Absclinltt.
Plato und die titere Akad^e.
§. 18.
Allgemeine Bemerkungen über Charaliter und Bedeutung
der Flatoniscben Philosophie»
Sokrates hatte es atisgesprochen, dass nur das durch
den Begriff bestimmte Wissen und Handeln Wtiihrheit habe,
aber er hatte das begriffliche Wissen noch nicht wirklich
hervorzubringen, sondern es nur im Allgemeinen zu fordern
und durch dialektische Auflösung des falschen Wissens in-
direkt vorzubereiten gewusst, wo dagegen die positive Ent-
wicklung des Begriffs hätte eintreten sollen, hielt er sich
statt dessen aA eine populäre, empirische Reflexion. Noch
weniger konnten die unvollkommenen Sokratischen Schulen
jenes von ihrem Meister geforderte Wissen hervorbringen«
Nur Plato hat die Sokratische Forderung in ihrer ganzen
Tiefe begriffen^ und sofort an ihre Verwirklichung Hand
angelegt.
Die Erkenntniss des Wesens und Begriffs der Dinge,
hatte Sokrates gesagt, ist die Bedingung alles wahren Wissens
nnd richtigen Handelns. Also, sohliesst Plato weiter, ist
überhaupt nur das begriffliche Denken ein wirkliches Wissen,
alle anderen Weisen dea Erkennens dagegen, die sinnliche
Anschauung und die Vorstellung, gewähren keine wissen-
schaftliche Sicherheit der Ueberzeugung, sondern nur ein
trübes und unzuverlässiges. Abbild der wahren Erkenntniss«
Ist aber nur das Wissen des Begriffs ein wirkliches Wissen,
'•^ diese uns vielleicht ferner liegende Folgerung ergah sich
für die objektivere Auffassnngsweise des Griechen zunächst ^)
1) Vgl hierüber unsem 1. Th» S. 20.
\
H.
der PlatoniscHen Phil<>8ophie. ISS'
-^ go kann dies« seinen Grund allein darin haben, das«
auch nur dieses ein Wissen des Wirklieben, d. h.
dass der Gegenstand desselben, der Begriff, das allein
wahrhaft Seiende, alles Andere dagegen nur in dem Maasse .
wirklich ist, in dem es am Begriff Theil hat .^). Der Tde*
alismus des Begriffs, welcher in Sokrates erst als subjektive
Forderung und Fertigkeit, als dialektiseher Trieb und dia
lektische Kunst vorhanden war, wird hier zum Princip der
objektiven Weltanschauung erhoben, die Idee nicht mehr
blos als Ziel des wahren Wissens und Princip des wahren
Handelns, sondern ^ auch als das objektive, substantielle
Wesen der Dinge behauptet. Andererseits ist noch, der
Mangel vorhanden, dass das Denken nun eben bei dieser
objektiven Anschauung der Idee stehen bleibt, statt dieselbe
in ihrer konkreten Verwirklichung zu erkennen, dass daher
die Begriffe, welche für das allein Wirkliche anerkannt
und, nicht als das im Einzelnen der Erscheinung sich reali-
sirenda Allgemeine , sondern als für sich seiende Wesen-
heiten , als Substanzen öder Objekte angeschaut werden^
aus denen sich dann die Erscbeinungswelt unmöglich ab«
leiten, und neben denen sich dieselbe, sofern sie von ihnen,
unterschieden ist» nur als das Wesenlose, das fiii opy be-
trachten lässt Wie daher die objektive Fassang des Be-
griffs, in dem Sokrates den alleinigen Gegenstand des Wis-
sens erkannt hatte, die Platonische Philosophie von der
Sokratischen unterscheidet, so bildet umgekehrt das Stehen«
bleuten bei dieser objektiven Anschauung den Grundunter-
schied des JPlatonischen Systems vom Aristotelischen. Plato
erscheint so als 'das naturgemässe, in gleidier Entfernung
1) Das« '^esea wirklich der ^sammenbaBg d^s t^latoniachcn Sy-
stems, und die Sokratiscbe Idea des Wissens sein eigentlicher
Ausgangspunkt ist, wird unsere spatere Entwicklung, namentlich
. §. 30, seigen.
1S6 Allg. Bemerkungen üb. Charakter u« Bedeutung
von seinem Vorgänger und seinem Nachfolger abstehende
Mittelglied xwiscben Sokrates und Aristoteles.
Durch dieses seine geschichtliche Stellung beherr*
sehende Verhältniss ist auch das weitere xu seinen Vorgäogera
und Nachfolgern bestimmt. Plato ist, wie bekannt, der
erste von den griechischen Philosophen, der seine Vor*
gftnger nicht blos überhaupt allseitig gekannt und* benfitit,
sondern auch alle ihre einseitigen Principien mit.Bewusst*
sein durch einander ergänzt und xur Totalität xusammen«
gefasst hat. Was Sokrates ober den Begriff des Wissens,
die Eleaten und Heraklit, die Megariker und Cyniker fiber
den Unterschied der «Vkttj/juj; und do^aj Heraklit, Zeno und
die Sophisten über die Subjektivität der sinnlichen Anschauung
gelehrt hatten, hat er xur entwickelten Erkenntnisstheorie
ausgebildet; das eleatiscbe Princip des Einen Seins und das
Heraklitische des Werdens und der Vielheit' hat er in der
Ideenlehre (wie diess namentlich der Sophist ausdrücklich
sagt), ebenso yerknüpft, als widerlegt, zugleich aber beide
durch den Anaxagorischen Begriff des vovgj den Sokratisch«
Megarischen des Wesens und des Guten, und die idealU
sirten pythagoreischen Zahlen ergänzt ; die letzteren eigent-
lich gefasst erscheineti in der Lehre von der Weltseele
und den mathematischen Gesetzen als die Vermittler zwischen
der Idee und der Sinnenwelt; das Eine, Element derselben,
der Begriff ^des Unbegrenzten , für sich festgehalten , und
mit der Heraklitischen Ansicht von der Erscheinungswelt
combinirt, giebt die Platonische Definition der Materie;
der kosniologische Theil desselben Systems wiederholt sich
in den Platonischen Vorstellungen vom Weltgebäude, wäh-
rend in der Lehre von den Elementen und der speciellen
Phy8ik auch Empedokles und Anaxagoras, in entfernteren
Anklängen auch die Atomistik und die ältere jonische Na-
, turphilosophie eine Stelle finden; die Lehre des Anaxagoras
von der immateriellen Natur des Geistes und der pytha-
' der Platonift^hen Philosophie. }S7
goreitcbe Glaube an die Seeleowanderang greifen in die
Psychologie ein; in der Ethik ISsst sich die Sokratische
Grundlage und in der Politik die Sympathie mit der pytha*
goreischen Aristokratie nicht verkennen« Und doch ist
Plato weder der neidische Nachahmer, als den ihn die Ver.
läumdnng v^sehrieen hat, noch der unselbständige Eklek*
tiker, der es nur der Gunst der Umstände zu danken ge*
habt hätte, dass sich die in den früheren Systemen ler«
strenten Elemente in dem seinigen zu einem harmonischen
Ganzen zusammenfanden; dieses selbst vicflmebr, dass er
die vorher vereinzelten Strahlen des Geistes in Einen Brenn-
punkt zu sammeln weiss, ist das Werk seiner Originalität
und die Folge seines Princips. Indem hier nicht mehr das
Objekt als solches. Sondern der Begriff als der eigentliche
Gegenstand der Philosophie erkannt ist, so fuhren sich
alle die Bestimmungen, welche sich der unmittelbar aufs
Objekt gericiheten Betrachtung nur in ihrem Aussereinan*
der und darum vereinzelt darbieten, auf ihren inneren Grund
zuriick, und statt eine derselben einseitig zum Princip zu
erheben, werden sie alle in der Totalität eines höheren
Princips zusammengefasst. Vorher war diess nicht mög*
lieh; dem realistischen Dogmatismus der früheren Philo*
Sophie mussten alle jene Bestimmungen als feste und
wegen dieser Festigkeit sich ausschliessende Realitäten
erscheinen, nur der B'egriff' hat seine Momente in dieser
Flüssigkeit, dass in ihm die reine , in sich geschlossene
Einheit zugleich als Zusammenfassung einer Vielheit von
Bestimmungen, die Bewegung zugleich als Ruhe, überhaupt
das Entgegengesetzte als innerlich Eines erkannt wird. Nur
eine in der Natur der Sache liegende Folge war es daher,
dass die Platonische Philosophie die Principien und theil weise
auch die Resultate der Früheren in sich vereinigte. Aus
diesem Gruilde blieb sie aber auch fiir die Folge eine nn-
versiegte Quelle acht philosophischen Geistes. Denn hat auch
1S8 «Allg. Benterkungdn üb. Charakter u, Bedeutung
■ebon der unmittelbare ScliSler Plato's daa System seines
Lehrers in böclist wesentlichen Punkten umgebildet, konn«
ten auch nicht einmal die strengeren Akademiker wirklich
ganz rein an ihm festhalten , war es auch augenEftllige
Selbsttäuschung, wenn irgend eine spätere Philosophie uch
für eine unveränderte Wiederholung der Platonischen halten
konnte, so ist doch in dieser der Idealismus des Gedankens^
dieses innerste Princip aller ächten Spekulation, in solcher
Energie und Frische der ersten, jugendlichen Begeisterung
hervorgetreten, dass Plato die Ehre geworden ist, fSr alle
Zeiten denen, wejche dieses Princip in sich entwickelt ha»
ben, die philosophische Weihe zu ertheilen.
Eine Folge von dem Princip der Platonischen Philoso*
phie ist ihre Methode. Auch diese erklärt sich theik
aus dem allgemeinen Charakter unserer Periode, theils im
Besondern aus der Stellung, die Plato in ihr zwischen So-
krates und Aristoteles einnimmt. Einer Philosophie, wel*
eher der Begriff für, das Höchste und für die Wahrheit
alles Seins gilt, muss auch die Begriffsentwieklung fSr die
ihr allein angemessene Form gelten. Mit dem Sokratischeo
Princip der Erkenntniss aus Begriffen war daher dieElrfin-
düng der dialektischen Methode gegeben, welche wir im
Unterschied von der blos polemischen dialektischen Reflexion
des Zeno und der Sophisten die positive Dialektik nennen
mögen, sofern es ihr nicht blos, wie jener, um die Wider«
legung fremder Vorstellungen, sondern um die Auffindung
der objektiv gültigen Begriffe zu thun ist. Bei Sokrates
nun erscheint diese Methode, wegen der unentwickelten Ge«
stalt seines Princrps, erst in der Richtung auf die Erzeugung
des begrifflichen Denkens überhaupt, als eine Induktion,,
welche zugleich Erziehung des Subjekts Tdr die Philosophie
ist: bei Aristoteles erscheint als die eigentliche Aufgabe
der Wissenschaft die aLnoiu%tq^ d. h. die Ableitung d«ib Ein««
zelaen am den Prinoipien, nnd soll auch dieser die loduk**
der PU'loiiitebeii Phllotopbif. ' Jlft
Hon Torangeben, so hat doch die letzttro ihre pidei^gcho
Bedeatiing verloren, und ist za einem rein tlieoretiscbea
Process geworden;, das Eigenthamliche der Platonisohen
Methode besteht^ eben in d^m Aneinanderhaften dieser bei-
den Seiten, darin, dass die epagogische (pädeutiscbe) Er-
hebung des Sttbjekts znr Idee und die objektive Entwiok«
lang der Idee hier nicht in zwei getrennte ThStigkeiten
aoseinanderfallen ^) — denn lässt sich auch in der Reihe
der Platonischen Gespräche, wie diess Schleiermachers ge-
nialer Blick im Wesentlichen ohne Zweife) richtig erkannt
bat, ein wechselndes Verhältniss jener beiden Elemente,
ein Fortschritt vom Uebergewicfat des epagogiscben durob
seine gleichmässige Verschlingung mit dem oonstructiven
zum endlichen Uebergewicht des letztern, und ein ent-
sprechendes Uebergehen der dialogischen Form in die akroa-
matisehe nicht verkennen, so werden doch beide nie wirk-
lich frei von einander, sondern wie schon die elementarischen
^Gespräche in allem, was über Sokrates hinausführt, die
Keime der constructiven Entwicklung enthalten, so hört
umgekehrt, die Induktion auch in den darstellenden nicht
ganz auf, und in dem einzigen, wo diess der Fall ist, im
Timäus . kann schon die mythische Einkleidung zeigen,
wie wenig die reine Construction dem Wesen des Plato-
nisohen Pfailosophirens gemäss ist. Den Grund dieser Er-
scheinung haben wir in Plato's ganzem Standpunkt zu
suchen. Indem die Sokratische Forderung des begrifflichen
Wissens bei ihm zur objektiven Anschauung der Idee wird,
so war unmittelbar ein Hinausgehen über das blos epago-
gische Verfahren zum constructiven gegeben ; indem er aber
bei dieser Anschauung stehen bleibt, und weder den Inhalt
der Idee an sich selbst logisch zu entwickeln, noch die
Erscheinnngswelt itystematisch aus ihr abzuleiten weiss, ad
1) Vgl. auch mein? Piaton. Stud. S, 23 f.
140 Allg. Bemerkungen üb. Charakter u. Bedeutung
ist ihm auch die reine Constrnction unmSglicb, er mns«
immer wieder zur vorausgesetzten Anschauung, theils der
Idee , theils der endlichen Welt, und ebendamit zu der
Induktion, welche vom Endlichen zur Idee Qberfiihrt, seine
Zuflucht nehiiien. Er kann nicht bei der Sokratischen In«
dnktion stehen bleiben, weil diese statt eines letzten und
schlechthin allgemeinen Princips immer nur zu vereinzelten
Reflexionsbegriffen hinführt, er kann nicht rein constructiv
von der Idee zum Einzelnen herabsteigen, weil es ihm viel
zu wenig um dieses in seiner Bestimmtheit, und zu aus-
schliesslich um das Durchleuchten der Idee durch dasselbe
zu thun ist, um nicht immer wieder zu dieser den Blick
zurückzuwenden; Induktion und Construction verschlingt
sich ihm in dem alle seine Darstellungen beseelenden In«
teresse, vom Endlichen zur Idee als seinem Grunde hinzu-
führen, und im Endlichen den Widerschein der Idee auf*
zuzeigen«
Nur die Süssere Erscheinung dieser ihrer logischen
Form ist die Kunstform^ in welcher die Platonische Phi-
losophie in den Schriften ihres Urhebers dargestellt wor-
den ist. Auch hier steht Plato zwischen Sokrates und Ari-
stoteles in der .Mitte. Die Sokratische Form der ohiloso-
phischen Mittheilung war das persönliche Gespräch gewesen,
welches zwar durch das dialektische Interesse ^veranlasst
und beherrscht wird, aber doch im Einzelnen seiner Aus-
führung ganz an ' die Zufälligkeit der redenden Personen
und der besonderen Anlässe gebunden ist. Aristoteles um-
gekehrt macht sich durch seine akroamatische Darstellung
von dieser Gebundenheit ganz frei ^). Plato wählt für die
Darstellung seines Systems den künstlerischen Dia-
log, in welchem' zwar einerseits die allgemeine Form des
Gesprächs, die Gegenseitigkeit der Gedaifkenerzengung, be-^
1) Nor exoterische Schriften bat Arist. dialogisch geschrieben.
m
der Platonischen Philosophie. 141
wahrt) andererseits die im personliclieti Zwiegespräch du*
vermeidliche Zufälligkeit derselben durch die Unterordnung
des Ganzen unter den wissenschaftlichen Zweck ausge-
schlossen ist; und er zeigt sich bierin als den Vermittler
zwischen seinem Vorgänger und Nachfolger auch dadurch,
dass in seinen Dialogen selbst, wie ich oben bemerkt habe,
ein unverkennbarer Fortschritt von der katechetischen zur
akroamatischen Lehrweise stattfindet : während in dea frühe-
sten,, wie vor Allem im Protagoras, noch theilweise auf
Kosten der wissenschaftlichen Durchsichtigkeit die grösste
Freiheit der dialogischen Bewegung herrscht, so wird diese
in den dialektischen (Sespxäjchen der mittleren Reihe mehr
und mehr «unter das Gesetz der logischen Entwicklung ge-,
bunden, in den späteren, wie der Philebus und die Republik,
sinkt sie fast zur bedeutungslosen äusseren Form herab,
und im Timäus wird sie geradezu in die Einleitung ver-
wiesen ^). Auch diese Erscheinung aber kann nicht für
sitfällig, und die dialogische Form der Platonischen Werke
überhaupt nicht ^) «für eine blos äusserliche Zierrath ge-
halten werden, die der Verfasser derselben seiner wissen-
schaftlichen Eigenthümlicbkeit unbeschadet ebensogut auch
hätte weglassen können. ^Schon an und für sich ist ein
so äusserliches Verhältniss des Schriftstellers zu einer Form,
an der er ein langes Leben hindurch festhält, kaum denk-
bar, um so weniger^ je entschiedener wir in den Darstel-
lungen desselben die Ursprünglichkeit künstlerischer Ge-
nialität bewundern, und mit je grosserer Wahrscheinlichkeit
wir voraussetzen müssen, dass der wissensehaftlicbe Dialog
1) Auch von den mundlichen Vortrügen des Plato gehören wohl
die ganz odervorsugsweise akroamatischen hauptsächlich seiner
späteren Zeit an , r/ie i/vir diess von den Vorträgen über's Gute
und über die Ideen wissen^ s. Baandis de perd. Arist* libr.
2} Mit RiTTiR Gesch. d. Phil. H, 176 f., besondert aber Hssviivar
Plat. I, 55a. 354.
142 Allg. Bemerkungen IIb. Charakter u. Bedeutung
zuerst von Plato diese' Ausbildung erhalten habe ^); noch
unglaublicher aber ist es, dass eine Kunstform, deren Ent-
iiicklung auch im Einzelnen mit der der wissenschaftlichen
Methode gleichen Schritt hält, mit dieser in keinem we-
sentlichen Zusammenhang stehen sollte. Welches aber
dieser Zusammenhang sei, ^iess deutet tins Plato selbst
an ^), wenn er im Phädrus (S. 275, D flf.) aller ffeschrie*
benen Bede., im Gegensatz gegen die mündliche , vorwirft,
dass sie unfähig, sich selbst zu verthetdigen, allen Angriffen
tind MissverMändnissen preisgegeben sei; denn gilt ftuch
dieser Vorwurf der schriftstellerischen Darstellung im All*
gemeinen,' mochte sich daher Plato immerhin bewnsst sein,
dass auch seine Dialogen demselben nicht schlechthin
entgehen können, so setzt doch andererseits die lieber-
Zeugung von den Vorzögen der mfindlichen Belehrung die
Absicht voraus, auch der schriftlichen, diesem „Abbild der
lebendigen und beseelten Bede^^ (Pbädr. 276, A) die Vor-
theile der letzteren so viel, wie möglich, anzueignen, und
wenn nun diese nach Plato's Ansicht auf der Kunst der
wissenschaftlichen Gespräcfafiihrung beruhen ^) , so werden
1) Zwar werden ausser mehreren Sokratiscben Mitkchülem Plato's
auch schon Zeno und Aleiamenus yon Teos als Verfasser phi-
losophischer Gespräche genannt, und die Mimen Sophrons als
Vorbilder der Platonischen Gespräche gerühmt, aber die Vollen-
dung der Platonischen Dialogen kann keiner von diesen erreicht
haben, da diese wesentlich auf der Anwendung der dtalektischeu
Methode beruht, deren Begriff und Aufgabe Plato zuerst ent-
wickelt hat. Vgl. auch Brasdis S. 153.
2) Vgl. ScHLBiERBACHEB Platous Werke I, a, 17 ff. Bbandis Gr.-
röm. PhiL II, a 154. 158 ff.
3) Phädr. 276, £: nokv S* olfiai, ttaXkimv oTtovSi] ntgl aivd ylyvi"
Täty otav TtS rfi dialtHTtitfi rixvtj XQotgjiiivov Xdß(ov ipvxfjp itqoq^
t^HOvaav, tpvTsvji «'s na\ omig^fi fAtt inKrcfffiifi X6yov9 u. s« w*
Die Dialektik definirt.nun Plato allerdings (Phädr. 266, B.) zu-
nächst nur als die Kunst der logischen Begriffsbildung und Eni-
fbeUungf dass er aber für die angemessenste Form derstiben
das Gespräch hielt, diess könnte ausser der Erklärung der J^t-
der Platooiscben Pfailo'sophie. 143
vth die Anwendung diefier .Kunst für seine^g^nen Dar-
stellungen eben hieraus abzuleiten berechtigt sein* Unver-
kennbar zeigen ja aber auch seine eigene Dialogen die
Absicht, eben 'durch ihre eigenthümliche Form den Leser
zu selbstthätiger Gedankenerzeugung zu nöthigen. „Warum
sollten so häufig, nachdem acht Sokratisch das Scheinwissen
durch Nachweisung des Nichtwissens zerstört ist, nur ein-
zelne sf^heinbar unzusammenhängende Striche der Unter*
suchupg in ihnen sich finden? warum die eine durch die
andere verhüllt sein? warum die Untersuchung am Schluss
in scheinbare Widersprüche sich auflösen? setzt Plato nicht
voraus , dass der Leser durch selbstthätige Theilnahnie an
der aufgezeichneten Untersuchung das Fehlende zu .ergän-
zen , den wahren Mittelpunkt derselben aufzufinden und
diesem das Uebrige unterzuordnen vermöge, aber auch nur
ein solcher Leser die Ueberzengung gewinne, zum Verständ-
niss gelangt zu sein ^) V Der objektiv wissenschaftlichen,
systematischen Entwicklung sind jene Eigenthümlichkeiten
btfenbar nachtheilig, hat sie Plato depnoch mit der grössten
Kunst und unverkennbarer Absichtlichkeit durchgeführt, so
muss er dazu seinen besondern Grund gehabt haben, und
XsHTtxy als Kunst de^ wissenschaftlichen Fragens und Antwortens
Rep. VII, 534, D. und der Etymologie (vgl. PhiK 57, E. Rep,
VII, 532, A. VI, 511, B, wogegen die Ableitung bei Xebophon
Mem. IV, 5, 12 nichts beweist), auch schon der Gegensate der
Dialelitik und Rhetorik (Phädr. a. a. O.) zeigen^ ausdrücklich
sagt es aber auch der Frotagoras, wenn es hier S. 328, E ff.
ton. denjenigen, welche nur fortlaufende Reden zu halten wissen,
heisst, dass sie töantg ßtßXla ovdkv k'^ovoiv oifr« ditO"
x Qivsad'ai ovTs avzol agiad'at^ u. s. w., daSfr mithin die
Tom Phädrus gerühmten Vorzüge der mündlichen Belehrung
bei ihnen nicht zutreffen: wenn aus diesem Grunde S. 348, G
der Dialog «1$ dais beste Mittel der Belehrung empfohlen und
den sophistischen Prunkreden gegenüber wiederholt (vgl. S.3S4,
C iff.) auf Einhaltung der Gesprächsform gedrungen wird.
1) Worte von Bbabois a, a. O. $. 159 f*» d^c ich mir vollständig
aneignen kann.
144 AUg. Bemerkungen üb* Charakter tu Bedeutung
diesen können wir nur darin finden^ da«s er jene objek«
tive Uarstellpng überhaupt nicht für genügend hielt, son-
dern statt ihrer eine Behandlungsart suchte, bei welcher
der Leser auch schoa durch die äussere Form seiner Werke
angeregt würde, das, was er von objektivem Wissen mit*
getheilt erhält, nur als ein Selbsterzengtes zu haben, bei
welcher die objektive Belehrung durch die subjektive Bildung
zum Wissen bedingt wäre. Die philosophische Mittheilung,
als Bethätigung des philosophischen Eros, ist dem Plato
ein Erzeugen der Wahrheit . in einem Andern (s. u.), das
Logische darum wesentlich ein Dialogisches*
Liegt es nun so im Wesen der philosophischen Dar*
Stellung, wie Plato ihre Aufgabe auffasst, die Idee immer
nur in und mit ihrer Entwicklung imSubjekt zur Anschau»
nng zu bringen, so wird sich eben hieraus — wie diess
Baur ^) geistvoll gezeigt hat — auch die Stelle erklären,
welche dem Sokrates in den Platonischen Dialogen ange^
wiesen ist. Wenn in diesen allen, bis auf einige wenige,
bei denen besondere Gründe zu einer Abweichung vorlagen,
Sokrates das Gespräch leitet, seine Anwesenheit und Theil-
nahme aber auch in diesen nicht fehlt, wenn alles Wahre,
das Plato vorträgt, auf ihn zurückgeführt, und er selbst
im Phädo und im Gastmahl als die persönlich gewordene
Philosophie dargestellt wird, so ist das nicht mir eine zum
äusserlichen Redeschmuck dienende Einkleidung oder ein
Opfer blos persönlicher Pietät, es hängt vielmehr mit dem
innersten Wesen der Platonischen Philosoph!^, zusammen.:
indem hier das Wissen nicht als ein fertiges, rein objek*
Hv und abgelöst von der Person des Wissenden mittheil*
bares Syi^tem, sondern als persönliche Lebenstbätigkeit und
geistige Entwicklung betrachtet wird, so lässt sich die
wahre Philosophie nur an dem vollendeten Philosophen,
nur an Sokrates darstellen.
I) Sokrates und Christus. Tob. 7;eitschr. 18S7, S, 97r-l)i.
\
der Platonischen Philosophie. 145
Dieselbe Eigentbumlicbkeit der Methode aber, aöt
welcber die Scbönbeit der Platoniscben Darstellung hervor-
gegangen ist, enthält auch den Grund ihrer bedeutendsten
Mängel. Ich rede hier nicht blos von dem, was mit der
dialogischen Form verbunden ist, dem Zufälligen des
Ausgangspunkts, dem scheinbar Willköhrlichen des Fort-
gangs, dem häufigen Fehlen einer festen, in ein unzwei-
deutiges Resultat zusammengefassten Entscheidung. Diese
Mängel, wie lästig sie uns auch in einzelnen Fällen werden
mögen, betrefien doch mehr nur die äussere Form, und
stellen in der Hauptsache dem Versländniss kein unuber-
steigliches Hin4erniss entgegen ^). Von bedenklicheren
Folgen für das Systeih ist es, dass die Platonische Dialek«
tik auch an und für sich, rein wissenschaftlich betrachtet,
nicht geniigt. Indem es ihr hauptsächlich nur darum zu
thun ist, das wissenschaftliche Bewusstsein der Idee her-
vorzubringen, das volle Interesse fiir's konkrete Dasein da-
gegen und die Bestimmtheit des Einzelnen fehlt, so ist sie
zwar ausserordentlich stark in der Zersetzung endlicher
und einseitiger Vorstellungen, in der epagogischen Analy-
sis, tind man kann sagen, sie habe diese eben dadurch
zur Vollendung gebracht, dass sie nicht bei ihr stehen oleibt,
sondern 3ie immer zu einer im Hintergrund liegenden po-
sitiven Ueberzeugung in Beziehung setzt, dass sie dieselbe
nicht rein für sich, noch ohne klares Bewusstsein ihres
Ziels, sondern in der bestimmten Absjcht treibt, aus der
Auflösung der endlichen Standpunkte dte Idee als ihre Wahr-
heit resultiren zu lassen. Nicht die gleiche Vollendung^
hat sie dagegen, wenn es sich darum handelt, den Inhalt
der Idee im Besonderen näher zu entwickeln, und von ihr
zur Erscheinung herabzuführen. Hier tritt ihr die abstrakte
1} Vgl. die guten Bemerkungen in Hsoils Gesch. d. Phil, ü, lS7f«
161 f.
Die Philotophie der Gricchea. If. ThciU 10
146 Allg. BemerkuDgen üb. Charakter u. Bedeutung
Fassung der Idee als fiir sich seienden Objekts, als reiner,
die Negativiiät des Endlichen ausschliessender Idealität in
den Weg, und unfähig, in ihr selbst das Moment aufzu-
zeigen, das sie zur Erscheinung forttreibt, mnss sie sich
begnügen, die Idee theils nur an der vorausgesetzten
Erscheinung als die Wahrheit und Wirklichkeit derselben
darchznfiihren, theils' den Fortgang im Einzelnen nur für
die Phantasie, nicht fiir's wissenschaftliche Denken zu ver-
mitteln. Daher einestheils der empirische Charakter, den
z. B« die Ableitung des Staats und seiner drei Stände in
der Republik, die Kosmologie des Timäns, selbst die Aueh
fuhrung des Sophisten und des Parmenides über die Ideen
an sich trägt, und der nicht ganz selten, wie eben in der
spaltenden Logik des Sophisten und des Politikus, und in
der häufigen Anwendung der Mathematik auf geistige Ge-
biete ^), zu einem ziemlich leeren Formalismus fortgeht;
anderntheils das Bedürfniss, die Lücken der wissenschaft-
lichen Entwicklung durch jene mythischen Darstellungen
auszufüllen, die zwar viel bewundert zu werden pflegen
und auch an sich selbst herrlich und bewundernswerth ge^
nug sind , die aber nichts desto weniger die Einsicht in
deo Zusammenhang des Systems trüben, die logische Strenge
der Methode durch das ungebundene Spiel der Phantasie
unterbrechen, und auch immer einen Wirklichen Mangel an
klarer Durcharbeitung des Gedankens verrathen ^). Auch
1) Z. B. Gorg. 465, £, f. Pbileb. 66. Rep. IX, 587, B ff.
3) Vgl. bierüber Hegel a. a. O. S. 163 ff. Auf dasselbe liommen
in der Hauptsache, so wenig es ihr Urheber auch Wort haben
will, die Bemerkungen voa Alb. Jahn in 8. Dissertatio Platonica
(Bern 1839) S. 20 ff. 123 f. hinaus; im Uebrigen hat dieser Ge-
lehrte die einfache Auffassung der Sache durch schiefe philoso-
phische Voraussetzungen vielfach getrübt, und durch die Weit-
schweifigkeit und Undurchsichtigkeit seiner Darstellung noch
mehr erschwert, auch sich an mehr als Einem Orte mit sich
selbst in Widerspruch verwickelt. Die ebdas. S. 31 f« versuchte
Eintheilung der Mythen in theologische, psychologische, kosmo-
der Platonischen Pbiloiophie. 147
diese ^schwachen Seiten der Platonischen Darstellungen darf
die Gescbichtsclireibung nicht übersehen.
' Fragen wir schliesslich noch nach der Gliederung des
Platonischen Systems, so wird sich auch diese aus dörEi-
genthümlichkeit seines Standpunkts und seiner Methode er*
klirren lassen. — Man pflegt drei Theile der Platonische«
Philosophie zu unterscheiden: die Dialektik, die Physik und
die Ethik, mag man nun diese von Anfang an neben ein-
ander stellen, oder der weiteren, übrigens unplatonischen,
Unterscheidung eines allgemeinen und eines angewandten
Theik unterordnen ^). Diese Trichotomie ist nun auch
ohne- Zweifel Platonisch; denn mag auch der Name der
gonische und physische ist willkührlich und entbehrlich. — Wenn
Baür (Solirates und ' Christus. Tüb. Zeitschr. 1837, 3, 91 ff.
Theol. Stud. u. Krit 1837, 3*, 552 ff. 566) die Platonischen My-
then aus dem religiösen Standpunkt des Piatonismus ableitet, so
fuhrt auch dieses auf die obige Bestimmung zurüch , sofern es
doch nur die Mangel hafligkeit der systematischen Entwicklung
sein kann, was dem Philosophen die Anlehnung an die religiöse
Vorstellung snm Bedürfniss macht* Man vgl. auch Platoa ei-
gene Erklärung Phädo 115, D. Tim. 29, D. Polit. 268, D.
1) Das Letztere thut z. B. Mabbach Gesch. d. Phil. I, 215« Aehn-
lich ScnLKiERMACHEB Gcscb. d. Phil. 8. 98. Bd Piato se&st
jedoch findet sich diese Unterscheidung nirgends. Ebensowenig
die einer theoretischen und praktischen Philosophie, an die z. B.
Kbug Gesch. d. alten Phil. S. 209 denkt (wogegen die Einthei-
lung in Logik, theoretische und praktische Philosophie — Tebt«
HBMAVir Syst d. Plat. Phil. I, 240 ff. Bdhlk Gesch. d. Phil. U,
70 f. -~ mit der im Text angeführten zusammenfallt). Ganz
modern und unplatonisch ist vollends vav Hbüsde's (Initia phi-
losophiae Plat.) Eintheilung des Systems in eine philnsopkia pukri,
veri, et Justi, wie denn überhaupt die Schriften dieses Gelehrten
über Plato, Sokrates und Aristoteles nur einen weitern Beweis
iür die Unmöglichkeit liefern, mit Ciceronischer Popularphiloso*
phie und allgemeiner humanistischer Bildung zum Verständniss
der alten Philosophie ausiureicben, und die Berühmtheit dieser
Schriften einen Beweis dafür, wie sehr der Mehrzahl der Philo-
logen, der ausserdeutschea besonders, gründlichere philoeophische
Studien noththäten«
10*
14S Allg. Bemerkungen üb. Charakter u* Bedeutung
Dial«*k(ik von Plato ganz allgemein für die Philosophie
überhaupt gebraucht werden, dc^r der Physik aber und der
Eihik gar nicht bei ihm vorkommen, roügen auch in den
Platonischen Dialogen diese drei Theile nie schlechthin
anseinanderireten, so lässt sich doch andererseits ebenso-
wenig verkennen, dass gerade von den bedeutendsten der-
selben die meisten wenigstens überwiegend demeinen
« oder andern derselben angehören, derTimäus, und wenn
wir die Psychologie mit zur Physik rechnen auch derPhädoj^
der Physik, die Republik nebst dem Politikus, Philebus und
Gorgias der Ethik, der Theätet, Sophist und Parmenides der
Dialektik. Und da nun eben diese Eintheilung vor Plate sich
nicht findet, nach ihm dagegen stehend geworden ist, von
Xenokrates gebraucht und von Aristoteles ^) vorausge-
setzt \vird, da auch die Philosophie im Ganzen nur insofern
Dialektik genannt wird, wiefern sie sich mit dem ewigen
Wesen 'der Dinge beschäftigt ^), so sind wir ohne Zweifel
berechtigt, die genannte Eintheilung auf Plato zurückzufuh-
ren, mag er sie nun in seinen mündlichen Vorträgen aus-
drücklich ausgesprochen, oder mag sie sich nur aus der
Consequenz seines Systems entwickelt haben«. So richtig
niin aber diese Eintheilung auch ist, so reicht sie doch
nicht aus, um den philosophischen Inhalt der Platonischen
Schriften vollständig darin unterzubringen. Es wurde schon
oben darauf hingewiesen, wie in diesen dem constructiven
immer auch das pädeutische Element zur Seite geht, und
i) Top. T, 14, 105, b, 19. Anal, post I, 33 Scbl. Tgl. Bittea Gesch.
d. Pfail. U , 255 , >TO Überhaupt der Platonische Ursprui^g der
obigen Eintheilung ausführlich bewiesen wird. Nur eine unge-
naue Fassung derselben enthält auch die Angabe des Ari^tok-
Lxs (Eus. Pr. ev, XI, 33), dass Plato die Wissenschaft von den
göttlichen iKngen oder der Nalur des All, die von den mensch-
lichen Dingen und die Logik unterschieden habe«
2) S, unten und Bittxb a. a. 0. S. ^1 f.
der Platonischen Philosophie. -149
sieh im Anfang sogar in grösserer Breite geltend macht,
als jenes. Welche Stelle sollen wir nun diesem anweisen,
wo alle jene Widerlegungen der populären Yorstellungs-
weise und Tugend, der Sophistik und ihres Eudämonismus,
alle jene Untersnchungen über den Begriff und die Methode
des Wissens, über die Einheit der Tugend und das Ver«
hältniss des Wissens zum sittlichen Handeln, über die pbi*
losophische Liebe und die Stufeii ihrer Entwicklung ein*
reihen? Das Gewöhnliche ist, einen Theil derselben der
Dialektik, einen andern der Ethik zuzutheilen. Aber so
wird theils die systematische Entwicklung dieser Wissen*
Schäften durch elementarische Erörterungen unterbrochen,
die Plato selbst da, wo er die Ideenlehre objektiv darstellt,
und den Organismus der sittlichen Thätigkeit im Staat und
im Einzelleben ableitet, längst hinter sich hat, theils wer-
den andererseits die bei unserem Philosophen (wie diess
schon der einzige Begriff des philosophischen Eros zeigen
könnte) eng verschlungenen Untersuchungen über das wahre
Wissen und die richtige Weise des Handelns weit ausein*
andergerückt. Darum nun aber auf eine aus dem Inhalt
hergenommene Gliederung der Darstellung zu verzichten,
und sich allein an die muthmassliche Ordnung der Plato-
nischen Dialogen zu halten ^), scheint auch nicht räihlich;
denn wenn wir auch auf diesem Wege ein treues Bild von
der Reihenfolge erhalten , in welcher der Philosoph seine
Gedanken dargestellt hat, so erhalten wir doch keines
von ihrem innern Zusammenhang; denn dass dieser mit
jener nicht schlechthin zusammenfällt, diess könnte schon
die häufige Erörterung eines und desselben Gedankens in
1) Einen Anfang dasu könnte man bei Bravdis finden, vgl. a. a.O.
S. 182, 192) nachher jedoch gebt auch er zu einer sachlichen
Anordnung über, die in der Hauptsache mit der gewöhnlichen
Busammentrifit.
J50 Allg. Bemerkungen üb. Charakter u. Bedeutung
weit anseinanderliegenden GeaprSehen darthoiu Wolleii
wir nan Plato nicht auch in seinen Wiederholungen, fiber*
baapt in dem mit der Eigenthiimlichkeit seiner Darstellungs*
weise rerkn^pften Mangel an vollständiger systematischer
Dnrclisichtigkeit folgen, so müssten wir doch bei den Dia-
logen, welche der Hauptsitz einer Lehre sind, auch gleich
die Parallelen aus den übrigen beibringen« Ist aber hie-
mit die Ordnung seiner schriftstellerischen Darstellung ein-
mal verlassen, so haben wir auch keinen Grund mehr, uns
im Uebrigen an dieselbe zu binden, die Aufgabe wird viel-
mehr sein, uns in den Innern Quell punkt des Platonischen
Systems za versetzen, und um diesen die Elemente dessel-
ben in dem Innern VerhfiUniss, das sie im Geist ihres
Urhebers hatten, anschiessen zu lassen ^). Eine fruchtbare
Andeutung hiefür giebt uns Plato selbst in der Republik
VII, 511, B. Der hocl»te Theil des Denkbaren, sagt er
hier, und der eigentliche Gegenstand der Philosophie sei
dasjenige, „was die Vernunft als solche mittelst des dia-
lektischen Vermögens ergreift, indem sie die Voraussetzungen
nicht zu Principien, sondern wirklich zu blossen Voraus«
Setzungen macht, gleichsam zu Auftritten und Schwungbret-
tern ^), um von ihnen aus bis zum Unbedingten, zum Princip
1) Dass ich mit diesea Bemerkuagen den Werth der Untersuchungen
über die Reihenfolge und das gegenseitige Verbältniss der Pia-
tonischen Dialogen herabzusetzen, und Hbgbls wegwerfendem
XJrtheil über diese Untersuchungen (Gesch. d. Phil 11, 156K nebst
Marbachs obei^flächlicher Wiederholung dieses Urtbeils (Gesch.
d. Phil. I, 198) beizutreten ntcbt beabsichtige, darf ich wohl
nicht erst versichern. Diese Untersuchungen sind an Ihrem Orte
▼om höchsten Werthe, aber in der Darstellung des Platonischen
Systems muss das Litterarische hinter der Frage nach dem
philosophischen Zusammenhang zurückstehen.
3) Eigentüeh: Anläufen, o(>/*ac, doch scheint das Wort hier nicht
den Anlauf selbst, sondern den Ausgangspunkt zu bezeichnen. -~
AehnUch Symp. 211, G: ui^itt^ irravafia&^oit x(^üif*tvov [zois
<der Flataniftcben^Pliilosapliie. * 151
von Allem zu gelangen, und nachdem sie dieses ergriffen, •
hinwiedenim, das was aus ihm folgt verfolgend, zum
Letzten herabzusteigen, so dass sie sich nun überall kei-
nes Sinnlichen mehr bedient, sondern rein von Begriffen
durch Begriffe zu Begriffen fortgeht.^^ Deutlich genug wird
in dieser Hauptstelle über die Aufgabe der Philosophie dem
Denken ein doppelter Weg vorgezeichnet, der Weg voa
unten nach oben und der von oben nach unten, die epa-
gogische Erhebung, zur Idee durch Aufhebung der endlichen
Voraussetzungen, und das systematische Herabsteigen von
der Idee zum Besonderen ^). Nun wissen wir bereits, dass
diese zwei Wege den beideji im Platonischen Philosophiren
verbundenen, und auch in Plato's schriftstellerischer Dar-
stellung sich unterscheidenden , wenn auch nie völlig ge.
trennten Elementen entsprechen; wir folgen daher dieser
Andeutung und besprechen, im Folgenden zuerst die pro^
pädeutische Begründung, sodann die systematische Ausfüh-
rung des Platonischen Princips, welche letztere dann wieder
in die Dialektik, die Physik und die Ethik zerfällt ^). Was
sonst noch in einer vollständigen Geschichte der Platonischen
Philosophie vorkommen milsste, die Untersuchiing über
Plato's Leben und Schriften, wollen wir hi^, dem Plaiie
dieser Schrift getreu, übergehen. i
1) Vgl. auch Abist. Ethiü Niki, 2, 1095, a, 32: sv ydg nal irXd-
Tojv tjTtogei TOvTO mal t^TjTsi^ nongov dno tqjv «pj^wv, rj inl raQ
dgxde iarlv r/ SSoe , oiansQ iv tm araSi^t dno tviv d&Xo&tTfav
inl t6 n^gas ij dvänakip,
2) I^s die$e drei Theile nur in der oben angegebenen Ordnung
gestellt werden liönnen, bedarf lieines Beweises , und die umge-
kehrte Anordnung bei Fbies Gesch. d. PhiU I, § 58 ff. wohl
ebenso wen^ der Widerlegung, als die Behauptung destelbea
Historikers (a. a. O« S. 288), dass es Plato als einem treuen
Sokratiker durchaus nur um die praktische Philosophie zu thun
gewesen, und dass er auch in der Methode nicht über das epa-
gogische Verfahren hinausgegangen sei
19t Di« propädeuti«cb0 BegräBdaag-
§.19.
Die propädeutische Begründung des Platoftiscbeii Systems«
Diese Begründung besteht im Allgemeinen darin, dass
der Standpunkt des nichtpbilosophischen Bewusstseins auf-
gelöst und die Erbebung zum pbilosopbiscben in ibrer Nolb-
nvendigkeit nachgewiesen wird. Im Besondern können wir
drei Stadien dieses Wegs unterscbeidisn. Den Ausgangs-
punkt bildet das populäre Bewusstsein, Indem die Voraus-
setzungen, welche diesem für ein Erstes und Festes gegol-
ten hatten^ dialektisch zersetzt werden, so erhalten wir
zunächst das negative Resultat der Sophistik. Erst wenn
auch diese überwunden ist, kanki der philosophische Stand-
punkt positiv entwickelt werden.
Den Standpunkt des gewöhnlichen Bewusstseins hat
Plato tbeils nach seiner' theoretischen, tbeils nach seiner
praktischen Seite widerlegt. — Theoretisch angesehen
ist das gewöhnliche Bewusstsein im Allgemeinen vorstel-
lendes Bewusstsein, oder wenn wir seine Elemente ge-
nauer unterscheiden wollen, die Wahrheit besteht ihm tbeils
in der sinnlichen Wahrnehmung, tbeils in der Vorstellung
im engern Sinn, oder der Meinung (do^a)* Im Gegensatz
hiegegen zeigt Plato im Theätet, dass das Wissen (iuMn^piri)
etwas Anderes sei, als die Wahrnehmung (Empfindung,
aiad'tjaig) und die richtige Vorstellung. Die Wahrnehmung
ist kein Wissen, denn (Tbeät. 151, E ff.) die Wabrneb-
mung ist nur die Art, wie die Dinge dem Subjekt erschei-
nen (gißreaaia) ; sollte daher das Wissen in der Wahrneh-
mung besteben, so wurde folgen, dass für Jeden wahr ist,
was ihm als wahr erscheint — der Grundsatz der Sophistik,
dessen Widerlegung wir später kennen lernen -werden. Aber ^
auch die richtige Vorstellung ist noch kein Wissen; denn
80 gewiss dieses in der Thätigkeit der Seele als solcher,
nicht in ihrem Verhalten zum äussern Objekt gesucht wer-
d«8 Platöniiiehen Systems. ]5S
den miiss ^), so wenig entspricht doch die Vcf stellang d^
Aufgabe desselben. Denn — wie diess indirekt gezeigt
wird (S. 187, C &•) — wenn das richtige Vorstellen schon
ein Wissen wäre, so liesse sich die Möglichkeit der falschen
Vorstellung^ nicht erklären, Soll diese eine Vorstellung
sein, der kein Gegenstand entspricht, so wäre, sie theils
ein Nichtwissen von dem, was man weiss, oder ein Wissen
Ton dem, was man nicht weiss, (sofern ich doch vom Sein
des Objekts wissen muss , um ' mir auch nur eine falsche
Vorstellung darüber zi^ machen) theils würde sie voraus-
setzen, dass man sich das Nichtseiende vorstelle, diess ist
aber unmöglich, da jede Vorstellung Vorstellung eines
Seienden ist. Soll aber diefalsohe Vorstellung Verwechs-
lung verschiedener Vorstellungen (aXXodol^ia) sein^, so ist
es gleichfalls undenkbar, dass man das, was man weiss,
eben vermöge dieses Wissens, mit einem Andern, gleich-
falls Gewussten, oder auch mit einem Nichtgewussten ver«
wechsle ^). D. h. Wissen und richtige Vorstellung können
nicht dasselbe sein, denn die richtige Vorstellung schliesst
die Möglichkeit der falschen nicht aus, durch's Wissen da-
gegen ist diese ausgeschlossen; das Wissen kann also über-
haupt nicht auf dem Gebiete der Vorstellung liegen, Sondern
muss einer von ihr specifisch verschiedenen Thätigkeit an-
1) Theät 187) A: Ofiaif 9i tooovtov ye 'Jt^oßsßtjnofiWy Ußora f*^
insivtu T€^ ovofiariy o t» nov i'xet ^ y^^XV «»'«*' avTfj Ha&* a^v^v
v^ay/iatev^ai nsgl rd ovra*
t) S. 189, B— 200, D vgl. besonders den Schluss dieses Abschnitts.
Was das Einzelne desselben, und namentlich die weit ausgespon»
nenen Vergleichungen der Seele mit einer Wachstafel und einem
Taubenschlage betrifft, so ist der kurze Sinn derselben, zu zei-
gen, dass sich unter Voraussetzung der Identität von Wtsseir
und richtiger Vorstellung zwar wohl die unrichüge Verbindung
einer Vorstellung mit einer Wahrnehmung, nicht aber eine falsche
Verknüpfung der Vorstellungen selbst denken liesse, dass mithin
;ene Voraussetzung unrichtig sei.
J54 T>ie propädeutische Begründang
gehören, wllche die Wahrheit nicht mit Irrthum versetst,
sondern in ihrer Reinheit zum Gegenstand hat ^). Oder
wie diess anderwärts ^) kürzer dargestellt ist : der Vorstel-
lung fehlt die Einsicht in die Nothwendigkeit der Sache,
sie ist aus diesem Grunde, auch wenn sie richtig ist, ein
unsicherer und wandelbarer Besitz; nur das Wissen ge-
währt durch Ergänzung dieses Mangels bleibende Erkenot-
niss der Wahrheit. ^), Oder wenn wir mit dem Timäus
51, E alle Unterschiede der Vorstellung vom Wissen zu-
sammenfassen wollen: „das Wissen entsteht durch Belehrung,
die richtige Vorstellung durch Ueberredung; jenes hat immer
die Einsicht in die wahren Grunde, dieser fehlt sie ; jenes
kann durch Ueberredung nicht wankend gemacht werden,
diese kann es; am Besitze der richtigen Vorstellung endlich
nehmen Alle Theil , an der Vernunft blos die Götter , das
menschliche Geschlecht dagegen nur zum kleinsten TheiL^'
— Mehr von der objektiven Seite beweist die Republik V,
476, D, ff. den untergeordneten Werth der Vorstellung
daraus, dass die Wissenschaft das schlechthin Seiende, die
Vorstellung dagegen nur ein Mittleres zwischen Sein und
Nichtsein zum Inhalt habe, mithin auch nur ein Mittleres
^zwischen Wissen und Nichtwissen sein könne ^) ; diese Aus-
1) Vgl. ScHLBiBBXACHXB Platons Werke TI, 1, 176*
' 2} Meno S. 97 ff*y Vvo besonders auch die Erklärung S. 98) B su
beachten ist
3) Was der Theatet weiter ausfuhrt, dass das Wissen auch nicht
in einer mit einer Erklärung Terbundenen richtigen Vorstellung
{96ia aXi^&ijs fisra Xoyov^ bestehe, kann hier Qbergangen wer-
den, da diese Ausführung nur eine in jener Zeit, vielleicht Ton
Antisthenes (s. Bbabdis a. a. O« S. S02 ff.) aufgestellte Definition
(vgl. Theät. 301, G) betrifft, ohne einen für die Platonische An-
sicht wesentlichen Zug hinzuzufügen,
4) Vgl. Symp. 202, A. Aus demselben Grunde wird Rep** VT, 409,
D (f. Vir, 533, £ f. das Gebiet des Sichtbaren der Vorstellung,
das des Geistigen dem Wissen sugetheilt. Wenn ebdas. in der
So Sa selbst wieder die Vorstellung der wirklichen Dinge und
des Platonitchea 6y8i«m8. |S$
• ftfaraog setct indessen tfaeils schon den Unterschied des
Wissens von der Vorstellung yoraus, thei|s beruht sie auch
airf Bestimmungeu, die erst der weiteren Entwicklung des
Systems angehören.
Dasselbe, was auf theoretischem Gebiete der Gegen*
satz von Vorstellen und Wissen, ist auf dem praktischen
der Gegensatz der gemeinen und der philosophischen Ta-
gend. Die gewöhnliche Tugend ist schon in formeller
Beziehung ungenügend, denn sie ist Sache der blossen Ge-
wohnheit, ohne klare Einsicht; statt vom Wissen lässt sie
sich von der Vorstellung leiten. Sie ist aus diesem Grunde
eine Vielheit einzelner Thätigkeiten, die zu keiner inneren
Einheit verbunden sind, ja die sich theilweise sogar wider*
sprechen. Ebenso leidet sie aber auch. Wenn wir auf
ihren Inhalt sehen, an dem Mangel, theils neben dem
Guten auch das Böse sich zum Zweck zu setzen, theils das
Gute nicht um seiner selbst willen, sondern wegen ausser
ihm liegender Grdnde zu begehren. In allen diesen Be.
ziehnngen findet Plato eine höhere Auffassung des Sittlichen
nothwendig«
Die gewöhnliche Tugend entsteht durch Angewöhnung,
sie ist ein Handeln ohne Einsicht in die Grunde dieses Han-
delns ^), sie beruht nur auf einer richtigen Vorstellqng^
\
die der blossen Bilder (die nlaric und eiMaala) uaterschieden
werden, so geschiebt diess nur, um für die Unterscheidung der
Vernunfterkenntniss in die symbolische und die reine (S. 510,
D) innerhalb der So^a eine Parallele zu haben; dass Plato sonst
der 96Sa die ata&T^ais zur Seite stellte, sehen wir ausser dem
Theätet auch aus Parm. 155. D und Tiro. 28, B. 37, B. Abist.
De an. I, 2. 404, b, 21; vgl. meine Piaton. Studien S. 227 f.
Bbakdis Gr.-röm. P4iil. II, a, 272 ff.
1} Meno 99) B — E u. ö. Phado 82, A: oi ttjv Sr^uoT$K^v r« nal
no^iTtxTJv dger^v iTriTSTr^SeiHOTes t, ijv S^ ttaXovai uwfQoovvtjv r«
ital dmaioavvtfPt <£ i'^ovQ re mal /islitfjQ ytyopvtav ävsv
*piXooo(fiai TS nal vov, Rep. X, 619, C (über Einen, der
beim Wiedereintritt in's menschliche L^en sich durch eine Ter-
/
i56 Die propädeutische Begründung
nicht auf dem Wissen ^), wie diess, nachPlato, angensehein*
lieh daraus hervorgeht, dass die, welche sie besitzen/ an-
ffthig sind, sie Anderen mitzutbeilen, dass es der gewöhn«
liehen Vorstellung oder wenigstens der gewöhnlichen Praxis
znfolg^ keine Lehrer der Tugen4 gieiH ^) — denn die,^
welche sich für Tugendlehrer ausgeben, die Sophisten, wer-
den weder von Plato, wie wir sogleich sehen werden, noch
auch von der allgemeinen Stimme ^) als solche anerkannt.
Aus diesem Grunde trägt aber auch diese Tugend keine
Bürgschaft ihrer Dauer in sich, ihr Entstehen und Bestehen
ist vielmehr dem Zufall und den Umständen preisgegeben;
Alle, die nur sie besitzen, xlie hochgerühmten Staatsmänner
des alten Athens nicht ausgeschlossen, sind tugendhaft nur
vermöge göttlicher Schickung (&eia fiolqa^ d. h, ^) in Folge
des Zufalls, und stehen auf keiner wesentlich hohem Stufe
als Wahrsager und Dichter, überhaupt alle die, welche das
Schöne und Richtige aus blosser Begeisterung (/xana, if-
^ovaiudfAog) hervorbringen ^) — eine Ansicht, die Plato
auch darin ausdrückt, dass er Rep. X, 619, D die Mehrzahl
von denen, welche sich durch unphilosophische Tugend die
himmlische Seligkeit erworben haben , beim Wiedereintritt
in's Erdenleben fehlgreifen lässt, und im Phädo 82, A spottend
von ihnen sagt, sie haben die fröhliche Aussicht, dereinst
bei der Seelen Wanderung unter die Bienen oder Wespen
Iiehrte Wahl unglücklich macht — 8. u*): ^^vai dk avvov rtüv
Ix Tov ovQavov '^novTfov ^ iv Teray/iivtj noXiveitf iv r^ frQordQtf
ßidjf ßeßioixova, i'd'n ävsv (ptXoooq>las d^tr^s fA9T9ih](p6xa.
Vgl. Rep. III, 402, A, VU, 522, A.
1) Meno 97 ff. besonders S. 99, A— G Rep. VII, 534, G.
2) Prot 319, R if. Meno 87, R ff. 93 ff
3) Mono 91 9 R ff- , wo Anytos die Männer der dgatt) Si^fiOTtnij
vertritt.
4) Vgl. Rep. VI, 493, A. 492, A. 499, R. II, 566, G und meine
Piaton. Stud. S. 109.
5) Meno 96, D bis sum Schlüsse; vgL Apol. 2i f.
des Platoniscben Sytems, 157
■
oder Ameisen 9 oder sonst ein wohlgeordnetes Volk, oder
auch wieder unter die Klasse der ruhigen Burger versalzt
zu werden. Das einzige Mittel, die Tugend dieser Zufällig-
keit zu entheben, ist die Begründung derselben aufs Wisaen«
Nur die theoretische Auffassung des Sittlichen enthält über-
haupt den Grund auch des praktischen Verhaltens; das
Gute begehren All^ und auch wenn sie Schlechtes begeh-
ren, thun sie diess nur, weil sie das Schlechte für gut
halten ; wo daher die richtige Erkenntniss dessen ist, was
gut und nützlich ist, da muss nothwendig auch der sittliche
Wille sein, da es schlechthin undenkbar ist, dass Jemand
wissentlich und absichtlich das anstrebte, wovon er über-
zeugt ist, dass es' ihm schädlich seid werde: alle Fehler
entspringen aus -Unwissenheit, alles Rechthandeln aus Er-
kenntniss des Rechten ^) — Niemand ist freiwillig böse ^}.
Wenn man daher gewöhnlich die Fehler mit dem Mangel
an Einsicht entschuldigt, so ist Plato so wenig dieser Mei-
nung, dass er vielmehr umgekehrt mit Sokrates behauptet,
dass es besser sei, absichtlich, als unabsichtlich zu fehlen 3),
dass z. B. diQ unfreiwillige Lüge, oder die Selbsttäuschung,
ungleich schlimmer sei, als die bewusste Täuschung An-
derer, und dass dem, welcher nur die letztere flieht, und
nicht noch weit mehr die erstere, jedes Organ für die Wahr-
heit abgehe ^) — woraus aber" dann freilich sogleich auch
1) Prot. 352—357. Gorg. 466, D-468, E. Meno 11 ^ B ff. Theäl.
176, G f. Wenn einige dieser Stellen Ton eudämonistiscben
Prämissen ausgeben, so ist diess blos Mar' av&^conov gesprochen ;
wo sich Plato unbedingt erklärt, verwirft er die eudäroonistische
Begrünilung der Moral aufs Bestimmteste.
2) Tim. 86, D 8. u. %, 21. SchL
3) In dieser Allgemeinheit nur im Meinem Hippias ausgesprochen,
dessen Thema dieser Satz bildet; derselbe ist aber klar genug
auch in anderen Stellen (s. die vorangehende und die zwei fol-
genden Anm.) enthalten. '
i) Rep. VIT, 535, D* Ovhovv Mal ngos aXi^^eiav xavTov xoSto avd"
ntjQOv ytpy^ &ijoofiiVy 17 av to /liy Inovaiov tf'svdos (Ji*ay %ak
}56 Die pvopädeutisclie Begründung
das Weitere folgt, dass die Fehler der Wissenden keine
wirklichen Fehler, sondern nur solche Yerletznngen der
gewohnlichen Moral sind, die sich von einem höheren Stand-
punkt aus 8eH>8t wieder rechtfertigen ^).
Mit der Bewussilosigkeit der gewöhnlichen Tugend
hüngt nun zusammen, dass sie die Sittlichkeit nicht als Eine
in allen ihren Aeusserungen sich gleiche, sondern nur als
eine Vielheit besonderer Thäligkeiten aufzufassen weiss.
Im Gegensatz hiegegen behauptet Plato die sich aus der
Zurückrührung der Tugend aufs Wissen von selbst erge-
bende Sokratische Lehre von der Einheit aller Tugenden,
und er begründet diese Behauptung, indem er zeigt, die
Tugenden können sich weder durch die Personen unter-
scheiden, denen sie zukommen, da doch das, was die Tu*
gend zur Tugend macht, in Allen dasselbe sein milftse ^),
noch auch durch ihren Inhalt, da dieser nur im Wissen
Tom Gutefi bestehe ^), Dass trotz dem Plato selbst wieder
gewisse Unterschiede der Tugenden annimmt, werden wir
später sehen, wahrscheinlich ist er aber erst in der wei-
teren Entwicklung seines Systems auf diese Bestimmung
X^XsTtuiS <f>^Qj} avTi} TS Kml trl^tv ^svSoftirot¥ vntQayavanty^ ro
S' oMouoiov svuoXojS nQOidixijrai mal dfAa&alvovai itov dltOKO/j^ivti
(iTj dyaraxTJji oAA* tvyt^üiC oiaitiQ ^r^giov vsiov iv dfia^it^ fiolv-
vtjTut, Vgl. ebd. IT, 382.
1) Vgl. Bep. I, 331, C ff. II, 382, C Ifl, 389, B» IV, 459, C f.
und dasu meine Flaton« Stud« S. 152«
2) Meno 71, D ff.
3) Prot. 348 ff (Die indirekte Bewcisfiibrung für denselben Satz
Prot 328, E ff. kann hier übergangen werden.) Besondere Ver-
suche, die Tapferkeit und Besonnenheit auf den Begriff des Wis-
sens zurückzuführen, sind der Laches und der Cbarmides; in-
dessen scheint mir die Aechtheit dieser Gespräche trotz AUem,
was auch neuerdings wieder für sie gesagt worden ist, so vielen
Bedenken zu unterliegen, dass ich tür die Darstellung der Pla-
tonischen Philosophie höchstens supplementarisch von ihnen Ge-
brauch machen möchte. — In populärerer Darstellung werden
Gorg. 507 alle Tugenden auf ^e aMtp^oovvrj zurückgeführt
d«8 PlatOBischen Systems. ]MI
gekommen, da sie sich unter seinen Schriften allein in der
Republik findet; in keinem Fall würde sie zur propädeu^
'tischen Begcfindung, sondern nur zur weitern Entwicklung
des Systems gehören.
Ist aber die gewöhnliche Tugend schon darum un-
ToIIkommen, weil ihr die Einsicht in ihr wahres Wesen
und die innere Zusammengehörigkeit aller ihrer Theile ab-
geht, so ist sie es nicht weniger auch hinsichtlich ihres
Inhalts. und ihrer Motive; denn zur Tugend rechnet man
gewöhnlich nicht blos das Gu^es-, sondern auch das Böses-
thun, Gutes nämlich den Freunden zu thnn, .Böses den
Feinden, und die Beweggründe zur Tugend entnimmt man
gewöhnlich nicht ihr selbst, sondern dem ausser ihr lie-
genden Zwecke der Lust und des Vortheils, Die wahre
Tugend aber erlaubt weder das Eine noch das Ander«.
Wer wirklich tugendhaft ist, wird Niemand Böses thun^
dehn der Gute kann nur Gutes wirken ^), und ebensowenig
wird ein solcher das Gute nur darum thun, um durch seine
Tugend anderweitige Vortheile, seien es nun diesseitige
oder jenseitige, zu erreichen ; denn das heisst die Tugend
um der Schlechtigkeit willen lieben, aus Furcht tapfer und
aus Unmässigkeit geordnet sein ; das ist ein Schattenbild der
wahred Tugend, eine sklavenhafte Tugend, an der nichts
Aechtes und Gesundes ist; die wahre Tugend dagegen be-
steht eben darin, sich von allen jenen Triebfedern frei zu
machen und die Einsicht allein als die Münze zu betrach-
ten, gegen die man Alles umtauschen mugs ^).
Was also Plato dem gewöhnlichen Standpunkt vor-
1) Rep. I, 334, B ff.
2) Phädo S. 68, B ff. 82, C. 83, E. Rep. II, 362, £ ff. X, 612, A,
Stellen, von denen namentlich die erste zu dem Schönsten und
Reinsten gehört, was Plato geschrieben hat. Von Tielem Ver-
wandten, das man hier anzuführen versucht sein könnte, möge
mir erlaubt sein auf die herrlichen Aeusserungen Sfiroza's Eth.
pr. 41. Ep. 34. S. 503 zu verweisen.
160 Die^propadeutiscbe Begründung
wirft, ist iMi Allgemeinen die BewuMtlosigkeit, in der sieh
derselbe hinsichtlich seines eigenen Than« befindet, oo4
der Widerspruch, in den er sich in Folge davon verwickelt,
sich bei einer Wahrheit, welche den Irrthum, und einer
Tugend, welche die Schlechtigkeit an sich hat, zu beruhigen.
Ebeti diesen Widerspruch aufzuzeigen und zur Yerwirrnng
des populären Bewusstseins zu benutzen, war nun das Werk
der Sophistik gewesen; statt aber von hier aus zu einer
tieferen Begründung des Wissens fortzugehen, war sie bei
diesem negativen Resultat stehen geblieben, und hatte als
pesitiveii Zweck mir die absolute Geltung der endlichen
Subjektivität aufgestellt. Hat es sich nun schon in der Kritik
des populären Standpunkts gezeigt, dass Plato von einer
ganz andern Grundlage ausgeht und einem ganz andern
Ziele zustrebt, als die Sophistik, so geht er sofort auch
zur wissenschaftlichen Widerlegung dieser letzteren fort*
Auch hier können wir die theoretische und die prak«
tische Seite unterscheiden. Der Grundsatz der Sophistik lässt
sich nun im Allgemeinen in dem Satze ansdrQcken, dass
der Mensch das Maass aller Dinge sei ; theoretisch gefasst
bedeutet dieser Satz : es ist für Jeden wahr, was ihm wahr
erscheint, praktisch: es ist für Jeden recht, was ihm nütz-
lich ist. Beide Grundsätze hat unser Philosoph ausführlich
widerlegt.
Dem theoretischen Grundsatz der Sophistik hält
Plato ^) ausser der Erfährungsthatsache , dass wenigstens
die Urtheile über Zukünftiges auch für den Urtheilenden
selbst oft keine Wahrheit haben, als entscheidenden Beweis
das entgegen, dass derselbe alle Möglichkeit des Wissens
überhaupt aufheben würde. Hat Alles Wahrheit, was dem
Einzelnen wahr zu sein scheint, so giebt es überhaupt keine
Wahrheit, denn von jedem Satte, und gleich von diesem
1) Tbeät 170, A— 172, B. 177,0— 187, A. Krat. 386rAff. 439, CS.
* . des. Platoniscben System«. 161
Mlbtt, wäre das Gegentheil ebenso wahr, mitbin auch kei-
nen Unterscbied des Wissens und Niehtwissens; objektiv
ausgedruckt, es niüssle dann Alles, der Heraklitisch«n Lebre
gemäss, in "beständigem Flusse sein, so dass sich von Je-
dem Alles ebensogut aussagen Hesse, als sein Gegentbtfil ^);
Yielmebr aber würde unter jener Voraussetzung gerade das
unerkannt bleiben, was allein den wahren Inhalt des Wis-
sens bilden kann, das Wesen der Dinge (die ovaia)^ da
dieses der sinnlichen Wahrnehmung, die Protagoras allein
anerkennt, unzugänglich ist; es kannte kein Anundfiirsich-
seiendes und Festes geben, nichts an sich selbst Schönes,
Wahres und Gutes, ebendamit aber auch kein Wissen von
der Wahrheit; von Wahrheit und Wissenschaft kann nur ge-
sprochen werden, wenn diese nicht in der sinnlichen Empfin-
dung, sondern in der reinen Beschäftigung des Geistes mit
dem wahrhaft Seienden gesucht wird.
Ausführlicher hat sich Plato über die sophistische
l^thik geHussert, zu deren Bekämpfung ihm auch der cyre*
naische Hedoaismus, den er mit jener zusammennimmt,
Anlass gab. Zunächst noch in ihrer Verflechtung mit dem
unmittelbar praktischen Treiben der Sophisten, mit der
Rhetorik, wird dieselbe im Gorgias ^) kritii^irt. Von sophi-
stischer Seite wird hier behauptet, das höchste Gluck be*
stehe in der^Macht, zu thun, was man möge, und eben
dieses Glück sei auch das Ziel des naturgemässen Handelns,
denn das natürliche Recht sei nur das Recht des Stärkern.
Der Platonische Sokrates zeigt dagegen, thun zu können,
was man möge (a doaei Tin), sei an sich noch kein Glück,
1} Aehnlich vviderlegt Aristoteles dieHeralvlitische und Prota^oriscbe
Lehre, indem er dieselben einer Läugnung des Satzes des Wider«
tprucbs gleicbstellt. Mctaph. IV, 4. 5.
2) Vgl. besonders S. 466, A — 499, B. Dass bier aucb die Un-
terredung mit dem Politiker KalliMes zur Widerlegung des sopbi-,
stiscben Frincips gebort, habe ich tebon im i. Tb. S. 261, A. 1.
bemerjit.
DU Philoiophie dtr Griechen. II. ThelL 11
]62 I^ic propädeutiiehe Regründung
spndern nur, su thun was man wolle (ä ßovXeTttt)^ d» iu
was dem Handelnden wirklich zum Besten diene, denn nur
das Gute sei das, was Alle wollen. Dass abmr dieses nicht
die Last sei, diess gebe schon die allgemeine Meinung
2ii, wenn sie zwiscKen dem Schönen und Angenehmen, dem
Schändlichen und dem Unangenehmen unterscheide; das-
selbe fordere aber auch die Natnr der Sache, denn 6ut
Vtid Bqsc schliessen sich aus, Lust und Unlust setzen sich
wechselseilig voraus, Lust und Unlust kommen dem Guten
und Schlechten gleichsehr zu, Güte und Schlechtigkeit nicht.
Weit entfernt daher, dass die Lust das höchste Gut und
das Streben nach Lust das allgemeine Recht wäre, sei es
vielmehr umgekehrt besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht
zu thun, und für ein Vergehen bestraft zu werden, als
unbestraft zu bleiben, denn gut könne nur sein, was ge«
recht, sei. — Die tiefere Begründung dieses Urtheils, die
aber freilich ebendesshalb auch schon in den objektiven
Theil des Systems eingreift, giebt der Phileba4B ^). Die
Frage, die hier untersucht wird, ist: ob die Lust oder die
Einsicht das Gute sei — jenes das sophistische, dieses das
Sokratische, von der megarischen und cynischen Schule
schärfer gefasste Princip. Die Antwort lautet dahin, dass zwar
zur vollendeten Glückseligkeit beides erforderlich, die Ein-
sicht jedoch das ungleich Höhere und dem absolirt Guten
näher verwandt sei. In dem Beweis dieses Satzes bildet den
Hauptnerv die Bemerkung, dass die Lust dem Gebiete des
Werdens angehört ^), das Gute dagegen ein Anundfürsich*
seiendes und Wesenhaftes (avto xad^ aino ov, ovaia Phil.
S. 53, C ff.) sein muss, wenn doch alles Werden ein Sein
zum Zweck hat, das Gute aber der höchste Zweck ist;
dass die Lust dem Unbegrenzten (Endlichen) am Nächsten
1) Besonders S. 23, B — 55, G.
S} Vgl. Rep. IX, 5S3» E: ro '^Bv Iv yvxf! yiyvofnvov xnl to Ivjtij-'
Qov HtvtjiHi r»ff afi<pOTi(fQt iatoy, Tim. S. 64*
des PUtoniBGhtfn Systems. 163
•
veirwftiidt itt, dt^ Einsicht d«geg«ii der gdttlichen Vernanft
ftls 4tr Alles ordnedden und bildenden Ursai:he ^)« Weiter
iSMichl Pialo hier auch darauf auffnerksani) das« Lust und
UnUist auf einer bl^MSen optisehen Täuschang beruhen, das»
die Lust in den meisten Fälleri nur mit ihrem Gegentheil,
der Unlosti zusammen vorkcMumt, dass gerade die heftig-
sten Lustempfindungen aus einem krankhaften körperlichen
0der geistigen Zustand entspringen. Zieht man nun diese
ab, so bleibt als reiue Lust nur der theoretische Genuss
des sinnlich Schönen übrig, von dem aber Plato selbst
anderswo (Tim. 47, A f.) erklfirt, sein wahrer Werth liege
gleichfalls nur darin , die unentbehrliche Grundlage des
Denkens ftu bilden, und den er auch ifu Philebns der Ein-
sicht entschieden nachsetzt. — ^ Um endlich noch der Re-
publik zu erwähnen, so stimmt auch sie mit diesen Er-
örterangei;! iiberein, und weist sichtbar daranf zurück, weiin
sie (VI, 595, C) gegen die Lustlehre bemerkt: selbst ihre
Anhänger müssen zugeben, dass es auch scbleehte Lüste
gebe, indem sie kinn doch zugleich die Lust für das Gute
halten, so thun si^ nichts Anderes, als Gutes und Böses
für dasselbe erklären; und ebenso an einem andern Orte ^) :
die wahre Glückseligkeit habe nur der Philosoph, da nur
seine Lust in einer Erfüllung mit etwas wahrhaft Wirk-:
liebem bestehe, -und nur sie rein, und nicht an eine sie
1) Wenn WsaiiH^sar Fiat, de summo bono docti*. S. 49 ff. glaubt«
Ton der Lustempfindung als solcher könne diess Plato nicht
sagen, und desswegen unter der ^Sovti hier zunächst die Be-
gierde verstehen will , so ist dieser Sinn von Plato selbst mit
nichts angedeutet, ausdrücklich viclmelir Phil.27i£. 41, Ddurck
den Gegensatz der Ivntj auch die ^Sovfj auf die Lustempfindung
bezogen. Diese ist unbegrenzt, weil sie immer mit ihren) Gegen-
theil verknüpft ist (s. o. und Pbädo S. 60» B. Phädr. 238, £),
daher in jedem Moment die Möglichkeit enthält, durch reinere
Befreiung von diesem zu wachsen.
2) IX, 58S, B — 5S7, A -y- fiustierlkber {«t die vorangehende Be-
weisHthrung von S. 576) £ an«
11*
11(4. Die propädeutische Begründung
bedingende Unlust gebunden sei; die Frage, ob die Ge-
rechtigkeit oder die Ungerechtigkeit nützlicher sei, sei so
lächerlich, als die, ob es zuträglicher sei, gesund oder krank
zu sein ^). Nur eine specielle Anwendung des Unterschieds
zwischen dem relativ und dem absolut Guten ist es auch,
wenn Rep. I, 339 — 347 die sophistische Behauptung, dass
die Gerechtigkeit nichts Anderes sei, als der Vortheil des
Herrschers, tlurch die Ausschliessung der Lohndienerei von
der Regierungskunst widerlegt wird, denn offenbar liegt
hiebei die allgemeine Voraussetzung zu Grunde, dass die
sittliche Thätigkeit ihren Zweck in sich selbst haben mOsse,
nicht in ein«m ausser ihr Liegenden; und wenn ebenda-
selbst S^ 348, B ff. der Vorzug der Gerechtigkeit- vor der
Ungerechtigkeit weiter daraus bewiesen wird, dass nur der
Gerechte in seinem Thun mit andern Gerechten überein*
stimme, der Ungerechte dagegen nicht nur dem Gerechten,
sondern auch deni Ungerechten selbst widerspreche ^), dass
daher ohne alle' Gerechtigkeit gar kein geselliger Zustand
uad kein gemeinsames Thun möglich sei , so weist auch
dieses darauf zurück, dass das nur der Lust und dem Vor-
theil dienstbare Thun innerlicher Festigkeit und Wesen*
haftigkeit ermangelnd der Widerspruch seiner gegen sieb
selbst sei, ^
Diess also erscheint in letzter Beziehung als der Grund-
fehler der sophistischen Ethik, dass sie mit ihrer Lus^lehre
daff Vergängliche an die Stelle des Bleibenden, den Schein
an die Stelle des Wesens, die relativen und darum immer
wieder in ihr Gegentheil umschlagenden Zwecke an die
Stelle des in sich einstimmigen absoluten Zwecks setzt. Auf
eben dieses waren aber auch die Einwendungen gegen das
theoretische Princip der Sophistik zurückgekommen; auch
1) Rep. JV, 445, A f.
3) Uebrigens lässt sich hier eine in dem zweideutigen Gebrauch des
TrA^oi^cxrcTr begründete Erschleichung nicht rerkennen.
k
\
des Platonischen Systems. 165
bei diesem ist der Grundirrthniu die Verwechslung des
Wesens mit der Erscheinnog, des Absoluten mit dem blos
Relativen« Die Sophisiik ist. also nach Platonischer Anf-
fassung überhaupt die durchgeführte Verkehrung der rieh«
tigen Weltansicht, die systematische Verdrängung des We*
sens durch den Schein, des wahren Wissens durch ein
Scheinwissen, des sittlichen Handelns durch einen niedrigen,
nur endlichen Zwecken frohnenden Eudämonismus, sie ist,
nach der Definition am Schlüsse des Sophisten, die Kunst,
ohne wirkliches Wissen und im Bewusstsein dieses Man-
gels sich durch erisüsche Dialektik den Schein des Wis-
sens zu geben, und ebenso die angewandte Sophistik, oder
die Rhetorik ^), die Kunst, denselben Schein ganzen Volks-
massen vorzuspiegeln, wie die Sophistik Einzelnen; oder
wenn wir beide zusammennehmen, die Kunst des Sophisten
besteht darin, die Launen des grossen Thiers, des Volks,
zu Studiren und geschickt zu behandeln ^) i der Sophist ver-
steht weder, noch besitzt er etwas von der Tugend 3), er
ist nichts weiter, als ein KrUmer, der seine Waare an-
preist, wie sie auch beschaffen sein möge ^), und der Red-
ner, sfatt ein Führer des Volks zu sein, erniedrigt sich
zu seinem Knecht^). Weit entfernt daher, dass die Sophistik
und die Rhetorik Wirkliche Künste wären, sind sie viel-
mehr als blosse Fertigkeiten (ifineiQiai) und näher als Theile
der Schmeichelkunst zu bezeichnen, als Afterkünste, die
ebenso Caricaturen der Gesetzgebnngskunst und Rechtspflege
sind, wie die Putzkunst und Kochkunst Caricaturen der
1) S. Soph. 268, B. Phädr. 261, A ff. Gorg.-455, A. 462, B — 466, A.
2) Rep. VI, 493.
3) Meno ^, A f. -
4) Prot 313, C ff. Soph. 223, B — 226, A.
5) Gorg. 517, B ff. Dass von diesem Urtheil auch die berühm-
testen Staatsmänner Athens nicht. aussunebmen seien, sagt Plato
ebd. S. 515, C ff.
vtM Die propädeutische Begrüa^ung
Gymnattik iiml der Arzneikmide ^) «— ein Urfheil, von dem
Plato nur eine vorübergehende Ausnahme macht, wenn er
im Sophisten S. 231, B ff. die prüfende und reinigende
Kraft der Sephistik zwar andeutet, diese Andeutung aber
aogleicb wieder, als au ehrenvoll für dieselbe, anrück»
jiimmt.
VerhSU es sich nun aber so mit dem, was gewöhn*
lieh für Philosophie ausgegeben wird, und kann doeh der
. Standpunkt des nnphilosophischen Bewusstseins ebensowenig
genügen, worin haben wir im Gegensatz hiegegen die wahre
Piiitoaophie zu sueheni
Schon im Bisherigen hat sich gezeigt, dass Plato deni
Begriff der Philosophie einen viel weitern Umfang giebt,
als wir diess gewohnt sind ; während wir unter Philosopbb
nur eine bestimmte Weise des Denkens zu verstehen pfle-
gen, so ist sie dem Plato ebenso wesentlich eine Sacke
des Lebens, ja dieses praktische Element ist bei ihm das
Erste, die allgemeine Grundlage, ohne die er sieh das theo-
retische gar nicht zu denken weiss« Er ateht aiieh hierin
dem Sokrates noch nSher, dessen Philosophie noch ganz
mit seinem persönlichen Charakter zusanimeafalk, und ist
er auch über diese Beschränktheit des Sokratiscben Philo-
sophirens hinausgegangen, und hat die Idee zum System
entwickelt, so hat er doch diese Thätigkeit selbst noch
nicjit so ausschliesslich theoretisch gefasst, wie Ariiitoteles«
Auch bei der Frage nach der Platonischen Deduktion der
Philosophie ist daher das Erste die Entstehung derselben
aus dem praktischen Bedürfniss, die Darstellung des philo«
sophischen Triebes oder des Eros, erst das Zweite die theo-
retische Form der Philosophie, oder die philosophische Me-
thode; durch seine Bestimmungen über diese beiden Punkte
ist dann 3) Plato*s Gesammtansioht von der Philosophie und
^er Bildung des Subjekts für dieselbe begründet.
im
1) Gorg. 462, B iL
des Platonischen Systems. 167
Die fiUgemeine subjektive Grandlage der Philosophie
ist der philosophische Trieb» Wie aber dieser bei
Bokrates nicht die reia theoretische Form des Erkenntniss«
triebes gehabt hatte, sondern nnmittelbar das Streben war,
philosophisches Geistesleben in Anderen zu erzeugen, so
fasst aach Plato den philosophischen Trieb wesentlich in *
seiner Beziehung anf die praktische Verwirklichung der
Wahrheit auf, und bestimmt ihn d^i^halb näher als Zeu*
gungstri.eb, oder Eros. Dass dieser Trieb im Menschen ist,
diess begründet der Phädt'us (249, D ff.) im Allgemeinen
mit der Sehnsucht der in's Erdenleben herabgesunkenen
Seele^ die Urbilder, welche sie im Präexistenzzustande ge-
schaut hatte, in der schönen Erscheinung sich zur An*
schauong zu bringen; genauer leitet denselben das Gast-
mahl (20 6| C ff.) aus dem Streben der sterblichen Natur
nach Unsterblichkeit ab; indem nämlioh diese der Unver*
änderlichkeit des göttlichen Lebens ermangelt, so entsteht
für sie die Nothwendigkeit, durch immer neue Erzeugung
ihrer selbst sich zu erhalten. Dieser Zengungstrieb ist die
Liebe ^). Sofern nun diese ein Streben ist, dem Unsterb-
lichen ähnlich zu werden, so ist ihr Gegenstand das Gute,
oder die Glückseligkeit ^) ; sofern sie aber eben erst ein
Streben, noch nicht der Besitz selbst ist, so setzt sie
einen Mangel voraus; die Liebe ist also ein Mittleres zwi-
schen Haben und Nichthaben, oder genauer der Uebergang
von diesem ^u jenem: der Eros ist der Sohn der Penia
und des Porös ^). Welches aber jener Besitz ist, den die
Liebe anstrebt, diess deutet Plato schon darin an, dass er
den Porös, den Vater des Eros, den Sohn der Metis nennt
i) Symp. 3O69 E: iart ydp^ oi ^(uH^arsSt 00* tov uakov 6 l'goii^ ojs
9v otH. 'uikkd ri fiTjV; JV/ff ytvpi^atws Mal xov ronov iv Wif HaXta.
Vgl. S. 206, B. ,
2) A. a. O. a 204, E — 206, A.
3) A. a. O.* S. 199, C — 204, B.
168 Die propädeutische Begründuiig
(S.203,B); denn ohne Zweifel soll damit gesagt sein,
dass der wahre Gegenstand der Liebe der ans der Ein-
steht entspringende, geistige Besitz sei« Bestimmter erklärt
sich in diesem Sinne der Phädrus, wenn er die Anschauung
der Idee in ihrem irdis<^hen Abbild als das eigentliche Ziel
und Motiv der Liebe bezeichnet ^)« Auf das Gleiche fuhrt
aber auch die Auffassung des Eros als Zeugungstrieb zu*
rück, denn wenn dieser im Allgemeinen dazu dienen soll,
der sterblichen Natur die Unsterblichkeit zu verschaffen, so
ist die wirkliche Erreichung dieses Ziels, wie wir aus dem
Phädo wissen ^), nur durch Zurückziehung der Seele vom
Körper und Erfüllung derselben mit dem wahrhaft Seien*
I den, durch Philosophie möglich. Die Liebe ist also über*
haupt das Streben des Endlichen, sich zur Unendlichkeit
ZU erweitem, sie ist insofern, wie der Phädrus sagt, ein
Znstand der Begeisterung, eine ftana ^)* Dieses Streben
1) Phfidr. 244 f. 349, D ff,
2) S. 64 f. Tgl. Tbeät. 176, A f. Rep. IX, 585, C f. s. u.
3) Im Obigen ist bereits die meiner Ansiebt nach richtige Erklärung
des Mythus Symp. S. 203 angedeutet« Wenn Jahit (Diss. Fiat
S. 64 if* 249 ff.), im Wesentlichen den Neuplatonikem folgend,
die Metis Ton der weltbildenden Vernunft, dem Phil. 30, D er-
wähnten ßaadtnoi vovs des Zeus deutet, den Porös und die
Aphrodite von den Ideen des Guten und Schönen, iie Penia von
der Materie, den Eros von der menschlichen Seele, so kann ich
dieser Deutung nicht einmal so viel Recht einräumen, als Brav-
ms Gr.-röm. Phil. If, a, 422 f. gethan hat; denn so unlaugbar es
ist« dass die Bedürftigkeit der menschlichen Natur im Platonischen
System vom Herabsinken der Seele in die Materie hergeleitet
wird, so wenig ist doch im vorliegenden Fall durch irgend etwas
angedeutet, dass Plato auch hier ausdrücklich auf diesen Ur-
sprung des Endlichen hinweisen wolle, ebensowenig ist es nöthig,
die Metis u. s. w. im kosmischen Sinn *zu fassen, der ganze My-
thus erklärt sich vielmehr einfach und ungezwungen, wenn wir
ihm den Sinn geben : der Eros ist der Tneb der bedürftigen end-
lichen Natur, sich mit dem geistigen, göttlichen Gehalte (dem
Ton der Weisheit .erzeugten Besitz) zu erfüllen, ein Trieb, der
nur in der Anschauung des Schönen seine Befriedigung findet
des Platonischen Systems. ]M
Terwirklicht sich aber in einer Stofenreihe verschiedener
Formen ^): das Erste ist die Liebe za schönen Gestalten,
erst zu Einer, dann zu allen; eine l>5here Stufe die Liebe
zu schonen Seelen, die sich in Erzeugung sittlicher Reden
und Bestrebungen bethätigt, eine dritte die Liebe zu
schönen Wissenschaften, das Aufsuchen des Schönen, wo
es sich immer finden mag, die höchste endlich die Liebe,
welche sich auf die reine, gestaltlose, ewige und unver-
Itnderliche, mit nichts Endlichem oder Materiellem ver-
mischte Schönheit, auf die Idee richtet, und in Hervorbrin*
gung des wahren Wissens und der wahren Tugend das
Ziel des Eros, die Unsterblichkeit allein erreicht ^)« Ist
aber erst dieses die adäquate Verwirklichung dessen, was
der Eros anstrebt, so zeigt sich eben hierin, dass er auch
von Anfang an eigentlich nur hierauf gerichtet gewesen sein
kann, und dass alle untergeordneten Stufen seiner Befrie-
digung nur unklare und unreife Versuche w*aren, die Idee
in ihren Abbildern zu ergreifen. Seinem wahren Wesen
(der Gebnrtslag der Aphrodite ist auch der seinige). Die frühe*
ren ErlilSrungen hat Jahn S. 136 ff. mit grosser Gelehrsamkeit
gesammelt.
1) Symp. 208« £ -< 212, A. In der unentwickeltem Darstellung
des Phadrus S. 249) D ff« wM diese Unterscheidung kaum erst
angedeutet, und der philosophische Trieb noth unmittelbar mit
der sittlichen Knabenlicbe eusammeogenQmmen.
2) Man vergl. über den letztem Punkt Symp. S. 209« A: ilal yug
ovvj tifij, Ol xai IV raU tpvxa7s uvovoiP Ir* fiaXkov t} iv roU
atifiaatPf a yfvxjj Trgofi^xtt xal mvrjaat nal xveip. Ti ovv itf^oitjitH y
tpQovriüiv T$ Mctl T^v aKki}v a^irr^v u. s. w. S. 212, A: ^ qvx
iv&vfAti, i'if,yjj or$ iptav&a [in der Anschauung der Idee] avTt^
ftovaxota ytPijaitatt o^wpTt ^ o^atov to »alovy rUttiv ovn ti^
SwXa u^er^c axt ov* tiSiukov itpanrofAiit^ ^ aXk' aXtj&^t an rov
altf&ovs itp^'jtzofutvt^ ; Tixorrt Sa dgit^v dhj^ij nutl iff^tpafiivt^
vird(fx%t ^iO(fnXtl ysvia&atf nal alWsg rtjt ukX^f dr^^tunotv^ d&a^
vaTiff *dn%iptijf. Phädr. 248, £ (vgl. S. 256) : ii9 ftlv yd^ to avro,
ö^cy iptu tj xffvx^ iüdattf , ovx d^mvurat iTfov ftvgiwv • ov yoQ
nTS(fovtai nf/6 rowottov xQovov nX^y 7} rov ipiXoao^i^aavro€ ddo^
Xwf ij 7TaiStgf»OTf}aavT0g gistd tfnXoootfint.
170 nie propädeutische Begtündaing
nach ist daher der Eros der philosophische Trieb, das. Stre-
ben nach Darstellang des absolut Schönen, nach Einbildiing
der Idee in die Endlichkeit durch spekulatives Wissen und
philosophisches Leben , und mir als ein Moment in der
Entwicklung dieses Triebs ist alle Freude an irgend Wel*
chem besonderen Schönen 'zu betrachten ^).
() Neben der Darstellung des Phädrus und des Gastmabis konnte
im Obigen vielleicht auch eine Berücksichtigun|f des L;fsis er-
wartet werden. Ich muss jedoch gestehen, dass mir bei wieder-
holter BeschäAigung mit diesem Dialog sein Werth und seine
Aechtheit immer zweifelhafler geworden, und diese Zweifel auch
durch die Bemerkungen von Hebmaitn (Plat. I, 447 f* u, Anmm.)
und STALLBA.VM Plat Opp. IV, 2, 88 nicht beseiti^^t worden sind. Die-
selben gründen sich, neben dem vielen Unplatonischen, auf das gröss-
tenthcHs schon Ast (Piatons Leben u. SchriAen S. 431 ff) aufmerk-
sam gemacht hat, besonders auf das Vevhältniss dieaes Gespräch«
eum Symposion. Wenn nämlich hier S. 219) B 4^ Resultat
gewonnen wird: 21o ovrs Hanois ovre aydltoy a^ac dta t6 mancv
nal To ix^^ov tov dyadov tf^iXov iattp tvana rot dya&ov xal
tpiXovy so ist dieses offenbar nichts Anderes, als die Lehre des
Symposion über den Eros, der Satz, dass die Liebe aus einem
anhaftenden Mangel und Bedürfniss (iid to «ctxdi» — 9td uaHov
vuQotwia» Lys. 218) C) hervorgegangen, aber um des absolut
Guten und Göttlichen willen (ßtd xo dya&or) auf daa Schöne im
endlichen Daseni gerichtet (tov dya&9v tpiXor)^ nur einem swischen
Endlichem und Unendlichem in der Mitte stehenden Wesen (dem
övrs uaxoy ovr% dya&opy zukommen könne, weshalb denn auch
der Satz des Symposion 203 « £ f«« dass die Götter, überhaupt
die Weisen, nicht philosophiren, ebensowenig dhw die durchaus
Unwissenden, sondern die zwischen beiden in der Mitte Stehen-
den, hier S. 218, A fast mit denselben Worten wiederkehrt. Der
Lysis setzt somit den ganzen 'Ideenkreis des Symposion voraus,
und könnte in keinem Fall der frühen und unentwtckdten Form
des Pktonbchen Philosophirens angehören, in die ihn HsBMiisir
u. A. verweisen. Nur um so auffallender ist es dann aber, dass
Plato hier, ganz gegen seine sonstige Gewohpbeit, eben Grund-
begriff seiner Philosophie so rein formalistisch und ohne alle
Hindeutitng auf seinen Zusammenhang mit dem übrigen System
besprochen, dass er die Idee des Eros in den prosaischen, sonst
erst seit Aristoteles hervortretenden Begriff der <pMa verflacht,
dass er auf den idealen Inhalt der wahren Liebe so wenig, ak
des Flatoaischen Systems. 171
Der philosophische Trieb ist ind^sen erst das S f r e be «
nach dem Besitz der Wahrheit; fragen wir nun aber wei-
ter, welches das MiUel ist, uro wirklich zu diesem Besitz
an kommen, so antwortet uns Plato, etwas unerwartet für
seine gewohnlichen, enthusiastischen Verehrer ^): die dia*
lek tische Methode. Dass diese zum philosophischen
Trieb hinzukommen müsse, dieas ist schon im Phädrus aus-
gesprochen, wenn hier auf die Schilderung des Eros, welche
der erste Theil dieses Gesprächs enthält, der zweite eine
Untersuchung über die Kunst der Rede folgen lässt ^), und
wird auch die Nothwendigkeit jener Methode hier (8w261,
C ff.) zunächst noch ganz äusserlich mit der Bemerkung
begründet, dass ohne dieselbe der Zweck der Beredtsamkeit,
die Seele nleitung, nicht zu erreichen sei, so hebt sich doch
auch bereits diese Aeusserlichkeit der Behandlung im Ver-
laufe (S. 266, B. 270 D) wieder auf. Tiefer gehend zeigt
derSophfot (251, A — 253, E): da weder alle Begriffe sich
Terbinden lassen, noch alle dieser Verbindung Widerstiebenj
so bedürfe es einer Wissenschaft der BegriffsTerknüpfung,
der Dialektik. Hierauf zurückweisend endlich erklärt der
Philebus (S. 1 6, C ff.) diese Wissenschaft für die h^hsle
auf die ihr wesentliche BeziehMog eur schönen Form hingewiesen,
dass er auch die acht Platonische Bestimmung Lys. S. 919 wie-
der eristisch bezweifelt, und am Ende ohne alles Resultat ge-
schlossen haben soll.
1) Dass dieser Fortgang sur Dialelitik schon den Meis(en von Pla-
to's unmittelbaren Schülern unerwartet ham, sagt bei einer etwas
andern Veranlassung Ahistotslxs bei Aristoxehüs Harmon.
Eiern. II, Anf. S. 30 ed. Mbtb.: Ka&aTre^ 'u^gtaroM^^ ael Sirj"
yttroy rove nltforovf rwv aHouaavTtap na^a JTlarüfyoc rtjv nsgl
Tclyn&ov ttMQoaoiv na&eTp' ftgouivai fiiv yag exacroy vtfXafißa^
rovra kr/tftsadal r* rfvv voui^of/klvwv dp&Qinitivoiv dyax^iZv ort
8^ (jfyavelfjaotp ot koyok nsQl fjM^tjfjtaTtov nal agid'/iKuv xal ytams^
TQiaS na) dotQt^Xoyla^y ««i to ni^aQ^ or« dya&ov iortv eV, navTS"
Xoist oiuoth TragdioieP Tt itpa/psro avroU.
2) S. SCBLKISRMA.CHBB Einl« zum Phadrus, besonders S. 65 f.
172 l>i^ propSdeutische Begtünclaiig
Gabe der Gdtter und das wahre Feuer des Prometheus, ohne
das keine knnstmässige Behandlung irgend eines Gegen-
Stands möglich sei. — Was sodann nfther das Wesen der
Dialektik betrifft, so ist zunächst im Allgemeinen festzn-
halten, dass ihr Gegenstand ausschliesslich der Begriff ist:
sie ist das Organ, mittelst dessen der von aller sinnlichen
Form und Voraussetsung freie reine Begriff ergriffen und
entwickelt wird ^)« . Im Besondern besteht die dialektische
Beschäftigung mit den Begriffen in einer doppelten Funktion^
der cvraytayi^ und der dtatqeaig^ d. h. der Begriffsbildung
und der Eintheilung : das Ersf e ist, dass man das Viele der
Erfahrung auf Einen Gat^ngsbegriff zurücksufuhren, das.
Zweite, dass man diesen organisch (nar äq&qa, i mqivxi)
in seine Artbegriffe zu zerlegen wisse, ohne eines seiner
natOrlichen Glieder zu zerbrechen, oder eine wirklich vor-
handene Gliederung zu' übergehen. Der vollendete Dialek*
tiker ist daher, wer den durch das Viele und Getrennte
sich hindurchziehenden Einen Begriff zu erkennen, ebenso
umgekehrt den Einen Begriff methodisch durch die gam^e
Stufenleiter seiner Unterarten bis zum Einzelnen herabzu*
fOhren, und in Folge dessen das gegenseitige Verhältniss
1) Rep. VI, 511, B (s.o. S. 150): ro toipvp 'irtgov fid^O-ava Tfitjfia
ro^ vof^Tov Ifyovrd (At roiTro, ov avroi 6 XoyoQ ünriTat r^ tov
Staliyta&at Svvd f*$*f rdi vTto&datiS notov/tttvoc olm d{f%d9^
dkXd T^ o»T$ vTTO&iüitQi Otüv fTrtßdou9 tt xal OQ/tdi^ *lva /*fX9*
tov dvvwo&irov iirl rtjv tov navvoi dgxtj» li»Vy d^duevos avriji^
itdhv aZ ixoutfoi rwv ex$!vijs i%OfAivojv^ ovxoti inl Ttksvryp
nataßaivtj aio&tjn!^ narrdnaaiv ovStvl 7r(^Q%Q(ufA%t'os ^ dli' ti9i^
atv avroic Si avröiv ttS avtd^ nal tsI§vT'J ««V eiStj. Rep. VlI,
532, A : orav rte r^ SiaX^yea&at IniXHQjj^ avtv naaöiv rcuf mo^
^T^atotv 8id TOV Xoyov in avro o ^otiv tnaorov oQfia nal fttj
dnoory nglv aV avro o eativ dya&op avTJj vo^au Idßfj, in mv-
r<j» yiyvtrat tiZ tov vot^tov rilu. . . Ti olv; ov StaXexttx^wTav^
Tfjv T^f nofitUv xalsU ; Phileb. 58, A : die Dialektik sei 17 iibqI
TO ov xal t6 ovTOßS ital t6 nard Tavzov du itBtpvKoi in^oT^fjLtj,
Vgl. Pbädr. 337, 6. Sopb. 218, G. Meno 71, B und die sogleich
weiter anzufulirenden Stellen«
des Platonischen Systems. 173
der Begriffe zu einander und die Möglichkeit oder Unmdg"'
lichkeit ihrer VerknOpfung festzustellen, weiss ^). — l Diese
1) Phädr. 265, D ff. (vgl S. 361, E besonders aber S. 777^ B):
die Kunst der Rede habe zwei wesentliche ^estandtheile : £/c
fiiav TB iSiav atvogdSvra äy$iv rd noXXaxjl . Sitonagfiiva , *r*
intiOTOv ogt^ouBVos d^kov not^ mgl ov «V dil 9i9aaniiv i&iXtf^
und: ndXiv Max ii9ij 8vvaa^a$ Ti/tvttv^ %a%* dg^Qa^ // iri<pvxti
Kai ß*t} iTnxitQhiv »arayvipat uamov fiaysigov rgoTUft xQfofitvov • . ..
xal TOvS ivvafiivovS airo Sq^v »l fitv 6g&(uf 9/ fty iTQOQayogtliu
^tos oiSty KaXt» St olv f*iX9* Tovdi SiaXennHOvS. Soph. 35 S^ D:
To uard ylvtj dtaiguo&äi Hat /i^rt tavtov liSos ittgo» ^yV^aO'*
&at ß*^^' kTiQOV ov Tavtcv fiöip ov r^s StaXiMruc^s tftjaofnv
titiaxTjfjLiiQ Btvai ; • • • Ovnovv öye rovto SvvaroQ SgaVy fuav iStav
Sid yroXXo'iVf ivoe indatov UB^fjUvov xwgU^ ndvrtj SiatstmfjLiptjv
Iftaviui StaiaddvsTa^t nal noXXds h/gaS vno fndt H^ut^iv mgu^
XOfiivai i nal fiiav av St' oXwv noXXwv tv ivl ivvtjfifiivfjVy nal
noXXds x^*9^^ ndvtij StatgtofiivaS * tovto d* iar«»', i) rt MotvwviZv
inaara Svvatah *tal omj fitjy dtaxQivuv Matd yivos inittxao&MB» ^^
HavTanatfi fiiv ovv, — **uiXXd fij^v t6 yt diaXturiHQV ovnt dXXtf
Sojam , oh iyJifiat i nX^v tta tta&agöiS ts «al Sinaiws ^iAoao-
q>ovvTt» Phileb. 16, G ff. ol naXatol ravtr^v tpifir^v nagiSoaav^
(vs iS itos fiiv Mal in noXXiJav ovratv rtov dtl Xtyoftivoty §Uaf^
nigat dt nal dnugiav iv iavroii ^vßtpvTOv ix^vrtuv* Sttv oZv
ijfids Tovvotv ovxot SiaHtKOOfiijfiivoip dtl (liap tSiav ntgl navxQt
ixatnoTf (fifiivovi S^jrttr , BVQt^ativ ydg ivovaav idv ovv icara-
Xdßtafisvy furd ftiav Svo , li' notS »totf OMonstVi sl di fii^, rgtU ij
Tiva dXXov dgi&fiov ual twv bv imifotv [wohl : iv iuBifqt sc. rif
na»Tl vgl. Stallbavm z. d. St Plat Phileb. 1842. S. 124] tAaoTov
ndXtv ojoavtüiSf (1^X9* ^^Q ^^ ''^ *^^* ^9t^^ ^^ /*^ '^'^ ^^ *<<*2
noXXd Hai dntga iari fjLOvov l'Stj Ti6f aXXd xal onioa* t^v di rov
dntlQOv ISlav ngos to nX'^&oQ fitj ngoatpigitVf nglv dv rti rvi»
dgi&fiov avTov ndvxa xariSt^ rov fitral^i to» dnBigov ri nal
tov ivoi* toTs f i'^Stj to Bv Bxaotov tdüv ndvtot» Bii to diTBtQOV
fiB&ivta ;|ra/^«<v iav. •• Td fiioa^ heisst es nachher, oh Sutmxoß^
Qiotat to tB StaXBntiKiue ndXtv nal to igiattnaif igfids ^otBia&ai
nQOf dXXriXovi tov€ XoyovS. (Vgl. Polit 285 ff. Rep. V, 454, A.)
Nur das Eine der hier im Begriff der Dialektik susammenge«
fassten Elemente hebt die Republik hervor, wenn sie VII, 557, G
die Anlage zur Dialektik in"^ die Fähigkeit setzt, das Einzelne zum
Begriff zusammenzufassen (o ovronttnoi StaXButtxotf 6 Sb ^17,
. ov) und ebd. 534, B den iiaXixttnos dcfinirt als tov Xoyov indatov
Xafißdvovxa tijs ovalaty ebenso Rep«X, 596» A u. A. Beispiele
der Begriffsbildung giebt Gorg. 447« G ff. Meno 74} B.ff. und
174 Die propäaeutisclie Begrüadung •
BestimtiiHiig ist indessen noch nach Einer Stke bin nngt«
niigend. Dit Dialektik ist die Kunst der Begriffsbildong
und Eintheilung, aber worin liegt die Gewähr für die Rich-
tigkeit und Vollständigkeit dieser Operationen? Sofern un-
mittelbar von der Vorstellung zum Begriff übergegangen
wird, bleibt immer die Gefahr, dass dieser nur inseitig
gefasst'sei, und darum in der weitern Anwendung Beden-
ken und Widersprüchen unterliege. Dieser Schwierigkeit
lässt sich nur ausweichen, wenn die Wahrheit jeder ein-
zelnen Bestimmung von ihrem Zusammenhang mit allen
andern , oder davon abhängig gemacht wird , dass Alles,
was aus ihrer Annahme folgt, mit dem Ganzen des Systems
vereinbar ist, aus ihrer Nichtannahme umgekehrt solcher
folgen würde, das sich selbst oder anderen unumstösslichen
Wahrheiten widerspricht» Ehe mithin eine B^timmung
definitiv angenommen wird, mus's dieselbe zuvor in ihre
Consequenzen entwickelt, ebenso aber auch unter Voraus-
setzung ihrer Unwahrheit gezeigt werden, was aus ihrem
Nichtsein folgen würde, um an diesen Consequenzen ihre
Möglichkeit und Nothwendigkeit zu prüfen, und dieses ist
die von Plato als dialektische Vorübung geforderte hypo-
thetische Begriffserörterung, welche aber in ihrer voll-
ständigen Darstellung nothwendig die Form einer antino-
roischen Entwicklung annimmt, da sich nur durch eine solche
neben der negativen auch die positive Nothwendigkeit einer
Bestimmung prüfen lässt ^). So grosser Werth aber auch
besonders Tbeä't, 146, € ff., von der Eintbeilung liandelt Sopb.
218, E ff. Tgl. 235, C. 266, A. Polit. 262, B. Beispiele des Ver-
fahrens bei Einlheilungen bieten eben diese Dialogen in Menge»
1) Hauptstelle hierüber ist die de& Parmenides S. 135, C. Nach-
dem hier Sokrates durch Einwurfe gegen die Ideenlehre in Ver-
legenheit gebracht ist, sagt ^m Parmenides: 11^4 y**Qi ^9^^
yvfivaad'tjvaiy oi ^ojn^axtiy optXsa&at Ithx^iqciS xakov t$ ri xal
9Uaiov %al dya&ov ttal tv exceoror tw'v eiSmp . . . uakf) jitv ovv
des Platonischen Systems. 175
von'PIato auf dieses Verfahren gelegt l^ird, so ist dasselbe
doch nur, wie er es selbst nennt, eine Vorübung, oder ge*
nauer, ein Moment der dialektisch«! Methode, ein Theil
dessen, was Aristoteles die Induktion nennt, denn sein Zweck
soll eben darin bestehen, dass die Wahrheit der Begrififo
geprüft und ihre richtige Bestimmung möglich gemacht
Si aavtov mal yufivaaat fiakXov dt^a tfJQ SoMOvaiji a%QtjaTOv sivat
xal iitakorfi,hr,i vno rwv 7roXl(ny adokscxta^t <w* ^'^ »^'off t2' H
dt fifjiOi 8ia(psri8Tai ij ak^O'sia» T/q ovv o T^vnoi, tpavah «'//«fr^
fisviSijy T.^t yvf^vaaias ß Ovroe, tlntiVf ovneg ^ttovaaQ Zr^vojvos
'(die indirelfte Prüfung einer Annahme durch Entwicklung ihrer
Consequenzcn). . . Xgi^ Si xal toSs tn 7r(f6s roir^t noislv^ (lij
fjtovov ei, l'ativ 'ixaaxov vno&iftsvov anontiv xd avfißaiyoyra ix
tifi vnod^ianuty dkXd xa) tl fi^ iart to avto tovto vTtotid'ta&ah
61 ßovlH fiallov yvfivaü^fjvai — wovon sofort der ganze xweite
Theil des Parmenides ein ausgeführtes Beispiel giebt Vgl. Phädo
101 , D : ^i bi Ti9 tLVTfji Tfje vTro&ioewC i'xoiro , %ai(fttv io}tfS «V
xal ovx dnoxQivato eutS av rd an ixeivT^Q OQ/ttj^ivra wxttpaiOt
tl' aot dMßoiS ivfi(fO)vt1 7} ^MifjOitrei ; innStj Si ixBiytji avr^f
Sioi OB diSovat koyoPy woavrme av SiSoiTjS , äkkrjv al vno&tcip
vnod'ifitvQi , ij ri9 xmv dvut^ev fttXrioTT^ ti^ahono , 6(u9 ini
Ti txavor il&oii u. 8. w. Meno 869 £: ovyx^if^i^f^^ ii vno^
^^oHoQ avTo oxoTTita&at . . Xtyo* Si ro i^ vjt&&i0a(ioe luSa « ojsirtg
Ol ysoifiixQai nokkaxti oxorrovvtai . . ei fiiv toxi tovxo x6 xw^iov
toiovxop ötov na^ x^v So&ttoav avxov y^fift^p naqaxtivavxa
ikküntiv xoiovxfff X^'9^^/ oiov av avxa ro naQaxtxafnivop 7/, äkko
XI ov^ßalt'uv uoi SoxtZ, xal akko av 9 tl dSvvaxov toxi xavxa
Tta&etv, S. auch Rep. VII, 534« C Nur in scheinbarem Wider-
spruch hiegegen wird im Kratylus S. 436) 0. f. auf die Bemer-
kung : filyiaxov 8i aoi i'oxw rexfi^^ov oxt ovx to(fakxai xt/S dkrj^
&tiaS 6 xi&tftsvof' ov ydg av ttoxs ovrat ^vfiipojya ^v avxt^
aitavxa , erwiedert : dkkd xovxo fiiv « m 'ya&i Rgaxvka » ovSip
ioxiv dnokoytjua* ti ydg to ngwxov a<paktlQ o xi&ifitvoi xäkXa
^Sij irgoi xovx' ißid^txo xal ffivxvf ^vfufuivtiv tjvdyxaStiv^ ovSi»
äxoTTOv . . xd koiTtd ndfinokka ^8tj ovxa ivofAtva Ofjiokoyetv dkk^^
koiS' SaZ df} ^tgl ti}c dgxv^ navxos ngdyfiaxßi Ttavxl dvSgl tov
nokvv koyov tlvai xal ttjv nolkr^v oxixpiv^ tXxe ogd^ojf ti'xe /in
vnoxtitMi' ixtir»!^ Si i^sxao^^tiojjf txavM xd komd ixtivrj <pat^
yto&4u tnoßfvai denn hinterher xeigt sich ja doch , dass die ein-
seitige Vorausseteung des Kratjlns in ihren Gonsequeneen sich
in Widersprüche verwickelt.
17C Die propSdeatiiche BegrQnclung
wird. Die Anwendung dieses Verfahrens auf die Voraus«
Setzungen des nichtphilosophischen BeWusstseins ist unqiii*
telbar ihre Widerlegung und Aufhebung in die Idee, seine
Anwendung auf diese , wie sie im Parmenides versucht
wird, ihre dialektische Begründung und Bestimmung; sind
wir aber auf diesem Wege zur Idee, als dem Unbedingten,
gelangt, so muss diese indirekte Gedankenent^icklung der
direkten, die analytische Methode der synthetischen Platz
machen, als deren eigenthumliche Form Plato, dem Obigen
zufolge, die Eintheilung betrachtet ^)«
Diess also sind die beiden wesentlichen Elemente der
Philosophie: der philosophische Trieb oder der Elros, und
1) Wenn BfiA.vi>is, der übrigens gerade diese Seite der Platonischen
Dialektik scharf und richtig hervorgehoben hat, das obige /{
vTro&i'aiOiS oHonuv als ein höheres dialektisches Verfahren cur
Ergänzung der Eintheilung beaeichnet (Gr.-röin. Phil. II, a, 364)«
so kann ich nicht beslimmen« Für's Erste nämlich ist der Zweck
desselben nicht das Auffinden eines Corrcctivs für die Einthei-
lung, sondern die Bestimmung über die Wahrheit der v^o^/osiff,
d. h. über die richtige Fassung der Begriflfe, von denen eine Un-
tersuchung ausgeht, wie es denn auch nur für diesen Zweck im
Meno und Parmenides und schon im Protagoras (S. 329, C ff.)
angewendet wird ; sweitens sodann scheint es mir eben desswegen
Ton den früher besproclienen Bestand t heilen der dialektischen
Methode, der Begriflsbildung und Eintheilung, nicht wesentlich
verschieden zu sein , sondern als die kritisch • dialektische Probe
der richtig vorgenommenen Induktion dem ersten von diesen zu-
zufallen. Wenn Bbasdis (S. 266 ff.) weiter die leitenden Grund-
sätze der dialektischen Methode bei Plato aufsucht, und diese in
den Sätzen des Widerspruchs und des zureichenden Grundes
findet, so ist freilich richtig, dass die Folgerung, nichts Wider-
sprechendes und Unbegründetes auszusagen, von ihm ausgesprochen,
und eben durch seine innere Einstimmigkeit und Sicherheit das^
Wissen von der Vorstellung unterschieden wird (die Belege
8. o. und bei Bbahdis a. a. 0.)$ da jedoch Plato diese Grund-
sätze nur gelegenheitlich äussert, dieselben aber noch nicht
als solche seiner Theorie des Wissens zu Grunde legt, so
.dürfen auch wir sie ihm noch nicht in dieser entwickelten Form
beilegen.
de» Platoniscben Systems. 177
dk philosophische Methode, die Dialektik. Die gemeinsame
Entwicklung dieser Elemente im Subjekt ist die Entstehung
der Philosophie selbst. Eine* Darstellung des Ganges, den
diese Entwicklung zu nehmen hat, findet sich nach den
unvollständigeren und einseitigeren Andeutungen des Gast-
mahls in der Republik« Die Grundlage aller Bildung Ober*
haupt ist nach dieser Darstellung die Musik (in dem weiteren
Sinne, den der Grieche diesem Wort giebt) und die Gym-
nastik; ihre harmonische Vereinigung hat die richtige Stim-
mung der Seele, ihre Befreiung ebensowohl von Weichlichkeit,
wie von Rohheit, hervorzubringen ^). Weit die Hauptsache
jedoch, und die alleinige unmittelbare Vorbereitung für
die Philosophie ist die Musik. Der letzte Zweck aller
musikalischen Bildung ist der, dass die Zöglinge, in einer
gesunden sittlichen Atmosphäre aufgewachsen, für alles Edle
und Gute Sinn bekommen, und sich an seine Uebung ge*
wohnen^); endigen aber muss die musikalische Bildung in
der Liebe zum Schonen, die als solche rein und von aller
störenden sinnlichen Beimischung frei ist ^). (Auch hier
also ist der Eros der Anfang der Philosophie.) Diese Bil-
dung ist aber noch ohne die Einsicht (den lo/o^), blosse
Sache der unbewussten Angewöhnung ^), ihr Resultat ist
erst die gewöhnliche, durch die richtige Vorstellung geleitete,
noch nicht die von wissenschaftlicher Erkenntniss beherrschte
1) Rep. II, 376, £ ff., besonders aber III, 410, 6 ff«
2) ' Iv oiOTteQ iv vyieivif rontf» oixovvrss ot viot ino itavtoi wyeAa/i'-
rcM, 07tv&8P UV avToiS ano rdiv naXwp i'^/yrnv tj n^oS 9\fnv i}
9r^6 axotf» T$ ndfiQßaXrj uism^ av^ tpfgovaa ano XQ^<*^^v ^^-
TTwv vyletavy pal tv&vS ix naiSatv lav&avjj eis Qf^oiOTTjta rt »al
tptXiav nalivfKfwvlav rtf utalol Xoyo^ ayovaa, Rep, III, 401, C.
3) S. 402 9 D if. 403, C: Sil Bi nov teXevrav td f*ovotxd tis ra
tov KaXov i^iorma,
4) S. Anm. 2. Rep. III, 402, A. VII, 522i A (die imisikaliscbe BiU
diin^ sei t&%ai> itai$6vov9a — . ovn intonjfAT^v naoaStiovaa '•^ •'ud-m
^ijfAa ovdiv Tf» iv avty).
DU PhUoMphU d«r GmcbM. II. Tb«U. 12
17S I^ie propädeutische Begründung
philosophitcbe Tugend ^). Damit diese entsteig) mass zo
der musikalischen die wissenschaftliche Bildung hitizukom«
men. Der höchste Gegenstand der Wissenschaft aber ist
(s. u.) die Idee des Guten, und die Hinlenkung des. Geistes
zu dieser Idee ihre höchste Aufgabe, Allerdings wird nun
die Hinwendung zum wahrhaft Seienden dem geistigen Auge
für den Anfang nicht minder schmerzhaft sein, als der An*
blick des vollen Sonnenlichts dem, welcher sein ganzes
Leben in einer dunkeln Höhle zugebracht hätte, allerdings
^ird auch der, welcher das Seiende zu schauen gewohnt
ist, in dem Zwielichte der Erscheinungswelt zuerst nur
unsicher tappen , und so denen , die in diesem zu -Hause
sind, eine Zeit lang als ein unwissender und unbrauch*
barer Mensch erscheinen; was aber 'daraus folgt, ist nicht,
dass die Hinwendung zur vollen Wahrheit ganz unterbleiben,
sondern nur, dass sie durch die naturgeroässen Vorstufen
vermittelt sein soll ^). Diese Vorstufen sind alle dieje«
nigen Wissenschaften, welche den Gedanken noch in der
sinnlichen Form selbst aufzeigen, ebendamit aber dieWi*
4ersprüche und das Unbefriedigende der sinnlichen Vor«
Stellung zum Bewusstsein bringen, d, h. die mathematischen
Wissenschaften, Mechanik, Astronomie und Akustik mit
eingeschlossen, denn wje der Gegenstand dieser Wissen-»
Schäften nach Plato zwischen der Idee und der sinnlichen
Erscheinung in der Mitte liegt (s« u«), so sind auch sie
selbst ein Mittleres zwischen dem am Sinnlichen haftenden
Bewusstsein (der do^a) und der reinen Wissenschaft (inicr^fn^)^
Welches von Plato mit dem Namen der diapoia (des reflek-
tirenden Denkens) bezeichnet wird : von der Vorstellung
unterscheidet sie diess, dass sie sich mit dem Wesen der
Dinge, mit dem hinter der Vielheit verschiedener und wi-*
1) Vgl. aach Symp. 202, A.
2) Rep. VI, 504, E ff. VII, 614, A-519, Bj vgl Theät 173, C f,
175, ß ff.
deflLPlatoaiachen Systems. 179
dersprecbender Wahraehmongen liegenden GemeinsaMe«
und Unveränderlichen beschäftigen, von der Wissenschaft
im eigentlichen Sinne diess, dass sie die Idee nicht reiil
für sich, sondern erst am Sinnlichen zum Bewusstsein brin*
gen, dass sie darum noch an gewisse dogmatische Voraus»
Setzungen gebunden sind, statt sich von diesen dialektische
Rechenschaft abzulegen, und sie dadurch in den voraos*
setzungslosen Anfang von Allem aufzuheben ^). Sollen
aber freilich die mathematischen Wissenschaften diesen
Nutzen . gewähren , so müssen sie anders, als gewöhnlieb,
behandelt werden : statt sie nur um des praktischen Gebrauchs
willen und nur in ihrer Anwendung auf das Körperliche zu
betreiben, müsste eben die Ueberführung vom Sinnlichen
zum Gedanken als ihr eigentlicher Zweck herausgehoben,
und ans diesem Grunde die reine Betrachtung der Zahl,
Grosse n. s. f. zu ihrem Hauptgegenstand gemacht werden,
es müsste mit Einem Wort an die Stelle der empirische^
Behandlung dieser Wissenschaften die philosophische treten ^).
Geschieht dieses, so führen sie noth wendig zur Dialektik
hin, welche als die höchste tind beste aller Wissenschaften
1) Rep.. VI, 510, B it VII, 533, A -. 534, VIT, 523, A ff. s. auch
Symp. 210, G ff. 211, C. In der Terminologie blieb sieb übri-
gens Piato auch hier nicht gleich; was er in der Bep. SidvQta
nennt, iiennt er bei Abist. De an. I, 2. 404, b, 21 (vgl. auch
Symp. 210, G. Tim. 37, G) in^Qtri^tjy die höchste Stufe dagegen
vovQ. — Wenn Bhabdis a« a. O. S. 27Q die Frage aufwirft: ob
Plato zur didvota ausschliesslich die Mathematik rechne, oder
nicht? so hätte er sich noch zweifelloser, als er gethan hat, für
das Erstere entscheiden dürfen, da mit den bestimmten Erklä»
rungen des Philosophen (Bep. VII, 522, A—G. 533, B) die GoAr
Sequenz des Systems zusammentrifit : gelten dem Plato die mathe-
matischen Gesetze, wie wir unten sehen werden, für die alleinige
Vermittlung zwischen der Idee und Erscheinung, so kann auch
nur das Wissen von diesen Gesetzen das Vermittelnde twiachen
der W^issenscbaft der Idee und der Vorstellung sein,
S) Bep. VII, 525, B ff. 527, A. 529. 531, B. Phileb. 56, D fil rgl.
auch Tinu 91, £«
12*
180 I^ie propädeutische Begründung
den ScblasBStein derselben bildet, welche anch allein die
übrigen Wissenscbaften alle begreift nnd richtig anwenden
lehrt 0-
In dieser ganzen Darstellung tritt nun dfe Einheit und
das innere Verhältoiss der beiden Elemente, welche das
Wesen der Philosophie ausmachen, des praktischen und
theoretischen, weit stärker hervor, als diess sonst gewöhn*
lieh der Fall ist. Wird sonst bald der Eros, bald die Dia*
lektik als das Wesen der Philosophie bezeichnet, so ist
hier auts Bestimmteste gesagt, dass die blosse Liebe zum
Schönen ohne die wissenschaftliche Bildung ungenügend,
diese ohne' jene unmöglich sei; beide verhalten sich so
nur als verschiedene Stufen Eines Processes, und auch die
Dialektik ist nicht mehr blosse Sache des Erkennens, son*
dem ebenso praktischer Natur, Hinwendung des ganzen
Menschen zum Ideellen. War dahec im Gastmahl, in der
Beschreibung, die Alcibiades von seinem Verhältniss zu
Sokrates macht ^) , der Schmerz der philosophischen Wie-
dergeburt als eine Wirkung der philosophischen Liebe dar-
gestellt worden, so erscheint derselbe hier als eine Folge
der dialektischen Erhebubg zur Idee, und hatte der Phädrus
die philosophische Liebe als eine fiavia geschildert, so
wird in Wahrheit das Gleiche hier von der Beschäftigung
mit, der Dialektik ausgesagt, wenn bemerkt ist, dass dieses
Studium für den Anfang zu Geschäften des praktischen Le-
bens untauglich mache, denn eben darin besteht jene (lanuy
dass dem von der Anschauung des Ideellen trunkenen Blick
die endlichen Zusammenhänge nnd Verhältnisse verschwin-
den ^. Praktisches und Theoretisches sind so schlechthin
1) S. u. S. 182, 3.
2) S. 215, E ff. 8. o. S. 68, 1.
3) Ebendahin gehört die bekannte Erklärung des Theatet 155 , D,
dass die Verwunderung der Anfang aller Philosophie sei, denn
unter der Verwunderung ist hier, wie das Vorhergehende seigt^
des Platonischen Systems. 1^1*
ineinander: wie nach der obigen Darstellung ^) zur philo-
sophischen Erkenntniss nur föhig sein soll, wer die prak-
tische Lossagung vom Sinnlichen frühe gelernt hat, so wird
umgekehrt Rep« X, 611, I) ff* die Philosophie als die
Erhebung des ganzen Menschen aus dem Ocean der Sinn-
lichkeit, als die Abschälung der an die Seele angewach-
senen Muscheln und Tange, und ebenso Phädo 64 ff. als
die praktische wie ti;ieoretische Befreiung von der Herrschaft
des Körpers, als das Sterben des inneren Menschen beschrie-
ben, und als das Mittel zu dieser Befreiung wird die den-
kende Abstraktion von den sinnlichen Eindrucken angegeben.
Wie sieh aber so der Gegensatz des theoretischen und
d^ praktischen Verhaltens zur Wahrheit in der Philosophie
aufhebt, so gehen in derselben auch die Unterschiede des
theoretischen Erkennens zur Einheit zusammen. Was in
der sinnlichen Anschauung, in der Vorstellung und im re.
flektirenden Denken (didvoia) Wahres, ist, das ist in .die
Philosophie, als das reine Denken, mit aufgenommen^ da
sie die Idee, deren theilweise und verworrene Anschauung
schon den niedrigem Formen des Erkennens allein einen
Inhalt und einen relativen Antheil an der Wahrheit ver-
leiht ^), in ihrer Reinheit und Vollständigkeit ergreift. Die
Philosophie ist aus diesem Grund« nicht eine Wissensqhaft
neben andern Wissenschaften, sondern sie ist die Wissen-
schaft schlechthin, die allein adäquate Weise des Erkennens,
in die auch alle relativen Wissenschaften hineinfallen, so
bald sie auf die rechte Weise betrieben werden; denn
unterscheidet auch Plato die mathematischen Wissenschaften
als eine Vorstufe der Philosophie von dieser selbst 3), so
die Verwirrung des Bewusstseins durch die Wahrnehmung der
Widersprüche der Vorstellung zu yerstchen.
1) Vgl. auch Rep. VII, 519, A f,
2) Den Beweis hiefiir werden die zwei folgenden Paragraphen
liefern.
3) Rep. VI, 510, B ff. VII, 523 ff. 533 f. (s. o.) Eulhyd. 290, B.
r
]82 Die propädeutische Begründung
sagt er doch ebonso bestimmt auch, dass es nar eine fehler**
hafte Behandlung dieser Wissenschaften sei, was jenen Un-
terschied begründe ^), dass dieselben, richtig betrieben,
mit zur philosophischen Propädeutik gehören ^) ,' dass sie
alle in der Dialektik ihren Abschluss finden, und so lange
werthlos seien, als sie nicht dem Dialektiker lum Gebrauch
fibergeben werden ^), dass ihr ganzer Inhalt neben der
wissenschaftlich ungenügenden mathematischen auch eine
rein begriffliche Behandlung zulasse ^). Ja selbst die hand-
.p V
1) Rep. VII, 525, B: es soll den Wächtern geboten werden inl
irrt ^/av r^ff rciv a^i&fifSv (pvatoi^ d(pimuvtat rfj roi^on avr//*
sie sollen (S. 525, D) nicht mehr o^ard ^ dura otu^xvL i'xov^
ras d^i&f*ov^ nQOTtipta&ai^ sondern ro cV iaop re 'inaoiov ixdv
navtl nai ovSt aijn%(f6v Siaq)i^i\ fiogiov tb h'xoif iv iavrtf oiSiy^
die richtig 1>etriebene Astronomie soll (529, G f.) den Lauf der
Gestirne nur als Beispiel* benutzen riuv dlff&^vdlvj de ro ov td-
XOS ttal ij ovaa fi^aSt^i^f iv tt$ dktj^nia d^d'fita nal naa&^TOiS
dXrj&iat axi^fictai tpo^ds rs tt^os äXXijka (pi^svai naX rd ivovra
ipigti, Phileb. 56, D : oi /lep ydg nov fiovddm dvlaoii itaragi^^
. fiovvrai rwv lii^i d^i^fiovy oIop or^tcntkda Svo aal flove Bio
ttal Svo r« ofim^oTara tj nal td idvrmP fiiytoxa' o« ^ ovn oy
ifOTS atTüti ovvaxoXovd'f^aHav ^ tl fij^ fiovdSa fAOvdSof iitdavijQ
Ttuv ftvQtutv /titjdtfAiav dllfjv dlltjS Sia(fiQovodv xiQ d'ijaet — die
SO bebandelten mathematischen Wissenschaften aber sind ai ntgl
r^v vtuv oi'TwS (fiXoaotpouvTfuv o^ffii^v (ebd. 57, C}.
2) S. o. und Rep. VII, 532, C.
3) Rep. VII, 534, E: *j4q oIp Soxtt aol dioirsg &qiyx6s (Schluss-
stein) TOiS ftad^ij/naatv 17 SialtnriÄij ^fuv indrat 9Utad'ai ; u. s. tvC
Ebd. 531, C: Olfiai 3iy 9 ^v S* iytv^ ttal 17 rovvmv vdvrwv dp
i&6ktjlv&afjtp» fiff&oBoi idv fiiv inl trjv dlXtjkuiv noivoiviav dtpUif^
ra* ttal l^vyy^vftavy ttat ivkXoyta&ff ravra »; «arir dkktjlotf oiMStat
«pignp r» avTviv fiS a ßovkofts&a rrjv ngayfiarstav ua» ovtt dvo-
vfjta n^vstQ^ati si Si fiy^ dvovrJTo» Phileb. 58, A : die Dialektik
sei die Wissenschaft, ^ ndaav tijp y» pvv ktyof^^vtfv (Arithmetik,
Geometrie u. s. f.) ypoiij. Euthyd. 290, B f. 0/ ^ av ytütfiitgat
twl Ol doTQOPO/iot nal ol koyianttol , . . naf^adiBoao^ iiproo toU
StakiHTixoii uarax^fjo&ai avTiup toiC §vgi^/saatVf oqoi ye avT<op
/A^ itawaTtooiv dpotjrol siatv,
4) S. o. A. 1. Bep. VI, 511, B f. (oben S. 172) vgl. Phileb. 62,
A. Phädo 100, B ff.
d€8 Platonischen Systems. ISS
werkBMässigeii Künste^ so wegv^erfend sie auch in der "Re^
publik (VII, 522, B) als banaasisch beseitigt werden, nnd
so wenig ihnen Plato auch wirklich Werth beilegte, gehören
doch mit dem relativen Antheil an der Wahrheit, der ihnen
anderwärts zugestanden wird, gleichfalls si^r philosophischen
Propädeutik ^). Die Philosophie ist also mit Einem Wort
der Brennpunkt, in welchem alle im menschlichen Vorstellen
nnd Thun vereinzelten Strahlen der Wahrheit zur Einheit
zusammengehen, sie ist die absolute Vollendung des gei«
stigen Lebens überhaupt,, die königliche Kunst, welche So*
krates im Euthydem ^) sucht, in der das Herrorbringen
nnd das Wissen um den Gebrauch des Hervorgebrachten
zusammenfällt; dass sie diess aber ist, diess hat sie der
ihr etgenthümlioheii Weise des Erkennens, der in ihr voll-
brachten Erhebung des philosophischen Tnebs zum be*
Wussten, begrifflichen Wissen zu verdanken.
Dabei ist sich nun Plato recht wohl bewusst, dan
sich die Philosophie in der Wirklichkeit nie schlechthin
vollendet darstellt. Schon im Phädrus (278, D) verwirft
er es, dass einem' Menschen der Name des Weisen beige*
legt werde, weil dieser nur Gott zukomme, ebenso erklärt
ei* im Farmenides (134, C), dass nur Gott das vollkom-
mene Wissen habe, und verlangt aus diesem Grunde in
einer berühmt gewordenen Stelle des Theätet (S. 176,B)
nicht Göttlichkeit, sondern nur möglichste Gottähnlichkeit
vom Menschen; nodh weniger findet er es denkbar, dass
die Seele während des irdischen Lebens, unter den nnauf*
hörlichen störenden Einflüssen des Körpers, zur reinen An-
schauung der Wahrheit gelange 3); er will desshalb auch
ausdrücklich das Streben nach Weisheit, oder den philo-
sophischen Trieb, nicht blos von der Anlage des Menschen
1) Symp. 209^ A. Philcb» 55,C ff. vgl. Rittsb Gesch. d. Phil II» 237.
2) S. 289, B. 291, B.
3) Phädo 66, B ff.
184 Die propädeut BLegründun^ d. Plat« Systems.
sar Weisheit, sondern ebenso auch Toni Gefühl der Uar
wissenheit ableiten ^), und bekennt, dass der höchste Ge«
genstand des Wissens, das Gute oder die Gottheit, vom
Denken nui^ mit Mühe erreicht und nur in besonders gün-
stigen Momenten geschaut werde ^). Nur folgt daraus kei*
neswegs, dass ihm auch das, was er selbst Philosophie nennt,
und in der oben angegebenen Weise schildert, nur ein
unwirkliches Ideal sei, dass er nur der göttlichen Wissen-
schaft jene hohe Bedeutung und jenen unbeschränkten Um»
fang gebe, die menschliche dagegen nur als eine Weise
des Geisteslebens neben andern gleichfalls nützlichen und
guten Thätigkeiten betrachte ^). Gerade die menschliche,
aus dem philosophischen Trieb durch eine lange Reihe von
Vermittlungen sich entwickelnde Wissenschaft ist es ja,
der er im Gastmahl und der Republik jene hohe Stellung
anweist, für deren Entwicklung im Subjekt er ebendaselbst
ausführliche Anleitung giebt, auf die er den gansen Orga-
nismus seines Staats gründet, ohne deren Herrschaft er
kein Ende des Eilends für die Menschheit absieht. Die philo-
sophische Genügsamkeit unserer Tage, welche an dem klein-
sten Fleckchen froh ist, das für den Gedanken abfällt,
-warPlato fremd, ihm ist die Philosophie die Totalität aller
geistigen Thätigkeiten in ihrer vollendeten Entwicklung,
die allein adäquate Verwirklichung der vernünftigen Natur
des Menschen , die Herrscherin , der alle andern Gebiete
I
SU dienen haben, und von der allein sie den ihnen beschie-
denen Antheil an der Wahrheit zu Lehen tragen.
Wie nun Plato diesen Begriff der Philosophie gewinnt,
haben wir gesehen ; wie er ihn in der Entwicklung seines
Systems zu verwirkliche^n strebt, muss sofort gezeigt wer-
den« Wir unterscheiden für diesen Zweck dem früher Be-
1) S. o. S. 167. '170, 1.
2) Rep. VI, 506, E. VII, 517, B. Tim. 28, C Phädr. 248, A.
3) RiTTEB Gesch. d. Phü. II, 222 ff.
Bie Platoniscbe Dialektik 186
merkteii gemSss die Dialektik oder die Lehre roa der Idee,
üe Physik oder die Lehre tod der Erscheinung der Idee
in der Naturi die Ethik, oder die Lehre von der, DarsteU
Imig der Idee durch's menschlicjie Handeln; anhangsweise
ist dann noch die Frage über das Verhältniss der Plato«
nischen Philosophie zur Religion su untersuchen.
§. 20.
Die Platonische Dialektik oder die Ideenlehre.
Der eigentliche und ursprüngliche Inhalt der Philo-
sophie sind dem Plato, wie wir bereits wissen, die Begriffe,
da sie allein das wahrhaft Seiende^ das Wesen der Dinge
sum Inhalt haben. Auch in der Construction des Systems
mnss ihm daher die Untersuchung über die Begriffe als
solche, die Dialektik im engern Sinne, das Erste sein; erst
auf den Grund, den sie gelegt hat, kann die philosophische
Betrachtung der Natur und des menschlichen Lebens ge-
baut werden. Für diese Untersuchung selbst handelt es sich
um dreierlei: die Ableitung der Ideen, ihren allgemeinen
Begriff, und die Ausbreitung dieses Begriffs zu öiner orga-
nisirten Vielheit, einer Ideen\i'elt.
Der Beweis für die Annahme der Ideen knüpft sich
bei Plato zunächst an seine Ansicht von der Natur des Wissens
und dem Unterschiede desselben von der Wahrnehmung
und Vorstellung. Indem er die Sokratische Lehre festhielt
und weiter ausführte, dass nur das begriffliche Wissen ein
wahres Wissen sei, so ergab sich ihm unmittelbar hieraus
die weitere Folgerung, dass auch nur das im Begriff er-
kannte Wesen der Dinge ihr wahres Wesen und das wahr-
haft Wirkliche überhaupt sei« Diesen Zusammenhang hat
Plato selbst mit grosser Bestimmtheit ausgesprochen. Schon
der Phädrus S. 247, C sagt, das wahre Wissen könne sich
nur auf die allein dem Denken zugängliche, färb- gestalt«"
n
I8i Dfe Platonische Dialektik.
und stofflot», absolut wirkliche (ofTmg avaa) Wesenheit be««
lieben« Genauer zeigt der KratylusS. 439, C ff. und ähnlick
der Sophist 249, Bf«: wenn es überhaupt ein Wissen geben
solte, so müsse es auch einen festen und unreränderliohen
Gegenstand d^ Wissens geben, denn ohne einen solchen
würde auch das Wissen' selbst sich verändern, mithin ^)
Wissen zu sein aufhören, und vielleicht hierauf zurück-
sehend^) der Parmenides 135, Bf.: die Wirklichkeit der
I
Ideen läagnen heisse alle wissenschaftliche Untersuchung^)
von Grund aus vernichten. In demselben Sinne bemerkt
die Republik y, 476, E ff.: wer erkenne, ^ier erkenne noth-
wendig ein Seiendes, so viel daher. das Denken von wirk-
licher Erkenntniss, so viel und nicht mehr «juthalte der
Gegenstand desselben von wirklichem Sein; die libsolute
Unwissenheit könne nur das absolut Nichtseiende zum Ob-
jekt haben, das Wissen, als die absolute Weise des Elr-
kennens, nur das absolut Seiende, die Vorstellung dagegen,
als ein Mittleres zwischen Wissen und Nichtwissen, müsse
es mit dem zwischen Sein und Nichtsein in der Mitte Lie-*
genden zu thun haben. Abschliessend erklärt' endlich der
Timäus ölfCS.: wenn das Wissen (vovg) und die rieh-*
tige Vorstellung specifisch verschieden (dio yiftf) seien, so
müssen die niclit mit den Sinnen, sondern nur mit dem Den-
ken erfassbaren Begriff^ schlechterdings etwas an und für
sich Wirkliches sein; und da nun dem so sei, so' lasse
sich das Zugeständniss nicht umgehen, dass der sich gleioh-
bleilK^nde, ungewordene und unvergängliche, weder Ande-
res von aussenher in sich aufnehmende, noch sich an An-
deres entänssernde Begriff, welcher allein vom Denken
erkannt wird, von der ihm gleichnamigen und fthidichen
1) Vgl. Meno 97, C ff.
2) Eine Bemerkung, durch welche auch die Untersuchung in mei-
nen Plat Stud. S. 183 ff. eine kleine Ergänzung erhält.
S) Eigentlich: das Vermögen derselben (t^ tov 9&aX^yia&at Svvafinp).
Di« Platonisch« Dialektik. IST
•innlichen Etscheinung %u antersthelden sei, die dem Wer*
den und Vergehen, dei^ Ränndichkeit und der bestftiidigeD
Bewegung unterworfen, nur durch Wahrnehmung und Vor-
stellung ergriffen werde« Der gleiche Gedanke, nur mehr
praktisch gewendet, ist es aber aucf), wenn das Symposiott
S. 210 die Anschauung der reinen an und für sich seien-
den Schönheit als die naturgemässe Vollendung des philo*
sophischen Eros darstellt, und der Phädo S. 65f«,seigf,
wie die Wahrheit und das Wesen der Dinge nur durch
Lossagung vom Körper und seinen Sinnen rein erkannt werden
Dasselbe, was hier aus der Idee, des Wissens abge-
leitet wird, folgt aber nach Plato auch aus der Betrach«
tung des Seins: wie die Forderung einelr Sicherheit der
Erkenntniss direkt auf die absolute Wirklichkeit der Be-
griffe hinweist, so wird ebendieselbe durch die Uowahrhek
der sinnlichen Existenz indirekt bewiesen. Alles Sinnliche
ist ein Werdendes, der Zweck des Werdens aber ist das
Sein ^>. Alles Sinnliche ist ein Vielfaches und Gethelltes,
das Wesen desselben aber kann nur das den Vielen Ge-
meinsame ausmachen, welches die Vielen allein zu dem
macht, was sie sind, selbst aber eben als dieses Gemein-
same von ihnen verschieden sein muss (Parm. 1 32, A« Phädo
74, A ff.)« Oder wie diess genauer entwickelt wird ^): kein
Einzelding stellt sein Weseu' rein dar, sondern jedes ist
das, was es ist, nur zugleich mit seinem Gegentheil: das
Tiele Gerechte ist zugleich auch ungerecht, das viele Schöne
zugleich auch hässlich u. s. f. Dieses Alles daher Ist nur
als ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein zu betrach*
^0, die reine und volle Wirklichkeit dagegen können wir
nur dem Einen sich selbst gleichen, über allen Gegensatz
1) PhiL 54^ B: 0fjfAl dtj ... knaortjv yivsaiv alhjp aklijQ öiaias
TiPos ixauTtji svtica ylyviod'aiy SvfiTtaaav Si yivtaiv ovaiaQ evixa
yiyvtc&ai ^vfindatjs.
i) Rep. V, 479, A ff. vgl Phado 74, D ff.
"^
188 Die Platonische Dialektik.
and alle Bescliränkong erhabenen an and för sich SchSnen
n. s. f. zugestehen. Es mnss, wie es auch heisst (Tim. 27, D f.),
unterschieden werden zwischen dem, was immer ist und
nie wird, und dem was immer im Werden ist und es nie
zum Sein bringt. Jenes, da es sich immer gleich bleibt,
lässt isich darcb vernünftiges Denken erfassen, dieses, da
es entsteht und vergeht, ohnö je wahrhaft zu sein, nur
durch Meinung und Wahrnehmung ohne Einsicht vorsteU
len; jenes (S. 28, A ff.) ist das Urbild, dieses das Abbild.
Eine dialektische Ausführung dieser Gedanken versucht der
Sophist, und vollständiger der Parmenides. Jener (S. 243, B ff.
246, E ff.) beweist der Lehre von einer ursprünglichen
Vielheit des Seins gegenüber aus dem Begriffe des Seins
selbst, dass Alles, sofern ihm das Sein zukommt^ insofern
auch Eines sei, dem Materialismus gegenüber aus der That«
Sache der sittlichen und geistigen Zustände,^ dass es noch
ein anderes, als das sinnliche Sein geben müsse, und weist
schliesslich dadurch, dass er den Begriff des Seins durch
den der Kraft definirt ^) , auf die alleinige Wirklichkeit
des geistigen Seins hin. In allgemein logischer Fassung
nimmt der Parmenides S. 137 ff. die Frage auf, wenn er
sowohl die Annahme, dass das Eins ist, als die, dass es
nicht ist, in ihre Consequenzen entwickelt, und indem nun
diese so ausfallen, dass sich aus dem Sein des Eins nur
bedingungsweise, aus den^ Nichtsein desselben dagegen
schlechthin Widersprüche ergeben, so zeigt er ebendamit,
dass ohne das Eine absolute Sein weder das Denken die-
ses Einen, noch das Sein des Vielen möglich wäre, so
wenig auch die eleatische Fassung des Einen Seins genüge,
und so noth wendig von^der abstrakten Einheit desselben
1) Soph. 247« D: uiiy<o ii^ ro ual onoiavovv r^va Hinriifiivov Sv^
va/Aiv SIT eis ro np$BiP czbqov otmvv netpvttos «tr* eie ro na&tiv
.... Ttav Tovre ovvtoQ slvat* rt&sfiai yd^ o^v o^i^t&v rd oVrce, cJff
lanv ovxaXXo r< nli^v SvvafuQ,
Die Platonische Dialektili. 189
zar Idee fortgegangen werden müsse ^). Der eigentliche
Zusammenhang der Platonischen Lehca tritt aber allerdings
in der Darstellung der Republik und des Timäus klarer
hervor.
Fassen wir Alles zusammen, so gründet sieh die Pia*
tonische Ideenlehre auf die zwei Momente, dass dem Ur-
heber derselben ohne die an und für sich wirklichen Be*
griffe weder ein wahres Wissen, noch ein wahres Sein
möglich erscheint. Beides fliesst übrigens in einander, denn
auch das Wissen ist nach dem Obigen ohne die Ideeif nur
desshalb nicht möglich, weil das sinnliche Dasein in sei-
ner endlosen Veränderung und seiner zwischen dem Sein
und dem Nichtsein schwebenden Unbestimmtheit der Ste-
tigkeit und Widerspruchslosigkeit entbehrt, ohne die kein
Wissen denkbar ist/ Auf dasselbe führen aber auch die
Platonischen Beweise für die Ideenlehre 'zurück, die Aki-
STOTELES in der Schrift von den Ideen dargestellt hatte,
so weit wir dieselben aus der Aristotelischen Metaphysik
I, 9 und Alexanders Commentar dazu noch kennen ^).
Der erst'e von diesen, die Xoyoi ix r£p imarrjucSp^ fällt mit
dem oben entwickelten aus der Beziehung alles Wissens
auf die sich gleichbleibenden Begriffe zusammen ; der zweite,
x6 iv ini noXXäv, beruht auf dem Gedanken, dass das ge*
theilte und veräpderliche Sein ein einiges und bleibendes
voraussetze ; derselbe Gedanke, nur psychologisch gewendet,
liegt auch dem dritten (to poeip ri q^dagevtcov) zu Grunde,
welcher das Fürsichsein der Ideen daraus beweist, dass
der allgemeine Begriff in der Seele bleibe, auch wenn die
Erscheinung zu Grunde gehe. Auch zwei Beweise, die
1) tJeber diese Auffassung des ParmeDides vgl. meine Abhandlung
in den Piaton. Stud. S. 159 ff., £u deren Vertbeidigung und Er*
gansung icb in einem Anbang su dem gegenwärtigen Abscbnitt
Einiges beifuge*
2) Ihre Darstellung in mefaien Plat; Stud. S. 232 f.
19f Pie PUtonitche Dialektik.
Alexandi» weiter anfShtt, dafts Dioge, den«« gleiche PrS*
dikate lukommen, dem gleichen Urbild nachgebildet sein
müssen, and dass Dinge, die einander ähnlich sind, dieas
nur durch Theilnahme an einem Gemeinsamen sein kön*
nen, treffen mit dem oben aus Parm. 132* Phädo 74 An-
geführten zusammen. Der letzte Grurid der Ideenlehre liegt
mithin in der Ueberzeugung, dass nicht dem Widerspruchs*
voll getheilten und sich verändernden sinnlichen Dasein,
sondern nur dem Einen und sich gleich bleibenden Wesen
der -Dinge, den allgemeinen Begriffen wahre Realität zu*
komme.
Aus dieser Ableitung der Ideen muss sich nun aueh er*
geben, wie die Annahme derselben mit PIato*s geschieht*
lieber Stellung zusammenhängt. Schon Aristoteles ver«
weist uns in dieser Beziehung neben seinem Verhältniss
zu Sokrates theils auf den Einfluss der Heraklitischen,
theils auf den der pythagoreischen und eleatischen Philo-
sophie. „Auf die genannten Systeme, safft er^), folgten die
Untersuchungen Plato*s, welche zwar in den meisten Pui^k«
ten sich an diese (die Pythagoreer ^- doch bat Arist. wohl
auch die Eleaten mit im Sinne) anschlössen, in Einigem
aber auch von der italischen Philosophie abwichen. Denn
von Jugend auf vertraut mit Kratylus und der Herakli^
tischen Lehre, dass alles Sinnliche in beständigem Flusse
und kein Wissen davon möglich sei, blieb er dieser An*
sieht auch in der Folge getreu; zugleich aber eignete er
sich die Sokratische Philosophie an, welche sich mit Un*
tersuchungen über ethische Gegenstände, mit Ausschluss
der allgemein naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigte,
in diesen jedoch das Allgemeine suchte, und dem Denken
zuerst die Richtung auf die Begriffsbestimmungen gab, und
so kam er zu der Ansicht, dass sich dieses Thun auf ein
i) Metapb. ^ 6, Anf« vgl, XHI, 9. iOS6, s, $S ff.
Die Platonische Dialektik 191
Anderes als das Sinitliche beziehe; deno anmögtich könne
die allgemeine Bestimmang eines von den sinnlichen Din-
gen zum Gegenstand haben , da sich ja diese immer ver*
ändern. Er nan nanhte diese Klasse des Seienden Ideen ;
von den sinnlichen Dingen aber behauptete er, sie bestehen
neben diesen, und werden nach ihnen genannt; denn das
Viele den Ideen Gleichnamige sei dieses vermöge der Theil-
nähme an den Ideen. Das Letztere ist übrigens nur ein
veränderter Ausdruck für die pytbagofeische Lehre, dass
die Dinge Abbilder der Zahlen seien/' „Ausserdem (fügt
Arist. am Schlüsse des Kap« noch bei) theilte er auch je
einem von seinen zwei Elementen (der Idee, und derMa*
terie) die Ursache des Guten und Bösen zu, worin ihm, dem
Obigen zufolge, auch schon einige von den früheren Philo*
sophen , wie Empedokles und Anaxagoras vorangegangen
waren/' Diese Stelle fasst wirklich alle die Elemente, aus
denen sich die Platonische Ideenlehre geschichtlich ent«
wickelt hat, zusammen, und nur der Eleaten und der Me*
gariker dürfte ausdrücklicher erwähnt sein« Den nächsten
Ausgangspunkt dieser Lehre bildet unverkennbar die So«
kratische Forderung des begrifflichen Wissens; dass Plato
von dieser zunächst nur subjektiven Forderung zur Auf*
soehung der objektiven Bedingungen fortgieng, unter 4enen
allein ein begriffliches Wissen möglich ist, und diese in der
an und für sich seienden absoluten Wirklichkeit der Be-
griffe erkannte, diess haben wir zwar vorzugsweise der
Innern Noth wendigkeit der Sache und der Genialität des
Philosophen zuzuschreiben^ die ihm für diese Nothwendig*
keit die Augen öffnete, die äussere Anregung und Unter*
Stützung hiefür musste ihm aber die vorsokratische Philo*
Sophie geben, sofern er in ihr theils überhaupt den Weg
der objektiven Spekulation, theils aber ^uch die verschie*
denen Elemente vorgebildet fand, welche die Ideenlehre
mit dem Sokratischen Princip verschmolzen hat« Dass iiur
IM
Die Platonische Dialelitik.
die begriffliche ErkenntnisB des Weaens der Dinge wahret
Wissen gewähre, hatte Sokrates gesagt; dass dieses Weaen
in der sinnlichen Erscheinung, und das wahre Wissen in
der sintilichen Anschauung nicht lu finden sei, zeigten Hera*
klit und die Eleaten; dass nur das Eine Sein das Wesen*
hafte sei, die Letztern, an die desshalb auch Plato im
4
Parmenides die Ideenlehre ausdrücklich anknüpft ^); dass
dieses Eine zugleich ein die Vielheit in sich Schltessendes,
organisch gegliederte Totalität sein müsse, Hess sich zwar
auch aus dem eleatischen Princip für sich genommen durch
dialektische Entwicklung desselben (Plato im Parmenides),
oder auB einer Combination dieses Princips mit dem Hera*
klitischen ^) ableiten , bestimmter jedoch ' glanbte PUto ^)
diesen Gedanken in der pythagoreischen Lehre zu erken*
Ben, dass Alles aus der Einheit und Vielheit, der Grenze
und dem Unbegrenzten zusammengesetzt, oder dass Alles
Zahl sei ; diese Einheit des Mannigfaltigen als Begriff, und
die Begriffe als das allein Wirkliche zu fassen, hatten ohne
Zweifel bereits die Megariker versucht^), wenn sie auch
diese ihre Ideen noch nicht flüssig zu machen wussten,
dieselben vielmehr erst in abstraktem Gegensatz gegen die
Erscheinungswelt festhielten ; dass endlich der Gedanke auch
der absolute Zweck und die Ursache der Dinge sei, dies«
1) Wenn Schliikrmicheb Gesch. d. Pbil. S. 104 vdie ideale Seite
der Ideen« statt dessen aus den Homöomerieen des Anaxagoras
ableitet, so ist das nur eine^yon den vielen Schleiermacberiscben
ScbruUcn. Mit mehr Recht könnte man in der That, so verfehlt
auch dieses wäre, an Demokrits tidtj^ die Atome, erinnern.
3} Aus der s. B. Hbrbabt: De Plat systematis fundamento (Gott.
1805) die Ideen ableitet, in der Formel (S. 50): Divide Heracliti
yivBoiv oiaitg, ParmeMSs [warum nicht lieber umgekehrt?]; hah§^
bis ideas Piatonis.
S) Vgl. besonders Phileb, 16, G. AaiST. a. a. O. u. ö. s«B. in den
Yon mir Plat. Stud. S. 339 angeführten Stellen.
4) 8. o, 8. 107.
Die Platonische Dialektik. IM
hatte, nach Eropedakles mythischen Ahnungen ^), zuerst
Anaxagoras in seiner Lelire vom Novg behauptet, dieselbe
Behauptung hatte Sokrates zunächst in der Form einer po-
pulär religiösen Teleplogie wiederholt, und Euklid, indem
er das Eins zugleich als das Gute und die Vernunft be*
atimmte^ auch philosophisch vorgetragen« Alle diese Ele-
mcfnte. durchdrangen sich in Plato^s umfassendem Geiste und
wurden von ihm mit schöpferischer Kraft nicht blos ausser-
lieh combinirt, sondern innerlich fortgebildet und durch
einander ergänzt; die Frucht dieser Verbindung war die
Platonische Ideenlehre.
Wollen wir uns nun den Begriff und das Wesen der
Ideen vorerst im Allgemeinen klar machen, so folgt aus
der bisher erörterten Begründung der Ideenlehre zunächst
dies^, dass die Ideen das Beharrliche im Wechsel der Er-
scheinung, das Eine und sich selbst Gleiche in der Man-
nigfaltigkeit und den Gegensätzen des Daseins darstellen kl-
eine Bestimmung, die wohl keines weitern Beweises be-
darf« Dieses Beharrliche und sich selbst Gleiche aber ist
dem Plato das Allgemeine. Nur dieses ist es, worin
schon im Theätet das Wesen der Dinge und der Gegen*
stand der Wissenschaft allein gefunden wird ^), mit dessen
Aufsuchung schon dem Phädrus zufolge alles Wissen be-
5) Auch Ari&totblbs Melaph. 1, 4* 984, a, 4 findet diesen Gedanken
in der ^dia des Empedokles nur mit der Bemerkung: El ya^
xii dxo?*ov\yoitj Mal Xafißavoi ngoQ x^v Sidvoiav nal ftij TtQOQ a
yiiXXi^€Ta$ Itywy 'Bfinttfonl^s ev^^an u. s. w.
2) Theat. 183, B nachdem Terschledene Begriffe genannt sind: Tavva
9ri ndvta did rivos nsgl avTotv Siavou^ ovrs ydg 9i dno^s ovr§
S* oipew9 otov T8 t6 KOtvov Xafißdveiy TTtgi avroiv, Ebend.G:
17 9k did TiPos dvrttfiis t6 t inl ndoi> noivov mal ro. inl rovvoii
itjlot aot'j 186, D (mit Bexiehung hierauf ): *Ep fikv afa tttU
na&^fiaatv (sinnliche Eindrücke) ovk tvi iinattjurj^ iv 9i rtf ntgl
iuihoiv avXXoy&afAM ' ovatai ydg nal dXtjd'Ua^ ivrav&a f*iVf (Jf
ioMSf Svvaroy'aipaada&y. tntt ii ddvvütrop»
DU rhiloioplüe dtr Griechen. U. Tbeil. 13
r
IM P>« Platonische Dialelitik.
giaat ^) — der oben S. 187 f. angeführten, wiederholten nirf
bestimmten Erklärungen in diesem Sinne nioht su geden-
ken. Aosdrücklich definirt daher Piato ') die Idee als das
dem Vielen Gleichnamigen Gemeinsame, und ebenso Am-
STOTELES ^) als das Sp im «roUcSy. Wenn daher in einer
neuern Darstellung ^) behauptet wird, den Inhalt der Ideen
1) Phädr, 363, i) •. o» S. 173, wo auch noch weitere Belege bei-
gebracht sind.
3} Rep. X, 596, A : «?^c ya^ nov xi ev Isnaorov tttu^rnftw Ti&t99<t$
ns^l 'inaara ta nokka oh tahtQv o»ofta imtfigötikv. Den Sinn
dieser Stelle geradezu umkehrend übersetzt Bitteb (Gesch. der
Phil II, 306* vgl. 303. A. 3): »Dass einem Jeden eine Idee bei-
gelegt werde, was wir als ein Vieles mit demselben Nennworte
bezeichnen«, und folgert daraus, da nicht blos jedes Einzel westa,
sondern auch jede Eigenschaft^ jeder Zustand und jedes Verbält-
niss und selbst das Veränderliche in Nennwörtern dargestellt wer-
den könne, jedes ovopka aber eine Idee bezeichne, so können die
Ideen nicht blot die allgemeinen Begriffe ausdrücken. Gerade
die Hauptsache in der obigen Stelle, dass der Idee das Vielen
gemeinsame ovofia entspricht , ist hier übersehen.
S) Metaph. I, 9> 990, b, 6: ^o^^* tteaarov ydg ofiotwfiov rt iavi [h
toiQ f2il«(7<] Kai naga rce^ ovoias (d. b. ovaiat im Aristotelischen
Sinn, Substanzen) twv n akkwv dtp iariv ev tTti nokkoir. Daher
auch im Folgenden das cV tTrl TcoXkoiv unter den Platonischen
Beweisen für die Ideenlehre aufgeführt wird. Vgl. Metaph. XIII,
4. 1079, a, 9. S2. Ebd. 1078, b, 30: akX 6 /niu .Swu^dnif rm
Ku&okgv ov x^Q^ori inoiet ooSi rovs oQMiAOvi' oi 8* txwgiaav ntii
rd TOiavra rcuv ovvtuv tdiae nQOCyjyo^ivaav. Anal.post 1,11. Anf.
4) Bitter a. a.0. Was B. für seine Ansicht anführt ist i)das be-
reits Anm. 2 Widerlegte; 2) dass Brat 386, D u. ö. nicht blos
den Dingen, sondern auch den Handlungen oder Thätigkeiten der
Dinge eine Beharrlichkeit des Wesens beigelegt werde, woraus
aber nicht folgt, dass auch diese Thätigkeiten als einzelne, und
nicht vielmehr ihre allgemeinen Begriffe, den Inhalt der sie be-
treffenden Ideen bilden; 3) endlich, dass nach Theät 184, D auch
die einzelne Seele als eine Idee angesehen und Phädo 102, B
das, was Simmias ist und was Sokrates ist, von dem, was an
beiden ist, unterschieden werde. Aber die letztere Stelle beweist
vielmehr gegen Bittxb, denn das was Simmias und was Sokra-
tes ist, d. h. ihr individuelles Wesen, wird hier eben von der
Idee, als dem Gemeinsamen, an dem sie beide tbeilbabeq, unter-
schieden; in der erstem (Theat 184, D) bt all«rdingt davon die
Die Platonische DialelitiL 19f
bilde nicht blos das Allgemeine in dem Sinlie, den wiir
mit dem Worte verbinden, sondern auch das Indi?idiiell#,
so ist diess nicht blos mit nichts 311 beweisen, sondern in
Widerspruch mit Plato's klaren Bestimmungen.
Dieses Allgemeine, welches die Idee ist, denkt sidl
nun Plato von der Erscheinungswelt gesondert, als fiir sich
seiende Substanz; der überWehliche Ort ist es nach denk
Phädrus 247, C f., in welchem die Götter und die reinen
Seelen die färb- gestalt- und körperlose Wesenheit, die
über alles Werden erhabene, in keinem Andern, sondern
nur im reinen Wesen seiende Gerechtigkeit, Besonnenheit
und Wissenschaft anschauen, in welchem allein das Feld
der Wahrheit ist; nicht in einem Andern ist, dem Sym«>
pösion S.211, A zufolge, die Urschonheit, in einem leben-
^en Wesen, oder auf der Erde oder im Himmel oder irgendwo
sonst, sondern rein für sich und bei sich selbst bleibt sie
ewig in Einer Gestalt {avxo xad^ avvo fisd^ avxov fAOPOndig
UH oV), unberührt von den Veränderungen dessen, was an
ihr theilnimmt; als die ewigen Urbilder desSeiendeii stehen
die Ideen da, alles Andere dagegen ist ihnen nacbgebil^
det ^) ; rein für sich (jBtvTU %a^ avxk) und getrennt von denii
was an ihnen Theil hat (j^ea^^) , sind die Ideen ^) im in»
telligibeln Orte {ronf^ vqrixog)^ nicht mit den Augen, son»
dern nur mit dem Denken zu schauen, nur ihre Schatten-
Bede, dass die einzelnen Empftndun^en ih fiiav tiva iSiav^ etra
rpvyrjv tizs o n Bit maktXv, zusammenlaufen, aber schon der letz-
tere Beisatz kann zeigen, dass wir es Jiier nicht mit dem strenge-
ren philosophischen Sprachgebrauch von i8ia zu thun haben,
sondern dieses Wort in eben dem unbestimmten Sinne steht wie
Tim. 28, A. 59, C. 69, C 70, C. 71, A. Bep. VI, 507, E u. ö.
Dass die Seele keine Idee im eigentlichen Sinne sei, ist im Pbado
'S. iOS, E. 104, G. 105, G C mit aller Bestimmtheit gesagt
S. auch unten.
1) Tim. 28, A. Parm. 132, D. Theat. 176, E.
a) Farm. 128, Ef 130, B t Fbädo 100, B.
13*
)96 l>ie Platonische Dialektik.
bilder die tichtbaren Dinge ^). Die Ideen sind mit Einem
rWorte nach einer bei Aristoteles stehenden Bezeichnung ^),
^fOQtisrai, d. h. es kommt ihnen ein von dem Sein der Dinge
durchaus unabhängiges und verschiedenes Sein zu, sie sind
fär sich bestehende Realitäten ^). — Wenn man dal^r die
Platonischen Ideen bald mit sinnlichen Substanzen, mit
faypostasirten Phantasiebildern (Idealen), bald mit blos sub-
jektiven Begriffen verwechselt hat, so ist weder die eine
noch die andere von diesen Vorstellungen richtig. Die
«rstere ^) ist jetzt wohl so ziemlieh aufgegeben, und sie
widerlegt sich auch schon durch das so eben aus dem Phä-
drus, dem Gastmahl und der Republik Angeführte, dem
hier noch die Erklärung des Timäus S. 52, Bf«, dass nur
das Abbild der Idee, überhaupt das Werdende im Räume
Bei, nicht aber das wahrhaft Seiende, nebst dem bestäti-
genden Zeugniss des Aristoteles^) beigefügt werden mag;
und wenn man dagegen anfuhren könnte, dass Plato vom
überweltlichen Orte redet, und sein Schüler die Ideen als
aiaOtfta aidta bezeichnet ^), so ist doch das Bildliche der
erstem Darstellung zu augenscheinlich, als dass sie etwas
^gen uns beweisen konnte, ebenso liegt aber auch bei
der Aristotelischen Bemerkung am Tage, d^ss sie nicht
Plato*s eigene Ansicht darstellen, sondern dieselbe durch
1) Rep. VII, 517, A f. VI, 507, B.
2) S. m. Plät. Stud. S. 230. •
3) Wie sich diese Bestimmung mit der andern, dass die Dinge nur
in den Ideen und durch die Ideen sind, vertrage, kann erst im
folgenden §. untersucht werden.
4) Sie findet sich z. B. bei Tiedehabn Geist d. spek Phil. II, 91 f*,
wo unter »Substanzen« eben diese sinnlichen Substanzen verstan-
den werden, und im Grunde auch bei Van Heusdb Init phil.
Fiat, ir, 3, 30. 40.
5) Phys. IV, 1, 209, b, 33. nkdrwvi filwoi, XshtIov . . dta ti or«
«V TOTTcj» T« iX^ri, III, 4. 203, a, 8: HkdvMv 8i lloi [tov ovQa^
vov"] fiiv oviev slvat aölfiaj ovSi raff iS^.atf Sid ro ftijdinov §Iva$
at'raff.
6) Abist. Melaph. III, 2. 997, b, 5 ff. vgl. VII, 16. 1040, b, 50.
Die Platonische Dialelitik« ,197
ihre Conseqaenz widerlegen will ^). Verbreiteter ist die
andere Ansicht, welche die Platonischen Ideen für hloi^
subjektive Gedanken hält; denn findet auch die Wen^
dnng derselben, wornach die Ideen Begriffe der mensch»
liehen Vernunft sein sollen^), keine Vertheidiger mehfg
so ist dagegen auch neuerdings wieder behauptet worden,
dass dieselben nichts für sich Seiendes, sondern nur die
Gedanken der Gottheit seien ^). Dieses ist indessen so un-
richtig, als jenes. An positiven Beweisen für diese Be*
hauptnng fehlt es durchaus ; denn dass Plato von der Un^
tersnchung über das Wesen des Wissens zur Ideenlehre
geführt wurde, diess kann für die blos subjektive Bedeut
tung der Ideen theils überhaupt nichts beweisen, theils steht
ihm, dem Obigen zufolge, die objektive Ableitung der Ideen
zur Seite; dass ferner die Ideen als die Urbilder bezeich^
net werden, auf welche iiinblickend der göttliche Verstand
die Welt gebildet habe ^), oder auch als die Gegenstände,
welche die menschliche Vernunft betrachte ^), diess macht
sie nicht, wie Stallbaum und Andere wollen, zu blossen
Erzeugnissen der göttlichen oder menschlichen Vernunft:
die Ideen werden ja hier der Thätigkeit der Vernunft
ebenso vorausgesetzt, wie die Aussendinge der Thätig<»
keit des Sinnes, der sie wahrnimmt; ebensowenig folgt jene
Ansicht daraus, dass dem Philebus (28, D f. 30, C f.) zu«
1) S. m, Plal. Stud. S. 231.
2) Buhle Gesch. d. Phil. II, 96 ff. Tettsematsn Syst d. Fiat* Phil,
II, 118 f. (vgl. Gesch. d. Pliilos. 11, 296 ff.), der übrigens die
Ideen, sofern sie als Urbilder der IMnge betrachtet werden,
gleichfalls Vorstellungen — und sofern sie im menschlichen Geiste
sind, Werlie der Gottheit sein lässt Plat. II, 1^5. III, 11 tL
155 ff. Gesch. d. Phil. II, 369 ff.
3) Vgl. Mbibers Gesch. d. Wissensch. II, 803, von Neueren : Stall*
BAUM Plat. Parm. 269 ff. Richter De Id. Plat. S. 21 f. 66 ff.
KiJHv De Dialectica Plat S. 9. 48.
4) Tim. 28, A. Rep. X, 596, A ff. Phädr. 247, A.
5) Tim. 52, A und oft.
198 Bi^ Platdnitche Dialektik
folge der königliche Verstand des Zens die Macht ist, welche
Alles ordnet und yerwaltet, denn ausdrücklich wird gesagt,
Zeus habe jenen königlichen Verstand dm rijv vTJg amag
dvpafupy die airia aber, wie ich schon anderwSrts . ^) dar«
gethan habe, ist die Idee, die also hier gleichfalls nicht
als das Erteugniss, sondern als das Prius der sie denken-
den Vernunft behandelt ist, wesshalb auch diese ihr nicht
schlechthin gleichgesetzt, sondern nur als airiag ^vyfifijg
Xtti tövTOv ax^^op zov yipovg bezeichnet ist (S. 31, A);
wird endlich Rep. X, 507, B ff. Gott der qiv*tovQyog genannt,
welcher das Bett* an -sich, also die Idee desselben, ge*
macht habe, so ist zu erwögen, theils dass dies» überhaupt
mehr ein populärer als ein streng philosophischer Aus«
druck ist, theils dass Gott dem Plalo, wie unten noch ge*
zeigt werden soll, auch wieder mit der höchsten Idee zu<^
sammenfliesst, deren Erzeugnisse die abgeleiteten Ideen
immerhin genannt werden können, ^hne dass doch darum
die Idee überhaupt nur im Denken und durch*s Denken
einer von ihr verschiedenen Persönlichkeit existirte. Da-
gegen ist die Substantialität der Ideen ausser dem bestimm-
ten Zeugniss des Aristoteles auch durch die eben ange«
führten Platonischen Stellen gesichert. Die Ideen, die schleeht«
hin in keinem Andern, sondern rein für sich sind, die als
die ewigen Urbilder der Dinge dastehen^ die das Bestim-
mende auch für den göttlichen Verstand sind, können nicht
zugleich als Produkte eben dieses Verstandes betrachtet
werden, welche nur ihm ihre Realität zu verdanken haben.
Zum Ueberfiuss erwähnt aber Plato selbst (Parm. 1 32, B)
1) Plat. Sind» S. 24S ff. Wenn Bra.ndis Gr. -röm. Phil, ri, a, 332
gegen meine Ansicht einwendet, dass die Ursache Weisheit und
Geist genannt, und so unverkennbar auf die Gottheit in ihrem
Unterschiede von den übrigen Ideen zurückgeführt vicrde, so
habe ich hierauf zu erwiedern, dass nach Soph. 348, E das wahr-
haft Seiende QbOfhaupt, also die Ideenwelt als fSranzes, den rovs
in sich hat.
Die PUtoniscke Dialektik. |M
der VorsteUung: f^^ t<Sp eld£p inactop J rovraof potifua^ %ou
oida/iov avT^ nQogi^x'Q iyyivtc&ai SXXo&i ij ip tpvxi^ii^ pod be«
seitigt dieselbe mit der Bemerkung: wenn die Ideen blosM
potjfittxa (subjektive Vorstellungen) wären, so musste auch
alles, was an den Ideen theilhabe, ein Denkendes sein,
eine Folgerung, die an und fiir sich schon die Vorstellung
widerlegt, als ob die Ideen nur die Gedanken des Wesens
der Dinge ^), und nicht vielmehr dieses Wesen selbst,
dann abei^ nothwendig auch an und für sich etwas Sub*
stantielles wären ^).
Das allein wahrhaft Seiende also ist dem Plato das
allgemeine Wesen der Dinge, welches er aber, eben ans
diesem Grunde, nicht in den Dingen, als solchen, sondern
als fursichseiende, obwohl unkörperliche Substans anschaut.
Uiemit' wären wir indessen erst bei der Einen Sabslans,
dem alle Vielheit von sich ausschliessenden Sein der Elea»
ten angelanfft. Dass aber dieses nicht ausreiche, hat Plato
erkannt. Das reine Sein ohne Vielheit und Bewegung wäre
das Inhaltsleere und Unerkennbare; soll das Allgemeine
wahrhaft wirklich und Gegenstand des wahren Wissens
sein, so muss in der Einheit des Wesens zugleich die
1) Nur dieses sind sie oämlich, wenn mao auch mit Stavl^jlvm
a. a. O. sagt: tdeas esse sempiternas numinis divini cogitationes, in
quibus inest ipsa verum essentia ita quidem, ut quales res cogu
tantur, tales eliam sint et tfi sua considtant* Auch so haben die
Ideen das Wesen der Dinge nur zum Inhalt und Gegenstand,
sie selbst aber sind von diesem verschieden wie das Subjekt vom
Objekt.
3) Was man allein hiegcgsn einwenden könnte, dass di^ im ersten
Tbeil des Parmenides gegen die Ideenlelire vorgebrachten Ein«
würfe nicht Plato's eigene Ansicht darstellen, trifft för den vor-
liegenden Fall nicht su, denn gerade den Satz, dass die Ideen
blosse voijpMta seien, tragt Plato nicht in eigenem Namen^Tor,
sondern nur als eine Auskunft der Verlegenheit, auf die man
etwa kommen könnte, um den Schwierigkeiten der Ideenlehre su
entgehen > bei jenem Satze daher haben wir in der Widerlegung _
die Platonische Ansicht,
SOt Die Flatonitchc Ditlelitilc.
Vielheit, in der Unveränderlichkeit des Seins zugleich die
Bewegung gesetzt sein. Wenn mit den Elealen Alles als
Eines gesetzt wird, zeigt der Sophist S. 244, Bff., so liesse
sich schon gar nichts von ihm aussagen , denn in jedem
Hinzukommen des Prädikats zum Subjekt liegt eine Viel*
heit, auch. schon der einfache Satz: das Eins ist, enthält
wenigstens die Zweiheit des Eins und des Seins; es könnte
ferner das Seiende kein Ganzes sein, da im Begriff des
Ganzen auch der der Theile liegt; und doch kann es auch
nichts vom Ganzen Verschiedenes sein, denn auch so er-
hielten wir wieder eine Mehrheit, und selbst wenii man
sagen w*olIte, es sei überhaupt kein Ganzes, wäre doch das
Seiende als Nicht-Ganzes zugleich nichtseiend. Mit andern
Worten: das reine Eins wäre das absolut Leere, Inhalts-
lose, mithin gerade das Nichtseiende. — Ebenso CSoph.
248, A ff.) wenn das Seiende'blos in Ruhe, nicht auch in
Bewegung sein sollte, so wäre kein Erkennen und kein
Erkanntwerden desselben möglich, denn jenes ist ein Thnn,
dieses ein Leiden, beides mithin eine Bewegung, es wäre
überhaupt das wahrhaft Seiende ohne Leben, Seelö und
Vernunft ^). — Noch weniger kann aber freilich ange-
nommen werden, dass Alles eine Vielheit und Alles in
absoluter Bewegung sei ^). Das Richtige kann daher nur
sein, dass Bewegung und Ruhe, Einheit und Vielheit gleich-
sehr zugegeben wird. Wie lässt sich aber beides vereini-
gen^ Nach S, 251 ff. nur durch die Lehre von der Ge-
meinschaft der Begriffe, d. h. durch den Satz, dass sich
weder alle Begriffe mit einander verbinden lassen, noch
1) Vgl. bes. Soph. 248i E: Ti dal wgoe Jtosj vU altf&ws xiptfoiv
Mal ^w^v xttl tfft'xijv Kai tpQOPt^aiv ^ ^adiute nsiq&tjQOfis^a. rtjT
navXf.Xw9 OVT& fiij TtffQtivaif fi^Sk ^jjv avro fir^Si gt^ovstv^t dkXa
asfjivov xa), äyiov vov» ovk l'xov dxipTjvov earv9 eivai. Man Tgl.
über diese Stelle und die in ibr ausgesprochene Bestimmung
auch $. 23.
3) S. K>. S. 186. 188.
Die PUtonisclie Dialelitilt. Mt
alle einander ausschliessen ; eben Bewegung und Ruhe v.R.
sind mit einander nicht zu verbinden, wohl aber mit dem
Sein. Sofern nun Begriffe sich verbinden lassen, sind sie
einerlei, d. b. das Sein des einen ist auch das des andern,
sofern sie sich nicht verbinden lassen, sind sie verschie-
den, d. h* das S^in des Einen ist das Nichtsein des an»
dern. Und da nun jeder Begriff mit vielen sich verbinden
lässt, mit unzählig vielen aber auch nicht, so kommt je-
dem in vielen Beziehungen das Sein zu, ebemio aber in
vielen das Nichtsein. Das Nichtseiende ist daher eben-
sowohl als das Seiende, denn das Nichtsein ist selbst ein
Sein, nämlich das Anderssein (der Unterschied — - also nicht
das absolute, sondern das beziehungsweise Nichtsein, die
Negation eines bestimmten Seins), und ebenso ist in
jedem Sein auch ein Nichtsein, der Unterschied. Das heisst
also: das wahrhaft Seiende ist nicht reines, sondern be-
stimmtes Sein, Identität, welche den Unterschied in sich hat,
nnd nicht schlechthin ruhendes, sondern bewegtes Sein,
Leben und Geist.
Dasselbe Resultat, wie der Sophist, gewinnt in Folge
einer abstrakteren und tiefer in's Einzelne gehenden dia-
lektischen Ausfuhrung auch der Parmenides. Die zwei Sätze,
von welchen der zweite Theil dieses Dialogs ausgeht:
„das Eins ist^% und: „das Eins ist nicht ^^, besagen das
Gleiche, wie die zwei im Sophisten .widerlegten Voraus-
setzungen, dass Alles Eines und dass Alles eine Vielheit
sei, und indem nun jene beiden Sätze durch Ableitung
widersprechender Consequenzen aus jedem derselben ad
absurdum geführt werden, so ist ebendamit die Forderung
ausgesprochen, dass das wahrhaft Seiende als eine die Viel-
heit in sich befassende Einheit bestimmt werde. Zughich
wird aber durch die Art, wie in dieser apagogtsc'hen Be-
weisführung der Begriff des Seins gefasst ist, und durch
die Widersprüche, welche aus dieser Fassung hervorgehen,
toi Die Platonische Dialektik.
angedeutet, dase jenes wahrhafte Sein von dem empirischen,
. das räamlieh und zeitlich begrenzt keine wirkliche Eia*
heit zulässt, wesentlich verschieden za denken sei ^).
An diese Darstellung schliesst sich die des Philebut
(S. 1 4, C — 1 7, A) an, wie sie denn auch unverkennbar
auf dieselbe zurückweist ^). Dass das Eine Vieles sei,
und das Viele Eines, und dass dieses nicht blos von der
Erscheinung, sondern ebenso auch von den reinen Begrif*
fen gelte, dass auch sie aus Einem und Vielen zusammen«
gesetzt seien, und Grenze und Unbegrenztheit in sich haben,
dass desshalb Ein und dasselbe deraDenken bald als Eines,
b9ld als Vieles erscheine — > in diese Sätze wird hier das
Resultat der früheren dialektischen Untersuchungen kuva
susammengefasst. Nehmen wir diese verschiedenen Erklä«
rungen zusammen 9 so können wir über den Sinn der Ideen*
lehre und den Begriff der Ideen .nicht' im Zweifel sein.
Für das wahrhaft Seiende gilt dem Plato nicht das ge-
wordene, getheihe und veränderliche Sein, sondern nur die
ewige, sich selbst gleiche, raumlose und ungetheilte Sub»
stanz; diese selbst aber soll als eine die Vielheit in sich
befassende Einheit, und als in ihrer Unveränderlichkeit zu*
gleich bewegt und lebendig gedacht werden. An die Stellt
des elealischen Eins tritt also hier der Begriff, an die
Stelle des unbewegten Seins die Kraft ^). Doch muss be*
1) Hinsichtlich der nahem Begründung des Obigen muss ich auf
meine bereits erwähnten Abhandlungen in den Plat Stud. S. 159 ff.
und im Anhang des gegenwärtigen Abschnitts verweisen.
2) Vgl. Phileb. 14, C — 15 A mit Parm. 129, B — 130, A, Phil.
15, B mit Parm. 130, E ff.
3) Soph. 247, p (oben S. 188) vgl. Phileb. 30, C, wo es von der
oir/ix, hinter der nach dem oben Angeführten die Idee su ver-
stehen ist, heisst, sie sei noa/novad ts xa< awratTOvaa iviavrors
T8 Tcnl wQas xal u^vaf, aotpla %al voisit und Rep. VI, 508, D ff.,
wo die Idee des Guten als die oberste ahia^ die Ursache des
Seins und Wissens beschrieben wird.
Dit Platoniscbe DiaUktik* SOS
merkt werden, dass Plato das letztere Moment rerhäU*
ntssmässig wenig hervorhebt, in der Regel vielmehr das
wahrhaft Seiende nur in der Form der Subttantialität, als
für sich seiendes Allgemeines beschreibt. Nar diese Vor-
stellung ist es auch , welche der Name ddog oder idda ^)
ausdruckt. Dieser Name bezeiclinet die Art oder Gat-
tung (der subtilere Unterschied dieser beiden Begriffe fällt
hier noch weg), als das vielen Einzelnen Gemeinsame,
subjektiv ausgedrückt, den Begriff ^), und wenn die Ideen
als das allein Währhaft Seiende, und auch allem Uebrigen
das Sein Verleihende beschrieben werden, so heisst das:
das schlechthin und ursprünglich Wirkliche, das wahrhaft
Substantielle ist allein der objektive Begriff, daa( in sich
konkrete, aber alle seine Bestimmungen in der absoluten
Eintieit und Durchsichtigkeit des Gedankens, frei von allem
Gegensatz und Wechsel erhaltende Wesen.
Indem aber so das Wesen als Einheit in der Viel*
heit bestimmt ist, so geht ebcndamit das Eine Sein auch
wirklich in eine Vielheit, die Ideenwelt auseinander.
Plato^ redet fast nie von der Idee, sondern immer
nur von den Ideen in der Mehrzahl ^) — wo er das all-
1) Wenn Ricdtbr de Id. Fiat. 28 f. und Schlsixrkachir Gesch. d.
Phil. S. 104 diese beiden Ausdrücke so unterscheiden wollen,
dass fidoi den Gattungsbegriff, tS.'a das Urbild bezeichne, so
sind sie den Beweis daftir schuldig geblieben« Sowohl Plato als
Aristoteles gebraueben beide Ausdrücke durchaus gleichbedeutend.
2) Die Belege für diesen Sprachgebrauch geben ausser vielen an-
dern auch die oben (S. 173, A. 194, A. 2. 3) aus Plato und
Aristoteles beigebrachten Stellen.
3) Wie Ritter (Gott. Anz. 1840, 20. St. S. 188) richtig bemerkt;
nur folgt daraus nicht, was R. verlangt, dass auch wir, Plato-
nisches erklärend, nicht von der Idee reden dürfen, um damit
den mit dem Wort tlSoc oder idi'a verknüpflen'BegrifF allgemein
auszudrücken, wie diess schon Aristoteles gethan hat, z, B.
Metaph. XIII, 4. 1978, b, 9. (s. unten); sagt doch auch Plato
selbst' einigeniale t6 etdoe Parm. 131, A. vergl. Phädo 103, E.
Symp. 210, B.
iOt Die Platoniscbe Dialektilu
gemeine Wesen derselben bezeichnen will, -ivfthlt er in der
Regel andere Aasdrucke: ro orrcDg oy, ^ ovaia, to xara vavrit
Sjipv n* 8, w. Es hat diess zunächst vielleicht sprachliche
Grönde; der tiefere Grund jedoch liegt in dem Begriff der
Idee. Da das wahrhaft Seiende nach Plato nicht abstrakte,
sondern bestimmte Einheit, alle Bestimmtheit aber Be«
grenzung gegen Anderes ist, so kann ihm die abso*
lute Wesenheit nicht Eine Substanz sein, wie den Elea«
ten, sondern nur eine Vielheit von Substanzen oder Ein-
heiten (ifoidsg oder fiovdöeg Phileb. 15, A f.). Plato selbst
hat diesen Zusammenhang in den oben angefiihrten Stel«
len des Sophisten und Parmenides deutlich ausgesprochen.
Wenn der Sophist 244, B ff. zeigt, dass dem Eins nicht
einmal das Prädikat des Seins beigelegt werden könne,
ohne damit bereits eine Vielheit zu setzen, und der Par<*
menides 142, B ff. eben hieraus die unendliche Vielheit
des Seienden ableitet, so ist damit gesagt, dass jedes be-
stimmte Sein, als bestimmt gegen Anderes, eine Vielheit
des Seins voraussetze; noch deutlicher liegt aber dasselbe
in der weitern Bemerkung^): jeder Begriff sei mit sich
selbst identisch, und von allem, was nicht er selbst ist,
verschieden, die Ruhe z. B. als solche das Nichtbewegt-
werJen, die Bewegung das Nichtruhen, alle Verschieden-
heit aber sei nothwendig Verschiedenheit von Anderem,
Nichtsein desselben, jeder Begriff enthalte vielfaches Sein
und unendlich viel Nichtsein. Ebendesswegen daher, weil
Plato das Wesen nur als die bestimmte und erfüllte Ein-
heit des Begriffs zu fassen weiss, muss bei ihm an die
Stelle der Einen Idee eine Vielheit von Ideen treten.
Diese Vielheit aber ist schlechthin unbeschränkt. Die
Nothwendigkeit hievon liegt darin, dass die Ideen das allein
Wirkliche sein sollen, durch das alles Uebrige ist, was
1) Soph. 254, D. 250, C f. 255, C f. 256, D f.
Die Platoniflcbe Dialektik. 205
* Dod wiefern es ist. Vermöge dieser Bestiminung kann kein«
Art des Seins vorgestellt werden, von der es laicht auch
eine Idee gäbe, denn wovon es keine Idee gfibe, das wäre
absolut nicht, das absolut Nichtseiende aber liesse sich
weder denken noch vorstellen ^). Denigeniäss tadelt es denn
auch Plato als Mangel an philosophischer Reife, wenn man
von irgend etwas, auch das Geringste nicht atNigenommen,
Ideen zu setzen Anstand nehme ^), und er selbst redet
« nicht allein von Ideen der Schönheit, der Gerechtigkeit,
des Guten u. s. f. , ferner von Ideen des Menschen , des
Thiers und anderer natürlicher Objekte, sondern auch von
Ideen des Kleinsten und Unbedeutendsten, des Bettes, des
Tisches, der Haare, des Schmutzes, von Ideen blosser
Verhähniss- und Eigenschaftslegriffe, mathematischer Figu-
ren und grammatischer Formen , der Aehnlichkeit - und
Unähnlichkeit-an-sich, dem Doppelten -an -sich, der Idee
der Kugel, des Substantivs, der Stimme, der Farbe, der
Grosse, der Gesundheit, der Stärke, von Ideen der ver-
schiedenen Thätigkeiten und Lebensweisen, ja selbst von
Ideen des Nichtseienden und dessen, das seinem Wesen
nach nur der Widerspruch gegen die Idee ist, der Schlech-
tigkeit und der Untugend ^). Es ist mit Einem Wort tiberall
1) Rep. V, 476, E: nu!« yag av (itj vv yi ri yvotad'eiij ; 478» B:
dSvvarov »al So^aaat t6 ye fii^ öv.
2) In der bekanDlen Stelle Parm. 130, B ff. Nacltdem hier Sokra-
tes von Ideen der Aehnlichkeit, des Einen, des Vielen, der Ge-
rechtigkeit, der Schönheit, des Guten gesprochen hat, fragt ihn
Farm., ob er auch eine für sich bestehende Idee des Menschen,
oder des Feuers, oder des Wassers, und dann, ob er auch Ideen
der Haare, des Schmutzes u. s. f. annehme. Sokrates, schon
durch die erste von diesen Fragen in Verlegenheit gebracht, glaubt
die zweite entschieden verneinen zu müssen, erhält aber von dem
Eleaten die Belehrung : Nios ya(> el Ivt^ w ^(»M^arec, xal ov ttw
oov drrtiÜTjTrtai tj <piloaoqUa foS IV» dvrikijtfftzai nar tfi^v do^av,
ort ovSiv avrdtp aTifidaue* vvp Si Itt ir^dt dv&Q0j7t(up dnoßXi^
S) Die Belege; fast vollständig von Bitter Gesch. d. PhiL II, 30!^ ff«
SM Die Platonische Dialelitik.
•ine Idee anzonehmeii, wo ein Vieles mit einem gemein«
■amen Namen bezeichnet! wird ^), oder, wie sich AitisTo-
TRLEs ^) ausdriiekt: itdij iarh inoaa ^virei —* jeder Klasse
des Seienden entspricht eine Idee, und soweit sich ein
gleichförmiger Charakter mehrerer Erscheinungen nachwei-
sen lässt, reicht auch das Gebiet der Ideen, erst wo jener
aufhört, und die Einheit und Beharrlichkeit des Begriff«
in die begrifflose Vielheit und die absolute Unruhe dei
Werdens auseinanderfällt, ist auch die Grenze der Ideen-
welt 5).
gesammelt, enthalten ausser der eben angeführten die folgenden
Stellen: Rep. X, 396, A (Ideen des Tisches und Bettes, oder wie
es S. 597, C heisst: eWny o lan xA/w,); Phädo65,D. 100, D fit
(Ideen der Grösse, Gesundheit, Stärhe, Kleinheit, Menge, Zwei-
heit)> Bep. V, 479, B (VII, 529, D sind mit den ^Bewegungen
der Geschwindigkeit- und Langsamkeit -an* sich in der Zahl-an-
sich und den Figuren- an- sich nicht die Ideen, sondern die ma-
thematischen reinen Anschauungen der Bewegung, Zahlu. s.f.
gemeint); Phileb. 62, A (der Kreis- und dieKugel-an-sich); Krat.
389, D. 390, £. (das Nennwort -an- sich) 423, £. (die hvgia der
Farbe und Stimme) 386,' D (die ovaia der Tbatigkciten} ', Bepu
X, 617, D. 618, A fiwiP TtaQadeiyfiftra; Bep. V, 475, E Tgl. Ul^
402, G. Theät. 176, E. 186, A. (Ideen des Schlechten, Schänd-
lichen u. 8. f.}* Soph. 258) G (die Idee des ^17 oV).
1) Bep. X, 596. A. S. o. S. 194, 2.
3) Metaph. XII, 3. 1070, a, 18. Tgl. Metaph. I, 9 Anf.
3) Dass Plato eine solche Grenze annimmt, erhellt ausser allem
Andern aus der oben (S. 173) angeführten Stelle Phileb^ 16*
G iL , wenn hier gesagt wird , man solle den Begriff (u/a iäia)
durch alle zwischen dem Eins und dem Unbegrenzten liegenden
Gliederungen verfolgen, imd rot^ ^ ijSij t6 tv tttaatov tviv jrav^
t&tv Hi TQ aittiQov fAt^ivta xaignv i^v^ Ebendahin bezieht Bit-
TBB a. a. O. S. 304 mit Becht Tim. 66, D : ne^l H ^ ^V^ ''^y
pLvtT'!]f^v dvifafAtv si9tj ftiv oin eV*. ro yvft twv oafiutp Jtoiv jja*-
ytviSi tidtt Se ovhvi ivfAflißtfm ivfifi$T^a 7tQQ9 x6 xiVff, axuv
oofi^v. Die Artunterschiede der GerUche werden hier geläugnet,
weil es der Geruch immer mit einem unvollendeten, noch zu kei-
ner festen Bestimmtheit gediehenen Werden zu thiin habe, weil
er, wie das Folgende besagt, nur einem Uebergangsmoment an-
g^töre.
Die Piatonisehe Dialelitik 2#7
Wie verhält sich nun aber diese unbegrenzte Vielheit
der Ideen zu dein Einen Wesen derselben? Da demPlale
eben das Allgeir^eine für das wahrhaft Reale gilt, so könnea
beide nicht in der Art auseinanderfallen, dass nur die be-^
sondern Ideen hypostasirt, die sie befassenden allgemeinea
Begriffe dagegen bis zum höchsten und allgemeinsten hinauf
nicht als für sich seiend, sondern hur als in jenen ver*
wirklieht zu denken wären, gerade die allgemeinsten Be.
griffe müssen vielmehr umgekehrt das ursprünglich nnd
schlechthin Wirkliche sein, von dem sich auch die Wirk*
lichkeit aller besonderen ableitet, und in letzter Beziehung
müssen alle Ideen auf das Eine sie alle als ihr Gattungs-
begriff in sich befassende Wesen zurückführen. Wir er-
kalten mithin eine Stufenreihe von Begriffen, die in wohU
geordneter Gliederung vom Allgemeinen^ zum Besondern
fortgehend von der höchsten Idee durch die ihr unterge-
ordneten bis zu den untersten d. h. denjenigen herabführt,
welche keine weiteren Artbegriffe, sondern nur noch die
unbegrenzte Vielheit der Erscheinung unter sieh haben.
Und Plato hat dieses auch mit grosser Bestimmtheit au»>
gesprochen, wenn er in der mehrerwähnten Stelle des Phi«>
lebus ^) vom Dialektiker verlangt, dass ei: immer zuerst
den Einen allgemeinsten Begriff seines Gegenstands auf*
suche, diesen sodann in die ihm zunächst untergeordneten
Begriffe theile und so fort, bis er die ganze Zahl der
zwischen dem Einen nnd dem Unbegrenzten in der Mitte
liegenden Begriffe erschöpft habe, denn dass dieses die
allein richtige Behandlung der Begriffe ist, kann doch nur
im Wesen derselben seinen Grund haben; und noch deut-
licher in der Republik ^), Wenn er hier die Aufgabe der
wahren Wissenschaft dahin bestimmt, von dem voraus-
setzungslosen Princip alles Seins auf rein begrifflichem Wege,
1) S. 16, C ff. S. o.
a) VI, 511, B f. S. o, 8. 150. 171
SOS Die Platonische Dialektilc
durch die ganze Reihe der logischen Mittelglieder, su den
untersten Begriffen herabzusteigen. Dieses System der rei-
nen Begriffe wurden nun wir, von unserem Standpunkt au«,
in der Art construiren, dass immer die niedrigem Begriffe
in den nächst höheren als ihre Momente enthalten, und
nur die Explikation von jenen wären ; bei Plato dagegen,
da er die besondem Begriffe als solche fayposlasirt hat,
ist dieses nicht möglich, wie vielmehr die Idee überhaupt,
statt i n der Erscheinung als das Wesen derselben erkannt
zu werden, bei ihm als ein für sich seiendes Wesen der
Üjrsoheinung gegenübertritt, so findet das Gleiche auch im
Yerhältniss der Ideen zu einander statt: die niedrigem
Begriffe sind nkht in den höheren selbst schon enthalten,
sondern erscheinen als besondere Substanzen neben die»
#en, welche an ihnen nur theilhaben ^).
Aus diesem Grunde dürfen wir auch bei Plato keine
logische Entwicklung des Systems der Ideen erwarten. Eine
solche ist nur möglich, wo die Begriffe flüssig gemacht,
and in ihnen selbst die Momente aufgezeigt werden, welche
von dem einen zum andern überzugehen nöthigen« Hier
dagegen sind die einzelnen Begriffe hypostasirt, und dadurch
für ein- in sich Fertiges und Festes erklärt, von dem kein
immanenter Fortgang zu einem Andern möglich ist, son-
dern das nur in der Weise der Reflexion mit dem sonst
woher aufgenommenen Andern verglichen werden kann. Die
1) Es tritt diess ausser dem gleich Anzufiibreoden aus der Rep.
namentlich in der Ausfuhrung des Sophisten S. 250 ff. über dio
Gemeinschaft der Begriffe hervor. Vgl. z. B. 250, A f.^ S7bv
#1;, itiptjoiv xttl atdaiv ag' ov* ipavT^rata Xiyaii d?,l^XotS; Hm^
yaQ ov ^ Kai fit}v iivai ys 6fioi(a6 fpyi <ifitf>ore(fa avrd ual hca-^
tsQOV, ^Tifii yoLQ ovv. j^Qa Kirßio&ai Xlyaiv dfttpoTf^a xal ina-
TSQOVy orav elvai ovyxofgfjt j- ÖvSaauis, '^kX* katdva^ arjfialvtii
Xiymv atrd d/i(p6teQ» itpai; Xai ncSSf T^itov äfa vt nagd ravtm
to ov iv rji tf'vxp T*i^«iff, qU vn ixsivov ti^v tt otdatv mal njv
« Klt'fjOiv TTBQiBXOfitvijv^ ovXXttßviv 'jut\ aTnSiiv avv^v ngoi r^v ttji
Qvaias xoiyüjviavf ovrots etpm Trgoselnas avri*
Die Platontsebe Dialektik. SM
DaratftllaDgen, in denen sich Plato attcfa am Meisten einer
immanenten Dialekttl^ nähert, sind die bereits angeführten
Erörterungen des Sophisten (244, B ff.) und des Parmeni«
des (142, B ff»), in denen aus dem abstrakten Begriff des
Eins die ganze unbegrenzte Mannigfahigkeit der Bestim*
muis^en des Seins abgeleitet wird. So bewunderungswürdig
aber diese Entwicklungen auch sind, so kommen doch auch
sie nicht über die angegebene, dem Philosophen durch seui
Princip vorgezeiehnete Grenze hinaus, denn der Begriff
des Seins, als ein vom Eins verschiedener Begriff, wird
hier nicht aus dem des Eins abgeleitet, sondern nur als
gegeben in dem Begriffe des seienden Eins vorausgesetzt;
mag daher in ^er Folge auch noch so kunstreich mit die»
sen Begriffen gerechnet werden, so ist doch die Grundlage
der ganzen Rechnung, der Unterschied des Eins und des
Seins, aus dem die gesammte Vielheit der abgeleiteten Be-
griffe hervorgeht, selbst nicht weiter abgeleitet. Es ist Plat4^
hier, wenn auch in geringerem Grade, ergangen, wie sei-
nem modernen Nachfolger, Schelling, oder auch Spinoza:
in die Anschauung der Idee versenkt, fasst er diese
als objektive, dem Denken gegenüberstehende Substanz auf,
und weiss in Folge dessen ihre dialektische Bewegung nur
unvollständig darzustellen.
Plato selbst hat auch nur einen schwachen Anfang
zu einem System der Ideen gemacht. Rep. VI, 504, E ff«^)
wird als der höchste Inhalt alles Wissens und das höchste
Princip alles Seins die Idee des Guten bezeichnet, und
aus dieser das Wissen und das Sein abgeleitet. Unter dem
Guten ist nun hier, wie der Zusammenhang zeigt, nicht
sowohl das moralisch, als das metaphysisch Gute, die letzte
Ursache und der letzte Zweck alles Seins und Denkens,
nach unserem Sprachgebrauch das Absolute zu verstehen«
1} Genaueres übe» diese Stelle s. u. ^« iS.
DU PhUoiopbic dir Griccbto. IL Tbeil. 14
210 Die Platonische Dialektilf.
Eine genauere Bestimmung dieses Begriffs hat jedoch Plalo
weder hier noch an andern Orten, wo er Anlass dazu ge^
habt hätte, gegeben ^), und wenn er nach dem oben ^)
angeführten Berichte eines alten Aristotelikers das Gute
als das Eini^ defiairt hat, so kommen wir auch damit nicht
über die Darstel hing der Republik hinaus, denn auch in
dieser erscheint dasselbe als die alle Gegensätze unter
sich befassende höchste Einheit. Ebensowenig sind nun die
Begriffne des Seins und des Wissens aus der Idee des Gu-
ten logisch abgeleitet; von einer apriorischen Ableitung
der übrigen Ideen ohnedem fehlt jede Spur. Hier befolgt
daher Plato durchweg ein empirisches Verfahren: eine Klasse
des Seienden wird als gegeben aufgenommen, auf ihr ge-
meinsames Wesen zurückgeführt^ und dieses als Idee aus-
gesprochen. Beispiele dieses Verfahrens sind uns schon
oben (S. 205,3) in reicher Menge begegnet. Wie aber da-
durch die Reinheit der begrifflichen Behandlung getrübt,
der Gedanke mit der Vorstellung termischt, und dem An-
schein, als ob die Ideen den sinnlichen Dingen ähnliche
Substanzen seien, Vorschub gethan werden musste, liegt
am Tage.
Vielleicht das Gefühl dieses Mangels war es nun,
was den Philosophen veranlasste, die Lücke seiner begriff-
lichen Entwicklung durch eine symbolische Darstellung aus-
i) Vgl. Bep. VII, 517, B: r« $* ovv ifiol tpaivofisva oorat ifatrsvaty
iv Tfj} yvoiotia relevvaia ij tov aya&ov i8ia utal /loytc o^aod'att
d(p&iXaa di' avXXoyiorta tevai vjS uga naai iraviojv avvrj oQ&viV
rs xal i(a?^ojv ahia^ tv rs ogatm (f(»i xai top tovtov hvqiop tb-
HOvaUf tv ti vorjrt^ avt^ atvQia dlfj&siav «al vovv naQaaxopUvrj
U. s. w. Tim. 28, C: tov fitp ovv noit^T^v xal Ttarifja tovSs
TOV navTü9 tvQuv ts fQyov xal evgovra sie ndivTae ddvvaTov
Xiyuv,
1) S< 171 Tgl. Abist. Metapb. XIV, 4. loai^b, 13 und da^u Striav
bei BfiANDis Gr. -röm. Phjlos. I, 485, 1« Schol. in Arist. coli.
Bbasdis ^28, a, 23. und m. Plat. Stud. S.277.' Heumann Vindier
disput. de id. bom JS. 41 f»
Die Platonische Dialektik. 211
zurrillen. Den Aristotelischen Berichten znfolge erklärte
Plaro die Ideen auch für Zahlen, unterschied aber dabei
zwischen den Zjahlen im gewohnlichen Sinn (den aqi&fjiol
lia&fllimiyioi) und den Zahlen, sofern sie die Ideen aus-
drOcken (den aqi&fAOi eldtjnxoi)* Näher soll der Unterschied
beider darin liegen, dass die mathematischen Zahlen zu-
sammengezählt werden können (avfißXrjrol sind) d. h. darin,
dass sie aus lauter gleichartigen Einheiten bestehen, wo-
gegen die mit den Ideen identischen, oder die Ideal -Zah-
len aavfißXf]rqi sind, d. h. jede von ihnen von jeder speci-
fisch verschieden ist ^). Aristoteles bezeichnet nun zwar
1) Genaueres hierüber s. in m. Plat. Studien S. 239 ff. 236 Anm.,
bei Tbeüidbleiübubg Fiat, de id. et numeris doctrina ex Arist.
illustr. S. 71 ff' Comm. in Arist« de An. S. 232. BBA5ot8 im
Rhein/Mus. II, (1828) 562 ff. Gr.-röm. Pliilos* II, a, 315 ff.,
woKu Rataisson Essai sur la Metaphysique d'Aristote I, 176 ff*
nichts Wesentliches hinzufügt. Nur in Einem -Punkte muss ich
meine frühere Ansicht zurücknehmen. Arist. bezeichnet den Un-
terschied der mathematischen von den Id'calzalilcn öfters durch
den Atisdruck, dass in den einen das Vor und Nach sei, in den
anderen nicht. Diesen Ausdruck glaubte ich früher davon deu-
ten zu müssen, dass in den mathematischen Zahlen das Vor
und Nach sein soHe, weil d\e%e avfißltjtol sind, hier daher die
niedere immer in der höheren enthalten ist und von ihr voraus-
gesetzt wird, so dass wir also die niedere vorher haben müssen,
ehe wir zuir höheren gelangen, wogegen die Idealzahten als aai'/u-
ßlrjTOi nicht in einander enthalten sind, von ihnen daher dieses
nicht gilt. Nun sagt aber Anis?. Meiaph. XIII, 6. 1080, b, 11:
ol (Ltiv ovv aufpor/fjovff rpaov ttvai zove dg*&fi,ovC, top fitv i'xovra
t6 ir{)OViQOv mal votbqov ras iSiue^ rov Si find^rjanriytov ^äQa
tag Idtag, Ich hatte hier der Vermuthung Tbendelcbbcrgs bei-
gestimmt, dass vor i'yovTa ein firj ausgefallen sein möge, muss
nun aber, wie dieser, Bbasdis zugeben, dass diess nicht ^r Fall
sein kann, nicht blos desswegen, weil weder die Manuscripte
noch die Commentatoren davon etwas wissen, sondern auch un<d
besonders, weil die gegenwärtige Lesart auch durch das Folgende
bestätigt wird. G. 7* 1081, a, 17 heisst es nämlich, falls alle Ein-
heiten aavußhfTo$ wären, so könnte ca weder die mathematische
Zahl geben, da diese aus ununterscbiedenen Einheiten' bestehe,
noch die der Ideen: ov ya^ hvai ^ Sva£ Tt^iurti^ in tov ivo« nnl
14*
212 Die Platonische Dialektik.
Ttjs dogiarov $va3oCj Instra ol l^rji aQi&fiolt ojg XiyeTat,, 9vuSy
tQiaSy TST^ds' äfia yaQ at ip Tf, SvaSt tf/^TtgojTtj fiovdStS ytp^
vojvTai. Da nun hier der Satz, dass unter der angenommenen
Voraussetzung keine Idealzahlen möglich wären, damit bewiesen
wird, dass bei derselben die Aufeinanderfolge der Zahlen, diso
das ngoTiQov >^l varegov unmöglich, würde, so muss eben dieses
den Idealzahlen zukommen. Noch deutlicher wird diess im Fol-
genden, wenn hier dem Satze (Z. 17) el davfißkt^Toi at /Liovd8sc
der Satz: el lazai t} it^ga fiovdi Tfje erigae ngortga substituirt
ist, wenn femer (Z. 35 ff.) die Worte: ov&eis fitv oZp xuv rgo^
irov TOVTOV iTgr^xtv avviuv rdi fiopddas ^ovf4-ßXtjTOvt^ |ar« Bt tiatd
fikp Tai ixstPMP dgxd« tvkoyop nal ovTwe durch die Bemerkung
begründet werden: rde rs fdg /novdSae TTgorigae xal varigai ei-
vai (diess ist hier offenbar dem vorangehenden tde /nopdSae
davfißkf]TOvi substituirt) tvkoyov tiTtsg xal, ngonri tU iari fiovds
Hai tp ngwrop, wenn endlich S. 1081, b, 37 gegen dieselbe An-
nahme, dass alle Einheiten davufl?,ffToi seien, gesagt wird: er«
Trag* avrijp rt^p TgiaSa,Kal avv^p rtjv Svdda 7T(u€ iooprat aklat
rgtuStS Hai dvddes ^ tial riva rgoirop ex ngozigtjap fiopdSotp xal
var/güip (diess steht wieder ^r: davfißkijTojp') avyxuprai;. Ebenso
wird S. 1082, b, 19 ff. bemerkt: wenn die Dreizahl -an -sich mehr
sein solle, als die Zweizahl -an -sich, so müsse in der Dretzahl
eine der Zweizahl gleiche Zahl stecken, die dann nothwendig der
Pyas gleichartig {ddidtfogoi ^ was := ovfißXi^ros) sein müsse,
oAA* ovx eV^/?;ferff« el irgolroi Tis ioTiv dgi&fios xal Sevregof^
ferner c. 8* 1083) a, 6: falls die Mpnaden sich Ton einander un-
terscheiden, 7ror*(/ov al TtgojTa^fitl^ovS tj ildvvovs xal ai varsgop
tTTiSiSoaaiv 9} Tovvaptiop, Ebd. Z. 33 steht den Worten itval
Tipa $vd8a TTgvjTtjp xal TgidSa parallel: ov avfißXrjrovS tlpai tovQ
dgi&ftovs TTgos dlktjkovif und 1083, b, 52 ff. wird daraus, dass
die Einheit früher ist, als die Zweihelt, gefolgert, sie müsste nach
Platonischer Voraussetzung die Idee der Zweiheit sein. Beson-
ders gehört aber hieher c. 69 1080, a, 16: dpdyxrj S* sl'nsg iazlv
6 dgtx^uos (pvate tiS ... fjvot, etpai t6 fiep ngotTov ti avTov t6
S*ixou6VOPi iTsgoP op to) tlSei exaaTOP, xal tovto tj Inl TOt»
fiOPaSojv 6V&VS VTtdgxit »oil sotiv dav fißkrjTOi oTroiaovv fiopde
onoiifoip fiopddi u. s. w* und c. 7* S« 1082, a, 269 wo der Lehre
von den Idealzahlen entgegengehalten wird : dXXd /li^p ovSi tovto
StZ Xap&dpeiPf ort avfißaipei ngoxigas xal varigas ilpdt dvdSaS^
Ofiotüte 8i xal TovQ äXXoi'S dgt&fiovi, ai fitp ydg (v r// TsxgdBt
SvdSeS tarwaav dkXylatS äfia' dkl' avTaiTutpiv tjj oxrdSi Trgo-
Tsgai elai xal iyivpTjaap^ ojSirsg 1^ $vde TavzaC, avrai TaQ TSTgd^
da9 raff h rjj Qxrddi avTJj, ojcts bI xal ^ irgonri dvdi idtoy xal
Die Platoniscbe Dialektik 213
avrai tSiai ttvee iaovrat. 6 S^avttS loyoS nal «Ti T(uv fAOvddmp
, . . ojere naaat «* ftordSee iS^tii yiyvovxat %a\ üvyxu'asTa& tSia /J
ibisvjv. Dass alle Dyaden und Monaden, ans denen eine Zahl zu-
sammengesetzt ist, nach Platonischer Lehre Ideen sein miissten,
wird hier daraus gefolgert, dass nach derselben die Zahlen, iil
denen das Vor und Nach ist, überhaupt Ideen seien. Steht nun
nach diesen Stellen ausser Zweifel, dass das ttqot^qov koI vart"
Qöv bei Arist. die Eigenthümlichkeit der Idealzahlcn bezeichnet,
so giebt die zuletzt angeführte Aeusserung auch über die Bedeu-
tung jenes Ausdrucks Aufschluss* Früher ist die Zahl, aus wel-
cher eine andere entsieht; die Zahl Zwei z. B. früher als die
Vierzahl, denn aus der idealen Zweizahl und der Svdi do^iaros
entsteht (Metaph. XIII, 7* 1081, b, 21) die Vierzahl, nur nicht
(vgl. Abist, ebd.) xard TTQos&satVi so dass nun die Zweizahl in
der Vierzahl enthalten wäre, sondern durch yipvtjais (Poten-
ziriuig, oder was man sich unter dieser mystischen Bezeichnung
denken mag), so dass eine Zahl die andere zum Produkt hat.
Das Vor und Nach bezeichnet also das Verhaltniss des Faktors
zum Produkt, eine Bedeutung für die sich Tbesdeleitbvrg (Plat.
de id. doctr. S. 81) mit Becht auf Metaph. V, 11. 1019, a be-
ruft: rd fjLtv Sij ov,T(a Xlyivai, TTQOVbQa vtal varega* t« St icara
tpvaip Kai ovalaVf öaa cV^^;if€Ta« etvai ävsv akXtov, ixeTpa 8i avtv
ineitojif fii^' fi S&aigiasi i^griaato TlkdrMv, vgl. auch Cat c. 12 :
WffOtgQOP iriQOv 6T6qop XiysTon rerg^x*"^* Trgdßrgv fiiv xal Kr(>«(o-
rara nard xgovop ... Bbvtsqop Si ro fifj dpriar^itpop vtaxd Ttj»
Tov liiai anoXov&TjaiPt oiop to cp twp $vo ngoxegop* SvoiP
/lip ydg optwv dnoXovdit ev&vs ro «v elvat, ipo^ di ovroi ovh
dpaynatop Svo ihat u. 8. w. Was mich früher hlegegen bedenk-
lich gemacht hatte, dass nach Metaph. III, 3. 999, a, 12 in den
Einzeldingen (arofia) kein Vor und Nach sein soll, halte ich nicht
mehr für erheblich, denn sind diese auch durch anderes Einzel-
nes bedingt, so findet doch unter den Einzelwesen, in welche die
untersten Artbegriffe am Ende auseinandergehen (und nur diese
bat Abist, hier im Auge; vgl. S. 998, b, 14 ff.), nicht das Ver-
bältniss des ProduCenten zum Produkt, oder des höheren Be-
griffs zum niedrigem statt, sondern sie sind sich logisch coordi-
nirt. — Wie lässt sich nun aber mit dieser Auffassung des Vor
und Nach die wiederholte Aussage des Abist. (Metaph. III, 3.
999, a, 6. Etb. Nik. I, 4. 1096, a, 17. Etb. Eud. I, 8. 1218, a
vgl. m. Plat Studien S* 243 f.) vereinigen, dass Plato und seine
Schule von demjenigen, in dem da» Vor und Nach stattfinde,
keine Ideen angenommen habe? Gegen die Auskunft von Bbav-
Dis, das ngoTtgop xal varegov in diese» Stellen in anderem Sinne
^14 Die Platonitcbe Dialektik.
2u nehmen, als in den früher besprochenen, hier nämlich »als Be-
KeicbDiuig der lediglich durch das numerische Nacheinander oder
durch das Mehr und Weniger einander gleichgeltender Einhellen
bedingten Abfolge«, Mctaph. XIII dagegen »ab Bezeichnung be-
grifflicher Abfolge«, muss ich meine frühere, von Brandis auch
in seinem neuern Werke nicht beantwortete Einwendung wieder-
holen, dass ein B uns taus druck, wie das tiq* *, vcr^i in ver-
schiedenen Aeusserungen desselben Schriftstellers in derselben
Weise und analogem Zusammenhange gebraucht, unmöglich Ent-
gegengesetztes bedeuten kann. Alles Bisherige zeigt zur Genüge,
dass der Ausdruck: vDinge, in denen das Vor und Nach ist«, in
* der Platonischen Schule die stehende Bezeichnung für die Eigen-
thümlichkeit einer gewissen Blasse von Zahlen war; wie könnte
nun eben dieser Ausdruck in derselben Allgemeinheit gebraucht
werden, um die entgegengesetzte Eigenthümlichkeit einer andern
Blasse zu bezeichnen ? Wenn ich aber nun früher mit Bbakdis
und Tbbotoelesiburg^ geglaubt hatte, die Stellen aus Metaph. III
und den beiden Ethiken können sich nur auf die mathematischen
Zahlen beziehen, und mich dadurch auch Metaph. XIII zu einer
unrichtigen Auffassung des ngor, m. vat. hatte verleiten lassen, so
hat mich jetzt eine genauere Untersuchung' überzeugt, dass nicht
blos in der letztern Stelle« sondern auch in den erstem unter
dea Dingen, in denen das Vor und Nach ist, die Ideal zahlen
gemeint sein müssen. Metaph. 111, 3 ist gesagt: i'r* tv oh to
VQottQQv mal vavt^ov iortv, ovx otov r« t6 ini rovrmv stval ti
TTagd TOLvza* otov ti TtgtaTtj twv dgi&fiuiv 17 Svdf ovx iori rn
dgt&fjios naffd td tXBrj T(»tf dgid'fiuip' und Eth. Eud.f, 8: i'ri iv
oQOiQ vnmQXti' ro ngorsgov xal vatsQov^ ovm lari koi¥Ov ti nagd
ravra koI tovto xwgiatov ti'fj ydg av r» rov ngoirov vgoitgov.
ngortgov yag xo noiruv na\ xtugiarov S*d rd dvtitgovfi^irov rov
utoivov dpaigtia^ai to ngvttov, oiov si t6 SmXdaiop ngoirov tötv
noXkankaaiotv^ ovn nd^ySTa^ to Trokkiirkdaiop to »owf, uazrjyogoi-
f^stov etvai xmgioTc» * i'orai ydg rov SiTtlmahv ngotagoVi ai avfi-.
ßnivu TO jtotrov ttvai rriv iSiav, Hier beziehen sich nun die
Worte: et ngwtrj TÖiv ugi&fiuiv iy SvaQ luid: sl to S$7t?.da$ov»
TrgvjToy twv noklaTrXaaiotv deutlich genug auf die Platonische
Lehre von der dvds dogiozos, aus welcher durch ihre Verbind
düng mit dem Eins die ngt^rr^ Svdt als die erste wirkliche Zahl
hervorgehen sollte (Metapli. XIII, 7. 1080, a, 14. 21. 1081, b,4);
gerade von den Idealzalilen wird also gesagt, dass Plato und.
die Platoniker von ihnen keine Ideen angenommen haben. Diess
würde nun freilich allen sonstigen Berichten des Abist, über
die Platonische ^ehre widersprechen, wenn die Meinung die
Die Platoniaehe Dialektili» $|5
selbst diese Darstellung als eine spätere ^), und damit
stimmt überein, dass wir ihr in den Platonischen Dialogen
nirgends begegnen; denn die Stellen, welche man hierauf
bezogen hat, drücken alle theils nur den Unterschied der
empirischen und der reinen Mathematik, der dgid/Äol ai<f&ij^
Tol und fiad^fifAurixol aus^)^ theils unterscheiden sie zvvar
zwischen den Zahlen als mathematischen Grösseq und den
Begriffen (Ideen) der Zahlen^), aber nur in demselben
Sinn, wie überhaupt zwischen dem Ding und der Idee unter-
schieden wird, so dass unter der Gesammtheit der Id^en
^u<3h Ideen der Zahlen vorkommen, nicht so, dass die
Ideen überhaupt durch die Zahlen vertreten worden. Doch
können wir uns die Aristotelische Darstellung, ihre Rich-
tigkeit vorausgesetzt, aus der Platonischen Philosophie er-
wä're, dass den Idealzahlen nach iPlato überhaupt keine Ideen
entsprechen } ebensowenig könnte diess aber freilich von den
mathematischen Zahlen gesagt \verdeH, denn sind diese auch nicht
selbst Ideen, so giebt es doch um so gewisser Ideen von ihnen,
da ja gleich die Idealzahlen selbst sich zu den mathematischen
als ihre Ideen verhalten: die Ttguirrj Svds z. B* ist die Idee aller
in der mathematischen Zahl sich unendlich oft wiederholenden
Zweiheiten (vfergl. Melaph. I, 6. 987, b, 16. Rep. V, 479, B).
ÄRist. sagt aber jenes auch nicht, sondern nur: bei den Idealzah-
len werde kein notrov %al xojQiar 6v^ d. h. keine von diesen
Zahlen selbst verschiedene, für sich ißxistirende Idee derselben
angenommen, wie bei den mathematischen, eben weil sie selbst
Ideen sind, hier also die Zahl und die Idee der Zahl zusammen-
fallen. Dass diess der Sinn der Aristotelischen 'Aussage ist, er-
hellt namentlich aus der Stelle der Endemischen Ethik} noch
bestimmter aber aus Metaph. VII,11. 1036, b, 13: xai rmv tds
tÜi'ae ksyoiTüJV Ol uir avroyga/Lifii^if rr^v dvddaf ol Se ro tiSoQ
Tjyff ygafififj?' i'via fiev Yo.q slvai ravzd ro elSos aal ov
t6 flSos, olov $vdSa xal ro &l8o9 SvdSos.
1) Metaph. XIII, 4. 1078, b, 9: 'JtfQl 81 tvHv iStujv ngonov avrijv
TT/V itard Ti^v idiav So^av «7r*ax«7rr^ov, ^rjx^ev avrairzovTaS tcqoq
T'^v Tuj» dgid'fivjv cfvoiv-t dlk' oW vitlkaßov i^ f^QZ^i^ ^^ ttqwtoi
tde iSiai q>tjaavT6S elvai.
2) Phileb. 56, O fF. Rep. VII, 525, D ff. Q^ oben S. 182, A. 1)
Tim. 35, B ff.
3) Rep. V, 479, B, Phädo 101, C.
tl< Die Platonitche Dialektllu
klären. Die Ideen als das Bestimmende der KSrperweh, in
die Räamlicbkeit eingegangen, werden von PIatO| wie wir
im nSchslen Paragraphen sehen werden, anter der Form
der mathematischen Verhältnisse angeschaut,, die ihren all-
gemeinsten Ausdruck an der Zahl haben, die Zahlen sind
daher in ähnlicher Weise Schemata der Ideen, wie bei
KiiNT ^) die Zeit das Schema der Verstandesbegriffe ist^
nnd wenn an die Stelle des rein begrifBichen ein symbo-
lischer Ausdruck |^setzt werden soHte, so lag es^ für Plato
am Nächsten, die Idee und ihre Bestimmungen in arith-
metischen Formeln auszudrucken. Eine Andeutung davon
kann man in der mehrerwähnten ^) Stelle des Phileb. S. 1 6, C
finden, wenn hier mit Verweisung auf die Ueberlieferung
der Früheren gesagt wird. Alles bestehe aus Einem und
Vielem und habe die Grenze und Unbegrenztheit in sich,
man müsse daher den Einen Begriff in so viele Arten, als
er in sich enthalte, zerlegen^ ebenso diese u. s. f. bis man
die Zahl der in der anfänglichen Elinheit enthaltenen Vie-
len vollständig erkannt habe. Mit den itaXaioi, auf welche
diese Stelle zurückweist, können nur die Pythagoreer ge-
meint sein; Plato glaubt also in der pythagoreischen Lehre
von der Verbindung des Begrenzten und Unbegrenzten oder
der Einheit und Vielheit im Wesentlichen das Gleiche zu
finden, was in seiner Lehre von der Verbindung der Ein-
heit nnd Vielheit in den Ideen enthalten ist, d« h. er be-
trachtet die pythagoreltsche Zahlenlehre im Wesentlichen
als identisch mit seiner Ideenlehre. Hat nun auch Plato,
wie wir aus seinen Dialogen und der oben angeführten
Aristotelischen Stelle schliessen müssen, diese Aehnlichkeit
in seiner frühem Zeit nicht weiter verfolgt, so mochte sie
ihn doch später, als sich einerseits die Unmöglichkeit einer
1) Hrit d. r. Vera. Elementar]. II. Th. 1. Abth. 3. B. 1. Haaptst
S. 157 der Leip^. Ausg. Ton 1838.
3) S. o. S. 473.
Bie Platonische Physik 117
begrifflichen Constraetion der Ideenwelt mehr and mehr
heransstelhe, andererseits die dialektische Kraft des Phihn
sophen, wie uns auch der dogmatische Ton des Ttmäus
beweisen mag, bei herannahendem Alter abnahm, zu dem
Versuche veranlfisen, die Verknüpfung der Einheit and
Vielheit in den Begriffen, und den Hervorgang der niedri-
gem Begriffe aus den höheren und höchsten am Beispiel
der Zahlen anschaulich zu machen, und in Folge deirsen
wohl auch die Ideen überhaupt als eine höhere Art von
Zahlen, als intelligible oder Urzahlen (aqi^fiol votjroi, etdrj'
riHoiy n^mroi) zu bezeichnen. Doch sagt uns Aristotelks
selbst, dass Plato das Zahlensystem nur Jbis zur Zehnzahl
Entwickelt habe ^), so dass sich auch • nach dieser Sttite hin
das Ungenügende eines solchen Surrogats für eine wirk-
liche dialektische Construction der Ideenwelt herausstellte.
Fehlt es aber hiemit der Platonischen Pkflosophie an
einer dialektischen Entwicklung der Idee, so fehlt es ihr
nothwendig auch am systematischen Uebergang von der
Idee zur- Erscheinung; auch wir müssen daher ohne wei-
tere Ableitung von der Dialektik zur Physik übergehen.
§. 21.
Die Platoniscbe Physik.
Den Namen der Physik nehmen wir hier im weitesten
Sinne und rechnen zu derselben die gesammte Lehre von der
1) Phy8.III, 6. 206, b, 32: {l[lat(op) (iix$'' ^'ttdSoS no^t t6v aQt&^
fiov, Metaph. XII, 8* 1073, a, 10: v^id'uovs yd(f iiyovai ras
iS^aQ Ol X.^yovres lätäs^ itbqI Si Tujt^ d()iO'fi(uy 6t s fUv tui TtsfA.
dnBiffOjv )Jyovo§v, vre Ss we fi^XQ* ^^^ SexdSoe vjgiafitvotv, Xill, 8.
1084, a, 12; dlkd fiyv «/ f^^XQ*^ ^^^ dsttdSos 6 dgi&fiuSf ojon^
Tiv/f <paa&v. Wena ebd. XIVy4 Anf. gesagt wird, die Anhänger
der I^ebre von den Idealzahlen leiten die ungeraden Zahlen nicht
weiter ab, so glaube ich diess jetzt, von meiner frühern Ansicht
(Fiat. Stud. S. 253) theilweise abweichend, darauf beziehen zu
müssen, dass die erste ungerade Zahl, das Eins, also die Wur-
zel des Ungeraden überhaupt, nicht von ihnen abgeleitet wurde.
VgL Metaph. Xlil, 6* 1081, a, 21.
tl8 Die Platonische Pbysili.
Weh des natürlichen Daseins, so dass sie also ausser der
speciellen Physik auch die Anthropologie und die Unter-
suchung über die allgemeinen Gründe der Erscheinungs-
well, in ihrem Unterschiede von der idealen, umfasst. Was
die Ordnung der Materien betrifft, so wird die letztge-
nannte Untersuchung, welche sich zunächst aii die Ideen-
lehre ansohliesst, naturgemüss zuerst stehen, hierauf die
specielle Physik folgen, und schliesslich die Anthropologie
den Uebergang zur Ethik vermitteln. Bei jener ersten Frage
kommen sodann wieder drei Punkte in Betracht: die all-
gemeltie Grundlage des sinnlichen Daseins, die Materie;
das Verhältniss des Sinnlichen zur Idee; das Vermittelnde
zwischen der idealen und der sinnlichen Welt, die Weltseele.
^Um Plato's Lehre von der Materie zu verstehen, müs-
sen wir auf die Ideenlehre zurücksehen. Plato betrachtet
die substantiellen Begriffe oder die Ideen als das allein
wahrhaft Seiende, die sinnliche Erscheinung dagegen er-
klärt er nur für ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein,
für ein solches, dem nur ein Werden (ein Uebergang vom
Sein zum Nichtsein und vom Nichtsein zum Sein), nie ein
Sein zukomme; in ihr stellt sich ihm zufolge die Idee
nie rein, sondern immer mit ihrem Gegentheil vermischt,
nur verworren, in eine Vielheit von Einzelwesen zerschla-
gen, und unter der materiellen Hülle versteckt dar ^); sie
ist nicht ein Anundfürsichseiendes, sondern all* ihr Sein
ist Sein für Anderes, durch Anderes, 4m Verhältniss zu
Anderem, und um eines Anderen willen ^). Das sinnliche
1) S. o. S. 185 ff. und Rep. VII, 524, C. VI, 493, E. V, 476,. A.
S>mp. 211, E. 207, D.
2) Syrap. 211, A, wo das unschöne im Gegensatz gegen die schöne
Erscheinung (ra irokkd xaAa) beschrieben wird als ov ry fikv
nakovy T7J d' aiO'/QOv^ ovdt totb fiev^ Tovt S* ov, ovSt TtQOQ fiiv
t6 AaXov rrgog di to aiaygov, ovd' t'v&a /ntP xäAov, i'vd'a Si
uia'igov, ojs Tial fiiv oi/ xaXov, tial Si niaygov. Fhileb. 54, C:
'{Aaartjv Se ytvsaiv «AAi/v oikktji ovoiai nyos kvtdorr^i ivtna yiy-
Die Platoniscbe Phjailf. 319
Dasein ist also mit Einem Wort nur. ein Schatten-^ und
Zerrbild des wahren Seins, was in diesem Eines ist, ist
in jenem ein Vielfaches und Getheihes, was dort rein für
sich ist, ist hier an Anderem, durch Anderes, für Anderes,
was dort Sein ist, ist hier Werden. Woher' nun diese Ver-
unstaltung der Idee in der Erscheinung? In den Ideen
selbst kann der Grund davon nicht liegen, denn diese, wenn
sie auch mit einander in Gemeinschaft treten, bleiben doch
darin für sich, ohne sich mit andern zu vermischen, jede
in ihrem eigenen Wesen: keine, Idee kann sich mit einer
andern ihr entgegengesetzten verbinden, oder in dieselbe
übergehen ^), wenn daher auch Eine Idee durch viele an-
dere hindurchgeht, oder sie in sich befasst^), so kann
diess doch nur in der Art geschehen^ dass jede derselben
unverändert sich selbst gleich bleibt ^), sofern nämlich ein
ndoTje. Tim. 52 ^ C: eiHon ulv (der sinnlichen Erscheinung),
inei7t6(> ovS' avxo tovto i(p* uf yiyovev (das Wesen zu dessen
Darstellung sie dienl) iavr^i hrw, Iriftov dt ttvos dil (p^gtrai
tpdvraofiat did tavza tv itli^Cff TrgoSyxn rivl yiyvto&ai,^ ovaiaC
duojSy^TTOte dmxofilvTjv ^ tj firßtv roitagditav avr^v tivai. Vgl.
Rep. V, 476, A. Phädo 102, B f. auch Krat. 386, D. Theät.
IdO, B, In welcher letztem Stelle jedoch Plato nicht in eigenent
Namen spricht^
1) Phädo 102, D ff. : i^ol ydq tpatrsrai ov fiorov avto tv fiiytd'oi
otSinoT tx^ileiv olfia fi^ya nal afiix(f6v itptti u. s> w, cJff d' avvvn
Haß ro autxQov t6 ev ijuiv ovx i&ikei novl fiiya yiyvsa&ai oiSe
flvai oi^i akXo ovBsp twv tvavriütv u. 8. w. Hiegegen wird nun
eingewendet, Sokrates selbst habe doch eben erst gesagt, dass
das Entgegengesetzte aus Entgegengesetztem werde, worauf die-
ser antwortet: tots fih ydg iliyevo in tov ivavrlov nfjdyfiara^
t6 ivavrlov n^gdy/aa ytyviad'at^ vvv Se ori avro ro ivavriov
iat'Toi evavriov ovx av xotf yivotto u. s* f. Vgl. Sopb. 252, D.
^ 255, A. '
2) ^ph. 253, D s. o. 8. 173.
3) Phileb. 15, B: es sei schwer zu fassen, ttwc aZ Tavrae (tat iSiaf)
fiiav sxdorrjv ovoav dfl Tiljv avTtjv y.al firjts yiVsaiv fiijvs oke&gov
^^oC^fXOfitvf^v, oaOii tlvai fisßaiörara ftiav ravTijVi fisxd Se rovt
iv Toii yiyvofAlvoii av nal dTttiffOti fire d&eoTtaofiivrjv xal rrokla
220 Die Platonische Physik
Begriff mit einem -andern sich nnr in dem Maasse ver-
knüpfen lässt, in dem er mit ihm identisch ist ^). Die
sinnlichen Dinge dagegen nehmen, im Unterschiede von den
Ideen, nicht blos übereinstimmende, sondern auch entgegen-
gesetzte Beschaffenheiten in sich auf, und dieses ist ihnen
so wesentlich, dass Plato geradezu sagt, es sei keines unter
ihnen, das nicht zugleich das Gegentheil seiner selbst, des-
sen Sein nicht zugleich sein Nichtsein wäre ^). Von der
Theilnahme an der Idee kann nun dieser unterscheidende
Charakter der Erscheinungswelt nicht herrühren , eben in
ihm zeigt sich vielmehr, dass nicht blos die Vernunft, son-
dern auch die Noth wendigkeit Ursache der Welt ist, und
dass diese Ursache von der Vernunft nicht schlechthin über-
wunden werden konnte '). Es muss mithin ein eigenthüm-
liebes Princip zur Erklärung des Sinnlichen als solchen
angenommen werden; dieses aber wird als das reine Ge-
gentheil der Idee, die alles Sein in sich enthält, und die
Ursache des relativen Nichtseins der Erscheinung nur das
absolut Nichtseiende, als der Grund für die Getheiltheit
und das Werden des Sinnlichen, nur das absolute Ausser-
einander und die absolute Veränderung sein können. Die-
ses Princip ist nun das, was man mit einem unplatonischen,
obwohl schon von Aristoteles seinem Lehrer geliehenen
Ausdruck die Platonische Materie nennen pflegt — eine
YByovviav &6Tiov, ei&* ökrjp avviji j^ohqis» Dasselbe muss aber
noch weit mehr von der Gemeinscbafl der Ideen untereinander
gelten. Dass auch Rep. V, 476« A nicht widerspricht» s. u.
1) Soph. 255, E fF. S. o. S. 200 f. 204.
2) Rep. V, 479, A s. o. S. 187. Pbädo 102 (S. 219, 1).
3) Tim- 48, A: ftefiiy/Atvr^ yaQ oiv ij rovds tov noofiov yivtaii *J
avdyxrji re xaX vov avaraatüii lyevv^d^ij* vov dt drdyittjs agxov-^
Toi Toj Jisi'd'eip avT^v rtav yiyvou,'v(uv rd nXetatiu im tu ßtXti"
OTOv aytii'i TavTj] nard ravrd re 9$* dvdyatji '^ztojfiivrji vno nßir-
&6vs i'fjitpQOvos ovTütt Har dgj^ds ^wiotuto toSb tq ndv.* VergU
Tim. 56, C. 68, E. Theät. 176, A.
Die Platonische Physik. 221
Bezeichnung, deren ancb wir ans um der Kurze willen be-
dienen werden*
Die Beschreibung dieses Princips enthält der Philcbus
und der Tiinäus. — Im Philebus S. 23, C ff. theilt Plato
die Gesammtbeit des Seins in vier Klassen: das Unbe«
grenzte, die Grenze, das aus beiden Gemischte und die
Ursache dieser Mischung und des Seins überhaupt. Die
letzte von diesen Klassen bezeichnet den absoluten Grund
des Seins, die ideale Wesenheit, die dritte das sinnliche
Dasein, die zweite die mathematischen Verhltltnisse und
Gesetze der Erscheinubgswelt, die erste das allgemeine Sub-
strat der sinnlichen Erscheinung, die Materie, Diese nun
wird so beschrieben (S. 24, E): „Alles was des Mehr und
Minder, des Stärker und Schwächer und des Uebormasses
fähig ist, gehöre in's Gebiet des Unbegrenzten^^; d. b. das
Unbegrenzte ist dasjenige, innerhalb dessen keine genaue
und feste Bestimmung möglich ist, das Element der begrifT-
losen Existenz, der Veränderung, die es nie zu einem Sein
und Bestehen bringt ^). — AusführHcher erklärt sich der
Timäus S. 48, E ff. Von dem urbildlichen und sich selbst
gleichen Sein der Ideen und dem ihnen Nachgebildeten, der
sinnlichen Erscheinung, wird hier als Drittes dasjenige unter-
schieden, was die Grundlage und gleichsam den miitter-
lichen Schoos für alles Werden bilde, das Gemeinsame, das
allen körperlichen Elementen und bestimmten Stoffen zu
Grunde liege, und in dem unaufhörlichen Flusse aller dieser
Formen, im Kreislauf des Werdens, sich als* ihr gemein-
sames Substrat durch sie alle hindurchbewege, das Dieses,
in dem sie werden und in das sie zurückgehen, und von
dem sie die blosse so oder anders beschaffene Erscheinung
seien ^), die Masse Qx/iayeiop)^ aus der sie alle geformt
1) Vgl. Tim. 27) D, yvo Tom Sinnlichen als Ganzem gesagt wird, et
sei ytyvofjLBvov fiep del ov 9i ovblitoTS . . yiyvofisvov Hai dnoXXv'^
fitvovy ovzfos di ovfiiTOTe oV.
3) 49 B f : man dürfe keinen der bestimmten Stoffe ein rgde oder
222 Die Platonische Physik.
tverden, die aber eben desswegen selbst noch ohne alle
bestimmte Form und Eigenschaft sein müsse. Dass ein sol-
ches Element vorausgesetzt werden müsse, beweist Plato
eben aus dem absoluten Flusse des Sinnlichen; dieser wäre
seiner Ansicht nach nicht möglich, wenn die bestimmten
Stoffe als solche .etwas Reales, ein Dieses, und nicht viel-
mehr blosse Erscheinungsformen und Modifikationen eines
gemeinsamen , und darum nothwendig bestimmungslosen
Dritten wtiren- ^). Näher beschreibt er dasselbe als eine
unsichtbare und gestaltlose Wesenheit, fähig alle Gestal-
ten aufzunehmen, als den Raum, der, selbst unvergänglich,
allem Werdenden eine Stätte darbiete, als das Andere, in
dem alles Werdende sein müsse, um überhaupt zu sein,
Während das Wahrhaft Seiende, als in sich einig, nicht in
ein von ihm so ganz verschiedenes Gebiet eingehen könne ^).
— Hiezu kommen dann noch die Aeusserungen des Aiti-
STOTELES, 'welcher die Materie Plato's als das Unbegrenzte,
oder wie er gewöhnlich sagt, das Grosse und Kleine, d. h.
Tovro neonen, sondern nar ein rotovrovt da sie alle immer in ein-
ander übergehen^ tp oi Si lyyiyi'OfAsra ael tmaatov arrüiv (pav-
rd^erai xal nahv ixH&tv arrolXvrai, fiorov ixsivo av irQOiayo^
Qivtiv toj ts Tovrö ttttl TOI ToSe 7TQ09xgüifjth'orS ovofiari u. S. w,
i) Aebnlich beweist schon Diogekks von ApoHonia (Fr. 2S« Simpl«
Pbys. 52, b), den Plato möglicherweise hier ?or Augen gehabt
haben könnte, aus der Mischung und Verbindung der Elemente,
dass diese alle blos Formen Eines und desselben Urstotfs seien.
3) 53, A f.: OftoXoy^tiop, ev ptkv chai re xata zavtd ttSo9 et^P^
dyivvritov nal dviuked'^ov u. s. w. • . to Si 6u(uvvfiov ofiOiov ti
ixsiitit (das sinnliche Dasein) Stvrtgop ... rgirov Si av yivoe ov
TO T^S ywpae dsly (pd'ogdv ov TtQotStxofisvov^ tSgav Si Ttagixov
09a l'x^i yireaiv itdatp, avro Si fisr dvata&rjaia9 dntov Xoy$af*tjf
Ttvt yo&ojf fioyts Ttiatov, ttqos o dt) nal opH^itoXovutv ßkinov"'
TiS , Kai (pafjtiv dvaynaiov itval nov ro ov airav i'v tivi TOirt^
tt€Ll navfxov x^^Q^^ tivdy to Si fitjts iv yjj /ii/f« nov Hat ov(^a^
i>6v ovSiv tlvai ... Takr^'d'iSf cJc ainovi fiiv u.s. w- (S o. S« 318,
A. %) . . • olroi fiiv ovv S^ Ttagd ztjs ffitje yjtjcpov koyia&slQ «V
ni(paXai(^ SiSoa&w koyoSt ov rf >cal %ot(^¥ utal yivsaiv tirah tgia
^ Die Platonische Physik. 22S
als dasjenige deftnirt, was sawohl der Yerniehrung als der
Theilüng in's Unbestimmle fähig ist ^).
Diese Darstellung ist nun gewöhnlich so verslanden
worden, als sollte hier die Lehre von einer der Welt*
Schöpfung vorangehenden ewigen Materie vorgetragen wer-
den* Schon Aristoteles hat zu dieser Auffassung dadurch
Anlass gegeben, dass er sich, nach seiner Weise, in der
Darstellung der Platonischen Philosophie des Ausdrucks
vlfj bedient; bei den Späteren ist dieselbe ganz herrschend,
und auch in neuester Zeit hat sie namhafte Vertreter ^) ge*
funden, wogegen freilich nicht ganz Wenige^) sich ihr
entgegengestellt haben ; Einzelne haben auch so über die*
sen Punkt zu sprechen gewusst, dass ihre eigene Ansicht
darüber nach wie vor im Dunkeln bleibt ^). Jene Auffas*
snng kann nun allerdings Manches für sich anführen. Die
Grundlage des sinnlichen Daseins wird im TimÜus uhlüiig-
bar wie ein materielles Substrat beschrieben, sie ist das*
jenige, in dem alle Stoffe werden, und in das sie sich
auflösen ^}, sie wird mit det-Masse verglichen, aus welcher
1) Melapb. I, 6. Pbys. IV, 2. III, 4.6. I, 9 u. ö. Genaueres über
diese Darstellung in m. Plat. Stud. S. 217 ff*
2) BoNiTz Disputt, Platonicae 65 f. — BbAndis Gr.*rÖm. Philoit.
II, a, 597 fr. rgl. Stallbaum Tim. S. 43. 205 ff» Reishold Gesch.
d- Pbll. I, 125. Hegel Gesch. d, Philos. II, 231 f. HERstAKor
Sokrat. Syst. S. 45.
3) BöcRH in den Studien von Dave und CnstzER III, 26 fP. Ritter
Gesch. dr Phil. II, 345 f. Schlbibrxacher Gesch. d. Phil. S. 105.
S. auch m. Plat. Stud. S. 212. 225.
4) So namentlich Marbach Gesch. d. Phil. 1,213 f. Sigwart Gesch.
d. Phil. I, 117 ff.
5) S. q. S. 221 f.. Wenn etwas später, Tim.- 51, B gesagt ist, die
vTTodoxy Tov ysyovoTog sei weder eines der vier Elemente, fn^rs
oaa SK TovTwv fiTjXB ii (jjv Tavra ytyovsPf so soll auch dieses nur
die Vorstellung aller bestimmten Stoffe entfernen: das aus
den Elementen Gewordene sind die einzelnen sinnlichen Dinge,
bei dem, woraus diese geworden, haben wir an Atome, oder
Homöomerieen, überhaupt an qualitativ bestimmte Stoffe (daher
auch der Plural i^ ojv) zu denken.
234 I^ie Platonische Physik.
der Künstler seine Figuren bildet, sie wird als das rovfe
und Tods bezeichnet, welches bleibend, was es ist,^ bald die
Form des Feuers, bald die des Wassers u. s. f. annehme^
es wird Endlich von einem Sichtbaren geredet, das vor der
Entstehung der Welt in der Unruhe einer regellosen Be-
wegung die Formen und Eigenschaften aller Elemente ver-
worren und undeutlich in sich gehabt habe ^)« Der letz-
tere Zug widerspricht nun aber freilich der wiederholten
Behauptung, dass das gemeinsame Substrat aller Formen
schlechthin formlos sein müsse, und dem Satze, dass alles
Sichtbare geworden sei (Tim. 28, B), nur dann nicht, wenn
wir unter der vor der Weltbildnng unruhig bewegten Ma-
terie nicht mehr die reine Grundlage als solche, sondern
bereits einen Anfang elementarischer Gebilde verstehen. Der-
selbe wird daher entweder ^) zum Mythischen in der Pla-
tonischen Darstellung gerechnet, oder auf etwas Anderes
als die allgemeine Unterlage des Sinnlichen^ rein als solche,
bezogen werden müssen. Mehr Gewicht hat das Uebrige,
doch ist auch dieses nicht entscheidend ; mag auch das, was
allen bestimmten Stoffen als Substrat und Ursache ihres
scheinbaren Bestehens zu Grunde liegt, nach unserer An-
sicht nur die Materie sein, so fragt es sich eben,* ob auch
Pinto diese Ansicht getheilt hat. Nun erklärt Plato unzäh.
ligemale, und auch der Timäus (27, D) wiederholt diese
Erklärung, dass nur der Idee ein wahres Sein zukomme;
wie könnte er aber dieses behaupten , wenn er ihr doch
zugleich in der Materie eine gleichfalls ewige und in allem
Wechsel ihrer Formen ihrem Wesen nach sich gleich blei-
bende Substanz zur Seite stellte ? Abor davon Ist er so
1) Tim. 30, A. 52, D. 69, B. vgl. PoHt. 369, D. 273, B: rovtoir
Si avtii} [rcjii noofiiu] ro außfiaroBiSis r^s avync^MbOii aTnov ^ ro
T^9 Ttakai notk tpvo8W£ ivvTQO<povt ori 7Tok?,^Q ijv fitrij^ov araf/ctff
TtQlv eis TOP PVP noQfiop aftxia&at,
2) Mit BöcHH a. a. O.
*Die Platonische Physik. 225
weit entfernt, dass er die Materie vielmehr deutlich genug
als^das Nichtseiende bezeichnet. Diese Ansicht liegt schon
in dem Tim. 35, A. 52, C für sie gebrauchten Ausdruck
dureQov, denn das itsQov ist dem Sophisten 257, B zufolge
identisch mit d^m fiij ov, und wenn dieses hier allerdings
nur von dem Nichtsein und Anderssein gesagt ist, welches
den Begriffen im Yerhältniss zu einander zukommt, so muss
doch dasselbe auch auf das ereQov im strengen Sinn An-
wendung ffndeo, und das absolut Andere mit dem absolut
NichtSeienden zusammenfallen. Ebendahin verweist aber die
Materie auch der Timäus, wenn er sie als etwas beschreibt,
das weder mit dem Gedanken als solchem zu erfassen sei,
wie die Idee, noch mit der l^mpfindung wie das Sinnliche,
sondern nur fier avaiad^tjaiag anrbv Xoyiafi^ rm vod^cp ^),
denn das wahrhaft Seiende ist schlechthin erkennbar, das
Mittlere zwischen Sein und Nichtsein ist Gegenstand der
Vorstellung, das Nichtseiende dagegen ist gänzlich uner-
kennbar ^); ist daher die Materie ein solches, das weder
durch*s reine Denken, noch durch die sinnliche Vorstellung
festzuhalten ist, dessen Vorstellung wir vielmehr nur durch
einen Xopaiiog v6dog{A. h. wohl: einen Analogieschluss von
der Beschaffenheit des Sinnlichen auf die Grundlage des-
selben) erhalten, so kann sie auch nur zum Njchtscienden
gehören. Das Gleiche folgt ferner auch daraus, 'dass das
Sinnliche für ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein er*
klärt wird ^); denn da ihm alles Sein von der Theilnahme
an den Ideen kommt ^), so kann das, was dasselbe von
diesen unterscheidet, nur das Nichtseiende sein. Doch Plato
hat sich noch bestimmter erklärt: das worin Alles wird, und
1) 52, A f. §. o. 8. 222, 2.
2) Rep. V, 477, A. 478, C.
3) Rep. V, 477, A. 479, R f. X, 597, A. S. o. S. 186 f.
4) Rep. V, 479. VI, 509, R. VII, 517, C f. Phädo 74, Af. 76, D.
100, D. Symp. 21 1 R- Parm» 129, A. 130, R.
Die Philosophie der Griechen. IJ. Theil. 15
226 Die Platonische Physik. '
in das sich Alles auflöst, ist der Raum ^), dieser daher
jenes Dii((e, was neben den Ideen und der Erscheinungs-
weU bIs die allgemeine Grundlage der letztern gefordert
Avird ^). Und damit stimmt auch Aristoteles Qberein, des-
sen Zeugniss hier von um so grösserem uewicht ist, da
er bei seiner Neigung, fremde Ansichten iii Kategorieen
seines Systems zu fassen, seinem Lehrer die Vorstellung
von der Materie als einem positiven Princip neben der Idee
gewiss eher gegen dessen Sinn geliehen, als sicr' ihm ohne
geschichtlichen Grund abgesprochen haben würde. Aristo-
teles aber versichert ^), Plato habe das Unbegrenzte {anei--
Qop) als Piincip gesetzt nicht in dem Sinn, dass unbegrenzt
nur Prädikat eines andern Substrats, sondern so, dass das
Unbegrenzte als solches Subjekt sein sollte; derselbe be-
zeichnet ^) die Platonische Materie als unkörperlich, und
unterscheidet seine eigene Fassung der Materie von der
Platonischen durch die Bestimmung, dass Plato die Materie
schlechthin und an sich selbst zum Nichtseienden mache,
er dagegen nur abgeleiteter Weise (aara avfißeßtjnog), dass
jenem die Negation (ax^Qrjatg) das Wesen der Mat4>rie sei,
ihm nur eine Eigenschaft derselben ^). Schliesslich mag
hier noch daran erinnert werden , dass auch die iii^eitere
1) Man vgl. mit Tim. 49, E: iv (jt Si iyyiyvofAtva del 'iviaara av-
Tiuv (pavTa^btai Mal ndkiv ixsl&ep aTtokXvrai abend. 52, A (ro
OLiad^tjTOv) yiyvo/aevov ts Iv rivi voTtcti nal iidktv inti&ev dnoX"
kvflSrOV.
2) A. a. O. : TQiTov 8t al yUos ov ro t^s X0)Qa9 dsl, (p&OQav ov
TTQOQSexousievy iSgav Se Ttag^^^ov uaa l'xu yiveaiv ndoiv u. S. w.
S. o.S. 222,2. Tim. 52, D: ovvoi fisv ovv 8rj nagd rijs ifjtiji iptjqiov
koyia&sU tp HS(pakai(^ dsSoad'oj loyoty ov re nal x^Qav ttal yivt-
üiv stpai u. 8. f.
5} Phys. III, 4. 203, a, 3 : Ttdvrts (ro dite^gov) (uS dgxv^ ^**'« ^*-
{ti'aai TuJv uvrojVi et fiiv, dkitSQ Ol IIv&ayoQUOt. nal nldvotVy atad"*
avTOy ov/ ojg avfißsßrjHÖi Tivt IrtQiOy dkl* ovoiav avto o» to
ansiQOv,
4) Mctaph. I, 7. 988, a, 25.
53 Pliys. I, 9. S. iti. Plat. 5tud. S. 223 ff.
L
Die Platoniscbe Physik 227
Entwicklung lies Tiinäns die Unkörperlichkeit dei* Plato-
nischen de^a/Aev^ {"WiB das Substrat aller Stoffe Tim. ^3, A
genannt wird) voraussetzt ; nur unter dieser Voraussetzung
lässt sich wenigstens die eigenthüniliche Construction der
Elemente S. 53,Cff. erklären^ welche dieselben, wie wir
unten noch finden werden, nicht aus körperlichen Atomen,
sondern aus mathematischen Flächen als ihren Urbestand-
theilen zusammensetzt und in diese auflöst.
Müssen wir aber auch nach diesem die Vorstellung
von einer ewigen Materie im gewöhnlichen Sinn unserem
Philosophen absprechen, so folgt daraus doch noch lange
nicht, dass nun Ritter ^) mit der Annahme Recht hatj
dass Plato die sinnliche Vorstellung für etwas blos Sub-
jektives gehalten habe. Indem nämlich, bemerkt er,
den Ideen, ausser der höchsten, nur ein beschränktes Sein
zukomme, so sei damit auch ein beschränktes Erkennen
gesetzt, welches das reine Wesen der Dinge nicht genü-
gend unterscheide, die Ideen einseitig auffasse, und dadurch
die Vorstellung von einem Sein erzeuge, in dem die Ideen
sich vermischen, und ihr absolutes Sein zu einem blos re-
lativen werde; sofern aber doch die erkennenden Wesen
nach vollkommener Einsicht streben, scheine hieraus die
Vorstellung des Werdens hervorzugehen. Die sinnliche
Vorstellung sei daher als ein Erzeugniss der Un Vollkom-
menheit d^r Ideen in ihrer Sonderung von einander zu
betrachten, das^ Sinnliche sei nur in einem Verhältnisse
zum Empfindenden — so dass also die Platonische Lehre
von der Materie im Wesentlichen mit der Leibnitzischen
identisch, das sinnliche Dasein nur das Erzeugniss der ver-
worrenen Vorstellung wäre. In den Platonischen Schriften
jedoch finden sich von diesem Gedankenzusammenhang,
\
1) Gesch. d. Phil. II, 365—378^ 8. bes. S. 369. 374 ff. Aehnlich
äussert sich Fries Gesch. d. Phil, J, 295» 306. 336* 331*
15 *
228 Die Piaionische Physik
wie Ritter selbst zugiebt ^), nur „sehr dunkle AndeutuDgen^',
und auch diese verschwinden bei schärferer Betrachtung.
Denn das freilich sagt Plato bestimmt genug, dass eine Ge*
meinschaft der Ideen unter einander stattfinde; ebenso auch,
dass in der sinnlichen Vorstellung und dem sinnlichen Da-
sein die Ideen sich mit einander vermischen ^); dass dagegen
jene Gemeinschaft der Begriffe als solcher auch den Grund
dieser ihrer Vermischung enthalte, davon finden wir in
seinen Schriften kein Wort, und auch Rep. V, 476, A ^) —
die einzige Stelle, die Ritter mit einigem Schein für sich
anführen kann — ist nur gesagt, dass neben der Verbin*
düng der Begriffe mit dem Körperlichen und Werdenden
auch die Verbindung der Begriffe unter einander dem Scheine
Vorschub leiste, als ob der in sich einige Begriff eine Vielheit
wäre. Wie aber dieser Schein nur für den mit der dia-
lektischen Unterscheidung der Begriffe nicht Vertrauten
vorhanden ist ^), so kann er auch nur aus der Unfähigkeit
des Subjekts herrühren, welches das Abbild vom Urbild^
das Theilhabende von dem, woran es Theil hat, nicht zu
unterscheiden weiss ^); woher dagegen diese Beschaffenheit
1) A. a. O. S. 370.
2) Z. B. Bep. VII, 524, C: filya fit/v na\ oifui kal afuxQov tauget^
(pafibP, dkV ov MCxojQta/A^voPt dlld uvynaxvfii'^^vov r«. Vgl. Bep.
V, 479, A u. a. St. S. o. 8. 187. 220.
3) Hdvxiuv Tüß» tiSüjp Ttlgi 6 avroi XoyoSf cttiro fiiif tv cxaatov
tivaiy rfj Ss tojv ngd^sojv xal ouifidTtuv nal dXXj^Xwv notvwvitf
^avraxov (pavra^ofitva nokXd q>aipea&ai enaarov^ d. b. weil ein
und derselbe Begriff an verschiedenen Orten zum Vorschein
kommt, der Begriff der Einheit z.B« nicht blos in den verschieden-
artigsten Individuen, sondern auch in allen den Begriffen, die
an demselben theilhaben, so entsteht der Schein, als ob auch
die Einheit als solche ein Vielfaches wäre.
4) Soph. 253, D. Phileb* 15, D. >
5) Bep* V, 476, G: o ovv naXd fiiv ngdyfAuza vofii^wPt avro Se
ndXXos /i^re vofii%(up, ^^r«, «V riS ^y^rat i^l rtjp yvwaiv atrov^
dwdfispoi cTread'aLt opag ^' vttuq Sottet aoi Sflp, axoTin Se' t6
oveiQWTveir aga ov roSt iovlv, idv ts iv v7tP(^ r»ff, idv tt tyg^^
Die Platonische PhysTli. 229
des Subjekts stamiiie, daräjber sagt unsere SMIe durchaus
. nichts aus. Nehmen wir aber andere zu Hülfe, so zeigt
sich deutlich, dass Plato, weit entfernt, das materielle Da-
sein nur aus der Vorstellung abzuleiten, vielmehr die sinn-
liche Vorstellung aus der Beschaffenheit des Körperlichen*
* ableitet; denn die Verbindung der Seele mit dem Körper
ist es dem Phädo zufolge, welche uns an einer reinen Er*
kenntniss hindert ^), beim Eintritt in dieses Leben haben
wir, eben durch jene Verbindung, vom Trank der Lethe
geschlürft und der Ideen vergessen ^); durch das Ab* und
Sfuströmen der sinnlichen Empfindung verliert die Seele im
Anfang ihres irdischen Daseins die Vernunft, und erst wenn
dieses nachgelassen hat, wird sie derselben theilhaftig ^),
auch dann aber nur, wofern sie sich innerlich vom Körper
r
losrelsst ^), und auf ihren vollen Besitz kann sia sich nicht
früher Hoffnung machen, als bis sie- vom Leibe gänzlich
yo^ojC t6 ofioiov TOJ fiy ufiotov u)X avTo ijyfjTai sttfat w «o*x«>'; . . .
ri $i, o tdvavTta rovrcjp i^yovfj^svoe ri t& avro xakov nal Svvd-^
fievos Ha^OQav Mal avvo ttai rd iitslvov ^r£';^övra) nal ovvs rd
fiSTiyovza avTo ovrt avvo rd (AiTixovra t]yov fjtwo^ ^ vnaQ y ovag
av Hat ovTos doxet ao& tji^;
1} Pbädo 669 B: ort ewc av ro aoi^a l'xoj/ttsv xal SvftTiefpvQfiirfj ^
IJfAÜJP lj y^VX^ flBvd TOV TOtOVTOV MaXOV y OV jLlfJ TTorc XTf^aofis&a
inavwe wv tTri&vfiovfiev (f,a(jtiv Si tovtIo elvai rd dkrj^ii* fivQiaQ
fiiv yuQ t]fiiv daxoXlai ^aQtxsi t6 aw/tia u. s* f. vgl. ebd. S» 65»
A. Rep. X, 611, B: oTop ^ iar} ry dkr^&tla (?) tpvxtj) ov Xel(u^
ßijfiivov 9^2 avTO ^iaQaa&ai viro ts rijs tov avjfAaros KOtvutviae
Kai aXkvtiv xaxwv.
2) Phädo 76, D. Rep. X, 621, A.
3) Tim» 44, A : xal Sid 8tj ndvra tavta rd ita^tjfAava (die im
Vorhergehenden beschriebenen aia&i^aiis) vvv xax dgxdc tt
dvovs ipvx^ yiyytrai vo jr^wrov, ora» sie üdtfia ivSsd"!! &prjT6v
u. 8. w.
4) phädo 64, A. 65, £• 67» A : xal iv ^ av ^wfisvt ovrojCt (ie l'oi-
««»', tyyvTdroj haofAS&a tov eldiva^t idv oti fidhata f^f^diu ofii^
Xwjusv Ttu aojfiari /ifjSe xoirojvojfASv , o r» fi^ ndaa dvdyxtj,
fiySe dva'7ttfi7E),ojfisd'a tije Tovrov q>v<ftoi9i dkXd xa&aQtvoijusv an
avTOv twt av o &t66 avvos dnoXvari i^fids, Tim. 42 B f.
230 Die Platoniscbe Physik
befreit und »rein für sich ist ^). Diese fast darchans in
didaktischem Ton und Zusammenhang vorgetragenen Er-
klärungen wären wir nur dann für mythische Darstellung
oder Uebertreibung anzusehen berechtigt , wenn die be-
stimmtesten Gegenerklärungen vorlägen. Diess ist aßer
nicht im Geringsten der Fall ; denn dass dem Plato doch aui^h *
wieder die sinnliche Empfindung ein Mittel zur Erkenntniss
der Wahrheit ist ^), beweist nichts: sie ist ja dieses, nach
allem Bisherigen, nur sofern von dem Sinnlichen in ihr
abstrahirt und auf die in ihr sich offenbarende Idee zurück-
gegangen wird. Müsste daher Plato, der RiTTEa'schen
Auffassung zufolge, aus der Gemeinschaft der Ideen unter
einander und der Art, wie diese Gemeinschaft von den ein-
zelnen Ideen oder Seelenwesen ^) vorgestellt wird, die sinn-
liehe Vorstellung, und erst aus dieser das Sein der Erschei-
nung ableiten, so schlägt der Philosoph selbst vielmehr den
umgekehrten Weg ein, die Vermischung der Ideen aus der
Beschaffenheit des sinnlichen Vorstellens, diese aber ans
der Beschaffenheit des sinnlichen D asei n s zu erklären. Nur
von einer solchen redet ab^r auch, dem Obigen zufolge,
der Phiiebus und der Timäns, nur von einer solchen weiss
Aristoteles ^); ja dem ganzen Allerthum, wie Brandis
richtig bemerkt ^), ist der subjektive Idealismus fremd, den
Ritter dem Plato zuschreibt, und er muss ihm vermöge
seines ganzen Princips fremd sein: der Versuch, den Schein
1) Phädo 66, E. 67, B.
2) RiTTiB S. 350.
3} Dass die Seelen nach RiTTsnt Ansiebt Ideen sind, diese Bestimm
mung jedoch nicht richtig ist, habe ich schon oben (S. 194)
nachgewiesen. Da sich indessen die RiTTEH^scbe Ansicht von
der Mateine mit geringen Modifikationen auch ohne jene Annahme
durchfuhren liessc , so soll hier auf diesen Punkt kein weiteres
Gewicht gelegt* werden.
4) S. m. Plat. Slud. S. 216 ff.
5) Gr.-röm. Phil. 11, a, 297.
Die Platonische Fhysili*. 231
des materiellen Daseins ans dem Wesen der Vorstelinng
zu erklären, setzt ein Bewusstsein von Her absoluten Be-
deutung der Subjektivität voraus, dessen Entwicklung eben
den spezifischen Unterschied der christlichen von der vor-
christlichen Zeit ausmacht.
Ist nun das Allgemeine, was dem sinnlichen Dasein
zu Grunde liegt, weder ein materielles Substrat, noch ein
blosser Schein der subjektiven Vorstellung, was ist es denn ?
Plato selbst, in den oben angeführten Stellen, sagt uns diess,
und Aristoteles stimmt ihm bei: die Grundlage all^s ma-
teriellen Daseins ist das Unbegrenzte, dieses nicht als Prä-
dikat, sondern als Subjekt gedacht, d. h. die Unbegrenzt-
heit, das Nichtseiende, d. h. das Nichtsein .(denn auch das
(4^ 6V kann hier nicht Prädikat eines von ihm verschiede-
nen Subjekts sein), der Raum, d« h. das Aussereinander
und die Getheiltheit; an die Stelle einer ewigen Materie
müssen wir die blosse Form der Materialität, die
Form der räumlichen Getheiltheit und der Bewegung setzen,
und wenn der Timäus von einer vor der Weltbildung un-
ruhig bewegten Materie spricht, so soll das nur den Ge-
danken ausdrücken, dass das Aussereinander und das Werden
die wesentlichen Formen alles sinnlichen Daseins sind«
Diese Formen will nun Plato allerdings als etwas Objek-
tives, in der sinnlichen Erscheinung selbst, nicht blos in
unserer Vorstellung Vorhandenes betrachtet wissen ; dage-
gen soll der Materie in keiner Beziehung eine eigenthümliche
Bealität oder Substantiali*iät zukommen, denn alle Realität
ist für ihn in den Ideen; es bleibt also iiur übrig sie für
die Negation der in den Ideen gesetzten Realität, für das
Nichtsein der Idee zu erklären, in das diese nicht ein-
gehen kann, ohne dass sich ihre Einheit in die Vielheit,
ihre Beharrlichkeit in den Fluss des Werdens, ihre Be-
stimmtheit in die Möglichkeit der in's Unbestimmbare ge-
benden extensiven und graduellen Vermehrung und Ver-
232 I>ie Platonische Physik.
mindornng, ihre Sichselbsfgleichheit in den Widersprach
ihrer Verknüpfung mit dem Entgegengesetzten, ihr abso-
lutes Sein in eine Yerbindang von Sein und Nichtsein auf-
löst. Wie aber diese Form ohne alle ihr eigenthümliche
Realität doch zugleich mehr als ein blos subjektiver Schein
sein könne, diese Frage scheint sich Plato nicht klar auf-
geworfen zu haben, sosehr sich auch in der Verlegenheit
des Timäus um einen dem Gedanken angemessenen Aus-
druck ^)y und in dem unvermeidlichen Hiniiberschwanken
seiner Darstellung zu einer Uypostasirnng dessen, was doch
eben das schlechthin Substanzlose und Unwirkliche sein
soll, die darin angedeutete Schwierigkeit fühlbar macht«
Durch diese Auffassung der Platonischen Lehre von
der Materie wird sich nun auch die Ansicht des Philoso-
phen über das Verhältniss des Sinnlichen zur Idee wenig-
stens nach einer Seite hin aufklären. Man glaubt ge-
wöhnlich, die sinnliche und die Ideenwelt stehen sich bei
Plato als zwei ausetnanderliegende Gebiete, als zwei sub-
stantiell verschiedene Ordnungen gegenüber. Schon die
Einwürfe des Aristoteles geg^n die Ideenlehre ^) beruhen
grossentheils auf dieser Voraussetzung, und Plato hat aller-
dings durch das, was er vom Fürsichsein und der Urbild-
lichkeit der Ideen sagt, zu derselben Anlass genug gege-
ben. Nichtsdestoweniger müssen wir ihre Richtigkeit in
Anspruch nehmen. Plato selbst wirft die trage auf ^), wie
^s doch möglich sei , dass die Ideen im Werdenden und
unbegrenzt Vielen sein können, ohne ihre Einheit and Un-
1) Man Tgl. z, B. S. 49) A: 6 koyoe foixey staavayxoi^tip xaXenov
nal d/iivd^üy etSos iTrtx^^Q^^^ loyoii ifitfaviaat, 51» B : dvogarov
ttSüS Ti Hat a^ioQ(fOi'i TtayStyitft fAtraXafißavov Si ditOQiutavd ntj
Tov V01JT0V, 52, B : ^tv draiu&tjoiaQ dnrov ?.oyiatK^ rtri rv&^tt
fioyts TTtaruy.
2) Man sehe über diese m. Plat. Stud. S. 257 ff.
3) Phileb. 15, B. S. o. S. 219, 3.
Die PUtonUcfae Ph;till. US
Veränderlichkeit zu verlieren, und zeigt, mit welchen Schwie-
rigkeilen die Beantwortung dieser Frage zu kämpff!n habe:
denn wolle man annehmen, dass in jedem der Vielen, die
an der Idee Theil haben, die ganze Idee, oder dasa in je-
dem ein Theil derselben sei, so würde diese gelheilt ^){
gründe man ferner die Ideenlebre auf die Not h wendigkeit,
für alles Vielfache ein Gemeinsames anzunehmen, so müsste
ebenso für die Idee nnd die gleichnamigen Erscheinungen
ein Gemeinsames über ihnen Stehendes angenommen wer-
den und so fort in's Unendliche^), nnd dieselbe Schwie-
rigkeit wiederhole sich auch, wenn man die (
der Dinge mit den Ideen darein setzt, dass sie
gebildet sind ^); behanple man endlich, das
das, was sie sind, für sich seien, so scheine r
Ziehung der Ideen auf einander, nicht eine Be
Ideen auf uns und ein Crkannlwerden derselben von uns
möglich zu sein ^). Diese Einwürfe gegen die Ideenlehre
könnte Plato unmöglich selbst vortragen, wenn er nicht
Bberzeugt gewesen wäre, dass seine Lehre nicht davon ge-
troffen werde. Worin konnte er nun von seinem Stapdpiinkt
aus ihre Lösung Sachen? Die Antwort darauf liegt in sei-
ner Ansicht über das Wesen der Ideen und des Binnlichen
Daseins. Da Plato dem Sinnlichen nicht eine besondere,
von der der Ideen verschiedene Realität zuschreibt, alle
Wirklichkeit vielmehr einzig und allein in ;Iie Idee verlegt,
und als das eigenihümliche Wesen des Sinnlichen nur das'
Nichtsein, d. h. nnr das betrachtet, dass die an sieh unge-
]> PbU. a. a, O, Farm. ISü, £ — 131, E.
3) Farm. 131, E f. Denselben Einwurf drücbt AnuTorms, der
ihn öfters macht, gewöhnlich so aus, die Ideeolehre nötbige lur
Annahme des r^liot jtv&Qianos.
3) Farm. 139, D ff. Tgl. was Ai.mnD*e von Aphrodisias (Schol.
in Ärist. coli. Bmnbis S. 566. a, 15. b, 15) aus Eudk>ifi
anfühn,
4) Farm, 133, B ff.
Itt l»ie FUtoaiacho Fhjtik.
'.heilte und anverfinderliche Idee hier als ein Gelbeiltes and
WerdeDdes erscheint, so fntlen alle jene Schwierigkeiten
für ihn weg: er braucht nicht nach einem Dritten zwischen
der Idee and der Erscheinung zu fragen, denn beide sind
ibtn nicht verschiedene, neben einander stehende Subatan-
sen, sondern die Idee ist das allein Substantielle; er hat
nicht sn befürchten, dass die Idee dnrch die Theilnahnie des
Vielen an ihr getheilt werde, denn diese Vielheit ist nichts
wahrhaft Wirkliches; er darf sich auch darüber kein Be-
denken machen, wie die Idee bIm für sich seiend zugleich
M iinung in Bezi itnn, denn da
d g, sctfem sie ü et Idee imnia-
■ beschr^edene A nur das Sein
4 r ist, so ist dl ler Ideen und
ihre Beziehung auf einander chon ihre Be-
ziehung auf die Erscheinung, und das Sein der letzlern ihre
Beziehung auf die Ideen ^). Mag daher auch Plalo an.Orten,
wo er seine Ansicht von der Natur des Sinnlichen genauer
zu entwickeln keinen Anlass halle, sieb an die gewithn-
liche Y^i'^t^l '*>■>£ anschliessen, und die Ideen als Urbilder,
denen die Abbilder als etwas gleichfalls Beales gegenüber-
ständen, hIs eine zweite Welt neben der unsrigen (als
XatQiarai) darstellen, in Wahrheit will er damit doch nur
die qualitative Verschiedenheit des substantiellen Seins von
dem der Eiiacheinung, den metaphysischen Unterschied der
Ideen- und Erscheinungsweli, nicht aber ein reales Ausser-
einander beider ausdrücken, bei dem jeder ihre besondere
Wirklichkeit zukäme, und die Gesammtsumme des Seins
zwischen ihnen beiden getheilt würe; es ist Ein und das-
selbe Sein, welches rein und ganz, in der Idee, unvollstän-
dig und getrübt in der sinnlichen Erscheinung angeschaut
1) Mao T^. hiemit ineinc im Weienllichcii gleiclilautcoden Bemer-
kungen Plal. Stud, S. 181.
Di0 Platönisehfc Physili. tS5
.wird , die . Eine Idee erscheint ^) im Sinnlichen als eine
Vielheit, die Erscheinung ist (Rep. VII, 514 ff.) nur die
Abschattnng der Idee, nur die vielgestaltige Brechung ihrer
• Strahlen .in dein an sich leeren und dunkeln Räume des
Unbegrenzten. Ob freilich diese Ansicht auch an sich telbst
haltbar ist, und ob nicht die oben angeregten Schwierig-
keiten der Ideenlehre am Ende doch wieder in veränderter
Form zurückkehren, ist eine andere Frage; diese Frage
haben wir aber hier nicht zu untersuchen, da die Geschicht-
schreibung die Vorstellungen, über welche sie berichtet, nur
geschichtlich zu erklären, nicht unmittelbar die dogmatische
Kritik an ihnen zu vollziehen hat. Nur sofern diese Kritik
mit der Fortbewegung d^ Geschichte selbst zusammenfallt,
gehört sie in unsern Bereich; in diesem Sinne wird sie
uns später noch vorkommen.
Diess betrifft jedoch erst die eine Seite von dem Ver-
hältniss der Erscheinung zur Idee, das Negative, dass die
Selbständigkeit des sinnlichen Daseins aufgehoben, die Er-
scheinung in die Idee, als ihre'Substanz, zurückgeführt wird.
Ungleich schwieriger ist die andere Seite. Mag das Sinn-
liche als solches noch so wenig Realität haben, ja abge.
sehen von seiner Theilnahme an der Idee geradezu als das
NichtSeiende zu betrachten sein, wie ist dieses Nichtsein
neben dem absoluten Sein der Idee überhaupt denkbar, und
wie lässt es sich vom Standpunkt der Ideenlehre aus er-
klären? Auf diese das Positive jenes Verhältnisses, die Ab-
Leitung der Form der Erscheinung aus der Idee betreffende
Frage hat das Platonische System, als solches, keine Ant-
wort. Die Annahme eines zweiten Realprinctps neben den
Ideen, welches den Grund des endlichen Daseins enthalten
könnte, hat sich Plato durch die Behauptung, dass t»ur die
Idee etwas Wirkliches, die Materie dagegen das Nicbt-
1> Rep. V, 476, A. Pbü. 15, B. S. o. 8. 2t9, 3. 228, 3.
^$ Die Platoniich« Ph;«ik
seiende sei, abge8chnillen;'Bi]§ deD Ideen selbst aber lüsst
sich das Endliche auch nicht erklären, denn was kfinnte
die Idee, welche an sich ahsoliile Wirklichkeit ist, be-
Blimmen, die Form des Nichtseins anzunehmen unddieEÜi!-'
beit ihres Wesens in da» rüamliche Aussereinander zu zer-
schlagen? oder wenn Plato allerdings gugiebt (s. o. S.204),
dass in jedem einzelnen Begriff als solchem iinendlicb fiel
Nichtsein sei, so ist doch dieses ein ganz anderes, als das
Nichtsein der maleriellen Existenz; das Nichtsein, welches
in den Ideen ist, ist nur der Unterschied der Ideen von
einander, das Nichtsein des Sinnlichen dagegen der Unter-
schied der Idee von der Erscheinung; jenes ergänzt sich
durch die gegenseitige Bezieliung der Ideen in der Art,
dass die Ideenwelt als Ganzes genommen alle Realität in
sich enthält, und alles Nichtsein in sich aufgehoben hat,
dieses ist die wesenlliche und bleibende Schranke des End-
lichen, vermöge der jede Idee nicht Mos im Verhällniss
zu andern Ideen, sondern an sich selbst als ein Vielfaches,
mithin iheilweise Nicb (seiendes, mit dem Gegentheil ihrer
selbst unzertrennlich Verknüpftes erscheint. Dehigemäss
icht erwartet werden, dasa wir einen
der Erscheinung aus den Ideen bei
'D nur, dass wir untersuchen, ob und
inen solchen Zusammenhang herzu-
der Art kann man zunächst in der
Bemerkung des Tiinihis (29, D f.) finden, dass Gott ver-
möge seiner Güte und Neidlosigkeit die Welt gebildet
habe. Dieser Gedapke, vollsländig entwickelt, würde auf
einen solchen Begriff des Absoluien führen , wornach es
diesem .wesentlich ist, sich in einem Endlichen zu offen-
. baren. Eine solche Entwicklung konnte er jeJoch, ans Grün-
den, die im Obigen liegen, bei Plalo noch nicht erhalten;
abgesehen davon folgt aber aus der Neidlosigkeit Gottes
Die Platonische Physik. 2^7
wohl, dass Gott überhaupt eine Welt, und auch, dass er
diese möglichst gut,, nicht aber, dass er eine endliche Welt
schaffen und das absolute Sein der Idee so in*s Nichtsein
versenken inussle« Was Plato daraus folgert ist daher auch
nur, dass Gott die in unordentlicher Bewegung befindliche
Gesammtheit des Seins geordnet habe, wobei die Materie
oder das Endliche überhaupt immer schon vorausgesetzt
wird« Um dieses selbst zu erklären, weiss sich der Timäus ^)
immer nur auf die apdyxt] zu berufen; ähnlich sagt der
Theätet 176, A: das Schlechte könne unmöglich aufhören,
denn es müsse immer ein dem Guten Entgegengesetztes
geben, und da nun dieses auch nicht bei den Göttern sei*
nen Sitz haben könne, rijv d^vf^r^v qyvaip xa« rovde xov xonov
^eQmoXsl ig ävdyH9jg, und ebenso weiss der Politikus 269,
C ff. von dem aus der körperlichen Natur dies Universums
mit Nothwendigkeit folgenden Wechsel der Weltperioden
zu erzählen* Offenbar ist aber hiemit die Frage um keinen
Schritt weiter gebracht, denn diese avayKt} ist eben nur ein
anderer Ausdruck für die Natur des Endlichen, weichet
somit hier nur vorausgesetzt, nicht abgeleitet wird*
Auch sonst. sehen 'wir uns naeh einer solchen Ableitung in
den ausdrücklichen Erklärungen des Philosophen vergebens
um, wir müssten sie uns daher nur aus dem Ganzen sei-
nes Systems combiniren. Wie diess Ritter versucht hat,
wissen wir bereits, konnten uns aber mit ihm nicht ein-
verstanden erklären. Einen andern Weg scheint Aristo-
teles zu zeigen. Seiner Darstellung zufolge ^) ist das Grosse
und Kleine, oder das Unbegrenzte, die Materie nicht blos
der sinnlichen Dinge, sondern auch der Ideen; indem sich
dieses mit dem Eins verbindet, so entstehen die Ideen,
1) S. 46, D. 56, G. 68, D f. besonders aber 47, E f.
2) McUph. I, 6. 7. III, 3. XI, 2. 1060, b, 6. Phys. III, 4. IV, J.
TgU meine Fiat. Stiid. S. 216 f. und Bbavdm Gr.-röm. Philoi.
n, n, 307 f.
238 I>ie Plitonitclje Physik.
welehe au« diesem Grunde nichts Anderes sind, als inteW
Mgible Zahlen ^). Halten wir uns hieran, so wäre die Ma-
terialität, welche die eigenthiiniliche Form der ^innliebei^
Erscheinung ausmacht, schon durch das Theilhaben des
Sinnlichen an den Ideen gegeben, und die Verlegenheit,
wie wir uns die Entstehung des materiellen Daseins aus
dem absoluten Sein der Ideen erklären sollen, beseitigt^)*
Aber doch nur, um alsbald in verstärktem Maasse zurück«
zukehren« Denn das zwar wäre jetst für einen Augenblick
begreiflich gemacht, dass die Dinge die Ideen nicht ohne
das materielle Element in sich haben, um so weniger da-^
gegen das Andere, dass den Ideen, welche aus denselben
Elementen bestehen sollen, wie die Dinge, doch zugleich:
ein von dem sinnlichen wesentlich verschiedenes Sein zu*
komme; d. h« es wäre der Ideenlehre überhaupt ihre Grund-
lage entzogen, ebendamit aber dann doch auch wieder das
sinnliche Dasein, welches sich einerseits von dem idealen
Sein unterscheiden, andererseits diesem alle seine Realität
verdanken soll, unerklärt und unerklärlich gelassen« Dem
auszuweichen gäbe es nur Ein Mittel: man müsste mit
Weisse ^) annehmen, dass zwar die gleichen Elemente das
ideale und das endliche Sein bilden, aber in verschiedenem
Verhältniss, dass die Einheit, in den Ideen das Beherr-
schende und Umschliessendo der Materie, in der sinnlichen
Welt von ihr überwältigt und umschlossen sei. Woher dann^
aber diese Verkehrung des ursprünglichen Verhältnisses der/
1) 8. hicräber oben S. 211.
2) lo dieser Weise glaubt SrALLBAcm (Proll. in Tim. S. 44. Parm»,
S. 136 ff.) die Platonistibe Materie erklären zu können: dieselbe
Soll nichts Anderes sein, als das Unendlicbe, das Buch die Materie'
der Ideen sei.
3) In seiner Dissert.: De Plat. et Arist. in oonstit. summ, philos.
princ. diflferentia. Lpz. 1828 S. 21 ff. und vielen Stellen seiner Anmer-
kungen zu Arist. Physik und Schrift von der Seele ^ ygl. m. Plat
Stud. S. 393. '.
Die Platonische Physik. 2S9
Prinoipien? Hier bleibt nai* übrig, sich auf die Vorstellang
von einem niobt weiter zu erklärenden Abfall eines Theils
der Ideen zurückzuziehen ^). Aber von einem solchen geben
uns weder die Piaionischen noch die Aristotelischen Schrift
ten die geringste Kunde ; denn das Einzige, was man hie-
her ziehen könnte, die Platonische Lehre vom Herabsin-
ken der Seelen in die Leiblichkeit, hat nicht diese allge-
meine kosmisdie Bedeutung, und setzt das Dasein einer
Körperwelt schon voraus. Ist aber dieser Ausweg abgeschnit*
ten, so ist es auch nicht mehr möglich, die Lehre, dass
dieselbe Materie, welche Grundlage des sinnlichen Daseins
ist, auch in den Ideen sei, Plato zuzuschreiben, wenn man
ihm nicht zugleich zutrauen will, dass er das Werden und
die Räumlichkeit, und Alles, was der Philebus von seinem
Unbegrenzten und der Timäns vom d^dzegov aussagt, in die
Ideenwelt verlegt, ebendamit aber sich alles Recht und allen
Grund fQr die Annahme von Ideen und die Unterscheidung .
des Sinnlichen von denselben abgeschnitten, und nament»
lieh dem auch von Aristoteles ^) anerkannten Satze^ dass
die Ideen nicht im Räume sind, aufs Handgreiflichste wider-
sprochen habe. Ich gestehe, dass dieses Bedenken für mich
fortwährend stark genug ist, um hier eher Aristoteles eines
Missverständntsses der Platonischen Lehre, als Plato eines
allen Zusammenhang seines Systems in der Wurzel auf-
hebenden W^iderspruchs zu beschuldigen* Dass Plato auch
in Beziehung auf die Ideen vom Unendlichen , oder vom
Grossen und Kleinen gesprochen hat, glaube ich ; ich glaube
diess um so eher, da er auch im Philebus zuerst (S. 16, C)
i) Denn worauf Stallbivm a. a. O. verweist, dass das Sinnliche
blosses Abbild sei, die Ideen Urbilder, diess erklärt nicbts; die
Frage bt ja eben, wie sich die Unvollkommenheit des Abbilds
mit der Gleichheit der BUemeate für die Ideen und das Sinnliche
Tereinigen lä'sst.
i) S. 0. S. 196, 5«
240* Die PlatODiscbe Physik.
gana allgemein, und die reinen Begriffe auftdriicklich mil
einschliessend (vgl. S. 15, A) sagt, dass AU^S von Natur
die Grenze und Unbegrenztheit in sich habe, und später
-(8.23, C), eben hierauf zurückweisend, das Seiende in Be-
grenztes und Unbegrenztes theilt, und das Letztere (S. 24,
A ff.) in einer Weise beschreibt, die durchaus nicht mehr
aui die Idee, sondern nur noch auf das Unbegrenzte im
materiellen Sinn passte; da er ferner im Sophisten S« 256, E,
auf die Unendlichkeit der negativen Urtheile und Begriffs-
bestimmungen hinsehpnd, bemerkt, es sei Ha& exaaxop täv «i-
d£p anaiQOp nX^d^ai to [Jirj op; da er endlich ebendaselbst ^)
den Ausdruck eixEQOPj mit welchem im Timäus (2$, A,
37, B u. ö.) die Eigenthümlichkeit des körperlichen Seina
bezeichnet wird, für den Unterschied der Begriffe von
einander gebraucht. Dass also hier eine Verwirrung im
Piatonischen Sprachgebrauch herrsche, will ich nicht laug-
nen,- und sofern nun diese immer auch eine Unklarheit der
Begriffe voraussetzt, auch diess nicht, dass Plato die Viel*
heit und das Anderssein^ welches Element der Ideen ist,
von der Getheiltheit und Veränderlichkeit des endlichen
Daseins nicht immer scharf und bestimmt unterschieden hat;
dass er aber darum das Unbegrenzte in' demselben
Sinne, in dem es die specifische Eigenthümlichkeit des
sinnlichen Daseins bezeichnet, auch in die Ideen verlegt,
oder gar, wie Aristoteles die Sache darstellt, dasselbe
die Materie (vXtj) der Ideen genannt ha(ie, davon kann ich
mich aus den angegebenen^Gründen nicht überzeugen. Glaubt
^ man aber ^) , durch diese Ansicht würde der historischen
Zuverlässigkeit des Stagiriten allzusehr zu nahe getreten,
so möge man dagegen erwägen, dass eben durch die Un-
klarheit der Platonischen Lehre selbst eine Verk^nnung
1) S. 255, C fF. vgl. Parm. 143, BJT.
2) Bbaitdis a. a. O. S. 322. Stallbaux In den Jahrb. Ton Jahk
und SsEBODi 1842, XXXV, 1, 65.
Die^PIatonisdhe Pfajsik. 241
ihres eigentlichen Sinns dem nach systematischer Einheit
strebenden Aristoteles sehr nahe gelegt war; dass den
physikalischen Theil des Systems, welcher zur genauem
Bestimmung des Begriffs der Materie und Unterscheidung des
körperlich Unbegrenzten von der* Vielheit in den Ideen
«Anlass geben konnte, auch Aristoteles, n^ch seinen An«
führungen zu schliessen, vorzugsweise när aus den Plato-
nischen Schriften, besonders dem Timäus, gekannt hat; dass
sich ähnliche und zum Theil auffallendere Missverständnisse
«
Platonischer Aeusserungen dem Aristoteles auch da nach-
weisen lassen, wo er sich ausdrücklich auf noch' vorhan-
dene Schriften seines Lehrers bezieht ^) ; dass er selbst an
mehreren Stellet! eine gewisse Unsicherheit über die frag-
liche Seite der Platonischen Pl^ilosophie merken lässt ^};
dass auch seine Vertheidiger sich zu dem Geständniss ge-
nöthigt sehen, er habe die Bedeutung der Platonischen Lehre
in wesentlichen Punkten verkannt^). Werden wir schliess-
1) Man vergl. m. Plat Stud« S. 200 — 216, eine Untersuchung, die
von den unbedingten Vertbeidigern der Aristotelischen Berichte
über Platonische Philosophie meiner Meinung nach zu wenig be-
achtet worden ist. • ,
2) Phys. IV, 2. 209, b, 33: nkdraivi fiivrot Xsxriov, ... Sta tI ovk
iv xoittu td tidij nai oi d^i&fioij ilnsQ wo fis^enrinov 6 ro^roc,
slrs Tov fifydXov xai rov fitxgov ovtos tov fis&ntrixon ^ itre tijs
vkt^f, wSTTtp iv Tfri Tifiaiu^ y^ygncpsv, Metaph. I, 6* 987, b, 33:
ro Ss 3i*dda noiyaai ttjv itl^av qvaw (das Grosse und Kleine)
3id to Tovs dgtd'fiovs «5«i rwv ftQtatvnv evcpvwe ff avt^s ygv-
vda&ai ütSJttQ ex rtvoe inftaysiov (^lyipero)» VgL hiezu m. Plat.
Stud. S. 254 f.
3) Weisse z. Arist. Physik S. 448: « Auffallender ist, dass keiner
seiner Nachfolger, auch Aristoteles nicht, den Sinn dieser Lehre
[vom Abfall der Ideen] und ihre volle Bedeutung verstanden
hat« Dasselbe S. 472 if., wo unter die Aristotelischen Missver-
standnisse namentlich auch die Identifikation des Grossen und
Kleinen mit dem Baume (also der vXij des Timäus) gerechnet
wird. Auch Stallbav» (Jahns Jahrb. 1842. XXXV, 1, 65 f.)
giebt zu, )»dass Arist. den wahren Sinn der Platonischen Lehre
allerdings verkannt haben dürfte«, dass er ihr vnicht selten einen
Dii Pbtloiophie der Griechen. II. Theil. 16
242 Die Platonisoho Physik
lieh daran erinnert, dass i^ucli Plato*s ScbSler auf den ihm
von Aristoteles beigemessenen Lehren fortbauen ^), so ist
diese Thatsache zwar nicht ?ni läugnen; ebenso unläagbar
ist aber anch, dass dieselben durch diese Richtung vom
ächten Platonismüs abgenommen sind, und namentlich die
Ideenlehre fast vergessen, und mit der pythagoreischen Zah«
lenlehre vertauscht haben ^). Was ist nun wahrschein«
Sinn unterlege, der mit Piatons wahrer Meinung in geraden
AViderspruch trete«, dass namentlich das «objektive Sem« der
Ideen seiner Betrachtung falschlich »sur vlij und geyvissermassen
zur materiellen Substanz werde«, wiewohl sich (auf derselben
Seite) ^vmit voller Gewissheit« ergeben soll, vdass Arist dem
Piaton nicht nur nichts Fremdartiges untergeschoben hat, son-
dern uns auch Mittheiluugen überliefert, durch deren Gebrauch
es möglich wird, Piatons wissenschaftliche Begründung der Ideen-
lehre erst recht zu erfassen und theilweise zu ergänzen.« Als
ob es überhaupt noch möglich ware^ einem Philosophen Fremd-
artiges unterzuschieben, wenn diess nicht thun soll, wer seinen
Lehren «inen Sinn unterljegt, der mit seiner wahren Meinung in
geraden Widerspruch tritt! Aber St. tröstet sich damit (S. 64),
dass doch Plato die Ausdrücke vdas Eins und das Unbe-
grenzte« sowohl auf die Ideen, als die sinnlichen Dinge anwandte,
wobei aber «seine Meinung unstreitig nicht die war, dass der
Inhalt oder die Materie bei Allem und Jedem derselbe sei.« Bei
, den Ideen nämlich »ist das Unbegrenzte das Sein derselben in
seiner Unbestimmtheit, was noch aller bestimmten Prädikate er-
mangelt und daher auch eigentlich nicht gedacht und erkannt
werden kann«; »ganz anders aber verhält es sich mit den
sinnlichen Dingen«, »d€nn bei ihnen ist das Unbegrenzte der ord-
nungs- und bestimmungslose UrstofF der sinnlichen Materie.«
Arist freilich weiss von dieser verschiedenen und sogar entgegen-
gesetzten Bedeutung des Unbegrenzten nicht das Geringste, er-
klärt vielmehr wiederholt und ausdrücklich, dass die Materie der
sinnlichen Dinge und der Ideen eine und dieselbe sei. Diese
ganze Verlheidigung lauft daher einzig darauf hinaus^ dass Arist
Platonische Ausdrücke gebraucht, diesen aber freilich einen ihrer
wahren Bedeutung völlig widersprechenden Sinn unterlegt habe -^
die philologische Bichtigkeit der Worte, wo es sich um die
Treue in der Darstellung philosophischer Gedanken han-
delt Und damit meint St irgend etwas gesagt zu haben?
1) BftAüDis a. a. O. S. 323.
3) Die Belege biefür u unten %7i} verläufig will ich nur auf die
Die Platonische Physik. 243
lieber, dass auch schon der Urheber der Ideenlefare dieser
sie im Princip aufhebenden Wendung derselben gefolgt ist,
oder dass sich seine Schüler, Aristoteles sowohl als die
übrigen, aus den gleichen Ursachen in ähnlicher Weise von
ihrem ussprünglichenSinn entfernt haben 1 Diese Ursachen
aber lagen einerseits in der Unklarheit und Lückenhaftig<»
keit d^r Platonischen Lehre auf diesem Punkte und der
symbolischen Darstellungsform, deren sich Plato in den mund*
liehen xVortrSgen seiner späterii Jahre zur Ausfüllung die«
ser Lücke bedient hatte, andererseits in der dogmatischen
Auffassung des von Plato nur unbestimmter Symbolisch Ge*
meinten , die wir nicht bloä dem Speusipp und Xenokrales,
sondern auch dem Aristoteles zuzutrauen*^ durch das son-
stige Verfahren desselben berechtigt sind. Plato mag die
Kluft, welche sein System zwischen den Ideen und der Wirk-
lichkeit übrig Hess, in seiner spätem Zeit deutlicher, als
früher, erkannt, und mit bestimmterer Absicht auszufüllen
versucht haben; er mochte darauf aufmerksam machen, dass
auch in den Ideen eine unbegrenzte Vielheit sei, und diese
mit dem Namen des aiteiQOp oder des Grossen und Klei-
nen bezeichnen ; er mochte bemerken, dass ebenso, wie die
sinnlichen Dinge nach Zahlenverbältnissen geordnet sind,
so auch die Ideen in gewissem Sinne Zahlen genannt wer-
den können, und diese Bemerkung durch die Ableitung der
zehn ersten Zahlen aus den allgemeinen Elementen der
Ideen, der Einheit und^ Vielheit ^), und durch Zurückfüh-
rung gewisser Begriffe auf Zahlen^) bestätigen; er mochte
Klage des Abistotkles Metaph. I, 9« 992, a, 33 : yiyovs rd fia^
•d'^fiara tols vvv ^ tpiXoco(piaf q>aQ)ioi'T(jt}v tütv akXwv Xt^iv avrd
dfiv TT^yfiMTtvsa&ai, und auf dla Acusserungen desselben Metapli.
XIII, 9. 1086, a, 2. XlV, 2. 1088, b, 34 verweisen.
i) Abist. Metapb. XII, 8. 1073, a, 18. XIII, 8. 1084,, a, 1^. Phys.
lii, 6. 206, b, 32; vgl. m. Plat Stud. S. 242. 223.
2) Arist: De an. 1,2. 404, b, 22 (Genaueres über diese Stelle und
ihre Litteratur, der ich hier auch Bobits Disputt« Plat« S« 79 E
16*
244 Die Platonische Physik.
ebenso zeigen, wie diesfelbe Verknüpfung der Einheit und
Vielheit, die in den Ideen stattfindet, auch ihre sinnlichen
Nachbilder beherrsche ^}; er mochte es endlich, vorherr-
schend auf die Einheit der beiden Reihen, <fer sinnlichen
und idealen hinblickend, unterlassen, ihren specifischen
Unterschied ausdrücklich hervorzuheben — diess Alles konnte
er thun, ohne seiner philosophischen Grundanschauuog ge-
radezu untreu zu werden, und Aristoteles kann uns inso-
fern seine hergehörigen Sätze buchstäblich richtig über-
liefert haben: unglaublich ist dagegen, dass Plato die Ab-
sicht liatte , mit diesen Sätzen den Unterschied des räumlich
Unbegrenzten von der Vielheit, welche auch in den Ideen
ist, aufzuheben, und wenn sein Schüler dieselben, wieder
Augenschein lehrt, in diesem Sinne verstandctn hat, so
muss er allerdings, zwar nicht eines fälschet^ Zeugnisses
über das, was; Plato gesagt hat, wohl aber einer allzu äusser-
lichen, dogmatischen, den Geist und Zusammenhang der
Platonischen Philosophie zu wenig berücksichtigenden Auf-
fassung dieser Aussagen beschuldigt werden.
Müssen wir nun diesem zufolge darauf verzichten, eine
Ableitung des Sinnlichen aus der Idee bei Plato nachzii*
beifüge, ia den Plat. Slud. S, 227. 273): PI. habe gelehrt: vayv
fi^v t6 «V, tviajrjfiTjv $i rd Suo* fM^axwe ya(» iq>* «V* Tor di
, %ov iitmiBov aQi&fiov ^o^avt alaOifotv 3i toy tov aztQBov, Aehn-
lieh ist Metaph. XIII, 8. 1084, a, 12 von den Zahlen, welche
zugleich Ideen sein sollen, die Rede, wenn Abistotbles hemeHit:
dlkd /iTJv 81 fiixQ^ trji SexaS^'S o aQt&jitos^, oisn^Q rivis (paoiv^
tt^vÜtov fitv rajfi) lutXsixpst t« fji^j^* olov el laviv ay ^^|«^. civro^
av^Qütinoiy riC tatai df^t&jLtos airo'Cnnoi,
1) De an. a. a. O. 404, b, 18: oiioIqjq de »al tv roiS its^l (fiXoao-
q>iaQ XeyöfiivotS Bivjgiad'fj , at'ro fitP ro ^wav e| avv^c r^s tov
ipos*iSiaSy nal tov TTQonov fii^xovs ual nXdzovi nal fldd'avSy t«
S*alXa ofAOioTQOTtüii, Dass unter dem avTo^üJov hier nicht die
Welt, sondern die Idee des Thiers (das Tim. 39,, E. vcrgl.
28, C. 30, C erwähnte ziltor nal votjTov ^mov oder » iar* ^luov)
EU verstehen sei, habe ich schon in den Plat Stud. S« 272 gegen
Trenoslenbtjrg und BsAüiDts (von dem nun auch Gr.*rom. PhiU
IIj a, 319 zu vgl.) erinnert.
Die Platonische Pfaysik« 245
weisen, so mSssefn wir ebendainit auch bekennen, dass sich
sein System in einen von seinem Standpunkt aas unauf-
löslichen Widerspruch verwickelt, einen Widerspruch, der
sich schon in d«r Fassung der Idee selbst aufzeigen lies9,
vollständig aber erst jetzt heraustritt. Die Idee soll nach
Plato alle Wirklichkeit in sich enthalten, zugleich aber
soll der Erscheinung nicht blos das durch diä Idee gesetzte,
sondern neben diesem auch ein solches Sein zukommen,
das sich aus dieser nicht ableiten lässt; die Idee soll aus
diesem Grunde einerseits zwar die alleinige Wirklichkeit
und Substanz der Erscheinung sein, andererseits doch fOr
sich sein, in die Vielheit und den Wechsel des Sinnlichen
nicht eingehen, und des Letztern zu seiner Verwirklichung
nicht bedürfen. Ist aber die Erscheinung, nicht Moment der
Idee selbst, kommt ihr ein Sein zu, das nicht durch die
Idee gesetzt ist, so hat die Idee doch nicht alles Sein in
sich, und mag auch das, was die Erscheinung von ihr unter-
scheidet, nur als das Nichtsein bestimmt werden, das ab-
solat Unwirkliche, ist es in Wahrheit doch nicht, denn sonst
hätte es nicht die Macht, das Sein der Idee in der Ejt-
scheinung zu beschränken und in die Getheiltheit und das
Werden auseinanderzutreiben; ebendamit ist dann aber auch
die Erscheinung der Idee nicht schlechthin immanent, denn
gerade das, was sie zur Erscheinung macht, lässt sich
aus der Idee nicht ableiten. Wenn daher Plato's unver-
kennbare Absicht ursprönglich dahin gieng, die Idee als
das allein Wirkliche und alles andere Sein als ein in der
Idee enthaltenes darzustellen , so gelingt ihm doch diese
Absicht nicht vollständig, er kommt vielmehr eben indem
er sie durchfuhren will zu dem Ergebniss, dass die Idee
an der Erscheinung doch eine Schranke, ein ihr Undurch-
dringliches ausser sich hat. Der Grund davon liegt aber
in der abstrakten Fassung der Idee als für sich seiender
und in sich befriedigter Substanz, die der Erscheinung nicht
346 ' Die PUtonitche Pfaytik
bedarf, um wirklich, zu sein. Indem die Idee als solche die
Erscheinung von sich ausschlieft, so erhält sie ebendamit
an der Elrscheinnng ihre Grenze, die Idee tritt atif die eine
Seite und die Erscheinung au£ die andere, und die voraus-
gesetzte Immanenz beider schlägt in ihren Dualismus und
die Transcendenz der Idee um. Es ist so allerdings ein
Widerspruch vorhanden; die 'Schuld dieses Widerspruchs
liegt aber nicht an unserer Darstellung ^), sondern an ihrem
Gegenstand, es ist der Gang der Sache selbst, dass der
mangelhafte Anfang durch das Resultat widerlegt wird, und
die Ge;»chichtschreibung, welche diesen Widerspruch aner-
kennt, giebt damit nnr den objektiven Thatbestand und
den Innern Znsammenhang der Geschichte, die das Plato-
nische Princip in Aristoteles an^ eben jenem Widerspruch
ergriffen und zu einer neuen Gestalt des Gedankens fort-
geführt hat.
Ist es aber auch Plato nicht gelungen, den Ueber-
gang von der Idee zur Erscheinung aufzufinden, so sucht
er doch unter Voraussetzung der letztern die Vermittlung
beider Seiten . nachzuweisen. Diese erblickt er aber in den
mathematischen Verhältnissen oder der Weltseele.
Da Gott die Welt auf's Beste einrichten wollte, sagt
der Tiraäns, so überlegte er sich, dass nichts Unvernunf-
'tiges, im Ganzen genommen, je besser sein werde, als das
Vernunftige, die Vernunft (povg) »her ohne Seele Keineiii
in wohnen könne ^). Aus diesem Grunde pflanzte ^r die Ver-
nunft der Welt in eine Seele, und die Seele in ihren Leib.
Die Seele aber (34,6 ff.) bereitete er auf folgend^ Weise:
Noch ehe er die körperlichen Elemente bildete, mischte
er aus der untheilbaren und sich selbst gleichen Substanz
1} Wie RiTTBi glaubt Gescb. der Pbil. II, 3659 Anm. Gott Gtl.
Anz. 1840, 20. St. S. 188.
2) Tim, 50, B vcrgl. 37, C. Phileb. 30, C: Jb^/a fiijv nal vovs
an»i V^i'X^f ovn ilv nov9 ywQiw&riVf aucb Soph. 248, £.
Die PlatonUcbe PiiysilL M7
nnd der körperlich theilbaren ein^ dritte, zwischen dem
sich selbst gleichen Wesen nnd dem Anderen in der Mitte
stehende; diese drei sodann vermengte er su Einem We-
sen ^)j theilte sie nach den Verhältnissen des harmonischen
Sjstenis ^), und bildete aus dem so getheilten Stoffe durch
eine Längentheilung die zwei Kreise des Fixsternhimmels
und des Planetenhimmels, jenen nicht weitor getheilt, die-
sen in die sieben Planetenbahnen gespalten, jenen durch
die Natur des Selbigen {ravrov), diesen durch die des An-
deren in seiner Bewegung bestimmt. Man äieht nun dieser
Darstellung freilich das Mythische und Phantastische beim
ersten Blick an. Die der Bildung der materiellen Welt
vorangehende räumliehe Vertheilung und Ausspannung der
Weltseele, die Entstehung derselben aus einer chemischen
Mischung, die ganze stoffliche Behandlung, die hier auch
dem schlechthin Immateriellen zu Theil wird, kann von
Plato unmöglich ernstlich gemeint sein, man müsste denn
alle die Vorwürfe auf ihn häufen wollen, die Aristotelks ^)
in merkwürdiger Verkennung der mythischen Form diesem
Abschnitt desTimäus gemacht hat. Bringt man nun in Ab-
zug, was nur dieser Form angehört, so bleibt als Plato's
dogmatische Lehre nur diess übrig: Das, was die Welt
bewegt, und die Ursache der in ihr herrschenden Oxdnung
ist die Weltseele, d. h. das zwischen der reinen Vernunft
und dem Sinnlichen in der Mitte stehende, alle Zahlen-
1) Eine allerdings überflüssige und lästige Bestimmung, denn die
^dritte dieser Substanzen ist ja schon die Einheit der beiden an-
dern.. Es geht Plato hier, wie unsem spekulativen Orthodoxen
in der Ableitung der Trinität, die auch suerst den Geist als die
Einheit von Vater und Sohn construiren, und dann erst noch die
ganze Gottheit aus allen Dreien zusammensetzen.
3) Das IVähere hierüber giebt Böchh über die Bildung der Welt-
seele im Tim., in d. Studien Ton DAim und Gbsuebi 111, 34 ff.«
auch BnANDis Gr.-röm. Philos. II, a, 363 f. und St^llbaum zu
Tim. 55, B f.
3) De an. I, 3. 406, b, S5 ff.
24S >X^>o Platoaiscbe Physik
und Maassverbälinisfe in sich begreifende Weien ^). Eiben;*
damit föllt aber die Weltseele des Timäns mit dem, was
Plato selbst im Philebns ^) die Grenze (to rn^ag — to nega-
xoEidh)i wd der Bericht des Aristoteles ^) über ihn das
Mathematische nennt, zusammen; denn das mgag, durch
dessen Vermischung mit dem Unbegrenzten (der söe. Ma-
terie) die sinnlichen Dinge entstanden sein sollen, wird im
Philebus als das alle Zahlen- und Maassverhältnisse in sich
Schliessende definirt ^), dasselbe ist aber auch der Begriff
1) Die obige Ansicht Ton den Elementen der Weltseele, wonach
das TavTov das ideale, das ^dregov das materielle Sein bezeich-
nen soll, theilen ausser vielen Andern Rittxr Gesch. der Phil.
11, 365 f. 396. und Stallbavm Plat. Tim. S. 136 f. — Böchh
(a. a. O. S. 34 iT.) versteht unter dem ruvtop die Einheit und
unter dem ^arsQov die unbegrenzte Zweiheit, statt welcher^ letz-
tern jedoch, bei der Unsicherheit dieser Bestimmung (s. m. Plat.
Stud. S. 220 ff.), besser mit TBEnnBLEnBuRO (Plat. de id. et num.
doctr. S. 95), dem nun auch Bramdis (Gr.-röm. Phil. 11, a, 366)
beigetreten zu sein scheint, das Unbegrenzte oder das Grosse
und Kleine, d. h. die Materie überhaupt gesetzt würde. Diese
Erklärung weicht nun von der unsrigen nicht viel ab , sofern
diess aber der Fall ist, kann ich ihr nicht beistimmen, denn das
Unbegrenzte soll auch in den Ideen sein, hier aber ist offenbar
die Absicht, die Weltseele als das zwischen dem Sinnlichen
und der idee in der Mitte Stehende darzustellen , wie diess aus
der wiederholten Bezeichnung des ^dni^ov durch to %:^Td rd
ifotfiata fjLSQtaxCv hervorgeht. Noch weniger dürAe aus diesem
Grunde Bonitz Recht haben, der in s. Disputt Plat S. 68 ff.
unter dem rairov, dem ^dxsgov und der ovaia die 'Ideen der
Gleichheit, des Unterschieds und des Seins versteht Ueb^r die frühe-
ren Erklärungen von SrALLBivM und Bbandis s« Boritz a. a. O.
S. 53 ff*
2) S. 23, C ^5, A f. S. o. S. 221. 240.
3) Metaph. I, 6. VII, 2 u. ö. vergl. m. Plat Studien S. 225 f.
235 ff. 250.
4} 25, A: Ovntovv r« fti^ 9B%6fiiva ravra [das ^aXkov »al ^ttov
XU s. f.] , Tovtmv Bi rdvavTia itdvra dsxofieva , n^rop fiiv to
Vüov Kai iwoTtjra , fierd 9i ro ioov to Smldoiov nal nd» o ti ntQ
av TT^oe a(fi9fidv aQi&fioS ^ fiixQOV rj ngos fUrgov^ ravra fv^«
9rayra th to nl^aQ dnoloyi^ofitvot ttaldts aP ^oMifitP 9^fv tovtö»
Die Platonische Ffaysik. S49
des Mathematischen bei Aristoteles, der auch darin mit
den Platonischen Darstellungen zosammentrifft, dass er als
die Grundlage des Mathematischen die Zahl bezeichnet;
denn diese soll zuerst aus den Ideen und dem Grossen und
Kleinen, oder wie es auch heisst, aus dein Eins und der
Materie (dem* zairop und dem ^dteoov des Timäus) ent-
stehen, erst aus den Zahlen, durch eine weitere Verbin«
d^ng derselben mit der Materie, die andere Klasse des
Mathematischen, die Grössen ^). Eben die letztere Darstel-
lung kann uns nun aber auch über die Natur des Mathe-
matischen oder der Weltseele noch einen weiteren Wink
geben. Erinnern wir uns nämlich aus dem früher Entwickele
ten, dass dem Plato nur die Idee für das Wirkliche, die
Materie als solche dagegen für das Nichtseiende gilt, so
kann auch in der Weltseele nur die Idee das Positive und
Reale sein, uiid wenn dieiäelbe als eine Verbindung des
Selbigen und des Andern beschrieben wird, so heisst das:
die Weltseele ist die Idee in der Form der mathematischen
Verhältnisse, als das Bestimmende und Beivegende des kör-
perlichen Daseins gesetzt ^).- Nur dieses ist auch in letz-
ter Beziehung der Grund davon, dass gerade die mathe-
matischen Wissenschaften und sie allein den unmittelbaren
Uebergang von der sinnlichen Vorstellung zur Philosophie
bilden 3). Das Mathematische ist die Idee in ihrer ersten
Entäusserung an die Räumlichkeit und Getheiltheit; die
Vielheit, als das Eine Moment des sinnlichen Daseins, ist
hier zwar noch vorhanden, aber das Werden hat aufge-
hört, und an die Stelle des unbestimmten Flusses sind fest-
begrenzte und bestimmte Verhältnisse getreten ^) ; wird auch
1) Hinsichtlich der Belege muss ich, um nicht su weitläufig zu wer-
den, auf meine frühere Schrift verweisen..
2) Vgl. hierüber auch Böchh a. a. O. S. 24.
3) S. o. S. 178.
4) Man vergl. ausser dem eben aus dem Philebus und dem oben
2M Die Platonifche Pbyfilt.
die entere noch weggenommen, so haben wir die reine
Idee. Allerdings tritt aber diese Bedeutung des Matheroa«
tischen oder der Weltseele bei Plato selbst nicht rein her-
aus, diese erscheint vielmehr als eine Substanz oder ein
sdbständiges Princip neben dem Sinnlichen und der Idee.
Der Grund dieser Unklarheit liegt in demselben, worin auch
der Schein, als ob ihm die Materie etwas Substantielles
wäre, seinen Qrund hat, in der abstrakten Fassung der
Ideen als fursichseiend; diess darf uns jedoch nicht abhal-
ten, die eigentliche Bedeutung und Meinung der Platoni-
schen Lehre heraussuheben, wenn auch mit dem ausdrück-
lichen Zugeständniss , dass sich Plato dieselbe nicht zur
■
vollen Deutlichkeit gebracht haben mag. — Eher könnte
man vielleicht an einem andern Punkte Anstoss nehmen.
Die Weltseele wird im Timäus (36, E ff.) nicht blos als
der Grund aller Ordnung in der Welt, sondern zugleich
auch als das Princip des Bewusstselns im Ganzen und Ein-
zelnen beschrieben ; sie führt ein vernünftiges (ificpQtov) Le-
ben, und hat Theil am Denken (loy$cfi6^)j sie sagt sich selbst
durch ihr ganzes Wesen hindurch, was und wie beschaffen
Alles ist, und erzeugt dadurch auch in den einzelnen See-
len, die sie in sich begreift, nicht blos richtige Vorstel-
lungen und Meinungen, sondern auch Vernunft und Wis-
(S. 179) 1* 182, 1.) Angeführten, AmiBToriLzs Metaph. I, 6.
987, b, 14: t« fia&t^fiaTnta ttuv nifayfiarutv tivai tptfoi ^tta^iv^
Sift(piQovrn TojM fiiv atoO'T^Tiof r^ at^ut nal anirrjva stvai , touk
S*it8oßp Tt^ ra fiif TtolV arza Ö/AOia stfai t6 Se flSos avro ir
'inaatov fiovop. Das a*ivf]xa ist hier übrigens ungenau, denn
schlechthin unbewegt ist bei Plato weder die Weltseele, noch auch,
nach Bep. VII, 529, C f. (oben S. 182t 1), das Mathematische,
sondern nur ohne das Werden und den Wechsel des Wer-
dens ist es. Eine ähnliche tJngenauiglieit erlaubt sich Abist.
De an. I, 3. 407, a, 2 ff., wenn er die Weltseele, die der Timäus
so bestimmt vom ¥ov^ unterscheidet, mit diesem identificirt, weil
er in seiner Eintheiluilg der Seele in die ^pviij »ioQfjTin^y ini^
OvfitjTtK'^ und den voHe keine passendere Stelle für sie findet
Die PlatOBische Physik. 25L
senschaft (povs und im^xrifiri)* Diess scheint nun mit un-
serer Aaffassnng der Weltseele als des Inbegriffs der mathe-
matischen Gesetze nicht zusammenzustimmen, und es ist
auch deutlich genug, dass hier zwei heterogene Bestand-
theile verknüpft sind, deren einer in dem Begriff der Wi^t-
seele, der andere in dem der Grenze oder des Mathema-
tischen mehr hervortritt: die psychologische Anschauung der
Seele, als Princips der Bewegung und des Bewusstseins,
und die ir^etaphysische der Zahl, als der allgemeinen Form
des endlichen Seins. Dass jedoch Plato diese beiden nicht
blos überhaupt verknüpfen, sondern auch identifieiren wollte,
diess zeigt ausser dem oben Bemerkten auch die eben an-
geführte Stelle des Titnäus, wenn diese das Wissen der
Weltseele daraus ableitet, dass sie in ihrer Umwälzung
um ihren eigenen Mittelpunkt von Allem» worauf sie stosst,
bewegt werde, und diese Bewegung sfich als Wissen in ihr
fortpflanze,' und ebendieselbe die Vorstellung dem Kreise
des Andern (der Bewegung des Planetenhimmels), die Wis«
senschaft dem Kreise des Selbigen (der Bewegung des
Fixsternhimmels) zutbeilt; und auch das Befremdende die-
ser Darstellung verschwindet vom geschichtlichen Stand-
punkt ans, wenn wir uns von Aristoteles (De an. I, 2)
si^en lassen, in welche enge Verbindung mehrere von den
ältesten Philosophen, wie Anaxagoras, Diogenes und Hera-
klit^),die rSumliche Bewegung und dasBewiisstsein gebracht
haben, wenn wir sehen, wie auch die Pythagoreer die Seele
eine Zahl oder Harmonie nannten, und Xenokrates, gewiss
nicht ohne einen Anknüpfungspunkt in der Platonischen
Lehre, sie als eine sich selbst bewegende Zahl definirte,
wenn wir endjich erwägen, dass Plato selbst die verschie-
denen Arten des Wissens durch Zahlen ausdrückte ^)« In-
dem durch Zahl und Maass das unendlich Viele auf be-
1) S. Ritter Gesch. der Fhä. I, 440 f.
2) S. o. S. 243, 2.
252 Die Platonische Phyiilc
Stimmte Verhältnisse sarSckgefBhrt wird, so wird es erst
ein Erkennbares ^), nnd indem die Weltseele die allge-
meinen Zahlenverhältnisse in sich enthält nnd bestimmt,
so ist sie ebendamit auch das Princip alles Wissens, das,
was einerseits die Vielheit des Seienden zar Einheit des
Bewusstseins zusammenfasst, andererseits das absolut All-
gemeine der Idee in das Einzelbewusstsein übeffiihrt.
Wie nun • aus diesen Principien die Entstehung und
Einrichtung der Welt zu erklären ist, diess hat der Tiniftus
in einer in's Einzelnste des naturwissenschaftlichen Details
eingehenden Darstellung ausgefiihrt Im Ganzen des Pla-
tonischen Systems kommt jedoch dieseh Erörterungen nur
eine sehr untergeordnete Stelle zu, wie sich denn auch
Plato (nach dem Umstände zu schliessen, dass sich Ari-
STOTfiLES für diese Parthieen fast ansschliesslich an den
#
Timäus hält) in semen mundlichen Vorträgen nicht damit
beschäftigt zu haben scheint. Da ihm nur die Idee für das
Wirkliche und Wesenhafte gilt, so kann auch in der Be-
trachtung der'N'atur nur die Darstellung der Idee in der-
selben^ nicht die materielle Vermittlung dieser Darstellung
sein Hauptinteresse in Anspruch nehmen. Plato's Natur-
betrachtung ist desshalb wesentlich teleologisch, und diese
Teleologie, da sie sich im Gegensatz gegen die physikalische
Betrachtungsweise behauptet, ist hier noch äussere Teleologie;
erst Aristoteles bat den Begriff der immanertten Zweckmässig-
keit der Natur entdeckt. Wie daher der Phädo in eiiier be-
kannten Stelle (S. 96 ff.) die Vernachlässigung dieser Teleo-
logie in Anaxagoras rSgt, und nur die Zweckursachen als
die wahren den physischen gegenüber hervorhebt, so un-
terscheidet auch der Timäus die Mittelursachen (^vvoUria)
1) Vgl. Phii.olait8 Fr. 4: »al ndvxm f$dp rd yiypmmtof/ava d^t^pkov
l'xovTi' ov yoQ oiov te ov&iv ovre votj&'^fisv ovtb yvioa&^f$§p
ai'8v TovToj und was Bbavdis Gr.-röm. Philos. I, 445 f* weiter
anfuhrt.
Die Platonische Physik. 253
sehr bestimmt von den Zwecknrsachen, di<B er allein aizM
nennen will, und die alle in der Verwirklichung der Idee
des Besten zusammenlaufen ^), und die Wirkungen der einen
und der andern, des povg und der apayuij ^)* Nur von den
ersteren kann ihm zufolge mit wissenschaftlicher Sicher-
heit gesprochen v^erden, die Darstellung der natürlichen
Miltelursachen dagegen kann nicht auf dieselbe Sicherheit
und Genauigkeit Anspruch machen, wie die Lehre von dem
bleibenden und unveränderlichen Sein, sondern muss sich
mit der blossen Wahrscheinlichkeit begnügen ^), sie ist
mehr Sache einer geistreichen Unterhaltung, als der eiPnsten
philosophischen Untersuchung^). Mögen wir nun auch von
diesen Aeusserungen Einiges als weniger ernstlich gemeint^
und blos der Entschuldigung naturwissenschaftlicher Schwä-
chen oder der Feierlichkeit dienend in Abzug bringen, so
bleibt doch immerhin so viel, dass sich Plato selbst des
^ geringeren philosophischen Werthes dieser physikalischen
Erörterungen bewusst war, und auch wir werden ihm hierin
beistimmen, milssen: es sind diess Bemerkungen und Vor-
stellungen, zum Theil sinnreich, zum Theil kindisch, die
für die Geschichte der Naturwissenschaften unt^ den Grie*
eben ohne Zweifel von Interesse sind, för die Geschichte
der Philosophie dagegen grösstenthdls nichts darbieten, da
1) Tim. 46, C: vavT ovv ndvt lari roiv ivvairiviVy oU d'Bvg vtt^^s-
. Totai ;r^t/rai tijp tov dgiarov xard ro Svparov IBtav dnoTtkiuv •
So^uLerai Si vTto töiv nksiarojv ov ^vyairia dkJi al'ria eiyai tojv
iravTtnv» 46, E : XsHtia fiiv äfKporega ra rcuj» atvKup yivrj', i<u^
q\q 6'^aai fASzd vov ttakaiv Mal dya&wv itjftiov^yol xal otat fiovv^
^eioat tp^ov^aemQ t6 tv%6v SlzauTOv tndavoTt iic^ydSovrai.
2) S. 47, E. & oben S. 220, 3.
5) Tim. 29, B ff. 48, D. 55, D. 68, D u. ö.
'4} Tim. 59, C: raXia Si rtuv rotovtmw ovSir Ttoutik»^ in Btaloyi^
Qaa&ah ^V twv emoTiov fiv&otv fMradiojxopra liiav^ i/jv orav t^Q
avanavaeats eVfxa,rot'ff m^l rdtv ovrotv dtl uara&lfiGvoQ koyovSy
Tovf ytviaetui nigi Sia&sotftsvoi tinoras dusrafiiktjTov i^^orf}^
254 I>>e Platonische Physik.
sie mit Plftto's philoiophischem Princip nicht weiter aa-
sammeahängen, und Allem nach vielfach von Andern, wie
nlhmentlich Philolaus, und wohl auch Demokrit, entlehnt
sind. Ich will daher von diesem Theile des Timäus ausser
den allgemeineren Untersuchungen über die Entstehung und
das Wesen der Welt hier nur noch die Lehre von den
Elementen berühren, da diese auf die Platonische Ansicht
von der Materie ein Licht zurückwirft.
Die Entstehung der Welt beschreibt der TimSus
bekanntlich in der Weise einer mechanischen Construclion.
Der Weltbaumeister bescliliesst, die Gesammtheit des Sicht-
baren so vollkommen als möglich zu machen, indem er
dem ewigen Urbild des lebendigen Wesens (der Idee des
CcSof) ein geschaffenes Wesen nachbilde, das alle Vollkom*
menheiten des Urbilds, so viel es sein kann, in sich ^^er-
einigen soll; er bildet zu diesem ßehufe zuerst aus der
Idee und der Materie die Weltseele, vertheilt sodann die
chaotisch flothende Materie in die Grundformen der fünf
Elemente, bereitet aus diesen durch Einfügung der Materie
in die hariHonischen Verhältnisse der Weltseele das Sphä*
rensystem, in dessen verschiedene Kreise er als Zeitmesser
die Gestirne setzt, und belebt diese endlich durch Erschaf-
fung der lebenden Wesen, von denen er jedoch nur die
ewigen und gottlichen selbst hervorbringt, die Bildung der
sterblichen den geschaffenen Göttern tiberlässt ^)« Plalo
selbst bezeichnet diese Darstellung (s. o.) wiederholt, als
mythisch, und dieser Charakter derselben unterliegt auch
im Allgemeinen keinem Zweifel; wie weit dagegen das
Mythische in ihr gehe, ist nicht ganz leicht auszumachen.
Uebergehen wir hier die bereits besprochenen Fragen
über die Materie und die Weltseele und die später noch
SU berührende über den Weltbaumeister, so ist die Haupt-
1) Tan. a7, E - 57, D.
^ Die Platonische Pbystk 1I$S
sacke die Untersiichnng darüber, ob und inwieweit es Pkta
mit einem zeitlichen Anfang nnd einer successiven Bildong
der Weh Einst ist, t>der nicht. Dass er wirklich einen
Anfang der Welt angenommen habe, scheint nicht nnr die
ganze auf dieser Voraussetzang beruhende Darstellong des
Tiniäns zn fordern, sondern noch bestimmter scheint es aas
der Erklärung Tim. 28, B Iiervdrzagehen, dasii die Welt
als körperlich anch geworden sein müsse, denn alles Sinn-
liche und Körperliche sei ein Gewordenes. Andererseits
geralhen wir doch mit dieser Annahme in eine Reihe der
auffallendsten Widerspruche. Denn wenn alles Körperliche
geworden ist, so müsste diess auch von der Materie gel-
ten, die doch der Timäus der Weltbildung schon voraus*
setzt, und auch (S. 30, A) in diesem ibrein vorweltlicheii
Zustande schon als etwas Sichtbares bezeichnet; rechnet
man aber die Vorstellung von einer ewigen Materie mit
zum Mythischen, wer verbürgt uns dann, dass nicht auch
die Behauptung eines Weltanfangs eben dazu gehöre, und
ihre eigentliche Meinung nur die sei, die metaphysiscW
Abhängigkeit des Endlichen vom Ewigen auszudrücken?
Denn dass sein Gewordensein in dogmatischer Form bewie-
sen wird, diess ist um so wenfger von Gewicht, da es sich
bei diesem Beweise zunächst nicht darum handelt, einen
zeitlichen Anfang, sondern einen Urheber der Welt auf-
zuzeigen ^)^ und da auch die Annahme einer ewigen Ma-
terie S. 51, C — 53, B scheinbar bewiesen wird. Weaa
ferner Tim. 52, D gesagt ist: Sp t« nal x<oQaf nal y«V«w
tifcuj tqU TQtxi> ^'^ ^^^^ ovfiapof yivia^aiy so ist damit das
Werden für anfangsloi erklärt, noth wendig müsste dann
aber auch immer ein Werdendös und Crewordenes. d. h»
1) ^S^* ^^>n* 289 B: oHtJtriop S'ow negl avrov n^üßTavy .. nitigi^w
fjp tiely yaviosüsiS aQXrjv txmv ovitf/n'avt ij yiyovtv^ an agxv^ tivoq
aQSdfisvov. y^yovtv ... r<j7 ^mv yevofkhvj tpafiiv vn ahiov nvoi
avaym^v (hat ywip^at*
1156 Die Platonische Physik.
eineWeU, gewegen sein/ Das Gleiche würde Obrigeos audi
aus dem Salze folgen, dass Gbu aas Güte die Welt ge*
schaffen habe, denn wenn Gott immer gut war, so musste
er auch immer schaffen, oder mehr philosophisch daraus,
dass die Beziehung der Idee auf die Erscheinung so ewig
sein itfuss, als die Idee selb8t,'dass der vovg nie ohne Seele ^),
die Seele aber, ihrem ganzen Begriff nach, nicht ohne Leib
sein kann, denn Seele ist sie ja eben nur sofern die Idee
in ihr als mathematische Form, mithin als das Bestim-
mende des Körperlichen erscheint. Weiter sieht sich Plato
durch die Annahme eines Weltanfangs zu der Behauptung
(Tim. 37, D. 38, C) genötbigf) dass die Zeit erst mit der
Welt entstanden sei -^-* folgerichtig, denn was vorher allein
war, die Ideeni^lt, ist nicht in der Zeit, die leere Zeit
aber ist nichts. Und doch redet er immer wieder von dem,
was vor der Weltbildung war, währender zugleich aner-
kennt (S. 37, E ff.), dass dieses Vor und Nach eben nur
in der Zeit möglich ist. Auch die sonst von ihm gelehrte
anfangslose Präexistenz der Seelen endlich (s. u.) schliesst
einen Weltanfang aus. Mögen nun auch diese Widersprüche
nicht zum Beweis davon hinreichen, dass sich Plato der
Annahme eines Weltanfangs mit ausdrücklichem Bewusst-
sein als einer für sich unwahren blos mythischen Vorstel-
lung bedient, und seiner wahren Meinung nach die An-
fangslosigkeit der Weh ausdrücklich angenommen habe, so
können sie doch wenigstens so viel darthun, dass eben-
sowenig die entgegengesetzte Annahme als ein von Plato
mit ausdritcklicher didaktischer Absicht vorgetragener Lehr-
satz^ sondern höchstens nur als eine von den Vorstellungen
betrachtet werden kann, die er gebraucht, ohne liich zu
einer bestimmten Untersuchung und Entscheidung über ihre
Wahrheit oder Falschheit angeregt zu finden. Und zur
1) Phileb. 30, C (oben S. 246, 2) Tim. 30, G.
Die Platonische Physik. 25T
Bestfitigung dieser Ansiebt dient nictit blos die Notiz, dasa
aueh schon manche Schüler Plato's die zeitliche Entstehung
der Welt für blosse Einkleidung erklärt haben ^), sondei^
aneh die ganze Composttion des Timäus: denn statt dia
Weltbildung nach der zeitlichen Anfeinanderfblge ihrer
Moipente zu verfolgen,. wie diess ein historischer Beriebt
thun müsste,. ist diese Darstellung ganz nach begrifflichen
Momenten gegliedert, spricht zuerst in aller Vollständig-
keit von den Erzeugnissen der Vernunft in der Welt, dann
(S. 479E,ff.) von denen der Noth wendigkeit, und endlich
(S. 69 ff.) von der Welt als Produkt dieser iieiden Ur-
sachen; ebenso im ersten von diesen Theilen vorher von
der Bildung der körperlichen Elemente, als von der die«
ser vorangehenden der Weltseele; auch das findet sich, data
dasselbe Moment des Wehbildungsprocesses, weil es sich
aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten li^ss,
doppelt vorkommt, wie eben <iie Entstehung der Elemente
— \ es ist mit Einem Wort die ganze Darstellung nicht
durch den zeitlichen, sondern durch den begrifflichen Zu-
sammenhang bestimmt, und so weist sie auch schon durch
ihre Form darauf hin, däss sie weniger aus der Absicht
hervorgegangen ist, über den geschichtlichen Hergang der
Weltbildung zu berichten, als vielmehr die allgemeinen
Ursachen und Bestandtheile der Welt, wie sie jetzt ist, '
aufzuzeigen. Aus diesem Grunde ist auch das Mythische in
dieser Darstellung gerade an den Punkten^ am Stärksten
1) Abist. De coel. I, 10. 279, b, 32: »)V hL rivhi ßotj&nav intyt^
Qovai (ptQSiv iavTOiS rtuv IsyovTutv af&agrov tlvat [top xoa/AOtl
ytvofiBvov 9s f ovK tOTtv dltjd'tjS' OfioiatC ydg (paat toiS rd ^ux-
ygdfifMtra yQu(p(>vai xal a<pas sigtivthai itiQl ttji ,ysviat<uiy ov^ oU
' yfvofiivov TtOTt [sc. rov xoofiov], alkd SiSaaxaXiai x^Q^^* ^*^ ^aiU
iov yvwpi^ovTwv. Dass diese zivis Platoniker seien, sagen die
grtccli. Gommentatoren (Schol. coli. Baandis S. 488, b f.), welcbe
dabei besonders an Xenohrates erinneri|. ^ Auch ohne diese Zeug-
nisse könnten wir aber kaum an Andere denken* VergU aucii
MeUph. XIV, 4. 1091, a, 28^neb8t den Schöllen.
DU PbUoiophie der Gritchen. U. Theil. 17
258 Die Platonische Physik
aofgelrageti, wo ein zeitlich Neaes eintriU, ^ie S. 30, B.
35, ß. 36, B. 37, B. 41, A u. s. w. ^).
Von dem Detail der Platonischen Physik will ich hier,
wie bemerkt, nur die Constriiction der Elemente berühren,
und auch von dieser nur die eine Seite, ihre physikalische
Ableitung Tim. 53, C ff», denn mit der teleologischen (S* 31,
B S.)y so sehr sie Hegel ^) loben mag, ist nicht viel an-
aufangen, wie diess auch schon Böckii ^) geieeigt hat. Jene
andere Ableitung dagegen ist desswegeri merkwürdig, weil
sie unsern obigen Bemerkungen über die Platonische Lehre
von der Materie zur Bestätigung dient. Wenn nämlich
hier, in enger Anschliessung an die Lehre des Philolaus^),
die Elemente aus der Verschiedenheit der geometrischen
Figoren ihrer Urbestandtheile abgeleitet werden, so dass
die Grundform der Erde der Würfel sein soll, die des Feuers
das Tetraeder, der Luft das Oktaeder, des Wassers das
Ikosaßder, des Aethers ^) das J)odeka^der, so ist die Mei-
nung nicht etwa nur die, dass die ursprungliche Materie
in diese Formen gefasst werde, und so die Element« bilde,
sondern die geometrischen Figuren als solche, wie auch
schon Aristoteles^) unsere Stelle richtig auffasst, sollen
die Stelle der Materie vertreten, die körperlichen Grossen
werden nicht nur durch Flächen begrenzt, sondern aus
Flächen zusammengesetzt, und in Flächen als ihre nicht
weiter theilbaren Grundbestandtheile aufgelöst. Je auffal-
1) Vgl. hiemit meine frfibern BemerkuDgen Fiat. Stud. S. 208 if.
2) Gesch. der Pbil. II, 221 ff.
3) De FlaL corp. mundani fabrica. Heidelb. 1810* S. 24 f.
4) S. BÖCKE Pbilol. S. 160 ff.
5) Denn dass dieser S. 55, C gemeint ist, zeigt die Vcrgleicbung
der p)thagoreisclien Lehre bei Bocks a. a. O. und die Epinomis
984, B. Anderer Ansicht ist Bbandis a. a. O. S. 378. Martiit
Etudes sur le Timee steht mir nicht eu Gebote.
6) De ooel. III, 1. J298>b unten; III, 7. 8* Tgl. De gen. et corr. I, 2*
3l9r b, 30 ff. U, 1. 329, a, 13 ff.
Die PUtoniftchc Physik. 259
lerider aber die zahllosen .Widerspruche sind, in welche
sich diese Darstellung, niathemalisch und physikalisch Jio«
gesehen, ver\?ickell ^), um so deutlicher tritt es auch her-
vor, dass Plato diese Widerspruche nicht auf. sich gcoom«
men haben würde, wenn er an. einer vorausgesetzten Ma*
terie das Mittel gehabt hätte, ihnen zu entgehen« Indem
er hier die Elemente aus der reinen Figur constrnirt, so ist
klar, dass er als ihre allgemeine Grundlage nur die Möglich^
keit derFigur, oder den Raum, nicht einen Stoff, vorausseiet«
Das Resultat seiner ganzen Kosmogonie fassl der
Tiroäus ^) in der Anschauung der Welt als des vollkom-
menen ^£ov zosatnnien. Der Idee des Lebendige» (dem
avto^äov) ähnlich gemacht, so weit überhaupt das Gewor*
dene dem Ewigen gleich sein kann, in seinem l«eifoe die
Gesammtheit des Materiellen befassend, durch seine Seele
eigenen endlosen Lebens und göttlicher Yerhunft theilhaf»
tig, nimmer alternd* noch vergehend ist der Kosmos dM
beste Geschaffene, das vollkommene Abbild dee ewigen
und unsichtbaren Gottes und selbst ein seliger Goü, einiug
in seiner Art, sich selbst genügend und keines An4erp be«
dürftig. Man wird in dieser Schilderung den Cüharekter der
antiken Wehauschauung nicht verkennen, die selbst inPlatOi
im Begriffe über das Diesseits ieu einer transcendenteo Ideevu»
weit hinauszugehen, doch von der, Herrliehkeil der NelUff
viel zu tief ergriffen ist, um sie als das Ungöittlicbe IHI
1) M. 8. Aristotkles a. d. a. O.
2) 5« 30, C ff. S6, £. 37, C 39, E. S4, A f. 68, E. 92 SM. r^L
Kritias Auf. — Auch diese Darst£Uuii|^ iväre übrigons ^u dnc^qi
grossen Tbeil dem Philolaus enlnpininen, wenn wir uns iiuf die
Aechtheit des Brucbstucks bei StobIvs Ekl. I, 2i; 2. S. 418 iL
<bei BöcHi Philo!. S.165) verlassen liönnten, dessen AeAMig mil
Tim. 32, C ff. 37, A. ^,.0 viele AeMiHikeit ha^ |>e indr^fW
jenes Fragment jedenfalls Spateres mit einmischt <siehe Böckz
a. a. O. und unsem 1. Tb. S. 12^), so muss auch die Aechtbeil
•einet Anfangs dabingettellt bleil>en«
17*
260
Die Platonische Physik.
Terachten, oder als das Ungeistige gegen das menschliche
Selbstbewusstsein zurückzustellen.
Zur Vollkommenheit der Welt gehört nun nach Plato
vor Allem auch dieses, dass ebenso, w\e die Idee des^coof^,
so auch die Welt, als ihr Abbild, alle Arten von leben-
den Wesen in sich begreife ^). Diese aber zerfallen in zwei
Klassen: die sterblichen und die unsterblichen. Von den
letzteren nun wird später noch die Rede sein , und nur bei-
läufig mag hier gesagt werden, dass Plato unter ihnen nichts
Anderes versteht, als die Gestirne ; die ersteren führen uns
vermöge der eigenthiimlichen Verbindung, in welche Plato
alle übrigen lebenden Wesen mit dem Menschen setzt,
zur Platonischen Anthropologie über.
Plato hat auf zweierlei Art von der Natur der Seele
und des Menschen geredet, theils in halb mythischer, theils
in rein philosophischer Form. In mehr oder weniger mythi-
scher Darstellung spricht er von dem Ursprung und der
Präexistenz der Seelen, vom Zustand nach dem Tode und'
von der Wiedecerinnerung; reiner wissenschaftlich sind seine
Untersuchungen über die Theile der Seele und den Zn-
sammenhang des seelischen Lebens mit dem leiblichen ge-
halten. Wir müssen hier zunächst jene mythischen und
halb mythischen Darstellungen in's Auge fassen, und die
ihnen zu Grunde liegenden dogmatischen Gedanken auszu-
mitteln suchen, da auch die strenger wissenschaftlichen
Aeusserungen über die Natur der Seele in ihrem gegen-
wärtigen Zustande theilweise erst von ihnen ihr volles Licht
erhalten, vorher aber noch auf den allgemeinen Begriff der
Seele, wie diesen Plato bestimmt, einen Blick werfen.
Nachdem der Weltbildner das Weltgebilude im Gan-
zen und die Götterwesen darin (die Gestirne) gescliaffen
hatte, erzählt der Timäus S. 41 ff., so befahl er den ge.
1) Tim. S9, £. 41, B. 69, C. 93 Scbli
Die Platonische Physik. 261
wordenen .Göttern , die sterblichen Wesen hervorsnbriDgen.
Diese nun bildeten den menschlichen Leib und den sterb-
lichen Tl^eil der Seele, er selt)st aber bereitete ihren un-
sterblichen Theil in demselben Gefäss, wie früher die Welt-
Seele. Die Stoffe und die Mischung waren die gleichen,
nur in geringerer Reinheit. D. h. wenn wir die Form die-
ser Darstellung in Abzug bringen: das Wesen der mensch-
lichen Seele abgesehen von ihrer Verbindung mit dem
Körper ist dasselbe, wie das der Weltseele, nur mit dem
Unterschiede des Abgeleiteten vom Ursprünglichen, des
Einzelnen vom Allgemeinen ^). Ist nun die Weltseele für
das, Sein überhaupt das Vermittelnde zwischen der Ideo
und der Erscheinung, die erste Existenzform der Idee in
der Vielheit, so muss eben dieses auch von der menschr
liehen Seele gelten ; wiewohl sie nicht selbst Idee ist ^),
so ist sie doch mit der Idee so eng verknüpft, dass sie
nicht ohne dieselbe gedacht werden kann: wie die Ver-
nunft sich keinem Wesen anders mittheilen kann, als
durch Vermittlung der Seele ^), so ist es umgekehrt der
Seele so wesentlich, an der Idee des^Lebens theilzuhaben, .
dass der Tod nie in sie eindringen kann ^), wesshalb sie
auch im Phädrus (245, C ff.) geradezu als das sich selbst
Bewegende definirt wird. Diess kann sie aber eben nur
sein, sofern ihr Wesen von dem des Körperlichen speci-
fisch verschieden, und dem der Idee eigenthümlich ver-
wandt ist, denn dieser kommt Leben und Bewegung Ursprünge
lieh zu ^), und von ihr kommt auch alles Leben des ab-
1) Pbileb. 30, A: 2'u n'aQ rjulv aviua uq* ov ^vx^jv qjjjaofisv l'x^iv ^
Jrjlov Ott (prjQOUBV, JJoOsv, oj q>iXs IT(fojTaQ'/Sf Xaßov^ eVrSQ ^jj
TU ys TotnawoS aojua l'iixftvx^^ ^^ ituyiavs^ ravra. ye i';fov
rovTitf xal l'rt rrdvTTj »aV.tota,
2) S. o. S. 194,4.
5) Pbileb. 30, C. (s. o. S. 246, 2) Tim. 30, B: povv yotgli yjvxiji aöv^
varav iraQnysviad'ai,' r(j>.
4) Phado 105, C. 106, D. vgl, 102, D flf.
5) Sopb. 248, £.
2M Die Plafdäii^htf Pbyftik.
geMtatMSeifll <); wi6 i(ah«r die Mee im G^geijiatz gegen die
Vielheit deg Sinilliehen schleclithin einfncli und sich selbst
gleich, im Gegensatz gegen die Hinfälligiceit desselben
schlechthin ewig ist, so ist auch die Seele ihrem wahren
Wesen nach ohne Anfang und Ende (s. u.), und frei von
aller Mamiigfalliglceit, Ungleichheit und 2^sammensetsung ')•
Genaaere ErklXrnngen fiber das allgemeine Wesen der Seele
giebt aber Plato nirgends; denn die von AaiSTOTKLiss De
M. I, 2 angeführte Definition der Seele als einer sich selbst
bewegenden Zahl gehört zuverlässig nicht dem Plato an,
sondern erst seinen Schulern.
Jene hohe Stellung kommt indessen der Seele nur zu,
Sofern sie ihrem reinen Wesen nach und ohne Röcksicht
auf den trübenden Einfluss des Körpers betrachtet wird.
Diesem ihrem Wesen ist aber ihr gegenwSrtiger Zustand
So wenig angemessen, dass sich Plato diesen nur aus einem '
Heraustreten der Seelen aus ihrer ursprünglichen Lage zu
erklären, und einen Trost fOr seine Unvollkommenheit nur
In der Aussicht auf eine dereinstige Rückkehr in ihren Ur-
zustand zu finden weiss. Der Weltschöpfer s — - so fährt
der Timäus S. 41, D ff. in der obigen Erzählung fort —
kildete Anfangs so viele Seelen, als es Gestirne giebt, und
setzte Jede derselben auf einen Stern (d. h. wohl: einen
der Fixsterne), mit dem Gesetz, dass sie erst von hier ans
das Weltall betrachten, dann aber in Körper gepflanz^ wer-
den sollten; doch sollten zuerst alle gleich, als Männer,
zur Welt kommen. Wer nun im leiblichen Dasein die Sinn-
lichkeit überwinde, der solle wieder zu seligem Leben in
seinen Stern zurückkehren; wer diess nicht leiste, bei der
1) Rep. VI, 509, B. Pliileb. 26, £ ff. 30, B.
2) Bep. X, 611, B f. Phädo 78, B ff., eine Untersuchung, deren
Resultate S. 80, B in die Worte zusammengefasst werden: toj
f/Ltv ^£fV *^^ ad'avattf» nal voijtto *mX jnoposiSst xai dSwkvtf^ xai
ctfi iuiavTOiS nal irarct ravrct i'x^vn airöt 6fio$6raTov itvat ^'vxijv*
N«
Die Platonische Physik. m
«
zweiten Gebart die 6estah eioes Weibes annehmen, bei
forfgesetzter Schlechtigkeit aber bis zur thierisch^n iier*
absinken ^), und nicht eher von dieser Wanderung erlöst
werden,, als bis er durch UeberwHltignng seiner niederen
Natur zur ursprünglichen Vollkonunenhett seuk-uckgekelirt
sei. In Folgtf dieser Einrichtung wurden sofort die See-
len an die verschiedenen Planeten vertheilt, und ihheit
von den geschaffenen Göttern die Leiber und die sterb*
licfaen Theile iet Seele angebildet. «— Von dieser Dar-^
Stellung unterscheidet sich nun die viel frühere des Phä-
drus (S. 246 ff.) hauptsächlich dadurch, dass der EÄntritt
der Seelen in den Leib, den der Tiinäus zunächst aus eioend
allgemeinen Weltgesetz ableitet, hier auch ursprüqglich
schon auf einen Abfall derselben von ihrer Bestimmung
zurückgeführt, und ihnen desshalb der sterbliche Theil, den
der Tiuiäus erst gleichzeitig mit dem Leibe zu der un-
sterblichen Seele hinzutreten lässt, na^cfa seinen beiden Be-
standtheilen, dem d^vfiog und der im&vfiia ^), schon im Präp
existenzzustande beigelegt wird — eine Bestimmung, die
hier nothwendig ist, denn sonst wäre nichts, was die Seelen
zum Abfall verleiten könnte. Im Uebrigen sind die Grund«
bestinimungen auch hier die gleithen: diejenigen Seelen,
welche, ihre Begierde überwindend, dem Chor der Götter
in den überhimuilischen Ort zur Anschauung der reinen
Wesenheiten zu folgen im Stande sind, bleiben, so oft sie
diese Probe bestehen, je eine lOOOOjührige Weltumlaufs-
zeit hindnrch frei vom Leibe; welche diess versäumend
ihrer höheren Natur vergessen, die sinken zur Erde herab.
Bei ihrer ersten Geburt nun werden alle, auch schon nach
1) Eine weitere Ausführung dieses Punlsles tun- 90, E ff.
' 2) Dass nämlich diese beiden unter den beiden Rossen des Seelen-
gespanns Pbädr. 246, A zu verstehen sind, zeigt die ganze Be-
schreibung j vgl auch S. 247, B. 253, D. ff. 255. E. f. Näheros
über jene Theile der Seele s. u»
in Die PUtonitphe Physilu
#
ditser Darttellung, ia mentchliobe nnd mSaoliohe Körper
gepflanzf, und nur die Lebensweise, fQr die sie bescimmt
werden, ist nach ihrer Würdigkeit verschieden. Nach
ihrem Tode aber werden alle gerichtet, and fnr laOO Jahre
theils znr Strafe unter die Erde, theils zur Belohnnag in
den Himmel versetzt. Nach Verfluss dieser Zeit haben
sich dio einen wie die andern wieder eine neue Lebens-
weise zu wfthlen, und bei dieser Wahl geschieht es, dass
Menschenseelen in thierische, oder auch' aus diesen wieder
in menschliche Gestalten übergehen, nur solche, die drei-
mal nach einander ihr Leben, in Philosophie hingebracht
baben, dürfen schon nach der dritten tausendjährigen Periode
in die uberhimmlische Wohnung zurückkehren. — Den
letzten Theil dieser Darstellung bestätigt die. Republik,
wenn sie X, 613, E, erzählt: Die Seelen kommen nach
ihrem Abscheiden an einen Ort, wo sie gerichtet werden ;
von da werden die -Gerechten zur Rechten in den Him-
mel, die Ungerechten zur Linken unter die Erde gefuhrt.
Beide haben, znr zehnfachen Vergeltung ihrer Thaten,
eine tausendjährige Reise zu vollbringen, die bei den Einen
voll Leiden, bei den Andern voll seliger Anschauung ist.
Nach Verfluss der tausend Jahre hat sich Jeder wieder
ein irdisches Leben zu wählen, ein menschliches oder ein
thierisches, nur die allergrossten Sünder werden für ewig
in den Tartarus gestürzt ^). — Eine ausführliche Darstel-
lung dieses Gerichts giebt der Goi^ias S. 523 ff^ auch
dieser mit der Bestimmung, dass unheilbare Verbrecher
ewig gestraft werden, und ganz ähnlich schildert der Phädo
S. 109 flf. mit vielem kosmologischem Apparate den Zu-
I) Der eigene Zug, der hier weiter beigefügt ist, dass bei solchen
der Schlund der Unterwelt gebrüllt habe, ist wohl Umbildung
der pythagoreischen Vorstellung, die Abistotklxs Anal. post.
Ilf 11, Schi, erwähnt
Die Platonische Physik. 265
Stand nach dem Tode, indem er (113, D ff.) hier viererlei
Schicksal unterscheidet: das der gewöhnlichen Rechtschaffen-
heit, der unheilbaren Gottlosigkeit, der heilbaren Gottlo*
sigkeit und der ausgesEQichneten Heiligkeit. Leute der ersten
Klasse kommen in einen zwar glucklichen, aber doch der
, Läuterung unterworfenen Zustand, solche der zweiten wer-
den ewig, solche der dritten Klasse zeitlich gestraft ^),
die vorzuglich Guten dagegen gelangen zur vollen Selig-
keit, deren höchster Grad jedoch , die gänzliche Befreiung
von einem Körper, nur den wahren Philosophen zu Theil
wird. Mit dieser Darstellung ist dann noch die frühere
(Phädo S. 80 ff,) zu verbinden, welche die vorerwähnte
dadurch ergänzt, dass sie den Wiedereintritt der meisten
Seelen iii ein leibliches Leben^ in ein menschliches oder
thierisches, als eine nothwendige Folge ihres Hängens am
Sinnlichen darstellt, im Uebrigen nicht allein den Unter-
schied der, gewöhnlichen und der philosophischen Tugend
und seine Bedeutung für die Bestimmung der jenseitigen
Zustände wäit stärker, als jene, hervortreten lässt,' sondern
auch eine theilweise verschiedene Eschsitologie enthält ;
denn während nach den sonstigen Schilderungen die ab-
geschiedenen Geister unmittelbar nach dem Tode vor's
Gericht gestellt werden, und erst nach 1000 Jahren wieder
einen Leib abnehmen, ^o lässt diese die am Sinnlichen
hängenden Seelen als Schatten um die Gräber schweben,
bis sie ihre Begierde wieder in neue Leiber zieht. -^ Wie
eben diese Vorstellung von der Präexistenz, der Unsterb-
lichkeit und der Seelenwanderung von Plato in der Lehre
1) Wenn hier S. (114, A.) BBiifms Gr. - röm. Phil. II, a, 448 eine
Spur des Glaubens an die Wirksamkeit der Fürbitte für Ver-
storbene finden will, so ist diess nicht ganz richtig. Die Vor-
stellung ist vielmehr die, dass der Verbrecher so lange gestraft
wird, bis er den Beleidigten versöhnt habe) von Fürbitten
ist nicht die Rpde.
■ ]
266 Die Platonische Physik.
von der Wiedererinnerung auch zur Erklärung von Er-
scheinungen des gegenwärtigen Lebens benutzt wird ^),
ist bekatint.
Das» nun diese Schilderungen, so wie sie vorliegen,
von Plafo selbst nicht, als dogmatische, sondern nur als
mythische Darstellungen belracbtet werden, diess ist in den
Widersprijchcn derselben, die nicht nur in verschiedenen
Gesprüchen, sondern auch in einem und demselben Gespräch
hervortreten, in der niährchenhaften Sorglosigkeit, mit der
historische und physikalische Abenteuerlichkeiten gehäuft
werden, in der detaillirten Ausführung, in der dann und wann
mit einAiessenden Ironie ^) so tin verkennbar ausgesprochen,
dass es Plato's ausdröcklicher Erklärungen in diesem Sinn ^)
kaum noch bedarf. Ebenso deutlich sagt aber dieser auch,
dass er jene Mythen nicht für blosse Mythen, sondern zu-
gleich für sehr beachtenswerthe Lehrreden halte ^) , und
knQpft aus diesem Grunde sittliche Ermahnungen an die-
selben, die er unmöglich auf unsichere Fabeln konnte grün-
den wollen ^). Wo jedoch das dogmatisch Gemeinte auf- ^
h5re und das Mythische anfange, lässt sich schwer aus-
machen^ und es ist offenbar Plato selbst nicht durchaus
deutlich gewesen, denn gerade aus diesem Grunde* ist ihm
die mythische Darstellung Bedürfniss. Der Punkt, dessen
streng <fogmatische Bedeutung am Wenigsten bezweifelt
werden kann, ist die Lehre von der Unsterblichkeit, die
1) Phädö249, C. Meno 80, D ff. Phädo 72, E ff. Vgl. Tim. 41, E.
2) \ gl Phado 82, A. Tim. 9i, D- Bep. X, 620.
3) Pliädo 111, D. Rep* X, 621, B. .
4) Gorg. 523, A. 527, A. Phädo a. a. Q: Tu /utv olv ravza Si'Ca-
%v(fiaaQ\^ai o'vtois (X^tv, f«ff tyoj 8ibh)),v&a^ uv nQ^nei vovv lxovt$
av^Qi, ör* fisvtot 17 TttÄi^r* iarttf y toiuvc' atra tsqI Tai tpvxaS
i^uÖjv mal raff oixi}o6iS^ iitil irtQ a&ivarov ya 1) f^XV 9«*»'«^«»
ovaa ravva 'Aal Tcoinu» fioi So-au mal a^iov y.nSm'&voai oiousroj
5) Pbädo a» a. O, Gorg. 526, P. ?27, B f. Rep. X, 618, B ff. 621, B.
Die lPlatonische^Fh7siL ^67
Pkito nicht blos im PbSdo^ sondern auch Im PhSflrtis nnd
d^r Bepublilc zum Gegenstand einer ausfithrlichen philo-^
sophischen Begründung und Beweisführung gemacht hat.
Diese Beweisfiihi^ung selbst aber gründet sich unmittelbar
auf den Begriff der Seele, wie dieser durch den Zusam-
menhang des Platonischen Systems bestimmt wird. Die Seele
ist ihrem Begriffe nach dasjenige, zu dessen Wesen es
gehdrt, zu leben, sie kann also in keinem Augenblick Ssils
nichtlebend gedacht werden — in diesen ontologischen Be-
weis für die Unsterblichkeit laufen nicht blos alle dl^e ein-
zelnen Beweise des Phädo zusammen ^), sondern derselbe
wird auch schon im Phüdrus (245, C ff.) vorgetragen,
mit dem einzigen Unterschiede, dass die Seele hier noch
als aqj(7i >iivrim<ag beschrieben wird, während der Phädo,
umsichtiger und genauer, anerkennt,* dass ihr Leben nur
vom Theilhaben am Begriff' des Lebens herstnmnie ; der
gleiche Beweis ist aber auch in der Bemerkung der Re^
1) Die Beweise für die 'Unsterbllchlieif, welche der Phädo aufFührt,
sind ihVem eigentlichen Gehalte nach nicht eine Mehrheit ver-
schiedener Beweis^, sondern nur e i n Beweis, der in verschiedenen
Stadien, im Fortschritt vom unmittelbaren und blos analogischen
zum begrifflichen und vermittelten Wissen entwickelt wird. Dass
die Seele ihrer Nat^ir nach unsterblich sei, dicss wird zuerst
(S 63« E-^69, £3 uaniittelbar am Tbun und Bewusstsei» des
Subjekts nachgewiesen, indem gezeigt wird, dass alles pbiloso-
pliische Leben und Denken >on der Voraussetzung ausgehe, erst
'durch ihre Befreiung vom Leibe oder durch den Tod komme
die Seele zu ihrer 'Wahrheit^ dasselbe wird sodann zweitens
indirekt aus der Art dargcthan, wie sich die Seele im Verhältniss
zur Welt darstellt, und hier linden die verschiedenen Rcflexions»
beweise ihre Stelle, die zwar, der Anlage des Ganzen entspre-
chend, wieder einen Forlschritt von der unbestimmteren und
äusserlicheren zur tieferen und bestimmteren Auffassung dar-
, Stellen , aber doch alle mehr oder weniger unvollkommen und
auf blosse Wahrseheirflichkeit gestützt sind : der Analogieschluss
mis dem allgemeinen Naturgesetz, dass Entgegengesetztes aus
Entgegengesetztem werde (S. 70, C — 72, E), der Erfahr ungs-
beweisausder avo.tivjjais{S> 72, E — 77^ A), der metaphysische,
hier aber erst indirekt, durch Vergleichung der Seele mit dem
26S I>ie Platonische Physik,
publik ^) enthalten, dass jedes Ding nur vermöge der ihm
eigenthiimlichen Schlechtigkeit zu Grunde g[ehe, die Schlech-
tigkeit der Seele aber, d. h. die moralische Schlechtigkeit,
ihre Lebenskraft nicht schwache. Schon diese Beweis-,
r
föhrung zeigt auch den engen Zusammenhang, in dem die
Lehre von der Unsterblichkeit mit der von der Präexistens
steht — ist es unmöglich, die Seele als nicht lebend zu
denken, so muss diess ebenso von der Vergangenheit gel-
ten , wie von der Zukunft , ' ihr Dasein kann mit diesem
Leben so wenig anfangen als aufhören. Au8dri]c(clich sagt
daher der Phädrus 245, D, die Seele als Princip der Be-
wegung sei ungeworden, und weniger bestimmt wiederholt
dasselbe der Meno 86, A, und noch der Phädo, 106, D, ge-
gen welche auch die Seelenbildung des Timäus wegen ihrer
durchaus mythischen Haltung nichts beweisen kann. Wollte
man es aber auch dahingestellt sein lassen, ob Plato auch
in seiner späteren Zeit consequent genug gewesen ist, um
die Seele für schlechthin anfangslos zu halten, so lässt
sich doch nach seinen vielen und entschiedenen, grossen-
theils ganz dogmatisch lautenden E^rklärungen gar nicht
bezweifeln , dass es ihm wenigstens mit der Bestimmung
ihrer Präexistenz vollkommen Ernst war. Stehen aber
hiemit die beiden Grenzpunkte dieses Yorstellungskreises,
die Präexistenz und die Unsterblichkeit,^ einmal fest, so
lässt sich nicht blos dem dazwischen X<iegenden, der Lehre
von der Wiedererinnerung, nicht, mehr ausweichen, sondern
Leibe, gewonnene Beweis aus der Einfachheit der Seele (vS, 78,
B — 80, E); erst auf diese Vorbereitungen folgt endlich drit-
tens die Beweisführung, welche rein vom Begriff der Seele aus-
geht, und tbeils negativ, im Gegensatz gegen die Vorstellung,
als ob die Seele nur die Harmonie des Körpers sei (S. 92, E —
95, A), theils positiv, aus der unauflöslichen Theilnahmö der
Seele an der Idee des Lebens (S. 102, A — 107, A) entwickelt
wird^ — Vgl. auch Schleiebmacher Flatons Werke II, 3, 13 f.
Bjlvr Sokratcs und Christus (Tüb. Zeilschr. 1837, 3) 114 f»
1) X, 608, D ff. vgl. Phädo 92, E ff.
Die Platonische Physik. S69
auch die Vorstellungen von der Seelenwandernng und der
jienseitigen Vergeltung gewinnen mehr und mehr das An-
sehen, ernstlich gemeint zu sein. Von der avafivTjms re-
det Plato selbst in den oben angeführten Stellen mit so
dogmatischer Bestimmtheit, und ihr Zusammenhang mit dem
Ganzen des Systems ist -so augenscheinlich, dass wir sie
unbedingt unter die didaktischen Bestandtheile desselben
zählen tntissen. Weit weniger klar und entschieden lauten
seine Aeusserungen in Betreff der jenseitigen Vergeltungs-
zustände, und schon aus dem, was ich oben aus Phädo
1 14, D u. A. beigebracht habe, geht hervor, dass diese
Vorstellungen nicht den Werth dogmatischer Sätze für ihn
hatten ; dass indessen wenigstens die allgemeine Annahme
einer Vergeltung nach dem Tode ihm feststand, müssen
wir nach eben diesen Aeusserungen voraussetzen, und die-
selbe war ja auch mit seinem Unsterblichkeitsglauben un-
mittelbar gegeben; nur die nähere Bestimmung über die
Art und Weise dieser Vergeltung hielt er Allem nach für
unmöglich, und glaubte sich hier theils mit bewusst my-
thischer Darstellung, theils auch, ähnlich wie in der Physik
des Timäus, mit der Idia täv elxoroDf fiv&tov begnügen zn
müssen. Zu den letzteren ist ohne Zweifel auch die Vor-
stellung der Seelenwanderung zu rechnen, die zwar durch
die Idee der göttlichen Gerechtigkeit, welche es nicht erlaubt
habe, die .an sich gleichen Seelen ohne ihre Schuld in
ungleiche Lebenszustände zu versetzen (Tim. 41, E), und
durch die Vorstellung von einem naturgemässen Herab-
sinken der sinnlichen Seele bis in die Thierleiber (Phädo
80, D) mit dem Ganzen des Systems zusammenhängt, die
aber sonst so viel Phantastisches hat, und von Plato selbst
(s. o.) mit so vielem Humor behandelt wird, dass wenig-
stens das Einzelne derselben von ihm gewiss nicht ernst-
lich vertreten worden \^'äre. Von eigetitlich dogmatischem
Werth war ihm daran wohl nur die Vorstellung vom Ein-
270 - I^ic Platonische Physik.
gebeti der an sich körperlosen Seelen in menschliche
Leiber, wobei wir den obenbeiaerkten Widerspruch zwi-
schen dem Phädrtis und Timäus am Besten durch die An-
nahme einer wirklichen Umbildung der Plutoniscben An-
sicht lösen werden. Pie weitere Ausmalung dieser Vor-
stellungen ist wohl grössteotheils freies Spiel der Phanta-
sie, die sich dabei meist an vorhandene mythische Ueber-
lieferungen anschloss, doch scheinen sicfh einzelne Zuge,
mk namentlich die Vorstellung von den zehntausendjäh'«
rigen grossen Weltperioden ^) und der tausendjährigen
Dauer der jenseitigen Zwischenzustände, und die Unter-
scheidung der lässUchen und der unheilbaren Vergehungen,
durch ihre stehende Wiederholung als solche anzukündigen^
die für den Philosophen wenigstens eine annähernde Wahr-
scheialichkeit gehabt haben ^),
< Erst im Zusammenhang mit diesen Vorstellungen tritt
auch die Platenische Lehre von den Theilen der Seele
und ihrem Verhältniss zum Körper in ihr volles Licht.
Da die Seele aus einem reineren Leben in das körperliche
eingetreten ist, da sie überhaupt zuio Körper in keiner ur-
sprünglichen und wesentlichen Beziehung steht, so kann
auch die sinnliche Seite des Seelenlebens nicht mit zu
ihrein eigentlichen Wesen gehören, Plato vergleicht sie
daheir (Rep. X, 611, C ff.) in ihrem gegenwärtigen Zu-
stande mit dem Meergott Glaukon, an den sich so viele
i) Die Vi^rstdlüng wechselnder Weltzustltncle findet sich ausser den
oben angegebenen Stellen in dem bekannten Mythus des PoÜtÜMU
S. 269, C, ff.; die lOOOOjährige Dauer der Weltperioden ist wohl
euch Rep. VII 546, B f. in dem ugid^/uoe rlhios des ^sio» ysvvt^Toy
(iter Welt) und Tim. 25, D f. darin angedeutet, dass die älteste ge-
scIiichtUche Erinnerung nicht über 90Q0 Jahre zuriichgeht
2) Wenn daher Hbgkl Gesch. der Phil. II, 181. 184. 186 die Vor-
stellungen von der Präexistenz, dem Abfall der Seelen uUd der
Wiedereriiinerung als solche bezeichnet , die Plato selbst nicht
mit zu seiner Philosophie rechne, so ist diess unrichtig.
Die Platonische Physik. 27t
Muscheln und Tange angesetat haben, dass er dadurch inr
UnkenntlichkeU enUtelh ist, lässt (Tim. 42, A. 69, C) bei
der Einpflanzung der Seele in den Körper Sinnlichkeit und
Leidenschaft mit ihr verwachsen, und unterscheidet dem-
' gemäss einen sterblichen und einen unsterblichen, einen
vernünftigen und einen unvernünftigen Theil der Seele ^)*
Auch von diesen aber ist nur der vdrnunftige Theil ein-
artig, in dem vernunitlosen dagegen ist wieder ein edlerer
und ein unedlerer Theil zu unterscheiden. Der edl«re
derselben, oder wie ihn der Phädrus bexeichnet, das ed-
lere Rpss der Seele, ist der Muth oder der affektvolle
Wille, (6 üvftoi; — to '&vfAoei8es)9 welcher zwar für sich selbst
ohne vernünftige Einsicht, aber doch seiner Natur nach zur
Unterordnung unter die Vernunft gestiiirmt, ihr natürlicher
Bundesgenosse, und mit etner Analogie der Vernunft, einem
Instinkte für's Edle und Gute begabt ist ^), mag er auch
durch schlechte Gewohnheit verdei4)t der Vernunft oft viel
zu schaffen machen ^)* Der unedlere Theil der sterblichen
Seele ist die Gesammtheit der sinnlichen Begierden und
Leidenschaften , das von der sinnlichen Lust and Unlust
beherrschte Seeleoleben , welches Plato gewöhnlich dem
inidvfii^xiHovj aber auch das (piXoxQi^fiazop nennt, soferne der
Besitz zunächst als Mittel für den sinnlichen Gennss be-
gehrt wird ^). Der vernünftige Theil ist das Denken (xi
, XQ]U5%iv,Qf)* Von diesen drei Theilen hat der edelste, das
i) Tim. 69^ a 72, D. Polit^ 309, C Vgl. Abist. De an. IIF, 9.
453, a, 26, M. Mor. I, 1. 1182, a, 23 flEl Weit unentwiclteller
ist diese Lehre noch im Phädrus S. 246, wo der ^i^ioc und die
iTTi&vfiia (s. hierüber oben S. 264, 2) mit zur unsterblichen
Seele gerechnet, und nur der Leib als das Sterbliche am Men«
sehen bezeichnet wird.
2) Rep. IV, 439, E ff. Phädr. 246, B. 253, D ff,
3) Rep. IV, 441, A. Tim. 69, D: &ru6v SvfnnQa/nv&rjfoy.
4} Rep. IV, 436; A 439, D. IX, 580, D ff. Phfido 25$, F ff. Tim.
£0 f\
69, O.
272 Die Platonische Physilu
Denken, im Kopf seinen Sitz, der Math in der Brnit,
namentlich im Herzen, die Begierde im Unterleib ^). Die-
selben verhalten sich ferner nicht blos als verschiedene Sei-
ten, sondern zugleich als verschiedene Stufen des Le-
bens, denn die begehrende Seele kommt auch den Pflanzen ^)
zu, und der Muth auch den Thieren^); aber auch an die
Menschen sind die drei Kräfte ungleich vertheilt, nicht
blos an die Einzelnen, sondern auch an ganze Nationen:
den Griechen eignet nach Plato vorzugsweise die Kraft
der Vernunft, den nördlichen Barbaren die des Muthes,
.den Phöniciern und Aegyptiern der Trieb nach Erwerb^}.
Uebrigens gilt im -Allgferoeinen die Bestimmung, dass da,
wo der höhere Theil ist, immer auch der niedere voraus«
gesetzt werden muss, aber nicht umgekehrt ^).
Dass nun diese drei Kräfte wirklich' verschiedene
Theil e, nicht blos verschiedene Thätigkeitsformen der
Seele seien, beweist Plato in der Republik (IV, 436, B ff«)
aus der Erfahrung, dass nicht blos die Vernunft im Men-
schen vielfach mit der Begierde im Streite liegt, sondern
auch der ^v/jiog einerseits ohne vernünftige Einsicht blind
wirkt, andererseits doch auch im Dienste der Vernunft die
Begierde bekämpft; da nun dasselbe in derselben Be-
ziehung nur dieselbe Wirkung haben könne, so müsse die-
ser dreifachen Wirkung auch eine dreifache Ursache ent-
sprechen. Der allgemeine Grund dieser Theorie liegt aber
offenbar im Ganzen des Systems. Da die Idee hier der
sinnlichen Erscheinung schroff gegenübersteht, so kann auch
die Seele, als das der Idee zunächst Verwandte, die Sinn-
1) Tim. 69, D ff.
2) Tim. 77, B.
3) Bep. IV, 441, B - Rep. IX, 588, C ff. kann hiefür nichts be-
Tveisen.
4) Rep. IV, 435, E.
5) Rep IX, 582, Äff.
Die Platonische Physik 273
liebkeit nicht ursprünglich an sich haben, und daher die
Unterscheidung des sterblichen und des unsterblichen Theils
der Seele; hat sie dieselbe aber einmal, nie nur immer,
an sich bekommen, so muss aus demselben Grunde eine
Vermittlung zwischen beiden gesucht werden, und daher
innerhalb der sterblichen Seele wieder di^ Trennung des
edleren Theils. vom unedleren. Vermöge dieses allgemeinen
Zusammenhangs sollte nun freilich die psychologische Tri-
chotomie umfassender durchgeführt, und nicht blos auf das
Begehrungsvermögen, wie diess in der obigen Darstellung
geschieht, sondern auch auf das Vorstellen uäd Erkennen
ausgedehnt werden. Und eine Andeutung der Art findet
sich bei Plato, wenn er zum begehrlichen Theil der Seele,
mit Ausschluss der Vernunfterkenntniss un^d der Vorstel«
lung, die Empfindung rechnet ^). Eine vollständigere Dureh-
fuhrnng dieser Parallele hat er jedoch nicht gegeben. Wollen
wir diese Lücke in seinem Namen ergänzen, und vergleichen
wir zu diesem Behufe mit .der eben besprochenen psycho-
logischen Trichotqmie die sonst von ihm angegebene drei-
gliedrige Stufenreihe des Eikennens, so müsste ebenso,
wie def begehrenden Seele die Empfindung und der ver*
nünftigen das Wissen zukommt, so auch dem d^vfiog die
Vorstellung entsprechen. Auch lässt sich gegen diese
Combination schwerlich einwenden ^), dass die Vorstellung
nur durch Vernunftthäfigkeit zu Stande komme, denn aus«
drücklich wird dieselbe von Plato der Vernunft entgegen-
gesetzt ^), und die Tugend, welche sich blos auf die richtige
Vorstellung gründet, als eine solche bezeichnet, die aviv vov^
1) Tim. 77^ B : tov tqitov y/i';r^ff tldovs . . . a» So^t^s fitvy Xoyiofioy
re xal vot fiitsart to fir^Siv, cuWr/accuC St nSsiai xal dlyBivrji
2) BBA.BDIS Gr. -röm. Phil. II, a, 401 •
5) Tim. 51, D f. Rep. VII, 534, A. Phädr. 248, B. Vgl. das früher
(S. 154.) Ausgeführte.
Die Philosophie der Griechen. U. Theil. 18
5t74 ^^c Platonlsebe Physik
durch blosse Gewohnheit im Menschen ist ^), so dass also
in der Vorstellang nur dasselbe Analogen der Vernunft
ist, wie im •^vfiog* Diese Gleichartigkeit beider tritt eben
in ihrem Verhältniss zum sittlichen Handeln vorzugsweise
hervor. Denn wenn in der Republik die Hüter des Staats
zuerst die volle "Ausbildung als miKOVQOi erhalten, und erst
nachher (V, 471, B ff. VI, 503, B ff.) ein Theil von
ihnen zu der wissenschaftlichen Bildung der Regierenden
geführt wird, so stellt alles das, was zu jener ersteren
Bildungsstufe gebort, die vollendete Entwicklung des „Ei-
ferartigen" (d^vpiOBideg) dar, welches der Stand der Krieger
im Staate repräsentirt. Ebendahin wird aber ausdrücklich
auch die auf Vorstellung und Gewöhnung gegründete Tu-
gend gerechnet ^). So nahe aber hiemit die angedeutete
Ergänzung der Platonischen Lehre von den Theilen der
Seele auch gelegt ist , so hat sie nun doch einmal Plato
selbst, J50 viel wir wissen, nicht ausdrücklich vorgenom-
liden, und so fragt es sich immer, ob wir ihm durch die-
selbe nichts Fremdes unterschieben.
Wie nun freilich mit dieser Zwei- oder Dreizahl von
Theilen der Seele die Einheit des Selhstbewusstseins zu-
sammenbestehen könne, ist eine Frage, die sich Plato ohne
allen Zweifel gar nicht bestimmt aufgeworfen hat, und
auch die wenigen Andeutungen für ihre Beantwortung, die
er giebt, führen mcht weit; denn wenn der '&vfiog seiner
Natur nach der Vernunft unterwürfig sein soll, so ist doch
die Nothwendigkeit davon bei seiner ganz verschiedenen
Herkunft schwer einzusehen, und wenn der Darstellung
des Timäus (S. 71) zufolge auch der begehrliche Theil
1) S. o. S. 155 f.
J) S. o. S. 177. vgl. Rep. IV, 430, B, wo die eigentliümliche Tu-
gend des ^vfiosSic im Staate» die TapferKleit, als die ävvafus xa^
awTtjQia did navTos Soirji o^d'^S Tf Kai vo/niuov Bnv(J>v ittQi
HOil fi^ defiuirt wird.
Die Platonische Physik. lYS
♦
der Seele mittelst der Ahnung (fiavreta) und des Enthu-
siasmus, deren Organ die Leber ist, Einwirkungen der
Vernunft erfährt, so ist auch dieses nur eine, überdies»
durchaus uniclar und phantastisch ausgeführte, Behauptung.
Hier bleibt daher nur übrig, die Lücke des Systems ein-
zugestehen.
In demselben Fall sind wir auch bei einer weiteren
Frage, welche der neuem Philosophie viel zu schaffen ge-
macht hat, der Frage über die Freiheit des Willens. Dass
Plato diese im Sinne der Wahlfreihcit voraussetzt, folgt
unmittelbar aus dem Fehlen jeder gegentheiligefi Erklä-
rung, das uns nöthigt, was Plato vielfach vom Freiwilligen
und Unfreiwilligen in unseren Handlungen sagt, im ge-
wöhnlichen Sinne zu nehmen ; hoch deutlicher aber erbellt
es daraus, dass Plato selbst das äussere Schicksal dea
Menschen, die Gestalt, unter der die Seele in*s irdisch«
Leben eintritt, die Lebensweise, der sich der Einzelne
widmet, und die Begegnise, die er erfährt, von einer freien
Wahl im Präexistenzzustande abhängig macht ^). Könnte
man aber hierin die Ansicht des sog. Prädeterminismus zu
finden glauben , so widerspricht dem doch eine genauere
Betrachtung der Platonischen Stellen, denn wa^ durch di6
vorzeitliche Wahl bestimmt wird ist eben nur das äusi^ö^e
Schicksal , die Tugend dagegen ist herrenlos, und kein Lebcfns-
loos so schlecht, dass nicht eine freie Hin wetidung zur Wahrheit
oder Abwendung von der Wahrheit darin möglich \Väre^). Dass
daneben Plato doch auch wieder an dem Sokratischen Satze
festhält. Niemand sei freiwillig böse ^), steht hiemit schwer-
1) 8. o. S. 264.
3) Rep. X, 617) E: »(ftt^ aSianotoVy ijv Ufnuv nal dttfidSotv nXioy
avT^i 'dftaatoi 'i^u* aitia ilo/i^povi 4f'i69 dvairiot. SlOy B : ra^
XiifTatt^ intoyTti ^vv Pia iXofiivut, 9vvtovio9 'CdSpTii utirmi filot
dyernijtoQy ov nanot. VgU Tim. 42» B f.
3) Tim. 86, D: ax^S^* 9ij navta^ iitoa» ijBopuip da^aria mdl ovu9ot
(Jff inovrwv Xty4Tak ttüv Mandlv qvh o^&tS^ 6vHiiinmu i^xoC
18* .
276 Die Platoniscbe Ethik.
lieh im Widerspruch, denn dieser Salz besagt nur, dass
Niemand das Böse mit dem Bewusstsein thne, dass es
bös^e für ihn sei, dabei kann aber recht wohl bestehen, dass
diese Unwissenheit über das wahrhaft Gute eine selbstver-
schuldele ist, und in dem Hängen am Sinnlichen ihren
Grund hat ^), und sagt Plato auch allerdings, dass in den
meisten Fällen von moralischer Verwahrlosung eine krank-
hafte Körperbeschaffenheit oder schlechte Erziehung die
Hauptschuld trage, so will er doch auch in diesen Fällen,
wie er deutlich zu verstehen giebt, die eigene Verschul-
dung und die Möglichkeit der Tugend für diejenigen, welche
in eine solche Lage gestellt sind , nicht schlechthin auf-
heben. Die allgemeinere Frage aber nach der Denkbar-
keit einer freien Selbstbestimmung und der Vereinbarkeit
derselben mit der göttlichen Weltregierung oder dem Na-
turzusammenhang hat er Allem nach noch gär nicht auf-
geworfen.
§. 22.
Die Platonische Ethik.
Den Zusammenhang der Ethik mit der Physik deutet
Plato selbst im- Timäus (27, A) an, wenn er das Ver-
hältniss dieses Gesprächs zur Republik dahin bestimmt, dass
jener die Entstehung, diese die Bildung der Menschen
darstelle. Was hierin ausgesprochen ist, dass die Ethik
zunächst an den anthropologischen Schluss der Physik an-
fiiv ydg fxojv ovd6}£f did Ss TTOVtjQoiv t^^v rivd rov aojfiaros xal
dnaiSevtov TQ0(f7)v 6 naxoe yiyvstat naxos. 87» A: Ttgos St tov-
TOiff, oTav ovrai vtatKui Ttayhtiuv 7toXt.Tt7ai näxal xal koyoi xata
noXm Idi'q, mal Stjfioat(je, laxd-cSaiv, tri Si fia&jj/^ata fiijSafiji tov~
T(uv laTixd ix vioiv fdav&dr^rai, xavTj^ xaytol ndvzsS ol xaxoi öta
Svo dxovotojTara yiyvcfie&a. ojv aittaviov /lev rote q>vtevovTaQ
del Tujv (pvrevofitvvop fidXXov xa\ rote tgiipovTaS rom TQt(f>ofil~
vojv t TTQO&vfiyTtap ^^Vy , .. q>vy6iP fjLbv xaxlav f.TOvvavxiop ok
thXv. Vgl. auch Rep. VI, 489, D ff. besonders 492, E.
. i) YgU Phädo 81, B.
Die Platonische Ethik. 277
knüpfe., das bestätigt auch der Augenschein. Nicht blos
die alTgemeine ethische Grundanschauung , sondern auch
die Lehre Ton der Tugend und die Construction des Staats
ist durchweg, durch die Theorie vom Wesen der Seele,
ihren Theilen und ihrem Verhältoiss zum Körper bestimmt.
Wie aber diese selbst auf den übrigen Theilen des Systems
beruht, und der Mensch hier nur' ein Abbild des Univer-
sums ist, so weist aus diesem Grunde auch die Eihik auf
das gesammte System zurück, an dessen oberste Grund-
lagen sie anknüpft, und dessen Construction sie im mora-
lischen, wie im politischen Theil wiederholt. Die genauere
Nachweisnng dieses Verhältnisses muss der folgenden Aus-
führung vorbehalten werden, welche in die bereits ange-
deuteten drei Untersuchungen: von der allgemeinen ethi«
sehen Grundanschauung, oder vom höchsten Gute, von der
Yerwirklichung des Guten im Einzelnen und von der Ver-
wirklichung desselben im sittlichen Gemeinwesen zerfällt ^).
Das oberste Princip der Ethik wird von Plato, wie
von der ganzen alten Philosophie, nach dem Vorgang an-
derer Sokratiker und des Sokrates selbst, in der Frage
nach dem höchsten Gute zusammengefasst, das aber
auch ihm, wie Anderen, mit der Glückseligkeit unmittelbar
identisch ist ^). Worin nun aber diese oder das höchste
1) Vgl. hierüber auch Ritter Gesch. d. Phil. II, 445.
2) Vgl. Phileb. Anf. 0ih]ßos fii» zoivvv dyad'ov eii^al (pt^ai t6
XJLt'Qtiv , , , xo §6 7T(/() ?juojv dfirf.iaßi]tJ]^a tan (atj raira d?.Xd
t6 ifQOVUV . . . Tr]i yt Tjdotys d^usivoj xul Xiooj yiyvea&an ^vfina-
awy oaa ttsq avx(»v 8 ward ^stakaßslv. dvvarols 8t fjtsvaoxt'iv
w (f sXiU vjraz ov dndpTOj%> ehai. Ebd. S. 60, D. 62, D. 63, A. 66, E
Gorg. 475, B. 477, C f. Abist. Eth. Nik. I, 2 Anf. dvo/natt fiav
ovtf axs^ov vno tojp Tiktiarojv 6fj,o)>oyelcai (rt tu dya&ov"). tijv
ydg evSatfioviav «al oi Ttollol xa? ov xagievriQ X^.yovatv, to d*
iv ^rjv Hai TO fv TT^arrsiv ravtav vTrolaußavovai Tot tidaifjLOvslv,
Dass Plato die Identificiriing des Guten und Angenehmen und
die Begründung der Siltlichlteit auf Lust und äussere Vortheilc '
▼erwirfk (s. o, S. 159), beweifil nichts hiegegen, denn Glück-
t79 t)ie Platonische Ethik.
Gut «u suchen sei, darüber Hess sich aus den Voraus-
sedungen des Platonischen Systems eine doppelte Bestim-
niung ableiten. Sofern hier einerseits die Idee das allein
wahrhaft Wirkliche, die Materie dagegen das Nichtsein der
Idee, und auch die Seele ihrem wahren Wesen nach nur
die vom Körper freie, für die Befrachtung der Idee be-
stimmte geistige Substanz ist, so konnte auch die Sittlichkeit zu-
nächst inehr negativ gefasst, und das höchste sittliche Ziel
und Gut in der Abwendung vom sinnlichen Leben und
der Zurückziehung auf die reine Contemplation gesucht
werden; sofern andererseits die Idee doch die Ursache
alles Guten in der Sionenwelt und das gestaltende Princip
der letztern ist, konnte auch für die Darstellung der Idee
im menschlichen Leben diese Seite mehr hervorgehoben,
und ausser der Betrachtung der Idee, oder der Einsicht,
auch die harmonische Einführung der Idee in's sinnliche
Dasein und die daraus entspringende Befriedigung mit zu
den Bestandlheilen des höchsten Guts gerechnet werden.
Beide Darstellungsweisen finden sich bei Piato, wenii auch
nicht so schroff auseinandergehalten, dass sie einander aus-
schlössen: die eine in den Stellen, wo die höchste Le-
bensaufgabe in der Flucht aus der Sinnlichkeit gesucht,
die andeire da, wo auch das sinnlich Schöne als liebens-
werth bezeichnet, und die reine sinnliche Lust nebst der
selighclt ist nicht dasselbe, \vieLust oder Vortheil^ ebensoweDig,
dass er Rep. IV, Anf. VII, 519, E erklärt, die Untersuchung
über de^n Staat müsse ohne Rücksicht auf die Glückseligkeit der
Einzelnen geführt werden, denn diess be/Jeht sich nur darauf,
dass das Wohl des Ganzen dem der Einzelnen vorangehe, wo-
gegen für den Staat (a, a. O. 420, R) gleichfalls die Glückselig-
keit als höchstes Ziel gesetzt, ebenso nachher, S. 444, £, der
Nutzen der Gerechtigkeit zum Grund /ler Entscheidung über
ihren Werth gemacht, und am Schlüsse des Werks, wie Gorg.
^26, D. Pha'do 114, C, die Ermahnung zur Tugend auf die Hoff-
nung jenseitiger Seligkeit gegründet wird.
Die Platonische Ethik. ^79
auf Gestaltung der sinnlichen Welt gerichteten Tbätigkeit
mit zum höchsten Gut gerechnet wird. Der ersteren Fas-
sung begegnen wir schon in der Eikläruug des Theätet ^) :
da das irdische Dasein unmöglich vom Bösen frei sein
könne, müssen wir so schnell w*ie möglich von hier zur
Gottheit flüchten, indem wir uns dieser durch Tugend und
Einsicht ähnlich machen. Weiter ausgeführt ist dieser Ge-
danke im Phädo ^), wenn hier die .Ablösung der Seele
vom Körper als das Nölhigsle und Heilsamste empfohlen
und eben hierin das eigenthümliche Thun des Philosophen
gefunden wird. Ebendahin gehört ajuch die wiederholte
Versicherung der Republik ^), dass der Philosoph als sol-
cher nicht aus eigener Neigung, sondern nur der Nolh-
wendigkeit folgend von der Höhe der theoretischen Be-
trachtung zu Staatsgeschäften herabsteigen werde. Wie
die Seelen von Anfang an, Wofern sie ihrer Bestimmung
nicht qntreu geworden sind, nur durch die Nothwendigkeit
vermocht Werden, in's irdische Leben einzugehen, so wird
auch im jetzigen Zustande jede , die ihre wahre Aufgabe
1) 176» A: ^11 ovr a:rokio&ai ra xaxd Svyaruy' vTtevavriov yaQ
T$ Tw dynO'tji dtl tivai dvayxtj ' ovr' tv üsoiS avrd iSgvo&at, 7t]v
8t d't'TjTyv (fvoiv xai tuvfi tov tottov TrsgtTtoku tf dvdyyiijs, Sio
xal TrsiQua&ai X9^} iv&ivSs ixsTas (psvysiv ort, tdyiaza, (fvytj de
ouoivjats ti7t -dtitj xnrd tu dtvarop, vuoiojoii dt Sixaiov tcal vaiov
fterd (fjQottiaiOjS y6viij&a$.
2) S. 64 ff. vgl. 64, E : Ovhovp ohm SohsX aoi ?} zov toiovtov (tov
(f.i?.oaoq>ov) TTQay/uaztta ov nsgl ro auj^a eiyai, dkkd Aad"' Öaov
dviatai diptararai atrov n^oi ßb xiqv ^p' %f]v ttVQdrp&ai • 67, A:
*V f't av ^wfiev ovrojf, wi i'oty.er, tyyvrdroj too/utd'a tov stSivat,
tdv ür& fid?.tCTti fitfSbv ofjiihuusv tt} awinaTii /LtTjSe xo^vojv(»f*6v,
iß Tt firj ndaa avdyxrj^ fjitjSi dva7tifA,7Tlwuh\ya fiji rovrov (pvas^jf,
dkld na&ctQevojusv an avrov , ivjs dv 6 d'sds avrvs dnoXvarj
fjfidf, S, 83.
5) I, 345, E ff.; 347, B f. VII, 519, C ff. vgl. Theät. 472, C ff,
bes., 173, E. Dass in diesen Stellen durchgängig nur von den
unvollkommenen, unsilHirlien Staaten die Rede sei, (Bbaisdis
Gr.-röm. Phil. II, a, 516) ist nicht ganz richtig: Rep. VII, 519
handelt vom Platonischen Staate«
280 Die platonische Ethik.
erkennt, sich möglichst wenig mit dem Leibe und Allem,
was an ihn geknüpft ist, befassen. Bliebe nun Plato bei
dieser Ansicht des Sittlichen stehen, so hätte sich ihm
hieraas eine negative Moral ergeben müssen, die nicht
allein dem Geiste des griechischen Alterthnms , sondern
auch wesentlichen Elementen der Platonischen Philosophie
selbst widersprochen hätte. Diess geschieht aber auch
nicht, sondern er ergänzt dieselbe durch andere Darstel-
lungen, in denen dem Sinnlichen und der Beschäftigung
mit demselben eine positivere Bedeutung beigelegt wird.
Eine Reibe solcher Darstellungen ist uns sehon früher
(S. 167 tf.) in der Platonischen Lehre von der Liebe be«
gegnet, denn soll auch der eigentliche Gegenstand dieser
Liebe nur das an und für sich Begehrenswerthe oder die
Idee, insbesondere die Idee des Schönen sein, so wird doch
die sinnliche Erscheinung hier nicht blos, wie im Phädo,
als dasjenige behandelt , was die Idee verhüllt, sondern
zugleich auch als das, was sie offenbart. Neben dieser
Lebre ist hier die Untersuchung des Philebns über das
höchste Gut als derselben Richtung angehörig zu erwähnen.
Wie dieser Dialog die Lustlehre widerlegt, musste schon
früher angeführt werden; das Weitere ist nun aber, dass
er auch bei der entgegengesetzten Ansich^, der cynisch-
megarischen Behauptung, dass die Einsicht das Gute sei,
nicht schlechthin stehen bleibt, sondern das höchste Gut
als ein aus verschiedenen Bestandtheilen Zusammengesetztes
beschreibt. Wiewohl nämlich die Einsicht und die Ver-
nunft ungleich höher steht, als die Lust, sofern diese dem
Gebiete des Unbegrenzten angehört ^) , jene dagegen dem
höchsten Sein, der Alles bildenden und ordnenden Ursache
(der Idee) am Nächsten verwandt ist ^), so wäre doch ein
1) S o. S. 163.
i) Phil. 38, A ff. 64, C ff.
«
^
Die Platonische Ethik. 281
Leben ohne alle Empfindung der Lust oder Ünitist, in ab-
soluter Apathie, auch nicht wiinsehenswerthr ^); ebenso kann
aber innerhalb der Sphäre des Wissens die reine und ideale
Rrkenntniss für sich, obwohl weit das Höchste, nicht ge-
nügen, sondern es inuss zu dieser auch die richtige Vor-
stellung hinzukommen, ohne die man sich auf der Erde
nicht zurechtfinden kann, ferner die Kunst (der Philebus
nennt speciell die Musik) als unentbehrlich zur Verschö-
nerung des Lebens, alles und jedes Wissen endlich, da
doch alles dieses irgendwie an der Wahrheit Theil hat ^).
Weniger nnbedingt kann die Lust zum höchsten Gute ge-
rechnet werden, hier -sind vielmehr die reinen und wahren
(nicht auf einer optischen Täuschung des Bewusstseins be-
ruhenden), ferner die nothwendigen, unschädlichen und lei-
denschaftslosen, überhaupt die mit der Vernünftigkeit und
Gesundheit des Geistes verträglichen Lustempfindungen von
den trügerischen, unreinen und krankhaften zu unterschei-
den; nur jene können einen Theil des Guten ausmachen,
nicht diese ^). Alles zusammengenommen daher ergiebt sich
das Resultat^), dass der eiste und werthvollste Bestand-
theil des höchsten Guts das Theilhaben an der ewigen
Natur des Maasses (an der Idee) ist ^) , der zweite die
1) S. 21, D f. 60, £ f. 63, E ; übrigens ist zu beachten, wie Iturz
dieser Punkt immer abgemacht wird — ohne Zweifel weil Plato
nach seinen sonstigen Aeusserungen gegen die Lust in Verlegen-
heit ist, auf wissenschaAlichem Wege eine Stelle und einen Werth
für diese aus^umitleln.
2) S. 62, B ff.
3) S- 62, D ff. Tgl 36, C — 55, C.
4) S. 64, C f. 66 f.
5) So verstehe ich nämlich die Worte 66, A : w5 ^^dortj nrijfia ovte
eari it^otrov^ ol't' av dtvrtgov^ dlla ngtoxov fiiv nji '^sqI fAirQOv
nal To juirQiov nal HaiQtov Hall' 7füip&* orroaa XQtj Töiavra ryv di-
Sov ftQrja&ai fpvaiv — übereinstimmend mit STA^iLfiium ProH. in
Phil. 2. A. S. 74 f. RiTtER Gesch. d. Phil. II, 463. Wehhmasjt
Plat de s, bono doctr. S. 90 f. — Andere (HiRKAifii Plat I,
282 Die Platonische Ethik.
Einbildufig dieser Idee in die Wirklichkeit, die GeetaUqng
eines Harmonischen, Schönen und Vollendeten, der dritte
Vernunfl und Einsicht, der vierte die einzelnen Wissen-
Schäften und Künste und richtigen Vorstellungen, der fünfte
und letzte endlich die reine und schmerzlose sinnliche Lust.
Eine organische Ableitung dieser verschiedeneii Bestand-
iheile aus ihrem inneren Einheitspunkt ist freilich zu vermissen.
Mit diesem Mangel hängt zusammen, dass Plato auch
nicht unmittelbar von den Bestimmungen über das höchste
Gut zur Tugendlehre übergeht, indem etwa die Tu-
gend als Bestandtheil des Guten oder Mittel zu seiher Ver-
wirklichung mit in die Untersuchung über jenes herein-
690 f. A. 618 u. 656 (md schon'frühcr im Mai-b. Winlerka-
talog 1832/33, Tükstdelesbubg de Pliilebi coiisilio S. 16, wie es
scheint auch Brahdis Gr -röm. Phil. If, «i, 490) bezichen die-
selben auf das absolut Gute^ oder die Idee des Guten als solche.
Wiewohl nun diese Beziehung fiir sich anführen könnte, dass
Bep. VI, 505, ß f. die Beschreibung der Idee devS Guten mit der
unverkennbar auf den Philebus zurückweisenden Bemerkung ein-
geleitet wird , die Meisten halten die Lust für das Gute, die
Besseren die Einsicht, so wird sie doch an unserer Stelle dadurch
ausgeschlossen , dass sich der Philebus nicht blos überhaupt (s.
seinen Anfang und S* 19, G) nur mit.derj^rage nach dem, was
für den Menschen das Heste ist, mit dem äfjvatov di'&^utrtyüjv
KrT^fiaTViv, beschädigt, sondern ebjen hierauf auch in den obige.n
Worten zurückweist, wie denn auch S» 64, G nur von dem die
Bede ist, was in der Mischung der Lebensgüter das Werth vollste
sei. — Was sonst in der obigen Aufzählung auffallen könnte,
dass der vov{ erst die dritte Stelle erhält, hat schon Sghleier-
HACHER (Einl. zum Phil. PL WW. II, 3, 133 f.) richtig daraus
erklärt, dass Plato zuerst die allgemeinen und formellen Momente
des Guten voranstellt, und dann erst die einzelnen Güter beson-
ders aufzählt. Im Uebrigen muss man sich hüten, auf solche
Aufzählungen grossen Werth £u Legen, oder den Abstand zwi-
schen ihren einzelnen Gledern schlechthin gleich zu setzen;
dieselben sind bei Plato eine Manier , in der er sich allerlei
Freiheit erlaubt, wie ich bei einer andern Gelegenheit scbon in m.
PlatSlud. S. 228 bemerkt habe. Vgl. auch Phädr. 248,D'.Sopb.
231, D ff. Bep, IX, 587, B (F.
Die Platoniscbe Ethik 28S
gezogen würde , sondern den Begriff der Tugend obqe
weitere Ableitung aufnimmt. Unter der Tugend versteht
Plato im Allgemeinen diejenige Thätigkeit, durch welche
die Seele das ihr eigenlhümliche Werk richtig vollbringt,
die Gesundheit und Tüchtigkeit der Seele, das harmonische,
naturgemasse Verhältniss ihrer Elemente ^). Die Voraus*
Setzung aller Tugend ist die natürliche Anlage zu derselben,
welche nicht blos in der allgemeinen Natur des Menschen
gegeben, sondern auch nach den Temperamenten und In-
dividualitäten verschieden ist. Plato bemerkt in dieser
Beziehung namentlich den Gegensatz der a^a^pqoovvri und
avdQia, des feurigen und ruhigen Temperaments, als einen
Unterschied in der Naturanlage 2^; ebenso spricht er aber
auch von einef eigenthümlichen Anlage für die Philosophie ^),
und in dem Mythus der Republik (III, 415) von der ver-
schiedenen Mischung der Seelen in den drei Ständen des
Staats liegt unverkennbar der Gedanke einer dreifachen
Abstufung der natürlichep Anlage zur Tugend: auf der
untersten Stiife ständen die, welche durch ihre Naturanlage
auf die Tugend des niedrigsten Standes, die Besonnenheit,
beschränkt sind , auf der zweiten die , welche auch die
Anlage zur Tapferkeit haben, auf der höchsten diejenigen,
denen die philosopliische Begabung zu Theil geworden
ist. Wollten wir nun diese Stnfenreihe der sittlichen An-
lage mit der oben entwickelten L^hre von ■ den Theilen
der Seele und der sogleich darzustellenden von den Tn-
1) Rep. I, 555, D. IV, 441, D. VIII, 554, E. Pbädo, 95, B. Gorg.
504, B. 406, D.
J) Polil. 506, A ff. vgl. Rep. III, 410, D. D'e Behauptung der Ge-
setze XII, 065, £, dass die Tapferkeit auch Kindern und Thieren
in wohne, gehört nicht hierher, denn dort ist nieht von der blossen
Anlage zur Tapferkeit die Rede, dagegen ist dicss allerdings Rep.
IV, 441 A vom &ru6t gesagt.
5) Rep. V, 474, C VI, 487, A.
2g4 I>i« Flatonische Ethik.
genden combiniren, so müsste gesagt werden: die Anlage
zur Tugend ist verschieden, je nachdem der begehrende
Theil der Seele, oder der Muth , oder die Vernunft die
Seite ist, in welcher sich der sittliche Trieb vorzugsweise
offenbart. Auch würde dazu gut stimmen, dass ebenso,
wie die verschiedenen Theile der Seele, so auch die Stufen
der sittlichen Anlage in dem Verhältniss stehen , dass je
die höhere die niederen mit in sich befasst — mit .der
Anlage zur Philosophie wenigstens denkt sieh Plato nach
Rep. VI, 487, A auch die zu allen andern Tugenden ge-
geben, und ebenso die höheren Stände im Staat auch der
Tugenden der niedrigem theilhaftig. Doch hat Plato selbst
jene Parallele nirgends ausdrücklich gezogen, und die Dar-
stellung des Politikus würde sich auch nicht in sie fügen,
da hier die Tapferkeit und die Besonnenheit sich nicht
tnbordinirt, sondern in relativem Gegensatze coordinirt sind«
Wie es sich nun aber auch hiemit verhalten mag,
jedenfalls muss zur sittlichen Anlage ihre kunstmässige
Ausbildung hinzukommen. Mit der Frage nach der Art
und Weise dieser Ausbildung beschäftigen sich schon die
frühsten Platonischen Gespräche in der früher (S. 15 6)
besprochenen Untersuchung über die Lehrbarkeit der Tu-
gend, und deutlich genug ist in diesen angedeutet, dass
sie lehrbar sei ^). Dieser Ansicht bleibt Plato auch später
insofern getreu, als er die Entstehung der wahren Tugend
nicht dem Zufall überlassen, sondern durch methodischen
Unterricht bewirkt wissen will — nur von einem philo-
sophisch geordneten und geleiteten Staatsleben erwartet
er ja tlettung für die Menschheit; aber während es nach
seinen früheren Aeusserungen wohl nicht ganz mit Unrecht
scheinen konnte, als wolle er die Tugend überhat^t in
Sokratischer Weise nur aus der theoretischen Einsicht und
1) Vgl. besonders den Schluss des Meno.
Die Platanische Ethik. 285
dem theoretischen Unterricht entspringen lassen, so erkennt
er jetzt an, dass dieselbe ursprünglich praktische Fertig-
keit sei und durch eine aller klaren Einsicht vorangehende
Gewöhnung entstehe — worüber das Nähere gleichfalls
schon früher ^) vorgekommen ist.
Diess weist nun auch auf eine veränderte Fassung
des Begriffs der Tugend 'zurück. Sokrates hatte alles sitt-
liche Handeln auPs Wissen zurückgeführt und aus diesem
Grunde geläugnet, dass es mehrere von einander verschie-
dene Tugenden gebe. Dass sich auch hierin Plato zu-
nächst an ihn anschliesst, habe ich früher aus dem Mena
und Prolagoras nachgewiesen. In der Republik jedoch
wird diese Ansicht wesentlich roodificirt. Denn das zwar
hält auch sie fest, dass alle besondern Tugenden nur die
Verwirklichung de r^ Tugend sind, dass die Gerechtigkeit
sie alle in sich befasst, und ebenso, dass das Wissen, oder
die Weisheit, nicht ohne die übrigen gedacht werden kann,
dass mithin in der vollendeten philosophischen Tugend
alle Sittlichen Bestrebungen zur Einheit zusammengehen;'
aber statt hiebei stehen zu bleiben, wie Sokrates und wohl
auch Plato selbst in seiner früheren Zeit gethan hatte,
wird jetzt zugestanden, dass diese Einheit der Tugend eine
Mehrheit von Tugenden nicht ausschliesse , und dass auf
unvollkommenem Stufen der sittlichen Bildung ein Theil
von diesen auch ohne die übrigen sein könne, ohne dass
er doch darum wirkliche Tugend zu sein aufhörte. Den
1) S» 177 vgl. Rep, VII, 518, D: al fisv roivw aklai dgital Kee-
Xovusvai ipi^XV^ xivdvvevovatv iyyvs r» ehai toIv tov aojfiaros*
Tili OVT& yaQ ovx ivovaai iiqotsqov votsqov ifinoista&ai k'&sa£ rs
ftal dax^oeoiV' 17 9i tov tpgov^aai Jiavroe fiaXXop &s&ot&'qov tivcS
Tvyxdvsi, oU i'oixcvy ovaot^ o t^v fiiv Svvafiiv OvS^ttots dTTokkvoty^
vTto Si rijs 7S^&ay(oy^G (seil, ttqos t6 ov) xQXjQifiop ra xal ojtpi^
hfjkov xal axg^öTOv al vtal ßXaßBQov yiyvBTat. Desshalb, heisst
es im Vorhergehenden, sei hier eine eigenthümliche methodische
und wissenschaftliche Bildung notliwendig.
«
286 I>ie Platonische Ethik.
Grand jener Mehrheit aber sacht Plafo — und eben dies«
ist das Eigenthümliche and philosophisch Interessante seiner
Theorie — nicht in der Verschiedenheit der Objekte, anf
welche sich die sittliche Thätigkeit bezieht, sondern in der
Verschiedenheit der in ihr wirkenden geistigen Kräfte, oder
wie diess hier erscheint, der Theile der Seele, nnd er
gewinnt auf diesem Wege eine Vierheit von iSrundtugenden,
die bekannten vier Kardinaltugenden, die zwar schon in
den sophistischen und Sokratischen Untersuchungen über
die Tugend besonders hervortreten, doch erst durch Plalo,
nnd auch durch ihn in seiner spätem Zeit ^}, definitiv fest-
gestellt worden zu sein scheinen. Besteht nämlich die
Tugend der Seele im richtigen Verhällniss ihrer Theile,
d. h. darin, dass sowohl jeder einzelne derselben sein Ge-
schäft wohl verrichtet, als auch alle zusammen im Einklang
steheji, so muss ]) die Vernunft mit klarer Einsicht in
das, was der Seele im Ganzen und jedem ihrer Theile
heilsam ist, das Seelenleben beherrschen, und diess ist die
Weisheit; es muss 2) der Muth die Aussprüche der Ver-
nunft über das, was furchtbar und nicht furchtbar ist, gegen
Lust und Schmerz bewahren, und diess ist die Tapferkeit,
welche aus diesem Grunde nach Platonischer Lehre ur-
spriinglich ein Verhalten des Mensoh^H gegen sich selbst,
und erst secundär ein Verhalten gegen äussere Gefahr
ist; es muss 3) der begehrende Theil , ebenso, wie der
Muth, sich der Vernunft unterordnen, und diess ist die
Besonnenheit, (um für das unübersetzbare aoog^goavpr^ doch
ein Wort zu haben); es muss endlich 4) ebendadurch die
I
1) Der Protagoras 330, B ff. nennt als fünfte noch die Heiligkeit,
der Gorgias 507 eben diese , ' wogegen er die Weisheit in der
aoHpQoaviy SU befassen scheint, von der er beweist, dass sie alle
Tugenden in sich schliesse. Vgl. auch XiN.Mem* IV, 6, wo die
Frömmiglieit, Gerechtigkeit, Tapferkeit undWeisheit genannt wer-
den; mit der letstern wird Mem. Ilf, 9, 4 die amtf^oovvtj identi-
ficirt.
Die Platonische Elliik. 187
rechte Ordnung und Zusammenstiinmnng im Ganzen des
Seelenlebens erhalten werden , und diess ist die Gerech-
tigkeit ^). Eine weitere Ausführung dieser Theorie hat
Plato nicht gegeben, und auch was sich von einzelnen
dahin gehörigen Bemerkungen bei ihm findet, kann in Be-
ziehung auf die untengenannten Schriften hier iibergangen
werden.
Dasselbe Yerhältniss der sittlichen ThStigkeiten, auf
welchem* die Tugend des Einzelnen beruht, ist nun auch
der Grund für die rechte Beschaffenheit des Staats, und
so ist mit der Platonischen Ethik die Politik aufs Engste
verflochten. Wir können den wesentlichen Inhalt der Pia«
tonischen Politik, wie sie uns die Republik darstellt, (vom
Staat der Gesetze kann erst später die Rede sein) ituf
drei Hauptpunkte zurückführen: die Nothwendigkeit und
die Bestnndtheite des Staats, die Verfassung desselben,
und die Mittel zu ihrer Verwirklichung.
Die Ableitung des Staats überhaupt und seiner ein-»
»
zelnen Bestandtheile erscheint bei Plato zunächst sehr will-
kührlich und zufällig^). Das Wesen des Staats soll unter*
sucht werden. Weil sich der Begriff der Gerechtigkeit leichter
finden lasse, wo er sich im Grossen, als wo er sich im
Kleinen darstelle. Ebenso wird diese bestimmte Form des
Staatslebens zunächst nur mittelst einer sehr Snsserlichen
Reflexioa gewonnen: der Staat soll der Republik (II, 369 ff.)
zufolge daraus entstehen, dass die Einzelnen zur Befrie«
digung ihrer sinnlichen Bedürfnisse nicht genügen, und sich
desshatb zu einer Gesellschaft verbinden; wiewohl aber
aus diesem Motiv, wie diess Plato wohl einsieht, statt der
sittlichen Gemeinschaft nur ein rohes, dem Sinneogenus«
1) S. Rep. IV, 441, G ff. und dazuBiTTBR a. a. O. S. 468 ff. Brait.
DI8 S. 496 ff. ~
f) Rep. II, 368, D.
288 . Die Platonische Ethik.
gewidmetes Zasanunenleben hervorgehen Marde, so soll
doch nur die Ueppigkeit den Stand der Krieger und der ^
Begierenden und den gesammten Siaatsorg^nisnms nothig
machen. Das Gleiche, nur in mythischer Form,, sagt auch
der Politikus, wenn er S. 269 ff. behauptet, im goldenen
Zeitaller haben die Menschen^ unter der Obhut von Gottern
in sinnlichem Ueberfluss lebend, noch keine Staaten, son-
dern erst Heerden gebildet, und erst in Folge der Ver-
schlimmerung der Welt seien Staaten und Gesetze nötfaig
geworden. Wie wenig es ihm indessen mit dieser Darstel-
lung Ernst ist, giebt Plato selbst deutlich genug zu verstehen^
wenn er den angeblich „gesunden^' Naturstaai Rep.II, 372) Ü
eine vm^ nohg nennen lässt, und Polit. 272, B die Frage,
ob der Zustand des goldenen Zeitalters besser gewesen
fei, als der jetzige, dahin entscheidet : wenn die Früheren
die äusseren Vorziige, die ihnen jenes gewährte, für Zwecke
des Wissens verwendet haben, seien sie glückseliger ge-
wesen, als wir, im andern Fall unglücklicher. Kann nun
nach diesem die fragliche Darstellung nur als eine Weise
der Einkleidung, oder als eine Satyre auf Theorien, die
in jener Zeit kursirten, betrachtet werden, so hat auch
unser Philosoph anderwärts angedeutet, worin ihm in Wahr-
heit die Nothwendigkeit des Staates liegt. Wenn seiner
Ansicht nach die bestgeartete Seele ohne, den nöthigen
Unterricht fast rettungslos zu Grunde geht, diesen aber nur
in einem wohl eingerichteten Staate finden kann, wenn
auch der gereifte Philosoph nut in einem entsprechenden
Staatsleben für sich selbst die höchste Stufe der Vollen-
dung erreichen und Andern am ^Meisten nützen kann ^),
so miiA^ auoh eben dieses der Zweck des Staates sein^
die vollendete Philosophie, d. h. nach Platonischer Ansicht
überhaupt die vollendete Sittlichkeit und Bildung hervoir-
1) Rep. VI, 492, A ff, 496, D ff,
Die Platonltcke Ethik. 289
zubringen, und so sagt auch Plalo ausdrücklich ^), das«
die höchste Aufgabe des Staats darin bestehe, die Bürger
zu guten Menschen zu machen* Darin also ist auch für
ihn, wie für die griechische Anschauungsweise überhaupt,
die NothweKdigkeit des Staatslebens begründet, das« er
sich eine vollendete Sittlichkeit ausser dem Staate gar
nicht zu denken weiss. Doch dürfen wir nicht übersehen,
dass diese Nothwendigkeit auch nach den angeführten Er-
klärungen für^ ihn in gewissem Sinne wieder eine blos
äussere ist: während auf altgriechischem Standpunkt die
Tugend als solche unmittelbar politische Thätigkeit
ist, so würde der Philosoph, wie ihn sich Plato denkt,
an und für sich selbst das Bedürfniss dieser Thätigkeit
nicht empfinden, und nur gezwungen soll er an den Staats-
geschäften theilnehmen ^) ; die, Nothwendigkeit des Staats
ist nur die mittelbare,' dass ohne ihn die Entstehung
der wahren Sittlichkeit unmöglich ist. In der weiteren
Ausführung freilich wird auch diese noch enger ange*
zogen, und an die Stelle der unvolikommenen wissen-
schaftlichen Ableitung tritt die acht griechische Anschauung
des Staats als der objektiven Verwirklichung der Cierech-
tigkeit. Dass ebenso, wie der Staat überhaupt, auch die
Bestimmung derN Stände im Staate ihren allgemeineren
Grund hat, wird sich sogleich zeigen, wenn wir zur Ver-
fassung des Staats übergehen.
Soll der Staat die Darstellung der Sittlichkeit im
Grossen sein, so muss dieselbe Mehrheit ursprünglicher
Thätigkeiten , in deren geordnetem Zusammenwirken die.
Sittlichkeit des Einzelnen besteht, auch in ihm stattfinden.
Wie aber Plato diese Thätigkeiten in der einzelnen
Seele auf ebenso viele besondere Theile der Seele zu*
i) Gorg. 464, B. 515, B. Polit 309, G TgL Legg. IV, 707, C
imd was Bbaitdis a. a. O. S. 317 sonst beibringt.
3) S. e. S. 279, 3.
Die PbUotopbie der Griechta, U. Thtil. \% .
9
«
t90 Die Platonitche Elhilu
rackgeführt hatte, «o «etzt fr auch im Staate für jede
derselben einen eigenen Stand voraas. Er begründet
diess snnfichst siemlich äosserlich mit der Bemerkung
(Rep. II, 369, E), dass alle Geschäfte besser verrichtet
werden, wenn Jeder immer nur Eines treibe; der tiefere
Qmnd liegt aber nicht hierin, sondern im Platonischen Be-
griff der Sittlichkeit (Gerechtigkeit ')) nnd weiterhin in
der allgemeinen E^genthumlichkeit des Systems. Demselben
Charakter plastischer Anschaalichkeit nnd Formvollendang,
den wir in der Hypostasirung der abstrakten Begriffe zu
Gegenständen einer idealen Anschauung, der mathemati*
sehen Gesetze und Verhältnisse zur Weltseele, der psycho-
logischen Thätigkeiten zu Theilen der Seele erkennen
müssen, war es gemäss, auch die Grundthätigkeiten des
Staats als besondere Theile desselben darzustellen. Nur
durch dies'e Darstellung wird aber auch der Platonische
Begriff der Sittlichkeit auf den Staat anwendbar, da diese
dem Plato , zwar nicht wie den Pythagoräern in der ma-
thematischen, wohl aber in einer psychologisch-physikali-
schen Maassbestimmung besteht, darin, dass das sittliche
Ganze in dem naturgemässen Yerhältniss seiner Theile er*
halten wird. Aus diesen Gründen nimmt nun Plato für
den Staat drei Stände an, von denen je einer einem von
den Theilen der Seele entspricht: dem vernünftigen Theile
der Stand der Regierenden, dem Muthe der Stand der
Krieger, dem begehrenden Theile der Stand der Land-
bauer und Gewerbtreibenden ^). In dem geordneten Ver-
1) Rep. IV, 443, B: TtXsov aga ^tilv x6 ivinviov dTroTtrikeürat
umrm &$6p xiva M «ipjti^y r§ fml tvinv tt¥u cigfff ^«»««oatyj^C
iUvSvpsvofiev ifißeßtjxivat.
3) Rep. H, 574, A. III, 412, B. 415> A. IV, 435, B. Det Slaat
ist insofera, vne diess auch Rep. II, 368» E andeirtet, die Dar-
stellung des Menschen im Grossen, andererseits aber, wie dieser
Die PUtonitcbe Etkilu Ml
hältoiss dieser Släode beaiebt die Verfasauog dei StMlt.
Dieses Verbältniss aber ist durob ihren Begriff bestimm.
Dem Grandsatz der GescblftsvertheUang gernfts» mos« je-^
der Stand eine ibm eigentbiimlicb nnd anssdbliessttch «n-
gehörige Thätigkeit haben , nnd darf sieb keiner in die
Gesehäfte der fibrfgen mischen; in der Anfreebterbaltnng
dieses Gesetzes, in dem t« iavrov nQatxutt, bisstehl die
Gerechtigkeit, nnd darum anch die Gluckseligkeit des
Staats ^y Alles daher, was zum Geschäft der Begiemng
gehört, muss ausschliesslich dem Stande der Regierendim
zufallen; sie mQssen ebenso die nnbescbrUnkte Regierangs-
gewalt haben, wie die Tollendete Bildnng und Einsiebt«
Die Verfassung des Platonischen Staats ist insofern der
unbedingteste Absolutismus^ aber nur der Absolutismus des
Charakters und der Intelligenz — die Aristokratie,
wie Plato selbst in der Republik seine ideale Verfassung
bezeichnet ^), Welches die Süssere Form dieser Verfassung
ist, die monarchische, oligarchiscbe oder domokratiscbe,
wäre an sich gleiehgiiUig, da das Wesen derselben nur
darin besteht, dass, durch wen immer, die wahre Staat«**
kunst herrsche ^) ; da sich jedoch nicht voraossetzea läset,
dass eine so schwere Kunst das Eigenthum Vieler sein
w^de, so muss die Regierungsgewalt nur Einem oder Ei**
selbst, Abbild des Universums im Kleinen. Die Vergleicbung
lässt sich übrigens, was nicht zu verwundern, nicht streng durch*
fähren; denn offenbar ist im Staate der Stand der Krieger den
der Regierenden weit näher gerficlit, als in der Seele der &vfi6€^
der ihrem sterblichen Theil angehört, dem vove, und diess wür-
de eher dem Vorbild des Unii'emims entsprechen, in dem auch
die Wcltseele der Idei^ näher steht, als ier Materie, dagegen ist
soB^ £e Seele de# Staats, die Persöslicbl»eit de^selbea, nicht
vorsugsfveise durch die Krieger reprasentirt.
i) Rep. II, 374, A. IV, 433, D. 435, K.
2) Ebd. III, 412, C^414, B. 415, B f. V, 449, A. 473, C. VII,
541, A. VIII, 543, A. ^44, E.
3) Polit, 292»
29Ü Die Platonische Ethik.
»igen übertragen werden, am Besten jedocK» wenigstens
in dem Staate, wo för die Bildung der Regierenden genü-
gende Vorsorge getroffen ist^ Mehreren, die sich abwech-
selnd der {philosophischen Betrachtung und den Staatsge-
scbäften zu widmen haben ^). Ebenso gleichgühig ist es
im Allgemeinen, ob der wahre Regent nach bestimmten
Gesetzen regiert, und ob mit oder gegen den Willen der
Unterthanen ^); doch ist Plato^ den ersteren Punkt be-
treffend, der Ansicht, dass es verkehrt sei, den einsichts-
vollen Staatsmann durch Gesetze zu beschränken, die als
ein Allgemeines doch nie organisch in die besondersten
Verhältnisse eingreifen können 3); und ebenso deutet er
hinsichtlich des zweiten an, dass ein Staat, wie er ihn
Wünscht, in der Wirklichkeit nie ohne Gewaltmaassregeln
au Stande kommen könnte, dann aber sich auf die eigene
Zustimmung der Bürger stutzen musste ^). Dasselbe aber,
was von dem ersten Stande gilt, muss auch von den bei-
den andern gelten. Sind daher die Krieger von allem
Antheil an der Regierung ausgeschlossen, so haben sie an-
dererseits auch weder das Recht noch die Pflicht, an der
Thätigkeit des dritten Standes theilzunehmen : ohne andere
als kriegerische Beschäftigung und ohne Privatbesitz müssen
sie von den Gewerbtreibenden erhalten werden ; diese hin-
wiederum, weder bei der Kriegführung, noch bei der
Staatsverwaltung betheiligt, sollen sich ganz auf Landbau
1 ) Polit. 293, A. 297, B. Rep. VlII, 540, A ff. III, 414, A — Polit
302, £ gehört nicht hieher,
2) Polit. 293| A ft 297, E ff. vgl. Bep. VI, 488 t Gorg. 517 ffl
S) Polit. 294. Vgl. faierait die entsprechenden Aeusserungen des
Phädrus über das Verhältniss der schriftlichen Darstellung sur
mündlichen Bede, oben S. 142.
4) Rep. Vil, 540, E. V, 473, D. Polit 293, D und andererseits
Bep. V, 462, B f. IV, 422, E ff. Polit 308 ff. Tgl. Legg. VIII,
829, A« IV, 715, B und Bbabdis a. a. O. S. 518.
Die Platonische Etbiji. lt9S
und Gewerbe beschränken ^). Dass iji difer Bewahrung
dieser Einrichtung auch die eigenthümliohe Tugend des
Staats, oder genauer die Gesanimtheit der für den Staat
nothigen Tugenden bestehe, seine Weisheit in der rechten
Einsicht der Regierenden, seine Tapferkeit im unerschütter-
lichen Festhalten der Krieger an der richtigen Yorstellnng
über das, was furchtbar ist, und was nicht, seine Beson-
■ *
nenheit in der Unterordnung der niedrigem Stände unter
die höheren, seine Gerechtigkeit in dem Ganzen dieses
Verhältnisses, zeigt die Republik IV, 427, B ff.
In dieser Feststellung des Unterschieds der Stände
liegt aber auch alles Wesentliche der Platonischen Staats-
verfassung; eine weitere Ausführung derselben hält Plato nach
der ausdrücklichen Erklärung der Republik (IV, 425, Cff.)
für unnöthig, für etwas, das sich in einem Staate, dessen
Grund gut gelegt ist, von selbst mache, in einem andern
doch nichts nütze ; ja nach der oben angeführten Aeusse-
rung des Politikus muss er sie sogar als unzweckmässig
von der Hand weisen. — Auch was Plato ausführlich ge-
nug entwickelt hat ^), seine Ansicht vom Werthe der üb-
rigen Verfassungen ausser der besten, müssen wir hier
ebenso, wie früher die Ausführung über die verschiedenen
Stufen der Schlechtigkeit und im physikalischen Theile die
Nosologie, übergehen, da Plato's eigene philosophische
Theorie dadurch doch nur in untergeordneten Punkten ein
weiteres Licht erhält, und nur das mag noch erwähnt wer-
den, dass in dieser Beziehung zwischen dem Politikus und
der Republik eine kleine Differenz stattfindet. Jener näm-
lich zählt neben der vollkommenen Verfassung sechs un-
vollkommene auf, die sich theils durch Zahl und Stand
der Regierenden, theils dadurch unterscheiden, ob die
1) Rep. II, 374, D. III, 316, C ff.
2) Rep. VIII u. IX B. vgl. V, 449^ A. Polit 301- 302, E f*
SM I>i« FUloniachd EtbSk.
Herntehafl eine gesetsliche oder ^illkShrliobe ist, und
ihrem Werth nach 80 auf einander folgen: Königthnin,
Arletokratie, gesettliehe and ungesetzliche Demokratie, Oli-
garchie, Tyrannis; die Republik dagegen nennt nur vier
fehlerhafte YerfaMungen und stellt diese nach theilweise
verKnderterSchätsung so, dass zuerst die Tiinokratie kommt,
dann die Oligarchie, erst nach dieser die Demokratie,
und suletsi, wie frSber, die Tyrannis*— eine Abweichung,
die wir uns ohne Zweifel aus einer wirklichen Ver&ndernng
in Plato'a Ansicht zu erklären haben. Was übrigens die
Form der Darstellung in der Republik betrifft, so habe ich
auch schon an einem anderen Orte ^) bemerkt, dass die
Ableitung der verschiedenen Verfassungen aus einander
ohne Zweifel nur die Abfolge hinsichtlich der Wahrheit
und des Werthes ausdrücken, nicht aber über die Art, wie
dieselben der geschichtlichen Erfahrung zufolge in einander
übergehen, etwas aussagen soll«
Fragen wir nun noch nach den Mitteln zur Ver-
wirklichung {dieser Staatsverfassung, so unterscheidet Pläto
deren zwei: das eine ist die Bildung und Erziehung der
Staatsbürger, das andere die mit dieser im Zusammenhang
stebeoden Staatseinrichtungen. Das ungleich wichtigere
ist aber das erste, die Bildung der Staatsbürger, denn ohne
diese, glaubt er, seien die besten Gesetze werthlos, mit
ihr werden sie immer auch gefunden werden 2). Die Haupt-
sache ist dabei natürlich, ' dass die Regierenden die rechte
Einsieht besitzen, mit welcher unserem Philosophen immer
auch die vollendete Sittlichkeit gegeben ist. Diess betrach-
tet er als die erste und let8te£edingung alles wahren Staats-
lebens. |,Wenn nicht die Philosophen zur Herrschaft in
* den Staaten kommen ^ so lautet die berühmte Erklärung
i) Fiat Stud. S. 206 f.
3} S. o. 6« 295 und Rep. IV, 4^)3, E.
Die Flatoniaclie EthiL WK
Rep. V, 473, C f • — - oder die jetzt so gettiariiit^n Könige
und Machthaber aufrichtig utid gründlich Philosophie trei-
ben, wenn nicht die Macht im Staate und die Philosophie
in Eines zusammenfällt, so ist kein Ende der Leiden für
die Staaten zu hoffen, ich denke aber auch nicht für die
Menschheit.^* Demgemäss ist denn auch fiir den Platoni-
schen Staat die philosophische Bildung der künftigen Herr-
seher von der grössten Bedeutung. Wie diese zu Stande
kommt, musste schon früher erwähnt werden; hier ist daher
nur noch beizufügen, dass Plato für diesen ganzen Bildungs-
gang eine sehr lange Zeit vorschreibt: die Zöglinge sollen
schon als Knaben mehr spielend, vom 20. Jahr an strenger
wissenschaftlich in den mathematischen Fächern, vom 30. Jahr
an in der Dialektik unterrichtet werden, dann 15 Jahre
lang als Feldherren thätig sein und erst mit dem 50* Jahr
in das Collegium der Staatslenker eintreten. •— Diese phi-
losophische Bildung selbst jedoch setzt die musikalische
und gymnastische Vorbildung voraus; eben dieselbe ist aber
ausser den Regierenden auch den Kriegern unerlässlich,
wenn diese die ihrem Stande nothwendige Tugend erlangen
sollen. Ein zweiter Hauptpunkt ist daher die rechte Ein-
richtung der Musik und Gymnastik, besonders aber der
erstem, denn ihren^Einfluss schlägt Plato so hoch an, das«
seiner Ansicht nach jede Veränderung der musikalischen
Weisen eine entsprechende Veränderung in den Gesetzen
des Staats nach sich zieht ^). Auf sie wird daher eine
weise Regierung das strengste Augenmerk richten, um we-
der in die Musik im engern Sinne einen unsittlichen und
verweichlichenden Charakter sich einschleichen zu lassen,
noch der Dichtkunst Formen zu gestatten, welche die Bür-
ger der Einfachheit und Wahrheitsliebe entwöhnen konnten,
wie diess nach Plato beim grösseren Tbeile der nacbah-
1) Rep. IV, 414, C.
•
i
«
^M Die Platonitohe Etlillu
menlieii PolSsie der Fall ist; bedonders \rird si« aber d#ti
Inhalt der Dichtangen beaufsichtigen, und alles Unsittliche,
wie namentlich alle unwürdigen Vorstellungen über i'ie
Götter, verbieten ^). — Neben diesen swei Theilen der
öffentlichen Ersiehung sollte man nun auch Untersuchungen
über die Bildung des dritten Standes erwarten. Dieser
erscheint jedoch Plato, von seinem aristokratischen Stand*
pnnkt aus, so untergeordnet, dass er von seiner Erziehung
auch nicht mit Einem Wort redet, und ihn gans sich selbst
überlassen zu wollen scheint ^).
Ebenso verhält es sich nun auch mit den Einrich-
tungen, die Plato im Zusammenhang mit dieser Bildung
der Staatsbürger nothig findet; auch sie sind nur für die
, zwei höheren Stände bestimmt, vom dritten wird gar nicht
gesprochen. Diese Einrichtungen aber werden nur darin
bestehen können, dass der Einzelne in allen Momenten
seines Lebens schlechthin zum Organ des Ganzen gemacht
wird^ in dieser unbedingten Unterordnung der Einzelnen
unter das Ganze liegt ja eben die höchste Tugend und
der Bestand des Staates* Schon die Erzeugung der Bürger
(d. h. der aktiven Bürger) muss daher unter die A.ufsicbt
des Staats gestellt werden — eine Bestimmung, über die
wir uns .um so weniger wundern können, wenn wir sehen,
^ welchen Einfluss Plato der Erzeugu'ng auch auf den sitt-
lichen und intellektuellen Charakter zugeschrieben hat;
wozu noch kommt, dass nicht allein die Zahl der Geborten
ios Staate dem Interesse des Ganzen gemäss geregelt, son*
i) Rep. II, 376, E — III, 404, E. Einiges Weitere Ober diesen
Abschnitt s» o. S. 177 f*
3) Vgl. Rep» IV, 421, A: akkd xwv fitv akkotv iXarTotv Xoyoe *
pevQofpd<poi ydg tpavXo& ysvotitvoi xal 9ia<f>d'agivTtQ nal ngof-
noifjadfitrot ilvat fiij ovta noXtt ovStp Shpov * tpvXanet äi v6fi(uv
tt Koi nolews fi'^ 0VT99 dkkd SoMOvvreS ogui irj ort Ttdoa» ag-
9rjv noXiv aTroXlvaat, nai av tov sv slvai xal tvSaiiiovtlv fioroi
TOP xaiQov ^xovatK
Die Platonische Ethik. Wt
dern aaoh die Zeit der Erzengnog von solchen bestimmt
werden mu«8, welche der jede Periode beherrschenden
kosmischen Einflösse kandig sind ^). Daher denn die
Platonische Weibergemeinschaft nebst allen damit in Ver-
bindung stehenden Anordnungen über die Zeit und Art
der vom Staat erlaubten Geschlechtsverbindui^gen , über
die falschen Loose, durch die sie gelenkt werden sollen,
über Abtreibung und Aussetzung eines Theils der Kinder ')
*u. s* w* Ebenso y wie die Erzeugung, muss ferner auch
die Erziehung der Bürger .durchaus Sache des Staates sein;
der Grundsatz der öffentlichen Erziehung wird hier mit
einer Strenge durchgeführt, die für sich schon alles Fa-
milienleben aufheben würde, wenn weder die Kinder ihre
Eltern, noch die Eltern ihre Kinder kennen sollen, diese
unmittelbar nach der Geburt öffentlichen Erziehungsanstalten
übergeben, und ausschliesslich in diesen erzogen werden ^),
und ebenso auch die Wahl des Standes nicht dem Ein*
zelnen oder seinen Eltern, sondern nur den Regierenden
zusteht ^). Damit endlich auch fiir's spätere Leben Keiner
sich selbst und den Seinigen, sondern Alle .nur dem Staate
gehören, so wird alles Privateigenthum und Hauswesen
aufgehoben, die zwei höheren Stände werden gemeinsam,
aus den Mitteln des dritten, vom Staat erhalten, und da
bei dieser Lebensweise der häusliche Wirkungskreis der
Frauen aufhört, so. haben auch sie an Krieg und Staats-
geschäften und der darauf bezüglichen Erziehung theilzu-
1) Man ygU ausser dem S. 283 Angeführten noch Rcp. V, 459,
A f. 460, B. VIII, 546.
3) Rep. V, 457, C ff. Mehr nur im Allgemeinen Terlangt der
Politikus S. 310, dass der wahre Staatsmann darauf sehen solle,
dass auch durch die Ehen, wie im Staatsleben überhaupt, die
richtige Mischung ruhiger und feuriger Charaktere -(des a(»(p^ov
u.nddvSgetov') zu Stande gebracht werde»
3) Rep. V, 460, B f.
4) 111, 413, C ff. 415, B f.
396 I>'ie Platonitche Ethik.
D^biüeD 0*^*^ Anderweitige Gesetie hftk Plato auch hier
für DDodthig '), und nur dai ist zu erwähneni dasi er für
seine Republik nicht bloa im Allgemeinen die griechischen
Zustände voraussetzt, das Y erhftltniss derselben zu andern
Staaten (IV, 422 f. 423» A) als ein Verhältniss einzelner
St&dte zu einander beschreibt, tausend aktive Staatsbürger
für eine genügende Anzahl hält, und überhaupt die Stadt
und den Staat noch identificirt, sondern dass er seinen Staat
auch ausdrücklich als einen hellenischen bezeichnet, in den
Gesetzen über die Kriegführung auf diesen Charakter des-
selben Rüjcksicht nimmt, und den Kampf mit Hellenen nicht
als einen Krieg, sondern als einen Bürgerzwist betrachtet
wissen will, in dem das Land des Gegners zu verheeren
oder ihn zum Sklaven zu machen nicht erlaubt sei, wo-
gegen diess im Kampfe mit den Barbaren, als den natür-
lichen Feinden der Hellenen, gestattet sein solL Diese >
Bestimmungen sind auch desshalb von Interesse, weil sie
zeigen, dass Plato so wenig, als seine übrigen Zeitgenossen,
an der Sklaverei als solcher Anstqss genommen hat.
Dass nun Plato in diesem seinem Staate nicht ein
blosses Ideal im modernen Sinne, d. h. ein in der Wirk-
lichkeit unausführbares Phantasiebild schildern wolle, diess
scheint seit Hegels vortrefiBicher Erörterung dieses Punkts ^) .
immer allgemeiner anerkannt zu werden. Es spricht auch
wirklich Alles gegen jene Vorstellung. Das ganze Princip
1) III, 415, D ff. V, 449—457* 466 , £ ff Sehr charakteristisch
für den Griechen ist hier namentlich die Art, wie die Tbeilnahme
der Weiber an den gymnastischen Uebiingen besprechen wird.
Wahrend uns an der Zumuthung, dass sich die Weiber öffent-
lich nackt seigen sollen, zunächst die Verletzung des Schaamge-
fuhls auffSUt, so fürchtet Plato (4539 A) nur, dass man diess
lächerlich finden möchte, und antwortet darauf mit den
schönen Worten (457, A): 'AJtodvriov itj raU rdir ipvXdxojv
2) Polit. 293 ff. 297, E ff. Rep. IV, 425 ff.
3) Gesch. d. Phil. II, 2*0 ff.
Die Platonitthe Ethiji. 199
deftPIatoniseheD Staats ist das der griechischen Sittlicbkek,
dieser Staat selbst wird ausdräcklich für einen griechischen
ericlfirt, und seine Gesetzgebung nimmt auf die griechischen
Zustände Rücksicht; das ganze fünfte, sechste und siebente
Buch der Republik hat nur den Zweck, die Mittel zur
Verwirklichung des Platonischen Staats anzugeben; Plato
sell)st versichert aufs Bestimmteste, dass er seinen Staat
nicht blos für. möglich, sondern auch für schlechthin notb-
wendig halte, dass er nur ihm den Namen eines Staats
zugestehen könne, und nur von ihm Heil für die Mensch-
heit erwarte ^), alle andern Staatsforraen dagegen für schlecht
und verfehlt ansehe^); der ganze Charakter seiner. Philo-
Sophie verbietet die Vorstellung, als ob ihm das durch die
Idee Bestimmte ein Unwirkliches und Unausführbares
b&tte sein können ^)« Die Aufgabe ^ann daher fiir uils
nur die sein, zu erklären, wie Plato zu einer so eigene
thümlfchen politischen Theorie gekommen ist. Hiefür kann
man sich nun zunächst auf die sonst bekannten politischen
Grundsätze des Philosophen und seiner Familie, auf seine
aristokratische Denkweise und seine Vorliebe für dorische
w
Sitte und Verfassung berufen ^). Und die Spuren dersel-
ben lassen sich auch in der Platenischen Republik nicht
* verkennen« Die strenge Unterordnung der Einzelnen nnter
das Ganze, ' das Dringen auf politische Einheit, die Sjrssitien
und die einfache Lebensweise der Krieger, die Ausschliessung
derselben von Landban und Gewerbe, die Theilnahrae der
Weiber an den gymnastischen Uebungen, der kriegerische
Charakter dieser Uebungen, die Strenge und Einüachheit
^1) R€p. VI, 499, C f IV, 422, E. V, 473, C, Polit. 293, i). 300,
E. 501, D.
2) Rep. V, 449, A. VIII, 544, A. Polit 292, A. 501, E ff.
3) Vgl über diese Punkte m. Plat. Stud. S. 19 E
4) S. Hbbmabn Plat. I, 541 f. MoBGERSTSBor De Plat Bep« S. 505 fL
* %
3m I>>e PUtoniteke Elbilc.
der Pc^Mi mid Maaik ^)f die Xendasie gegen die Dicbtelr,
das Aasaetsen gehwächlicher Kinder, die Aasschlieesiing
der Jungeren von Stetatsgesohäften , der aristokratische
Charakter der ganzen Verfassung legen von dem Dorismns
ihres Urhebers hinreichendes Zeugniss ab 2). Aber doch
liisst sich gerade das Eigenthümlichste derselben hieraus
nicht erklären« Um nicht von der Weiber* und Gtlterge«-
meinschaft, von denen sich in den dorischen Staaten so
wenig findet, als in den jonischen, und von Plato's schar-
fem Tadel der spartanischen Verfassung (Rep. VIU, 547,
D ff.) zu reden, so ist der eigentliche Grundstein der Pia*
tonischen Republik, die philosophische Bildung der Regie*
renden, dem dorischen Geiste durchaus fremd und entge-
gengesetzt, und überhaupt zwischen der auf unreflektirte
Sitte und strenge Gesetzlichkeit gegründeten, nur auf die
kriegerische Grösse des Staats und männliche Kraft seiner
Burger berechneten spartanischen Gesetzgebung, und dem
aus der Idee heraus consiruirten , ganz im Dienste der
Philosophie stehenden Platonischen Staat ein so tiefgrei-
fender Unterschied, dass man gerade die wesentlichsten
Bestimmnngen des letztern übergehen' muss, um in ihm
nur eine verbesserte Auflage des lykurgischen zu sehen.
Eher möchte man sich in dieser Beziehung an die politische '
Tendenz des pythagoreischen Bundes erinnert finden, wel-
cher ja gleichfalls die Idee einer Reform des Staatslebens
durch die Philosophie zu Grunde liegt, und ohne Zweifel
ist auch diese nicht ohne Einfluss auf Plato geblieben.
Zur Erklärung seiner politischen Theorie reicht aber auch
1) Nur die pfarygische und dorische Tonart und von musikalUchen
Instrumenten nur die Leyer und Cither sollen geduldet, die Flö-
ten dagegen (deren Gebrauch zu Plato's Zeil in Athen häufig
war) und ähnliche Instrumente ebenso, wie die jonische und
Indische Tonart verbannt werden, Rep. III, 398, D ff.
2) VgU auch Rep. VIII, 547, D.
Die PlatOQiscbe Etbilt. . 301
sie weit nicht an»; so viel wir wenigstens wissen haben
die Pythagoreer mir die bestehenden aristokratischen Ver-
Fassungen aufrecht zu erhalten und etwa in untergeordneten
Punkten zu verbessern, nicht aber wesentlich neue Theorieen
im Staate zu verwirklichen gesucht« Auch Hegels ^)
treffende Bemerkungen über den Zusammenhang d'er Pia*
tonischen Politik mit dem allgemeinen Princip der griechischen
Sittlichkeit und dem damaligen Zustand Griechenlands ge-
nügen nur theilweise. Es ist ganz richtig^ der Platonische
Staat stellt uns das Moment des griechischen Geistes, wo«
durch sich dieser vom modernen unterscheidet, die Unter-
ordnung des Einzelnen unter das Ganze, die Beschränkung
der individuellen Freiheit durch den Staat, überhaupt die
Substantialität der griechischen Sittlichkeit in der höchsten
Vollendung dar; es ist ebenso richtig, Plato musste sich
zur einseitigen Hervorhebung dieses Moments durch die
politischen Erfahrungen seines Vaterlands aus der nächsten
Vergangenheit hingetrieben finden, denn gerade die ange-
zugehe Willkiihr der Individuen war ^as Verderben Grie-
chenlands und besonders Athens im peloponnesischen Kriege
gewesen ^). Wir haben so hier die Erscheinung, dass
der griechische Geist in demselben Augenblick, in dem er
sich aus der Wirklichkeit in seine Idealität zurückzieht,
doch zugleich diese Losreissung des Subjekts vom Staat
als sein Verderben erkennt, und die gewaltsame Unterord-
nung des erstem unter den letzteren fordert. Nur ist da-
mit der Zusammenhang von Plato's Politik mit seinem ei-
genthümlichen philosophischen Princip noch nicht er-
klärt. Dieser aber liegt in der Transcendenz der Platonischen
Ideen. Indem die Idee hier als fürsicfaseiende Wesenheil
bestimmt ist, die der Erscheinung zu ihrer Verwirklichung
1) Gesch. d. Phil II, 244 t
. ^) Vgl. ausser maDchttn Addern R^p. VIII, 557, A ff. 562, B ff%
30a . Die Platonitcbe Ethik
nicht bedarf, ebenso aber die Erseheiniingiwek aU da«
»einer Natur nach von der Idee Yerlaeaene, indem nur
das Allgemeine das Wirkliehe sein soll, das EiiiBelne a(s
solches das blosse Nichtsein des Allgemeinen, und so auch
im Menschen die sinnliche Seite seiner Natqr, die natur*
liehe Grundlage der Individualität, nur ein su seinem ur*
sprSnglichen Wesen nicht gehöriges Anhängsel, so kann
auch die Darstellung der Idee im menschlichen Leben nicht
in der freien Entwicklung der Individualität, sondern nur
in ihrer gewaltsamen Bestimmung durch das ihr äusserlieh
gesetste Allgemeine gesucht werden* Die Platonische
Staatseinrichtung ist daher die härteste Unterdrückung der
Subjektivität; wie Plato in der Physik des WeliUldnera
bedurfte, um die Materie gewaltsam der Idee mu unterwer*
fen, so bedarf er in der Politik der absoluten Herrscher*
macht, um den Egoismus der Individuen zu bändigen. Auf
den ans der freien Bewegui^ der Einseinen sich erzeugen*
den Gemeingeist kann sich diese Politik nicht verlassen,
die Idee des Staats mnss als ein besonderer Stand existiren,
in dem sie sich aber aus demselben Grunde der Einzelnen
nur dadurcb bemächtigen kann, dass diese alles dessen,
worin das individuelle Interesse Befriedigung findet, ent*
kleidet werden ^). Es findet hier also ein entsprechender
Zusammenhang des Praktischen mit dem Theoretischen
statt, wie in der mittelalterlichen Kirche, die dem Plato»
niscben Staat mit Recht verglichen worden ist ^). Wie
die theoretisch vorausgesetzte Transcendenz des Göttlichen
in dieaer auch die praktische Trennung des Reichs Gottes
von der Wdt, die äusserlicha Beherrschung der Gemeinde
durch die ihr jenseitige und unzugängliche, in einem ei«
geaett Prieatarstande oiedernelegte Glaubonswahrheit, ebonso
1) Vgl. Rep. V, 465, E ff.
2) Von Bkvn das Chrisiliobe d. Fiat. Tüb. ZeilMhr. 1837, 3, Sd*.
Die Platonische Ethik. SOS
aber fiir diesen di« Lossagung von den wesentlichen indivi-
duellen Zwecken in Priester- und Mönchsgelübden zur Folge
hatte, so sind auch für die Platonische Staatslehre aus ähnlichen
Voraussetzungen ähnliche Conseqnenzen hervorgegangen.
Nur anhangsweise kann hier von der Platonischen
Aesthetik gesprochen werden. Plato redet sehr oft vom
Schonen y in seiner Lehre von der Liebe besonders spielt
der Begriff der Schönheit eine bedeutende Rolle. E^benso
lässt er sich oft genug auf die Kunst ein ; die Anforderungen
der Republik an die Poesie und Musik und die Aeusserungen
des Phädrus und Timäus über die ^avla mussten schon
oben berührt werden. Nichtsdestoweniger bildet die Aesthe-
tik keinen eigenen Theil seines Systems. In keinem seiner
ächten Dialogen ^) hat Plato den Begriff des Schönen oder
das Wesen der Kunst für sich zum Gegenstand seiner
Forschung gemacht , und so wird man sich auch im Gan-
zen seines Systems vergeblich nach einer Stelle umsehen,
wo sich ästhetische Untersuchungen organisch in dasselbe
einfügten. So bleibt auch schon der Grundbegriff der
Aesthetik, der Begriff des Schönen, bei ihm sehr schwankend,
und sieht man auch aus dem Gebrauche dieses Worts
wohl, dass er damit die Idee vorzugsweise insofern be-
zeichnen will, als sie in die Anschauung tritt ^), so redet
er doch ebensosehr auch von der Schönheit der Wissen-
schaften u. s. f., so dass ihm die Idee des Schönen immer
wieder mit der des Guten und Wahren zusammenfliesst 3).
Aehnlich verhält es sich auch mit seinen Aeusserungen über die
Kunst. Nach der einen Seite wird dieKunstalsNachahmungdes
1) Den grössern Htppias und den lo vermag ich trotz der Gunst,
die ihnen neuerdings wieder zugewendet worden ist, nicht zu
' diesen zu rechnen, auch sie übrigens würden die obige Behaup-
tung nur unwesentlich modificiren , da weder der Hippias auf
irgend ein positives Resultat hinarbeitet, noch «ler lo das Wesen
der künstlerischen Begeisterung gründlicher untersucht.
2) Phädr. 250, B. D. Symp. 210, B.
3) Symp. 210, C ff. Bep. III, 402» D. Phileb. 64) C ff. 66» B- Ge-
304 ^'^^ Platonische Ethik.
Wirklicheo, tiad ebendamit als einTheil der Fertigkeit beseich«
nel, Scheingebilde an die Stelle der Wahrheit zu setien ^), ihre
Quelle ist theils unklareBegeisterong (fiavia)^)y theiU un wissen*
schaftliche Empirie 5), ihre Wirkung, wenigstens in der Regel,
moralisch nachtheilig % und, wie Plato vpm koMilschen und tra-
gischen Genuss behauptet 5), auf die Erregung tadelnswerlher
Affekte gegründet. Nach der andern Seite wird der sittlicb«^
Nutzen der Kunst, namentlich der Musik, anerkannt, und ihr«
eigentliche Aufgabe in der Darlstellung des sittlich Schönen,
oder genauer, in der Nachahmuiig edler Charaktere gefun-
den % und ebenso wird in der bekannten Forderung 7), dass
der wahre Dichter glerchsehr Tragiker und Komiker sein
miisste,die Idee einer auf wissenschaftlicher Einsicht beruhen-
den KunsttbMtigkeit angedeutet. Dafür wird nun aber diese
von Plato gebilligte Kunst so ganz in den Dienst des Staats
und der öffentlichen Erziehung gezogen ^), dass Ttir die eigen-
thiimlich ästhetische Betrachtung derselben kein Raum ifiefar
bleibt. Finden wir daher bei Plato auch einzelne dahin ein-
schlagende Winke und Bemerkungen, hinsichtlich deren auf
die bereits angeführten Schriften verwiesen werden mag, so lag
doch eine Theorie der Kunst als solche nicht in seiner Absicht.
nauercs übet* den Platonischen Begriff des Schönen s. b. £. Müllir
Gesch. d. Theorie d. Kunst b. d. Alten F, 57—7}* Zum Folgen-
den überhaupt vgL eben diesen u. Rugb Platonische Aesthetik.
1) Phädr. 248, E, Soph. 219, B. ^33, Dff. 266, C Rratl 423, C f.
Polit. 306, D. Rep. X, 595, C-608, R. Gess. IV, 719, C. X,
889, C f. u. ö.
2) Phädr. 245, A. Apol. 22, B. Meno 99, D. Gess. IV, 719, C.
(lo 533, D ff.)-
3) Phileb. 55, E. 62, C. vgl. Rep. X, 601, C. 605, C.
4) S. o. S. 295 f. u. Rep. X, 595 ff» Gorg. 501, Dff. — etwas mil-
der äussern sich die Gess. VII, 816, D ff. 798, E ff. ,u. ö. Tgl.
MvLLBR a. a. O. S. 90. 102 f. 121.
5) Phileb. 48 ff. Rep. X, 606, A ff.
6) Rep. 111, 398, A f. 400, C ff. Gess. U, 654, B. 655, B. Vllf,
838, C. u. ö.
7) Symp. 223, D. Tgl. Gess. VII, 816, D.
\S) S. o. S. 295 u. Gest. If» 652. 665.
Das Verbaltniss d.PIat. Philosophie «.Reliigtoii. M&
§. 23.
Das VerhäUniss der Platonischen Philosophie zur Religioiu
Erst jelzt| nachdem wir die Platonische Philosophie
ihrem systematischen Zusammenhange nach vollständig ken-
nen gelernt haben, kann auch von den theologischen nnd
religiösen Elementen derselben gesprochen werden, da diese
einestheils, eben als theologische, keinen integrirenden Be-
standtheil des philosophischen Systems ausmachen, andern«
theils sich mit diesem so vielfach berühren, dass sie kaum
nn einem einselnen Punkte des Systems eingeftigt werden
können. Wir können dabei das VerhäUniss desPlatonts*
muszurVolksreligion und zum Monotheismus unterscheiden.
Dass nun Plato die Vorstellungen des griechischen
Polytheismus von einer Vielheit und sinnlichen Gestalt
des Göttlichen ihrem eigenthiimlichen Sinne nach nicht zu
theilen vermochte, erhellt aus den ersten Anfangsgründen
seiner Philosophie so unmittelbar, dass wir kaum nöthig
haben, uns zum Beweis dieses Satzes ausdrücklich noch
auf die Freiheit, mit der er diese Vorstellungen in mythi-
scher Darstellung benutzt und verwirrt ^), und auf die
Polemik der Republik ^) gegen die anthropomorphistischen
Vorstellungen der Dichter zu berufen — > denn dass auch
die letztere unmittelbar die Volksreligion selbst triffit,
liegt am Tage: was Plato die Darstellung der Dichter nennt,
ist die griechische Mythologie überhaupt; „Homer undHe-
siod haben den Hellenen ihre Götter gemacht.^ Das Merk-
würdige ist nun aber, dass er die Vorstellungen des Volks-
glaubens darum doch nicht schlechtweg verwirft, sondern
einen Kern der Wahrheit aus ihnen zo gewinnen sucht
Z. B. Symp. 190, B ff. Polit 271) G f. 272 f B» Phldr. fB2f
C ff.
2} II, $77 ff. in, 588, C ff. 590, B ff. vgl Theit. 151, B. 17^ 0.
Pfaädr. 247> A* Tim. 29, E«
DU PhUoiopliie aer Gritcheii. II. TbeiL 20
D«f Verliiltnitt.d. Plat Philosopbi« t. Religi^ib
Zwar htit er nicht viel auf die in seiner ^eit ge^vöhn*
liehen physikalisch • allegorischen Mythendeutangen ^), theils
weil er die Unsicherheit und Unfruchtbarkeit solcher Er«
klärnngen erkennt, theils auch weil, nach seiner richtigen
Bemerkung, das Volk und die Jugend die Mythen nicht
aach ihrem Terborgepen Sinn, sondern nach ihrer unmittel-
baren Bedeutung auffasst. Nichtsdestoweniger soll der
GSttervorstellung überhaupt eine Wahrheit zu Grunde liegen«
Diese findet Plafo theils im Allgemeinen im Glauben an
^in Göttliches, wenn er selbst sich des Ausdrucks &eol
vielfach für die Gottheit überhaupt bediene, theils aber,
was die besondere Bestimmtheit jener Vorstellung, die Viel«
heit von Götterp betrifft, darin, dass wirklich gewisse Mittel-
wesen zwischen der absoluten Gottheit und dem Menschen
angenommen werden müssen. Diese Mitt Awesen aber sind
ihm die Gestirne. Nur diese sind es, welche der Ti-
m&ns (39, E ff.) beschreibt, wo er von der Bildung des
llimmlischen Geschlechts der Götter reden will, sie sind
die gewordenen Götter, welche die edelsten Bestandtheile
des Einen geschaffenen Gottes, der Welt, ausmachen, der
himmlische Chor, dessen Zug durch den Himmel der Phäd-
fus sohildert ^); „was aber die andern Götterwesen be-
trifft, so übersteigt es unsere Kraft, von ihrer Bildung zn
reden; wir müssen aber wohl, dem Gesetze folgend, denen,
die früher darüber gesprochen haben, Glauben schenken,
" yrenn sie auch ohne wahrscheinliche und zwingende Beweis-
gründe sprechen mögen,' da sie ja Abkömmliiige der Götter
waren, wie sie sagten, und ihre Vorfahren selbst am Besten
gekannt haben werden." Das heist mit andern Worten:
iti der Platonischen Philosophie können diese GötterVbr- \
- Stellungen keinen Platz finden, Plato hat aber Gründe,
i) Plilldr. 819, C. f. lUp. ra, 578, p.
3) 346, £ ff. Tgl. dasu Bocilh Pbüolaas S. 101 ff«
Das VerhältnUs d. Plan Philosophie «•Religion* Mf
^cfa niebl direkt gegen dieselben su erklärtem Nui
Gestirne können es daher auch soia^ deren Mitwirkung bei
der Bildung des Menschen der Philosoph seiner eiigentlicheif
Meinung nath annimtnl, wenn er gleich dieselbe (Tibi« 41,
A) auf alle geschaffenen Göltet ausdehnt« Diese Bedeo^
tung der Gestirne wird weniger Auffallendes für uns haben,
wenn wir erwägen, dass Plato nicht nur die Welt über-
haupt f&r beseelt hält, sondera ebenso aucb die einEelaeii
Gestirne, an die gewohnliche Vorstellung der Alten an*
schli^isend, für selige vernunftige Wesen, die in der Voll«
koutmenheit ihrer Gestalt und Bewegung die GleichfSrItoig*
keit, das Maass und die Harmonie der Idee nachahmen ^)»
Im Zusammenhang damit sagt er auch, dass die Gestirn«
den Menschen nicht blos Vorzeichen der Zukunft senden
(Tim. 30, C f.), sondern auch wirklich Auf die mensch«
liehen Schicksale Einflussf haben, wie denn namentlich dir
Erzeugung durch den Lauf der Gestirne tbeilweise beherrscht
se|in soll ^), und wir dürfen wohl annehmen, dasit es ihm
auch mit dieser Aeusserung in der Hauptsache Ernst ist»
Ja er macht der Volksreligion noch ein weiteles Zoge*
ständniss. Dem hellenischen Charakter seines Staates goi»
mäss soll in diesem auch der vaterländische GettMÜeneC
eingefiihrt, und die Bestimmung Hüncher Punkte dem del«
phischen Apollo überlassen werden 3). SoHiiEiBBMACHSm
hat gewiss richtig gesehen, wenn er hierin die Ueb^teu-
gung erkennt, dass auch die hellenische Mythologie Wahriiek
enthalte, und dass ohne eine votksthümlieke Grui^ag#
keine Staatsreligion möglich sei ^) ; wollte^ man jedoch wei«
1) Tim. S, 40. 58, E ff.
2) Bep. VIH, 546. D» geaauere Erklürang dieser berOhmten St^
gdiört nicht bieher; übrigena gestehe ich,gerD0, sie auch aifihl^
genügend -ge)>en su können.
3) Bep. IV, 427, B f. V, 461, E. VIT, 540, C
4) 1^1» sur Bep, S, 19 f.
20 ♦
SOS Bas Verhältniss d.Plat Philosophie e.Religioii.
ter daraas scfaliess^n, daiss auch Plato für sieh selbst der
dötterTorstellong in dieser ihrer Uoinittelbarkeit theoretische
Wahrheit beigelegt habe, so würde man schon nach dem
Obenbemerkten gewiss fehlgreifen; ausdrücklich rechnet er
ja die Mythen (Rep. 377, A) zu denLügen, mittelst deren
die Staatsbürger erzogen werden müssen, der Werth dieser
Mythen aber liegt ihm, wie wir bereits wissen, nicht in
ihrer theoretischen Wahrheit, sondern in ihrer sittlichen
Wirkung.
Ungleich schwieriger ist die Untersuchung über das
Verhältniss der Platonischen Philosophie zum religiüsen
Monotheismus, und die Bedeutung, welche die Vorstellung
der Einen Gottheit für sie hatr Zunächst liegt hier so viel
am Tage, dass diese Bedeutung nur im Verhältniss jener
Vorstellung zu dem philosophischen Princip des Platonischen
Systems, den Ideen, gesucht werden kann. Für diese könnte
sie nun in dreierlei Art nothwendig sein: die Gottheit
könnte als die Ursache der Ideen selbst, oder als die Ur-
sache ihrer Verwirklichung in der Erscheinungswelt, oder
ah mit der Ideenwelt oder der höchsten Idee identisch
postulirt werden — denn ein vierter Fall, dass die Gott-*
heit das Produkt der Ideen wäre, ist durch den Begriff der
Gottheit unmittelbar ausgeschlossen ; nur die Welt und ihre
Theile werden auch von Plato als gewordene Götter he*
zeichnet, denen der Tim. 34, A den ael mv dto$ entgegen-
stellt. Von diesen drei möglichen Annahmen ist uns nun
#ie erste, dass die Ideen Produkte der Gottheit seien, schon
früher (S. 197 f.) in der Auffassung der Ideen als ewiger
Gedanken Gottes vorgekommen. Konnten wir uns aber
derselben in dieser Wendung nicht anschliessen, so muss
aaoh im Allgemeinen gegen sie bemerkt werden, dass die
Ideen, als ewige Wesenheiten^ auf die göttliche Ursäch-
lichkeit nur insofern zurückgeführt werden Jtönnen, wiefern
Gott der immanente Grund der Ideen, d. k. die höebste
Pas V^riiältai»s cLPlatPhiloftophie«. Religion. S09
Idee oder die Ideenwelt selbst ist, dass daher diese Anr
sioht jedenfalls auf die, welche wir ak die dritte genannt
haben, zurückgeführt werden müsste, wogegen die Vorstel-
lung von einem persönlichen Wesen, das die Ideenwelt
als eini von ihm Verschiedenes erst hervorgebracht hätte,
mit der ewigen Natur der Ideen unvereinbar ist. Weh
«lehr kann die Ansicht für sich anfuhren/ welche den Ideen
Gott als das bewegende Princip cur Seite stellt, durch das
die an sich unbewegten, als ruhende Urbilder dastehenden ,
Ideen in die Welt eingeführt worden seien ^). Soboft
Aristoteles ^) hält der Ideenlehre die Frage entgegen,
was denn das Wirkende sein solle, das die Dinge dien Idee» /
»achbilde, und auch wir haben anerkannt, dass in den
Ideen das bewegende Princip fehle, das sie zur Erscheinung
forttreibt. Eben diese Lücke scheint nun der Begriff der
Gottheit auszufüllen, wie ja der Timäus seines Weltbild«
ners offenbar nur desswegen bedarf, weil er ohne ihn keine
bewegende Ursache hätte. Auf dieselbe Annahme scheinen ,
alle die Stellen zu führen, in denen der i^ovgj oder noch
bestimmter der göttliche Verstand als die Ursache der Welt
und ihrer Einrichtung gen£(nnt ist ^). Nichtsdestoweniger
ist auch diese Ansicht in der obigen Fassung nicht ganz
richtig. Um nichts von der naheliegenden Einwendung zu
sagen, dass wir so entweder zwei von einander unabhängige
höchste Principien erhielten, oder doch wieder das eine
derselben aus dem andern abgeleitet werden müsste, sei
es nun die Ideen aus der Gottheit oder die Gottheit aus
den Ideen, und dass sich in jedem dieser Fälle .wieder
vielfache Schwierigkeiten ergeben würden , so schreibt
Plato selbst eben das, worin nach dieser Ansicht die eigen-
1) BRiLNDis a. a. O. S. 327 ff.
2) Metapb. I, 9. 991, a, 22 u. 6. -
3) Phädo 97, B ff. Pbüeb. 23, D. 28, D f. 30, C. Tim. 28, A.
Soph. 265, C £
SlO Das VerhältniM d« PUt Philotopbie s. RelfgU«.
4liSni)iche BMleatang der Gottheit liegen soli, nmi was er
auch wohl selbst auf die Gottheit snrOckrührt, anderwärts
wieder der Idee su« Im Sophisten S. 248, E ^) wird das
sehleehthin Wirkliche überhaupt, d. h. die Ideen^ als ein
Denkendes nnd Belebtes dai^estellt, der Parmenides S. 134,
C Bchliesst ans der Voranssetzungi dnss die Ideen ffir sich
«nd vom Sinnlichen getrennt existiren, die Götter konnlMi
ftichts von nns, nnd wjr nichts von den Gottern wissen,
4er Philebns S. 30 , C f. lässt die königliche Vernunft auch
den Zeus erst durch die aiua^ unter der hier nur die Idee
verstanden werden kann, mitgetheilt sein, und die Republik
»ennt die Idee des Guten als dasjenige, was ebenso dem
Erkennenden die Kraft, als dem Erkannten die Wirklichkeit
verleihe ^). In diesen AVnsserungen nimmt die Idee , oder
1) Di« Stelle selbst ist tchorn S. 200 abgedruckt, Genaueret darQber $, u.
2) VI9 5889 D : Ibvro roivw ro t^v aktj&uay naQl%Qp xoT» yiyvüM^
nofAivoa not rtf ytyfWOKovn tt^v SvvafitP anoSMv ri^v toü dyct^
.&0V tSiap tpa&i tivaif ahlav ^ intavtififjQ ovaav mal yiXfj&daS
nk Ytyvmouo(Airrj9 fUß Stnvosvj ovfM Se tmlätw a/npori^v ovxvtv^
yptioidk T§ uml ahj&iias, alXo »o» udlXtQV «r* tpvtißnf t}yovfAsyof '
avTO 6^&wg f]y^oii' 509« B: Kai roiS ytyvwünof*ivoif Toivvv
fitj fiovov ro ytyvoiijutad'at fdvat vno tov dyad'ov nagtivai^
mild Hai ro 9hai r9 nal ri^t' oißla» vn insipov avroU ir^Htitmtj
OVH otoittQ 0VT09 TOV dyad'oVf dkl' ^r» inittHp« r^s ovoiae 7T^9Q^
fitt'/f Kai iwdftH. Diese berfihmte Stelle ist neuerdings von
yjLV Hbvsdb Init phil. plat II, 3, 88 if. und H^bmann (Jahns
Jahrbb. 1. Supplementb. S. 626 ff' Vindiciae Disput de id. boni
S. 15 ff*} unter Beistiromung Staixbauhs (Proll.inTiai.$.46ff09
Tbbnoblbbbvb6S (de Philebi consil« S. 17 ffO) WbhBkabbs
(Pkt de s. bono doctr. S. 70 ff.) und Möllbbs (Theodiceac
Plat lineam. S. 7 f*) so erklärt worden, dass die Idee des Guten
nur den Tom göttlichen Verstände angeschauten absoluten Zweck
beseicbnen sollte, auf aen die ganse Welteinricbtung bezogen
sei. Wie jedoch von diesem gesagt werden könnte, dass er die
Ursache des Seins und &rkennens sei, dass er (Rep. VII, 517,
G} für Alles die Ursache alles Schönen und Guten sei, in der
sichtbaren Welt das Licht und die Sonne enseugei in der geisti-
gen Urquell (nv^tos) der Wirklichkeit (denn diess^ die Wahr-
heit des Seins, bedeutet hier dXtj&tta) und Vernunft sei — Aus-
Da» VerbSltnias d. Plat. Pbilosopkie z. Religio A. ^1
bestimmter die Idee des Gaten genau dieselbe Stelle ekt,
wie sonst die Gottheit, und wird ebenso, wie <Ke8e, ak
der Urgrnnd alles Seins und das hdchste Seiende i)esehr{ebeD,
was nur dann etwas Anderes, als der vollkommene Widern
Spruch ist. Wenn die Idee des Guten von der Gottheit Sbem
baupt niclit versehieden, sondern eben nur sie selbst ist.
AusdrüeUfch «agt ja aber diess der Philebus ^). Diess also
Werden wir als Plato's eigentliehe Meinung ansehen dürfen,
dass Gott mit der Idee des Guten identisch sei. Dass dann
statt der letztern, wo es sich nicht um genauere Untenohek
düng derselben von den übrigen Id^en handelt, aueh die
Ideen überhaupt die Ursache des Seins genannt werden,
diess kann so wenig befremden, als dass statt des Singular
a^eo^ unsähligemale d'eol steht: die Ursache des Seins übe^-
baupt sind die Ideen, die höchste Ursache aber ist die
hdehste Idee, das absolut Gute oder die Gottheit.
Ob sich nun Plato diese höchste Ursache als persön-
liches Wesen gedacht habe, oder nicht, ist eine Frage, auf
driicke, die doch offenbar den BegrilT der wirkenden Ursache
enthalten, haben auch die Genannten nicht erklärt. Ich halte
e» daher für noth wendig , mit Schibiebmachsr Einl. z. Phileb.
S. 134, RLtTsk Gesch« d. Pbil. II, 311 ff., Brandis 6r«-rö«.
Phil. II, a^ 281, Bonitz Disputatt. Piaton. duae S. 5 ff. u. A.
die Idee des Guten als die an und für sich wirkliche absolute
Idee, und ihre Ursächlichkeit nicht blos als die der En^MTSache,
. sondern auch als die der wirkenden Ursache außiufassen.
1) S. 22, C: *ßff ftkp Toivvv Tijy ys 0iXf^('fov ^iav ov Sil Stewotcff-
S'a^ Tairov xal rdyud'ov, ixavojs etgijaOal fiot Soxet* — Oväi
yag o aos vovi, tu ^ujxQaTsf^ I'qh rdya&ov, dlX' eisi Ttov ravta
ifxltjuaefsa: — Tax «V, oi ^Xtjßiy ö yifioS' qv fJkivroi tov ys
dkri^ivov üfia xal O'itov ol/nai votvy dlk* all(uS nuts l'xetv, DaS8
sich die letzteren Worte nur auf die Gleichstellung des vovi mit
der '^^ov^ beziehen (Hbbhakn Vind. S. 18) kann nicht gesagt
werden ; diese Gleichstellung besteht ja nur in dem lyxktjfia^ dass
auch der v9vi mcht das Gute sei^ in anderer Beziehung konnte
der menschliehe so wenig als der gditliche vövi der ^ov^
gleichgestellt werden*
81S Dat VerhaUnTsa i, Fiat Philoaopbie s. Reli^oa.
jtte tUk kaum eise ganz bestiminte Antwort g^n Itet«
Hfdtan wir uns ao die Consequens seines Systems, so dürfte
er keinen persönlichen Gott an die Spitge deetelben .gestellt
liaben ^). bt die Idee fiberliaupt das Allgemeine des Be-
griflb, nnd nur diese» das wahrhaft Seiende, so kann andi
die absohue Idee oder die Gottheit nur das absobil Allge>
meine sein; ein persönlicher Gott könnte das^ was er ist»
nur dureh Theilnahme an der Idee der Gottheit sein^ es
kilme ihm mithin selbst erst ein abgeleitetes Sein au. A»>
iereiselts musste. eben der oben angedeutete Mangel eines
bewegenden Principe in den Ideen Plato die YorsteHung
eines persönlichen Weltbildners und Weltregenten fest unent-
behrlich machen. Demgemäss sehen wir ihn denn in my*
thischer oder populärer Darstellung, wie ii|i Timfius und
Phädo ^) unzähligemale von Gott oder den Göttern reden,
und unter Voraussetzung dieser Vorstellung eine sehr reine
Idee der Gottheit aussprechen '); macht aber schon das
häufige dtol auch das ^eo^j mit dem es nicht selten gleichbe-
deutend gebraucht ist, verdächtig, so ist noch auffallender,
dass Plato da, wo er streng philosophisch redet, der per*
sÖnlichen Gottheit neben der Idee nur eine sehr unsichere
Stellung anweist So erklärt der Sophist^),, das schlechthin
Seiende könne nicht ohne Bewegung, Seele und Einsicht,
sondern nur als beseelt und vernunftig gedacht werden;
diesa^emerkung steht aber hier im Zusammenhang einer
ganz allgemeinen Untersuchung SbeHSein und Nichtsein, um
die Vorstellung, dass nur die ruhenden Begriffe das wahrhaft
Wirkliche seien, zu widerlegen, sie kann daher hier auch
nur allgemein auf das iftofg oV, d. h* die Ideenwelt, besogen
1) 11^ dieM adion Hssbabt Lebrb. s. EinL io der Pbil« 1813.
S. 146 riobüg bemerkt.
2) 69, B ff. 6S, €, ill, B. Tgl. Tbeat 176. AI
5) Man sehe hieraber Baiarus •• a. 0. S. 3S9C
4) S. o. s. aoo.
&A»Verbälliit9^6 d. Plat Pfciloftopliie z. Religi<»B. tU
werdeD ^). Das Gi#iclr& gilt von der t>beB erwälmlen Aeugse-
raiig d^sParmeBides 134, Cff«, dass das Wissen an sieh
lind die Herrsehaft an sieb nur bei der Gottheit sein ktfnne,
dass man daiier die, ^nsicbseienden Dinge oder die Ideen
vdn der diesseitigen Welt nieht lostrennen Icönne, ohne die
BesKebung der Gottheit auf die Welt ubd umgekehrt aufsct«>
heben. Wenn hier gleich die Vorstellung der G<^hek ,
2wiseheneingeschoben ist, so wird doch die Beziehung der E^
seheinnng auf die Idee mit der Beaiehnngder Welt auf die Gott«
heit so unmittelbar identisch gesetzt^dass der philosophische Ge-
halt dieser Stelle am Ende doch mit dem im Sophisten Gesagten^
dass die Idee zugleioh als lebendige nnd schöpferische Veiw
imnft gedacht werden müsse, zusammenfällt. Nieht weiter
f&hrt auch, was oben über die A1)lettang der Natur aus dem
wvq beigebracht worden ist, denn so unmöglich es uns
vielleicht scheinen mag, eine Vernunft anders, denn als Per-
sönlichkeit zu denken^ so ist doch diese Unmöglichkeit ful-
die Alten nicht in gleichem Maasse vorhanden; schwerlich
wird man wenigstens den weltbildenden fovq des Anaxagoras,
der allem Lebendigen inwohnt, oder die Weltseele Plato*»)
oder gar die intelligente Luft des Diogenes von Apollonia
für Persönlichkeiten im Stengen Sinne des Worts halte*
können ^). Wird endlich in der vielbenützten StelU des
i) Denn dass Plato hier üur tx Jqrpotheii, gegen die Ekaten, irgo«
mentire, und aeine Aeusserung nur besage : »da unter dem wahr-
haft Seienden auch der Geist ist, so liann dasjenige, was alle«
Sein in sich fassen soll, nicht ohne Vernunft nnd Bewegung
aein,« Itoanen wir äxnMAHN (Vind..Disp. de id boni S. 32)
nicht siigeb^n. To <9r. ov heisst nicht: der Inbegriff alles Seins,
aondern: das absolut Wirkliche, und dass dieses hier nur im
eleatiscben Sinne genommen werde ist mit nichts angedeutet ^
der Zusammenhang ist vielmehf der: da das scblech^ui Seiende
überhaupt nieht ohne Vernunft gedacht werden, kmem, so müsste
diese auch dem Eisen Sein der Eleaten beigelegt werden.
2} Wie sehr man sieh überhaupt hüten moss, überall, wo Plato in
I
t
• 4
j|f4 DAsVerhältAis« cUPUt PhüoAop^bi« s. Eeligion.
Pkileblis 3d, C erkh&H: die UrtRcbe von AJUm mötie
W«i9beit and yeraiiiift.<ein, diese aber k&fmea Dkbt oIum
Seele gedacht werden; in der Natur de»Zeas^ ann sei dereh
die Kraft der Ursache eine königliofae Seele and eine k&nig»-
liebe Vernonft, so bat doch aaoh diese Stelle, imZasam-
menbang betrachtet, einen etwas anderen Sinny als man aa»
nächst meinen könnte. Denn wenn hier die aixia von Zeus
noch anterschieden , und als dasjenige beseichnet wird, wjm
ihm die Vernanft verliehe, so kann Zeus nicht mit der hdcheten
Ursache selbst oder der Gottheit im absoluten Sinn identiscfa
sein* Was vielmehr hier die Seele des Zeus genannt wird,
muss dassdbe seidi wie die vorher (S. 30, A f.) erwähnte
S^e des All, wie denn auch in der Beschreibdng beider
theilweise die gleichen Ausdrücke gebraucht sind. Aus
alle dem folgt nun freilich gewiss nicht, dass Plato eine
persönliche Gottheit als oberste Ursache mit ansdröcklicbem
Bewusstsein verneint, und an ihre Stelle die unpersdafHehe
Idee gesetzt hätte; warum ihm dies» aamögliob sein musste,
hat schon unsere, obige Darstellong geieigt ; wohl aber er-
glebt sich aus dem Bisherigen, dass er die Frage über das
Yerhältniss der Gottheit zur Idee noch zu keiner klaren
£ntsdieidang gebracht, und daram auch oboe aUen Zweifel
noch nicht klar and bestimmt aufgeworfen hat, dass ihü
die Idee und die Gottheit immer wieder zusammenfliessen^
dass er die Vorstellung des persönlichen ^Gottes hat
nnd gebraucht, aber den Begriff desselben weder abgeg-
leitet, noch durch sein philosophisches Princip möglich ge-
macht, noch auch nur gesucht hat.
Wollen wir nach diesem über den vielgerübmten reli-
pepsönlicber Weise von derGottlieit tpricbt, auch an den streng
pbüosophiscfaen Begriflf der Persönltcbi^k au halten, kann auch
der Anfeng des Kritias «eigen, wenn hier Timäus den geworde-
nen Gott, d. b. den x99ftoe^ anfleht, von dem, was er gesagt, das
Gate iäm su bewahren, das Schleditc su Terbeasem«/
Da« VefkältaUd d. Plai. Pbilos^pkie t. Religion. SK
giöseti Charakter der Platonischen Pbileaopbie nrthetkn, so
wird derselbe anr ihetl weisä in ihrem eigentlich phiioso^
phtschen Prinf>ip gesteht werden können. Dieses Princip,
theoretisch angesehen und in der Strenge seiner wissensehi^
liehen Coasequens ausgeführt, würde die religiöse Anschan*
nngsweise von Grund ans, auflieben ; nur die Grenze seiner
V pfaik>sophischen Consequenz ist es, auf der* es sich theils in
populärer theils in mythischer und halb mythischer Dar-
stellung mit der religiösen Vorstellung berührt. Dagegen
hat der Piatonismus allerdings eine Seite, durch die er aneh
als philosophisches System an die Religion anknüpft, die
ethische. Wie es der Religion nicht um theoretisches Wis*
sen als solches, sondern um das Theoretische nur in nnd
mit seiner praktischen Anwendung au thun ist, so %ektm
wir auch bei Plato das Wissen und das Handeln noch nicht
so, wie bei Aristoteles und Andern getrennt, sondern beide
in einander; das wahre Wissen ist ihm noch unmittelbar
ein praktisch lebendiges, das rechte Handeln aufs philoso-
phische Wissen begründet, und die Wurzel der Sittlichkeit
und der Philosophie eine und dieselbe, die Begeisterung für's
Schöne und Göttliche, der Eros. Diese ethische Grundstim-
mung des Piatonismus ist vorzugsweise das Religiöse in
ihm, die einzelnen Vorstellungen dagegen, in denen man
seinen religiösen Charakter gesucht hat, sind grösserentheils
blosses Aussenwerk oder inconsequentes Zurücksinken in
die Sprache der Vorstellung.
Fast ebenso nöthig, als die allgemeinere .Untersuchung
über den religiösen Charakter der Platonischen Philosophie,
möchte Manehem die Erörterung ihres Verhältnisses zum
Christenthum scheinen. Es ist bekannt, wie viel hier-
über in älterer ujid neuerer Zeit geschrieben worden ist ^).
1) Neuere Haupttciiriften über dieaen Gegeostand sind: B^ub das
Gbri»tliclie des FlatODismus oder Sokrates uad GlHnstiaft. Tüb.
316 Di« spätere FoDoi der Platonisclitn Lehr«. ~
Der Werth solcher Untersacbangen soll nun im Allgemeineo
nicht geliugnet werden, hier jedoch können wir uns nicht
auf sie einlassen. Das Interesse^ dem sie dienen, ist nftm»
lieh offenbar sunfichst nicht das gesohiohllich philosophische,
sondern das theologische. Schon die Fragestellung, wie sie
gewöhnlich gefasst wird, ist eine dnrchaus theologische.
Man fragt nach dem Christlichen im Piatonismus, als ob das
Christenthnm die Voraussetzung der Platonischen Philosophie
wäre ^), und nicht vielmehr diese eine von den Voraus*
setsungen und Qudlen von jenem. Die Sache streng ge*
schicbtiich genommen dfirfte nur nach dem Platonischen
Element im Christenthnm gefragt werden; Diese Frage ge-
hört aber nicht mehr in die Geschichte der Philosophie,
sondern in die der christlichen Dogmen.
$.24.
Die spatere Form der Platonischen Lehre. Die ältere Akademie.
Unsere bisherige Entwicklung hielt sich an diejenigen
Quellen, welche die ursprüngliche Gestalt des Platonischen
Systems am Reinsten darstellen. Ist aber diese auch seine
einzige Gestalt, oder hat es von seinem Urheber noch eine
spätere Umarbeitung erfahren? Für die letztere Annahme *
kann zweierlei benützt werden : die Berichte des Aristoteles
Zcitschr. f. Theol. 1837) 3. AcHSSMAira das Christliche im PlatD
' und in der platonischen Philosophie. Hamb. 1835. Eine tref-
fende Kritik dieser Schrift giebt Baub a. a. O. in der Einleitung.
1) Diess war auch wirklich 4)ie Vorstellung derer, welche die hohe
Meinung vom Christlichen im Piatonismus suerst aufgebracht,
haben, der alexandrinischen Kirchenvater. Wie die ebräiscfaea
Propheten nicht aus dem Geist und der Geschichte ihrer Zeit,
sondern aus der ihnen wunderbar mitgetheilten christlichen Ge-
schiebte und Dogmatik geredet haben sollten, so sollte auch Plato
aus der Quelle der christlichen Offenbarung, sei es nun der in-
neres, dem Logos, oder der üosseren, dem Alten Testament ge-
schöpft haben.
Die »pätere Form der Platonischen Lefar^ SIT
üfber die Platonische Lebre uqd diel Sehrift von den^Ges^tseo*
Jene scheinen eine eigene Verbindung der Ideenlehre mit
der Lehre von den Zahlen, und eine hiemit zasaminenbän-
gende Theorie von den Elementen der Ideen, diese ein Zu-
rücktreten der Ideenlehre gegen populär religiöse Vorstel-
lungen und mathematische Formeln und eine der gewöhnlichen
Denkweise näher stehende Ethik und Politik als Eigenthüm-
lichkeiten der spätem Platonischen Philosophie zu beurkunden.
Von der Aristotelischen Darstellung mussten wir nun schon
früher sprechen, und wir haben gefunden, dass dieselbe
keinen hinreichenden Grund abgiebt, uVn in den Platonische«
Vorträgen, die ihr Urheber gehört hat, wesentlich andere
Lehren, als in den Schriften, die wir noch besitzeUi voraus*
zusetzen; auf die Schrift von den Gesetzen müssen wir hier
in der Kürze eingehen ^}. ,
Was diese Schrift von den sonstigen anerkannt ächleii
Werken Plato's unterscheidet, ist in philosophiscberBesiehting,
abgesehen von untergebrdneten*Punkten und von demFor*
mellen der künstlerischen Darstellung, dreierlei«
Das Erste betrifft die F^assung und Ausführung der
Lehre vom Staate. Der Staat, wie ihnPlato in der Republik
schildert, ist die unbedingte Herrschaft der Idee im mensch^
liehen Gemeinleben, ein durch keine anderen Bedingungen,
als die philosophische Nothwendigkeit der Sache bestimmter
Organismus; der Staat der Gesetze ist ein Versuch, jenem
vollkommensten, aber, wie es hier heisst, unausführbaren
Ideal so nahe zu kommen, als diess die Rücksicht auf die
i) Man Tgl. über dieselbe ausser m. Fiat. Studien, und den dort
besprocbenen Schriften und Abbandlungen von BÖchh, Thibbsch,
SocHER und DiLT|[KT auf der einen , Ast auf der andern Seite :
Hbbmann Fiat I, 547—552.^ 704 ff. Bbabdis Qr. • röm. FhiL H, a,
541 ff. RiTTBB in d. Gott, Gel. Anz. 1840, S. 171 ff. Stallbapk
Jabrbb. f. Fhilologie und PädagogUc 12* Jhrg. XXXV, 1, ^7 ff.
MiCHBLKr Jabrbb. f. wissenscb. Kritili 1839, Debr. S. 854 ff*
Yöe^u in 8. Uebers. der Gesetze (Zür.^ 1842) 2. Tb, Vorr.
SM Die spatere F^rü der PlatOBitcfaen Lebre.
UMieiiliehe8ohwä(^e und dieVerhÜtiiiMe derWirkItchlreh
gestattet ^). Dort ist daher die Verfassung des Staats die
abftt^ote Herrschaft der Wissenden, die Aristokratie imPla«»
toniseben Sinne; dem Zweck dieser Herrechaft dienen die
bekannten eigenthiimliohen Einrichtungen, der strenge Unter*
«cbied der Stände, die Weiber- und Gütergemeinschaft, die
philoaophisehe Bildung der Regierenden ; auf die Einxelfaeiteti
der Geeetagebong dagegen wird aus den früher angegebenen
Gründen nicht weiter eingegangen: hier erhält der Staat
eine der gewöhnlichen näher stehende, angeblich ausDe»
Mekratieuad Monarchie, in der Wirklichkeit aus Demokratie
und Oligarchie, mit Uebergewicht der letstern, zueammen«
gesetxte ^ischv^rfassnng ^) ; das Eigenthilmlichste in den Tn-
atitutionen der Bepublik wird aufgegeben, vom Ständeunter*
schied bleibt nur die Verweisung der Gewerbe an die M eto«^
ken ^), von der Weiber* und Gütergemeinschaft die Vereinigung
der Bürger im Syssitien tod die gesetzliche Ueb^rwachuog
der Elbeii ^), von der öffentlichen Thätigkeit des weiblichen
Geschlechts seine Theilnafame an den gymnastischen Uebun«
gen und den gemeinsamen Mahlen ^), von der Wissenschaft-
liehen Erziehung- der Begierenden die Forderung einer Be«
hdrde, die neben der gewöhnlidien Tugend auch in der
Ethik und der Naturwissenschaft nebst der Theologie unter-
richtet sein soll ^), übrig; dafür lässt sich aber die rechtlicbe
und poliaeiliche , wie die pditisehe Gesetzgebung auf die
speeiellsten Verhältnisse und Fälle ein , wenn aueh nich^
ye^ade alles Einzelne schlechthin durch Gesetze bestimmt
werden soll ^J.
1) Gcs». V, 759. IX, 874, Eff. VIl, 807, B.
2) III, 693, D f. 701, E. VI, 756, E. Vgl. das treffende ürtheil des
Aristotblbs Pol lt. II, 6- J 266, a.
5) VIII, 846, D. vgl. V, 741, E.
4) VI, 771, D ff. 780, A f. VH, 806, E.
5) V^II, 804, Dff. VI, 780, Cff.
6) XII, 951, D. 960, £ ff. besonders 8. 966 f. s. auch unten.
7> VI, 769^ D. VIII, 845, E. 846, C IX, 855, D. XU, 957, A.
Die ftpätere Form der Plat^nisebe« Lehre. 8t9
\ V
I
Hieinitf liü9gt dann eine zweite Difibmn«, die versehie-«
deft« Fassung den Tugeiidlebre, ansanimenr Die vier Kar>»
dinaltugenden , welche in dei> Republik abgeleitet werden^
sind auch deu Gesetzen nicht unbekannt ^), wenn sie gleich
an die Stelle der awpia die (pgepfjaig setzeo — eine Ab-^
weicbungy die desshalb zu bemerken ist, weil der letztere
Ausdruck weit bestimrater, als der erster e, die Beziehung
der Einsicht dufs Praktische enthält ^). In der weiteren Aus*
führung jedoch ist fast nur von der Tapferkeit und Besen*
nenheit {(pmipQoavrfj) die Rede, indem im Gegensatz gegen
die einseitig auf den Krieg und die Uebung der Tapforkek
angelegte spartanische Verfassung verlangt wird, dass der
wahre Staiat ebensosehr und noch mehr auf Erzeugung der
Besonnenheit berechnet sein solle; dieser gegenüber tretet»
die übrigen Tugenden sosehr zurück, dass die Besonnenheil
auch geradezu als der Inbegriff aller Tugend, und die Zu*
that,die den übrigen erst ihren Wertfa gebe, bezeichnet wird ^)^
Was namenilieh die Tapferkeit betrifft, so soll diese der
kleinste und sohlechteste Tbeil der Tugend sein, eine U<Mr
physische Eigenschaft, die auch Kindern und Thieren zu*
kommet), während von der Besonnenheit als Natnranlage
zwar dasselbe zugegeben^ dagegen ausdf ücklich Ton dieser
blossen Anlage die Besonnenheit im h&heren und eigentlidhenf
Sinn unterschieden wird ^). Weist nun schon dieses darauf
bin , das« auch der Begriff der Tapferkeit hier anders be-
stimmt ist, als in der Republik, dass dieselbe hier nieh«,
wie dort, zunächst als ein Verhalten des Menschen zu sieb
O h 631, a 65^ E. XH, 965, Cf.
2) Diese tritt auch in den Gesetzen im Begriff der fpop^i^ic so sebr
herror, dass sie (III, 689, Cf«) nieht blos dem, welober Ver-
stand obne siuliehe Mässigung besitzet, ad)gesprocben, sondern
auch dem gane Unwissenden, der diese übt, beigelegt wird,
5) III, 696, Bff. IV, 710, A. 716, C.
4) !• 630, £f. XII, 963, £.
6) IV, 710, A.
1
SM ^'^^ spätere Form dler l^lAtoniscben Lebre.
Mlbst, aeudero nur im i^w&bnlicban Siiui , idt Ta[tferkett
gegen äassere Feinde gefasst ist| und glimmt hiemit aucb
die Behandlung der Besonnenheit in der Sehrift von den Ge«
setzen iiberein ^) , so zeigt sidi weiterhin auch, dass jene
tiefere Fassung in dieser überhaupt ausgeschlossen war, weil
die ganze ps^cliologische Grrundlegung der Ethik, wie wir sie
nicht blos in der Republik, sondern auch im Timäns und
Pbädms finden, hier fehlt, ja deutlich genug sogar ausdruck*
lieh bekämpft wird ^).
Ebensowenig, als diese psychologische, wird auch die'
aligemeinere philosophische Begründung der Ethik in den
Gesetzen berücksichtigt. Der ganze spekulative Theil des
Platonischen Systems wird hier so vollständig ignorirt, dast
sich von dem Anfang und Ende desselben, der Ideenlehre,
auch nicht Eine sichere Spur findet ; denn allerdings wird
ven den lV|itg]iedern der nächtlichen Versammlnog^ in wel-
cher die Weisheil des &aats ttiedei*gelegl sein soll, ver-
langt, dass sie die Einsicht in den Zweck des Staats be-
sitzen, und zu diesem Bebufe fähig seien, die verschiedenen
Arten der Tugend auf ihren gemeinsamen Begriff zurück*
zufuhren ^) : diess betrifft indessen erst die logische Form
des dialektischen Verfahrens, sein innerer Kern dagegen,
die Lehre von der absoluten Wirklichkeit der Begriffe, isl;
hier mit keinem Worte angedeutet, ja es wird dieser Lehre
durch die Annähme einer doppelten Welueele, einer guteiif
und einer bösen ^), nebst einigen verwandten Aeusserun«
1) S. V, 733, E u. dasa im Plat. Stud. S. 35.
2) f, 626, DfF., wogegen die Stellen IX, 863, Bf. lU, 689, A nicbU
beweisen.
. S) Xll, 965, G: ^^q olr angißtüvigm axiipif &ia t' av nB^i otov^
ovv 6t»/ovv ylyvo*TO fj to 7r(f6s ftiav l^im^ i» ruiv nokXdiv nal
dvoftoiatv dwatop t/tw* ßUnnv; Vgl. das Folgende u. J, 630,£.
4) X, 896, DE 898, C. 904, A f. Ueber die Versuche, diese Lehre
aus den Gesetzen wegzubringen, vgl m. PlatStud. S.43* Diese
Versuche konnten im Allgemeinen auf zweierlei Art gemacht
Die spätere Form der Platonisehen Lehre. S21
gen ^) in einer höchst aufTallend^n Weise widersprochen*
Dafür tritt nun hier theils das populartheologische und reli-
giöse, theils das mathematische Element in einer Bedeutung
hervor, die sie sonst bei Plato nicht haben. Um nicht zu
wiederholen, was ich schon früher über diesen Punkt gesagt
habe ^), will ich hier nur bemerken, dass nicht allein das
übrige Leben des Staats durchaus theils nach religiösen, theils
nach mathematischen Gesichtspunkten geordnet ist, sondern
auch für die Bildung derer, welche die Intelligenz desselben
werden: entweder gab man zu, dass die Gesetze wirklich eine
böse Seele neben der guten annehmen, aber man bezog diese
böse Seele nicht auf die ganze Welt, sondern nur auf das Böse
im Menschen, oder man erkannte zwar an, dass hier Ton einer
bösen Weltseele gesprochen werde, läugnete aber dafür, dass
der Verfasser der Gesetze auch wirklich eine solche behaupten
wolle, und erklärte das, was er über sie sagt, für etwas, das
nach seiner Absicht blos vorläufig und hypothetisch gesetzt wer-
de, und sich in der weiteren Ausführung Ton selbst wieder auf-
hebe. Wiewohl aber der erstem Annahme ausser TmEBSCH
und DiLTHET auch Fries Gesch. d. Phil. I, 336, und Stailbaux
a. a. O: S. 42, der zweiten, von Böcbh aufgebrachten, Ritteb
a. a, O S. 177 beigetreten ist, so kann ich doch fortwährend
keinen dieser Auswege für zulässig halten, so lange Stellen, wie
die folgenden nicht beseitigt sind: X, &96, D f«: ^Pvxtjv ^ Siot-
Hovaav 9cal ipöixovaar iv aTiagi ro7ff nävzj} kivov/ijUvoiC fMtiv ou
ical XQV ovQavov drayxij ^loixstv (pdvai^ Tl fi^v^ Miav ^ nXtlovS ;
nXsiovi' iyoj vtisq a(p({iv aTtoxQivovfiat' Jvolv fiiv yi Ttov ilatTOV
fAtjSkv Tt&dfftsv, xijs TB svegyitidos »eal r^s rdvaartia 9vvafiivt}§
iS^gyaSea&ai. 898, C ; r^v ovqolvov n6Qiq>0Qdv «S dvdyntjt nSQid^
yeiv (paxiov iTn/isXovft^vf^v xai «oofiovaav ijroi ttjv d(ilar7jv "i^'vxtjv
tj tijv ivavTiav, Der Verfasser selbst entscheidet sich nun aller,
dings für das erste Glied dieses Dilemma (S* 897, Bf.); daraus
folgt aber nicht, dass ihm darum die böse Weltseele nichts
Wirkliches sei; sie ist allerdings, nur kann sie das Universum
w«gen der Uebermacht der guten niclit beherrschen. Dast
üese Lehre wirklich in den Gesetzen vorgetragen wird, (iahen
* ^ auch HsBSAVN e. a. O. S. 552, Vööeli S» XIII, Michxlbt
S« 862 anerkannt*
1) I, 644, D, VII, 803, B* C 804, B. V, 728, E s. Plat Stud.
S. 43 f*
2) Plat. Slud^ S. 44 ff.
Die Philosophie der Griechen. 11. Thetl. 21
322. I>io spätere Form der.FlatoiiUeheii Lehre.
repräsentiren sollen, neben der Forschung über das Wesen
der Tugend nur mathematische Kenntnisse und Popular-
philosophie im Dienste der Theologie verlaugt werden;
denn zweierlei ist es den Gesetzen zufolge ^), was den
Glauben an die Götter und ihre Verehrung begründet,
nlie Ueberzeugungj dass die Seele früher und vorzügUcher
ist, als der Leib, und dieKenntqiss der in der astronomi-
schen Einrichtung des Weltgebäudes erkennbaren Ver-
nunft. Nur diese Voraussetzungen sind es auch, aus denen
im zehenten Buche S. 8S7, C — 899, D der Beweis für
das Dasein der Götter geführt wird, an den sich sofort
die schöne Vertheidigung des Vorsehungsglaubens, und
die Widerlegung der Meinung, dass die Götter durch
Geschenke zu beschwichtigen seien, anschliesst. Was
dagegen die Republik so dringend verlangt hatte, dass
die Regierenden in die tiefsten Gründe der Philosophie
eingedrungen sein müssen, und keiner sich mit der Ver-
waltung der menschlichen Angelegenheiten abgeben dürfe,
ehe er in langjähriger dialektischer Beschäftigung mit der
reinen Idee sein Auge an das Ewige gewöhnt habe, da-
von findet sich hier nichts, ausdrücklich wird vielmehr
die Forschung über den höchsten Gott mit der Astrono-
mie identificirt ^).
Dass nun wirklich in den angegebenen Beziehungen
zwischen den Gesetzen und Plato's früheren Darstellungen
ein Widerspruch stattfindet, der sich nicht blos aus dem
besondern Zwecke jener Schrift, sondern nur aus einer
Verschiedenheit des philosophischen Standpunkts erklären
lässt, ist nicht zu läugnen. Um mit der Lehre vom Staat
1) XII, 966, D^ 967, D.
2) VII, 821 , A. Dasft hier die Forschung über das Wesen Gottes
untersagt werden solle, ist ein MissTerständniss , das sich schon
bei Cici;bo findet, Nat* De» I, 12, 30, dem viele Andere hierin
gefolgt sind« Vgl» Ast z. d, St. Krischx Forschungen auf dem
Gebiete der alten Philosophie I, 187 f.
IXie spfitere Form der Flatonisehen Lehre. 323
anzufangeD, so koniite sidl Plato freilich auch Tom Stande
pankt der Republik aus zu einer mehr auf die praktische
Anwendung ein|;ehenden Darstellung des Staatslebens
veranlasst finden; er selbst deutet an, dass der Kritias
eine solche enthalten sollte CTim. 27, B), und auch an
und für sich müssten wir diess wahrscheinlich finden, da
eine blosse Wiederholung dessen, was schon die Republik
gesagt hatte, nicht in seiner Absicht liegen konnte. Auch
das könnte man sich gefallen lassen , dass sich eine solche
Darstellung, ähnlich wie die naturwissenschaftliche des
Timäus, tiefer in s Detail der Gesetzgebung einliesse, als
die Republik, besonders wenn sie, wie die der Gesetze '),
durch Anknüpfung an das attische Recht zeigen wollte,
wie in den Verhältnissen der unmittelbaren Gegenwart
selbst die Keime des wahren Staats enthalten seien, und
mit den Erklärungen des Politikus ,und der Republik über
die Entbehrlichkeit einer geschriebenen Gesetzgebung
(s. o. S. 292 f.) möchte man dieses Verfahren immer-
hin durch die Bemerkung in Einklang bringen, dass es
sich hier nicht sowohl um Vorschriften für den wahreu
Staat , als um eine Tollständige Beschreibung dieses
Staats für uns handle. Ganz anders yerhält es* sich aber
mit den Gesetzen. Diese wollen nicht nur die nähere
Ausführung und Anwendung der in der Republik aufge-
stellten Grundsätze geben, sie erklären vielmehr ausdrüek-
lieh, dass sie an die Stelle der hier geschilderten besten
die nächst beste Staatsverfassung setzen wöHen^ und sie
begründen diese Absicht damit, dass der Staat der Re-
1} Die Nach Weisung dessen, was die Flatonisclien Gesetze aus der
aUischen Gesetzgebung aufgenommen baben, 9o i^reit sich die-
selbe jetzt noch geben lasst, a« in den zwei Programmen tob
Hbbmaitn: De vestigm instkutorum veterum, impHmis jitticorum,
per Platonifi t(e Legibus Höros indagandis und: Juris doaustid et
fanaliaris apud Platonem in Legibus cum vet, Graeciaej inque pri-
mis Athenarum instkuHs comparatia* Marb. 1836.
21*
324 I>ie spätere Form der Platonischen Lehre*
publik nur für Götter oder flereen passen würde, unter
Menschen dagegen ein unausführbares Ideal sei '). Dass
Plato dieses nicht sagen, und nicht von dieser Ueberzen*
gung aus schreiben konnte, wenn sich sein politischer
Standpunkt nicht wesentlich verändert hatte, liegt am
Tage. In der Republik zweifelt er nicht nur nicht an der
Ausführbarkeit des dortigen Staatsideals, sondern er er-
klärt seine Verwirklichung sogar fiir das einzige Mittel,
die Menschheit von ihren Leiden zu erlösen: hier wird
ebendasselbe als etwas behandelt, woran unter Menschen
gar nicht zu denken sei; in der Republik erklärt er alle
anderen Staatseinrichtungen ausser den dort geschilderten
für verfehlt, und sagt wiederholt, dass der Philosoph nie
in einem andern Staate an den öffentlichen Angelegen-
heiten theilnehmen werde: hier will er neben dem voll-
kommensten Staate noch einen zweiten und dritten zur
Auswahl hinstellen, die sich dann natürlich nicht melir
specifisch, sondern nur noch graduell unterscheiden kön-
nen; in der Republik, und so auch schon im Politikus,
versichert er, dass der wahre Herrscher keiner Gesetze
bedürfe, und durch dieselben nur gehemmt werde: hiw
(IX, 875) umgekehrt, dass nur äusserst Wenige die rich-
tige politische Einsicht, und keiner die sittliche Stärke
besitze, um den Versuchungen der unbeschränkten Herr-
schermacht zu widerstehen; — und diess Alles sagt er weder
hier noch dort bedingungsweise, wie vielmehr der Staat
der Republik auch schon für die nächste Gegenwart und
ihre Verhältnisse bestimmt ist, so wird in den Gesetzen
seine Unausführbarkeit nicht blos fir eine bestimmte Zeit,
sondern für die menschliche Natur überhaupt behauptet^).
' Nur eine Folge dieses verschiedenen Standpunkts ist
1) V, 739. IX, 874, E ff. VII, 807, B wozu m.PUtStud. S.16 ff.
SU TgU
2} Die Belege 8. in der yor* Anin* u» S. 298 f»
Die spätere Form der Platonischen Lehre. 325
das Meiste von dem, wodareli sich der Staat derCtesetze
V0J1 dem der Republik nnterscheidet; Anderes kann als
minder wesentlich hier übergang^en werden ; die bedeu-
tende Differenz hinsichtlich der Bildung der Regierenden
wird später noch zur Sprache kommen. Hier mag daher
nur noch auf die abweichende Schätzung der verschie-
denen Verfassungen in beiden Schriften aufmerksam ge-
macht werden, welche darin liegt, dass die Republik die
Demokratie und Tyrannis als die zwei schlechtesten
Staatsformen bezeichnet, wogegen die Gesetze die Ty-
rannis vom Königthum gar bicht bestimmt unterscheiden^),
und eben aus dem mit ihr zusammenfallenden Königthum
und der Demokratie ihre Verfassung zusammensetzen
wollen ^). War freilich die philosophische Construction
des Staats einmal aufgegeben, so konnten auch die be-
stehenden Staatsformen nicht mehr nach dem philosophi-
schen Maasstab, sondern nur noch nach äusserlicheren
Rücksichten, wie diess in den Gesetzen geschieht, beur-
theilt werden , und ebenso musste für den eigenen Staat
ein eklektii^ches Mittelmaass die Stelle der apriorischen
Norm vertreten. Insofern erscheint daher auch diese Ab-
weichung consequent; nur um so deutlicher zeigt sich
aber auch hier, wie tief der veränderte Standpunkt des'
Ganzen in alles Einzelne eingreift.
Noch folgenreicher ist der Umstand, dass in den Ge-
i) S. m. Plat. Stud. S. 38*
2) III, 693, D I, 701, E. VI, 756, E. Wenn Vögeli a. a. O.
S« IX die Ton mir behauptejte Zusammensetzung der Verfassung
der Gesetze aus der Demokratie und der Tyrannis nach der
Schilderung von Persien und Athen unbegreiflich findet, so be-
kenne ich, diess nicht zu verstehen^ gerade dadurch, dass sie
die persische Verfassung als Muster des Königthums hinstellen,
zeigen die Gesetze, dass sie unter der ßaaiXsla nichts Anderes
verstehen, als die Bepublik unter der Tjrannis« Dass übrigens
auch schon Abist, Folit. 11 , 6» 1266 , a die Sache so auffasst,
habe ich schon früher bemerkt
326 Die spätere Form der F lato ni «eben Lehre.
setzen zugleich mit der philosophischen Bildung der Re*
gierenden auch die ganze spekulative Grundlage der Pla-
tonischen Staatslehre verlassen wird, dass der Idee aach
nicht Einmal mit Bestimmtheit Erwähnung geschieht,
dafür aber eine aus populär theologischem Vemunftglau-
ben, griechischer Volksreligion und pythagoreischer Zahlen-
mystik zusammengesetzte Religiosität die Basis des ge*
sammten Staatsgebäudes bilden soll. Wir müssen zwar
zugeben, dass auch hieraus nicht unbedingt auf ein förm-
liches Aufgeben der Ideenlehre vonseiten des Verfassers
geschlossen werden darf; man könnte sich diese Erschei-
nung immerhin so erklären, dass Plato zeigen wollte,
wie sich auch ohne alle philosophischen Voraussetzungen
ein dem philosophischen wenigstens ähnlicher, und alle
bisher bestehenden weit übertreffender Staat herstellen
Hesse, und aus diesem Grunde auch sich selbst auf einen
der allgemeinen Bildung seiner Zeitgenossen näher lie-
genden, und ohne die wissenschaftliche Erziehung des
philosophischen Staats von einer grösseren Anzahl der
Staatsbürger erreichbaren Standpunkt stellte. Doch lässt
sich andererseits, auch bei dieser Auffassung der Sache,
eine tiefgehende Veränderung seiner Denkweise nicht
verkennen. Denn mag er auch den unphilosopbischen
Standpunkt der Gesetze nicht unmittelbar als den seinigen
Tcrtreten wollen, so ist doch gewiss, dass er seinen
früheren Glauben an die Allmacht und die absolute Noth-
wendigkeit des philosophischen Wissens verloren, und der
religiösen Vorstellung gegen früher eine grössere Be-
deutung eingeräumt haben musste, wenn ihm eine solche
Darstellung, wie die der Gesetze, überhaupt möglich sein
sollte. Man erinnere sich nur an die berühmte Erklärung
der Republik über die Nothwendigkeit, dass die Philo-
sophen herrschen, an die Entschiedenheit, mit welcher
der Politikus so gut, als die Republik, alle andern Ver-
fassungen, ausser der Platonischen Aristokratie, als^sehlecht
,I>le ipalere Form der Platonischen Lebre. 327
und verfehlt zurückweist, an die durch alle Platonischen
Schriften von Anfang an sich hindurchziehende Polemik
gegen die unpbilosophische Tugend und Staatsknnst >),
und andererseits an die Freiheit, mit welcher Plato sonst
die Volksreligion beliapdelt ^), und die untergeordnete
Stellung, die er der Mathematik anweist % man vei^gleiche
damit, die (Erstellung der Gesetze, welche die Forderung
einer philosophischen Grundlegung für den Staat so gut
wie ganz aufgeben, die religiösen Vorstellungen mit pe-
dantischer Feierlichkeit behandeln, und auch die einzige
theoretische Wissenschaft, die sie verlangen, die Mathe-
matik, acht pythagoreisch in den Dienst der Religion
ziehen, und man wird sich die weite Differenz zwischen
. dem philosophischen Standpunkt der Republik und dem
der Gesetze nicht verbergen können. Die freudige Selbst-
gewissheit und Freiheit des JPhilosophen ist hier einer
trübseligen und schwuuglosen Aengstlichkeit gewichen,
die an der praktischen Kraft des wissenschaftlichen Dm-
kens Yßzweifelnd, sich von diesem auf den religiösen
Glauben zurückzieht. Eine höchst bedenkliche Abweichung
von der älteren Platonischen Lehre ist endlich, was hier
über die böse Weltseele gesagt wird; denn jene findiBt
die meti^^hysische Ursache des Bösen immer nur in der
* Materie, und lägst sie auch der Weltseele das ^dv^gov^
als ein dem materiellen verwandtes Element beigemischt
sejn, so steht dieses doch in ihr unter der Herrschaf t des
idealen Elements, und kann nicht in die materielle Un-
bestimmtheit und die Schlechtigkeit ausarten; während
die Gesetze (X, 896, £ f.) auch Irrthum und Schlechtig-
keit von der durch's All verbreiteten Seele bewirkt sein
lassen^ weiss sie der Timäus S. 37 uur.als das Princip
1) S. ©♦ S* 155 ff.
3) S. o. S. 305 uad Fiat $tud, S. 44 f.
S) 8* o. S» 178 f.
S28 - DU spatere Form der Flatoniftcben Lehre.
des wahren Wissens und der richtigen Vorstellung zu
betrachten.
Aehnlich verhält es sich nun auch mit der Ethik der
Gesetze, t Dass von den vier Kardinaltugenden der Pla-
tonischen Sittenlehre hier die Tapferlieit und Besonnen-
heit überwiegend hervorgehoben werden, kann allerdings
nicht schlechthin als unplatonisch bezeichnet werden ; es
sind diess dieselben Tugenden, fiir welche auch die Re-
publik die Masse der Bürger allein heranbilden will; -nur
für die Regierenden kommt dazu auch noch die Weisheit.
Hatten daher die Gesetze einmal auf den philosophischen
Staat verzichtet, so war es natürlich, dass ihnen nur jene
zwei Tugenden übrig blieben, und für die Regierenden
höchstens das Analogon der in der Republik geforderten
Weisheit verlangt werden konnte, das im zwölften Buch
dieser Schrift geschildert» ist. Aber theils kommt auch
hierin nur das Abweichende ihres ganzen Standpunkts
von dem der früheren Schriften weiter zum Vorschein,
theils lässt sich die Art, wie der Begriff der Tapferkeit
in den Gesetzen gefasst, wie diese Tugend der Besonnen-
heit gegenüber hintangesetzt, wie die ganze psychologische
Grundlage der Platonischen Tugendlehre nrcht allein )gno-
rirt, sondern auch geradezu bestritten wird, aus dem an-
gegebenen Grunde noch nicht rechtfertigen ^) ; diese Züge
setzen vielmehr voraus, dass der Verfasser von den be-
treffenden früheren Bestimmungen wirklich abgekommen
war. Die Art vollends, wie den Gesetzen zufolge durch
das Mittel der Trunkenheit^) Mässigung hervorgebracht
1} Denn dass die Gesetze »nicht für philosophische Leser geschrie-
ben« waren (Vögeli S. XIII)^ beweist nicht, dass Flato darin
seinen philosophischen Ueberseugungen widersprechen, son-
dern höchstens, dass er einen Theil Ton diesen verschwei-
gen lionnte*' ^
> 3) Nicht blos der Trinkgelage, wie Stallbaum S. 41 behauptet;
6« Gess* I, 637, D: Xiyco S" ovm oXvov ni^i noaevts ro naganav
tj fj^tjy fti&fjQ Si uvviji ni^t. 638, C. 64Ö, D. 645, D. 646, B.
Die spätere Form der Platonischen Lehre. S39
werden soll, und wie sich der Verfasser mit diesem selt-
samen Funde breit macht, muss wohlJedem, der von der
Republik herkommt, und sich der geistigeren Mittel erinnert,
durch welche sie zur Besonnenheit anleiten will '), den
Eindruck* machen, dass Plato damals, als er die Republik
verfasste, dieses nicht geschrieben haben wurde.
Ob er es nun freilich nicht später geschrieben hat,
und ob er nicht trotz der angegebenen Abweichungen
von seiner früheren Lehre doch fortwährend nir den Ver-
fasser der Gesetze zu halten ist, diess ist eine Frage,
deren erneuerte Untersuchung uns viel tiefer in littera-
risch kritische Einzelheiten führen würde, als uns hier^
gestattet ist. Doch will ich das Bekenntniss nicht zurück-
haltcfn, dftss mir die Unächtheit der Gesetze nicht mehr
ebenso fest steht, wie früher. Muss ich gleich auch
von dem, was ich über die formellen Mängel dieser Schrift
gesagt habe, das Meiste fortwährend für richtig halten,
und ebenso In den zahlreichen Anklängen an frühere
Platonische Schriften zu einem grossen Theile wirkliche
Reminiscenzen erblicken, so hat doch theils das Zeugniss
des Aristoteles grössere Bedeutung für mich gewonnen,
als früher, theils muss ich zugeben, 4ass die Schrift
von den Gesetzen, trotz aller ihrer Mängel, doch für die
Männer der altern Akademie, so weit wir diese sonst
kennen, immer^noch zu bedeutend, und namentlich die
genaue Kenntniss und Berücksichtigung der attischen
Gesetzgebung das Werk eines sehr gereiften Geistes zu
sein scheint, theils getraue ich mir auch nicht mehr fest-
zusetzen, wie weit Plato in seinem hohen Alter der
wahre Geist seiner Philosophie und die künstlerische
Virtuosität in der Darstellung verloren gehen konnte«
Auch di^ neuere Zeit hat hierüber allerdings merkwür-
dige Beispiele aufzuweisen ; man hat in dieser Beziehung
1) Vgl, Eep. III, 410, B ff. u. A.
SSO Die spittereForm derPlatonischen Lehr«.
niebt mit Unrecht an v den zweiten Tlieil des Faust und
das Verbältniss der jetzigen Scbelling'scben Philosophie
zur früheren erinnert. Auch die doppelte Gestaltung des
Ficbte'scben Systems Hesse sich zur Vergleicbung bei-
bringen. Vollständig passt nun freilich lieine von diesen
Parallelen: bei Göthe können wir den Uebergang vom
Dichter des Götz und des Faust zum ,,alten Henrn^ durch
eine Reibe von Mittelgliedern stetig verfolgen, Fichte
und Scheliing haben ihre Systeme überhaupt nie zu voll-
ständiger wissenschaftlicher Entwicklung gebracht, und
der Letztere namentlich sich v6n Anfang an in den ver—
jichiedenartigsten Uarstellungsformen herumgeworfen ; bei
Piato dagegen fehlen uns die Uebergänge von der Re-
publik zu den Gesetzen (denn auch der Timäus, der sich
überdiess in manchen Parthieen sehr eng an das Werk
des Philolaus anzuschliessen scheint, und dem der gut-
geschriebene Kritias folgt, kann hiefür nicht genügen),
während doch zugleich diesem letztern Werke eine solche
Reife seines philosophischen und schriftstellerischen Cha-
rakters vorhergeht, dass wir einen plötzlichen Umspmng
in demselben kaum erwarten können. Insofern scheint
die Nachricht, dass die Gesetze erst nach Piatos Tode
von einem seiner Schüler herausgegeben worden seien,
einen erwünschten Ausweg darzubieten, um wenigstens
einen Tfaeil von dem, was uns in dies^ Schrift als nn-
platonisch auffallt, von Plato's Schultern wegzunehmen 0*
Hat Plato selbst nur einen unvollendeten Entwurf der
Gesetze hinterlassen, in dem zwar einzelne Abschnitte
schon vollständiger ausgeführt, von anderen dagegen erst
nachlässiger gearbeitete Bruchstücke und vereinzelter
stehende Andeutungen vorbanden waren, und sind diese
Bruchstücke erjit von einem seiner Schüler verbunden,
1} Vgl. hierüber die guten Bemerliungen von Michelbt a. a. O.
3« 867| der zuerst diese Hypothese weker verfolgt bat*
Die s^pätere Form der Flatonit^hen Lehre. SSI
ergäozt^ tlieilweise wobi auch stylisirt wordeD, so lies»e
sich einerseits reeht wohl erklären , wie das so entstan-
dene Ganze, von Anfang an als ein Platonisches Werk
behandelt werden konnte, andererseits wären wir zu der
Vermuthung berechtigt, dass Manches, was wir Plato
nichts gut zutrauen können, von dem Bearbeiter herrühre,
ja es wäre nicht undenkbar, dass dieser auch das Ganze
ans einem Gesichtspunkt behandelt hätte, durch den es
in einen schrofferen Gegensatz gegen die früheren Pla-
tonischen Werke gestellt wurde, als diess in Plato's ur-
sprunglicher Absicht gelegen war. Man könnte z. B. un-
ter dieser Voraussetzung annehmen, dass Plato zwar nach
dem Musterstaat der Republik in den Gesetzen auch noch
die Mittel angeben wollte, durch die ein Staat selbst unter
den gewöhnlichen Verhältnissen jenem Ideal näher ge-
bracht werden könnte, die Aeusserungen dagegen, welche
dieses als schlechthin unausführbar bezeichnen, dem Ueber-
arbeiter angehören; dass ebenso nur dieser es sei» wel-
cher vielleicht aus etwas von Plato nur hypothetisch Ge-
sagtem die dogmatischen Sätze über eine doppelte Welt-
seele gemacht habe u. s. w. Eine uicht unbedeutende
Veränderung in der Denkweise des Philosophen müssten
wir aber auch dann zugeben, denn der Plan des Gan^n^
der Entwurf einer Stliats Verfassung, welche siatt der
Phil^ophie und der philosophischen Tugend nur auf die
gewöhnliche RechtschafFenheit, die Religion und die der
Religion dienstbare mathematische WissenscJiaft gegrün-
det sein soll, mwm doch auch in diesem Fall ihm selbst
angehören. Im Einzelnen lässt sich dann aber frelli<|i
nicht niehr mit nSicherhett ausmachen , was von dem ur-
sprünglichen Verfasser, und was von dem spätem Bear-
beiter herrührt.
Wie es sich aber hiemit verhalten, und wie manchen
Bedenken diese Frage Raum geben mag, so viel steht
jedenfalls sicher, dass die Gesetze den Anfang eiuer Um-
3S2 Bie ältere Akademie.
•
g^estaltung des Platonischen Systems enthalten, welche
sofort von der altern Akademie weiter gefDhrt und voll-
endet worden ist. Die dialektische Flüssigkeit und geist-
reiche Idealität Plato's gieng in dieser mehr und mehr
in einen traditionellen Dogmatismus über, der zwar die
äussere Form des Systems ausdrücklicher feststellte^),
aber arm an wirklich philosophischem Gehalt den Mangel
desselben theils durch empirische Sammlung und Anwen-
dung, theils durch Anschliessung an die populär religiöse
Vorstellung und die halb mathematische halb theologische
Mystik der Pythagoreer zu ersetzen suchte, und erst in
der folgenden Periode demSkepticismus der mittlem und
neuern Akademie Platz machte.
Die nächste Erscheinung dieses Dogmatismus ist die
Umgestaltung der ideenlehre in eine Zahlenlehre, von
der uns besonders Aristoteles im 13. u. 14 Buche der
Metaphysik und seine Ausleger Kunde geben« Schon das
verdient alle Beachtung, dass die Schüler Plato*s jenen
Angelpunkt seines Systems durchaus nur in der mathe«
matischen Form behandelt zu haben scheinen, in die er
ihn in den Vorträgen seiner späteren Jahre gefasst hatte ;
nur dieser erwähnt wenigstens Aristoteles, so oft er
Eigenthümliches von der Lehre der Platoniker über die
Ideen anführt. Der Einsicht in den philosophischen 6e<
halt der Ideenlehre ist diese Form nicht günstig, um so
mehr musste sich aber eine Denkweise von ihr ange-
sprochen finden, die überhaupt mehr mit festen dogmati-
schen Voraussetzungen zu rechnen, als mit dem ächten
Plato 2) diese Voraussetzungen in den Begriff aufzuheben
geeignet war ^). Wir sehen aus diesem Grunde die äl-
1} Nach SxxTut adv. Math. VIT, 16 "war Xenokrates der Erste, wel-
cher die Eintheilung der Philosophie in die Logili, Physik imd
Ethik ausdrucklich aufteilte.
t) S. o. S. 178 f.
S) Ein auffallendes Beispiel dieser dialektischen Unbehülflichkeit
giebt das Fragment des Xenokrates bei Sxxtus ad?* Math. XI^l.
Die ältere Akademie. 333
tern Akademiker sich in vielfachen Spekulationen über
das Verhältniss der Ideen zu den Zaiilen, die Entstellung
der Zahlen aus den Urgriinden, den richtigen Ausdruck
und die nähere Bestimmung; für diese abmühen O9 ohne
dass es ihnen doch irgend gelungen wäre, über die Sätze
ihres Lehrers mit andern als solchen Annahmen hinaus-
zukommen, durch welche der Platonische Standpunkt nach
der einen oder der andern Seite hin verlassen wird. —
Was zunächst das Verhältniss der Ideen zu den Zahlen
betrifft, so erfahren wir aus Aristoteles ^), dass es hier«
über unter den Piatonikern seiner Zeit drei Ansichten
gab: die ursprünglich Platonische, welche die Idealzahlen
von den mathematis(3hen unterschied, diejenige, welche
nur die mathematische Zahl annahm, diese aber ebenso,
wie Plato die Ideen, von den sinnlichen Dingen getrennt
existiren Hess, und die, welche umgekehrt die mathema-
tische Zahl mit der idealen in der Art identificirte, dass
jene durch diese aufgehoben wurde ^)» Einige nahmen
13 Welchen Werth die älteren Akademiker der Mathematik beileg-
ten, kann ausser dem gleich Anzufahrenden und dem oben
(S* 243, 2) Angeführten auch die Schrift des Speusipp über die
pythagoreischen Zahlen zeigen, Ton der wir uns aus den Anga-
ben der Theologumena Arithm. S. 61 ffo eine ziemlich deut-
liche Vorstellung machen können« Nach einer Abhandlung über
die ebenen und körperlichen Figuren , jhre Verhältnisse und die
Ableitung der fünf Elemente aus denselben folgte hier eine die
Hälfte der Schrift einnehmende Erörterung über die Zehnzahl
Ton der a. a. O. ein ausHihrliches alle Vorzüge und Eigenschaf-
ten dieser Zahl sorgfaltig hervorhebendes Fragment mitgetheilt
wird* Und doch wissen wir aus andern Nachrichten , z« B«
Theophbast Metaph« c. 3, dass es Speusipp andern seiner Mit-
schüler, wie dem Hestiäus, und vor Allem dem Xenokrates, in
der Zthlenspekulation lange nicht gleich that.
2) MeUph. Xlil, 6. 1080, b, 11 ff. c« 9. 1086, a, 2 ff. c. 8. 1083,
41, 27 ff. vgl. XIV, 3. 1090, b, 31 f. und über die Ansicht, wel-
che nur die mathematische Zahl annimmt: XIII, 1. 1076, a, 34.
c. 2. 1076, b, 11. XlV, 2. 1090, a, 4 fr. c. 3. 1090, a, 25. Vil,
2. 1028, b, 24.
5) Was Bbabdis de perd. Arist. libr. S. 45 ff« und TnvDMtwsBVM
334 * Die ältere Akademie* *
aueh aa, nar die Ideea existireo getrenut für sich, die
matiieiBatiscIien Bestimmiingeii dagegen, obwohl sie ein
Mittleres zwischen den Ideen nnd den sinnlichen Dingen
sein sollten, nur in diesen 0* ^^^ diesen Annahmen
wird nun die zweite von den Coromcntatoren auf Xeno-
icrates zurückgeführt, zu dessen sonstigem pythagoraisi-
rendem Wesen sie auch vollkommen passt ^); ob wir bei
der dritten anSpeusipp zu denken haben, lässtsich nicht
sicher ausmachen; nur so viel sieht man aus Allem, dass
schon die ersten Nachfolger Plato's sieh in die mathema-
tische Fassung der Ideenlehre verwickelten und über dem
Versuche, das, was seiner Natur nach nur Symbol der
Idee sein konnte, für iht*e dogmatische Erklärung zu be-
nutzen, auf entgegengesetzte Auswege geriethen, deren
aber jeder, wie diess Aristotelks wiederholt nachweist,
mit eigenthümlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat —
Aehnliche Differenzen finden sich auch hinsichtlich der
Elemente, aus denen die Zahlen abgeleitet wurden. Plata
Fiat de id. el num. doctr. S« 7Sf* als vierte Meinung anfuhren,
dass Einige die mathematische Zahl gans aufgehoben, und nur
die ideale übriggelassen haben, ist ohne Zweiiel von der von
uns zuletzt angeführten Bestimmung nicht wesentlich verschieden,
denn in der Hauptstelle Metaph. XUI , 9 werden diese heiden
Ansichten nicht mehr unterschieden 5 der Metapb, Xllf, 6» 1080«'
b, 21 angedeutete Unterschied beider seheint daher nur darin
zu bestehen, dass die Einen sagten, es gebe nur die ideale Zahl,
die Andern noch ausdrücklich beifugten , auch die mathematische
falle mit dieser zusammen.
1) Melaph. III, 2. 99S, a, 7.
2} Staia^s b. BHA.NDU a. a. O. , der sieh für seme Angdse auf
Alexa^stdeb vonAphrodisias beruft; Psbudo- Albxa.isdbb(Michabl
V. Ephesus ) Schol. in Arist. ed. Br. S« 818, b, 3 womit sich
andere Angaben (bei Bbaudi^ a. a. O.) freilich nur theil weise
durch die Annahme eines ungenauen Ausdrucks vereinigen lassen.
Die Annahme Ravaissons (Sur la Metaphysique d'Aristote 1,
178. 338)9 dass diese Ansicht nicht dem Xenohratcs, sondern
dem Speusipp angehöre, lässt ihre nähere Begründung noch
erwarten,* kann aber schwerlich yiel für sich anfuhrt*
Die Ültere Akademie. 3S5
hatte das Eins und die Vielheit, oder auch das Eins und
difts Unendliche (Grosse und Kleine) als die Principien
genannt, aus denen Alles, auch die Idee, zusammeng^esetzt
sei, und das zweite dieser Principien in seiner Anwen-
dung auf die Ableitung der Zahlen auch als die unbe-
stimmte Zweiheit bezeichnet ^). Dieselbe Lehre wurde
von seinen Schülern weiter verfolgt, ohne dass sie sich
doch iiber die Natur jener Elemente durchaus gleichmässig
äusserten. Statt des Grossen und Kleinen setzten Einige
die Vielheit; Andere das Ungleiche, das dann wHter bald
als das Grosse und Kleine, bald als das Viel und Wenig,
bald als das Mehr und Minder bezeichnet wurde, eine
dritte Ansicht nur überhaupt das Andere oder die unbe«
stimmte Zweiheit ^) — an sich freilich unerhebliche Differen-
zen, die aber doch als ein Beweis der Verlegenheit, in
der sich die älteren Akademiker hier befanden, und der
Mühe, die sie sich mit diesen Untersuchungen gaben, von
Interesse sind. < Hinsichtlich des andern Elements, des
Eins, wichSpeusipp nicht unbedeutend von seinem Lehrer
ab, wenn er dieses nicht, wie Plato, mit dem Guten für
identisch, sondern nur für einen von den Bestandtheilen
des Guten gelten lassen wollte, aus Furcht, das dem Eins
Entgegenstehende sonst für das Böse erklären zu müssen ^),
und hieran knüpfte sich ihm eine Reihe weiterer Bestim-
mungen, die eine tiefgehende Umbildung der Platonischen
Lehre enthalten. Indem er nämlich die Beobachtung,
dass sich Alles ans der Unvollkpmmenheit zur Vollkom-
menheit entwickle, auch auf das Universum übertrug,
und demnach behauptete, dass das Beste nicht am Anfang
1) S. o. S. 237 ff. u. m. Pkt. Stud. S. 216 ff.
2) Abist. Metaph. JCIV, 1. 1087, b. 1088, a. 15 c» 2. 1088, b, 28»
XIV, 5. 1092, a, 35. Vgl. m. Plat. Stud. S. 220.
3) Abist. Metaph. XIV, 4. 1091, b, 13 ff. 32. vgU XII, 10. 1075,
a, 36. XU, 7* 1072, b, 30. £th. Nik. I, 4. 1096, b, 5 und zm
der erstem Stelle m. Plat. Stud. S. 277 und Kbischi Forschungen
' U.S.W. I, 254 ff.
336 Die ältere Aliademie*
sei, andererseits aber das Eius als einen der Urgriinde
festliielt, so ergab sich ihm hieraus die Behanptung, dass
das gute und vollendete Sein aus dem unvollkomme-
nen hervorgehe, dass daher der erste Urgrund, das Eins,
nicKt allein nicht das Gute, sondern strenggenommen nicht
einmal ein Seiendes genannt werden könne ^). Jene Ent-
wicklung nun scheint Speusipp als einen reinen Natur-
process beschrieben zu haben, und daher der Vorwurf^),
dass er an die Stelle der Gottheit eine Naturkräft, d. h.
die Weltseele setze, die er allerdings etwas materialistisch,
als räumlich durch's Universum sich ausbreitend gefasst
haben muss^). Um so mehr mochte er sich aber dadurch
aufgefordert finden, die Gottheit, als die absolute Vernunft,
sowohl von dem unvollkommenen Urgründe, dem Eins,
als von dem gewordenen Vollkommenen, dem Guten, zu
unterscheiden ^). -* Fragen wir endlich nach der Ent-
1) Metaph. XII, 7. 1072, b, 50: oaot Si v7TolafißQLVov.ot,v ^ wan^Q oi
IIv&ayoQtioi Mml ^Ttsva&nTros ^ to HaXXiarw k«1 agtatov fiTJ iv
d^XjJ 6tvat, did ro nal t(uv (pvTtiv xai tcvy ^(owy raff dgxds
al'r&a fitv slvaif vt* 3b ftalov xal Tilnov Iv toU in Toirmv^ .ovn
oQ&(os oi'opTai, XIV, 5, Anf, ovtt 6g&(os $*' tTtolafißdrsi ov^
tV TiC TragtiKa^st rcec rov okov dgxds rtj tmv ^wojv xal (pvriovy
oTi' iS dogiartav dxehuv Si dil td rsletoTtga , dio mU ml xoiv
ngojTOiv ovTOiS t'xav (ptjaiVy wazs p,7jBt ov r* slvvn to *$v avzo^
3) Cic. Nat. J)e. I, 13: Speiisippus vim juandam äicens, qua omma
re^antur, eamque animalem, evellere ex animis conatur cogTiitionem
Deorunu Im Uebrigen darf man die Unzuverlasstgkeit dieser,
aus epikureisdier Quelle geflossenen Darstellung nicht übersehen*
3) Stob. Ekl. I, S. 862 J iv ISit^ rov ndvwtj ,dkaQTarov ^ndtomnoi
(sc. tvTid"i]<n Tt}v ovatav rys yf^xv^)» Theophbast Metaph^ 9.
322, 12: JSTtsvOimtoi tmdviov t* t6 rlaiov noist %6 nsgl f^v
rov f^iüov x(»Qo^y' td d'Sxga koU ixaTdgatd'sv, welche ohne Zw«!'*
fei verdorbene Worte von BrrTK« II, 530 und Hbisceb Fw-
schungen auf dem Gebiete der alten Philosophie I, 258 tvobl
richtig in dem obigen Sinn gefasst werden* Speusipp scheint
die YOn ihm eigentlich genommene Platonische Darstellung (Tim. 36,
£) mit der pythagoreischen Lehre n>m Genlralfeuer combinirt
£u haben.
4) Stob. Ekt* I, 58: ^Jtev9*W7to9 top yovv ovrs tu ivl ovt§ t^
dya&(S TOP avrov^ I^tocpv^ di»
Die allere Akademie. 337
stehuog der Zahlen aus den Urg;ründeD uod der Dinge
aus den Zahlen, so scheinen auch hierüber verschiedene
Ansichten geherrscht zu haben. Speusipp muss sich die-
selbe, nach dem eben Bemerkten, als eine zeitliche Ent-
wicklung gedacht haben, wogegen Xenokrates gegen diese
Vorstellung protestirte 0- ^on Speusipp wird ferner be-
richtet^), dass er sich mit den von Plato angenommenen
drei Klassen von Wesen (die Ideen, das Mathematische
und das Sinnliche) nicht begnügt, sondern auch die ver-
schiedenen Unterarten, wie die Zahlen, die Grössen, die
Seele als ursprünglich verschiedene Klassen betrachtet,
«nd für jede derselben besondere Principien vorausgesetzt
liabe^), und Xenokrates, welcher die eigenthümliclie Be»
deutung der Ideen durch ihre Identificirung mit der ma-
thematischen Zahl aufgegeben hatte, setzte an die Stelle
jener Unterscheidung die des aia&ijvov, vontov und dolaa-
TOP, unter welchem Letzteren er aber den Himmel ver-
stand^*). Ob Speusipp seine Annahme mit der Zahlenlehre
in n«ch genauere Verbindung brachte, und in den zehn
ersten Zahlen die Princfpien für die verschiedenen Klassen
des Seienden suchte ^), lässt sich nicht ausmachen, so
hoch auch die Bedeutung und Vollkommenheit der Zehu-
zahl von ihm gepriesen wird^); dass aber Andere diesoa
Weg einschlugen, sehen 1;? ir aus der Angabe des Aristo-
i) Abist. De coel, I, 10. 279, b, 32. Mctepb. XIV, 4, Anf. und
die Commentatorcn zu beiden Stellen S. 488, b f. 827, b f* b. Bbabbis.
?) Abist. Metaplv VII, 2- 1028, b, 21 ^ vgl. XII, 10, 1075, b, 37.
3) Auf denselben könnte man auch die Angabe bei Abist. Metapb.
XIU , 9. 1085 , a, 7 ff. bezieben , dass ein Theil der Flatoniker
die verschiedenen Arten matbematiscber Grössen aas den ver-
schiedenen Arten des Grossen und Kleinen abgeleitet habe;
doch rührt diese Ableitung vielleicht schon von Plato selbst her ;
s. Metaph. I, 9. 992, a, 10 ff. und d^su AlbxAitdep Schol,
S. 581, a. %.'
4) Sbxtus adv. Math. VII, 147-
5) Rittbb Gesch. d. Phil. II, 551.
6) In dem oben erwähnten Fragment Theol. Arithm. S. 62 ff* ^
Die Philosophie der Griechen. U. Theil. 22
\
33g Di« ältere Akademie,
tfiLBS^):' einige Platoniker gehen in der Ableitung der
Zahlen nur bis tut Dekas, als der Yollkommenen Zahl,
fort, und führen auch die verschiedenen Kategorieen, wie
das Leere, das mathematische Verhältniss, das Ungerade
n. s. f. auf die Zahlen innerhalb der Dekas zurück, indem
sie dieselben theils den UrgriindeB (dem Eins und der
Bubestimmten Zweiheit), theils den aus dieseu entstan-
denen Zahlen zueigiien. Als ein solches, das auf die
Urgrände zurückgeführt mrurde, nennt Aristoteles nament-
lich die Gegensätze der Ruhe und Bewegung, des Guten
und Bösen ^). Wie jedoch die einzelnen Zahlen und aus
den Zahlen die übrigen Dinge abzuleiten seien, scheinen
sich die Platoniker theils gar nicht, theils widersprecheoü
beantwortet zu haben; wir sehen wenigstens aua Ari-
stoteles, dass sie zwar die Entstehung der Zahlen mit
mystischen Formeln zu erklären suchten^), dagegen In
dieser Erklärung nicht weiter fortglengen, und die Zahlen
bald als unbegrenzt, bald als begrenzt durch die Dekas
beschrieben^), ebenso auch hinsichtlich der geometrisehen
Grössen verschiedene Wege einschlugen, indem die Einen
diese aus den Arten des Grossen und Kleinen entstehen
Hessen, aus dem Langen und Kurzen die Linien, aus dem
Breiten und Schmalen die Flachen, aus dem Tiefen und
Flachen die Körper, Andere dagegen aus dem Punkte, als
dem der Einheit Entsprechenden, und einer Art Materie,
die der Vielheit entsprechen, obwohl nicht die Vielbelt
selbst sein sollte ^)\ mit der ersten Ableitungsweise stand
1) Metapb. XI IJ, 8. 1084, a, 12. 31 ff« Tgl. Tukoprb. Metaph. c. 3.
' 2) Eben diese letztere Angabe macbt es wahrscheinlich, tlass wir
hier nicht zunächst an Speusipp, der das Gute und Böse top
dem Eins ond der Vielheit bestimmt unterschied , sondern wohl
eher an Xenokratcs xu denken haben.
• 5) Mclaph. XIII, 7, 1082, a, 13.
4) Metaph. XII, 8. 1073» a, 18. XIII, 8. 11084, a, 12. XIII, 9. 1085,
b, 23. XIV, 4 Anf. Phys. III, 8- 206, b. 30.
5) S. o. S. 337, 3 — eine ähnliche Differenz erwähnt Metaph. VU,
11. 1036, b, 13.
Die ältere Akademie SS9'
vielleicht dieBeliauptuDg;^) in Verbindung, dass die Zwei-
heit dth Zaiil und als solche die formelle Ursache der
Linie sei, die Dretzahl die der Fläche, die Vierzahl die
des Körpers. Kam aber diese Theorie schon mit der Ab-
leitung des Mathematischen in's Gedränge, so konnte sie
natürlich noch weniger das konkrete Dasein aus ihren
Principien erklären, und sie scheint hier nach allem, was
wir aus Aristoteles abnehmen können, ganz bei den un-
bestimmten und willkuhrlichen Analogieen stehen geblie-
ben zu sein, von denen uns dieser einige Beispiele auf-
bewahrt hat ^), und denen namentlich Xenokrates ergeben
gewesen zu sein scheint; Theophrast wenigstens sagt
diess Ton ihm^), und diese Aussage wird durch die An-
gaben bestätigt, dass Xenokrates das Göttliche demgleich«
seitigen, das Sterbliche dem ungleichseitigen, das Dämo-
nische dem gleichschenkligen Dreieck Verglichen ^), und
dass er die Seele als eine sich selbst bewegende Zahl
defiuirt habe ^}. Nur um so auffallender ist aber freilich
neben dieser Vorliebe Tür mathematische Formeln eine
sowenig mathematische Behauptung, wie die Xenokratische
Annahme der untheilbaren Linien ^)»
Metaph. XiV, 3. 1090, b, 20 vgl. VII, 11. 1036, b, 12. Be ait
I, 2. 404, b, 18 ff. Sybiah lu Metaph. XIII, 9 bei Bbakdis de
perd. Arist. libr. S. 42 f.
2) Metapb.XIII, 8. 1084, a, 32. I, 9. 991, b, 10 vgl. XIV, 5. 1092,
b, 10.
3) Metaph. c. 3 S. 313 ed. Bb. ; die Meisten geben m der Ableitung
der Zahlen nicht weit, ausser Xenokrates; ovros yaQ anavra
TT(tDi TTSgiTi^tjai, na^l iov xoafiovj Ofiolojs ala^rjta ual voritd nal
ltui&ijßar*»a , nal hi $^ ra ^«1«. Aebnlicb, wird bettierlit^
mache es auch sein Mitsdiüler Hestiä'us, weniger gelte diest ron
Speusipp.
4) Plutabch def. or. c. 13>
5) Abist, de an. I, 2. 404, b, 27. Anal. post. II, 4. 91, a, 37* Cie.
Tusc. Qa. I, 10, 20. Flut. an. proer. 1, 5. vgl. c. 2.
6) M. s. über diese Ritteb Gesch. d. Phil. S. 536. 541. Uebrigens
ist zu bemerlien, dass auch Herahlides eine, nur nocb gröbere,
Atomenlehre vortrug. S. Rbiscik, Forschungen I, 332 f«
22*
249: ^^^ ältere Äkademi«.
Mit 4iefl6m Dogmatlsmim hängt nun auch der religiöse
Charakter dieses späteren Platonismus zusammen. Piatos
freies Verhältniss zu den religiösen Vorstellungen war
hier natürlich nicht möglich, dieselbe Verehrung der
Auktorität vielmehr, welche die Akademiker bei einer
dogmatischen Wiederholung sefnelr Lehre festhielt, musste
sie auch zum Volksglauben zurückführen. Ein besonderer
Anknüpfungspunkt für diesen lag aber in dem mathema-
tischen Ciiarakter ihres Philosophirens. Hatte schon
Plato die mythische Darstellung nicht entbehren können,
um den Mangel an einem bewegenden Princip in den
Ideen auf diesem Wege zu ergänzen, so mu«ste sie seinen
Nachfolgern, welchen, von Piatos dialektischer Beweg-
lichkeit wenig zu Theil geworden war, mehr und mehr
zum Bedürfniss werden, und diese mochten sich einer
solchen Darstellungsform um so lekhter bedienen, je
näher ihre eigene symbolische Ausdrucksweise der my^
thischen stand, und je ausgedehnteren Gebrauch ihre Vor-
gänger, die Pythagoreer, von dieser gemacht hatten.
Speusipp nun, der überhaupt mehr ein logisch verständiger
Kopf gewesen zu sein scheint, gieng in dieser Richtung
noch nicht weiter, um so mehr aber der pythagoraisirende
Xenokrates, wenn dieser seine Urgründe, die Monas und
Dyas, mit den Pythagoreern ^uch als den männlichen
u|id weiblichen Gott beschrieb, jener das Ungerade, die
Vernunft und dfe Lenkung des Fixsternhimmels, dieser,
die er auch die Weltseele nannte, die Beherrschung des
Planetenhimmels zutheilend, wenn er im Zusammenhang
damit, in einem übngens dunkeln Ausdruck, von. einem
höchsten und einem tiefsten Zeus redete, die Gestirne
als olympische Götter verehrte, neben diesen aber auch
noch gute und böse Dämonen annahm, die durch Opfer
1) S. über diese Plüt. an. proer. 2,2^. BiT^ca Geseb. d. Phil. I,
*34 flf.
/ ,
-Die altere Äl(ademi0. 341
und Feste theils geehrt tfieils bescimicbtigt werden
itiussen 0* Auch in der Lehre von der Seele seheint er
der pythagoreischen Mythologie, deren Eihfluss schon
bei seinem Lehrer stark genug hervortritt , eine bedeu«
tende Stelle eingeräumt zu haben; wahrscheinlich liegt
dem Ausspruch, dass die Seele der gute und hose Dämon
eines Jeden sei^), die Vorstellung von der dämonischen
Natur der Seelen zu Grunde ^), an die sich dann phan-
tastische Spekulationen über den Präexistenzzustand und
den Eintritt ins irdische Leben anschliesseh mochten,
dergleichen von seinem Mitschüler, Heraklides aus Pon-
tus, erwähnt werden*). ,
Wie wenig fibrfgens Xenokrates mit dieser Geistes«
richtung allein stand, diess zeigt ausser anderen, in dem
Obigen enthaltenen Spuren, namentlich auch die pseudo-^
platonische Epinomis. Diese Schrift stammt zwar schwer-
lich schon aus der ersten Generation akademischer Phi-
losophen ; Aristoteles wenigstens scheint sie nicht gekannt
zu haben ^), und auch sonst enthält sie Manches, was auf
eine etwas spätere Zeit hindeutet; doch dürfen wir sie
trotz ihrer Gehaltlosigkeit und ihrer schlechten und schwer-
fälligen Darstellung wohl immer noch einem Mitglied der
altern Akademie zuschreiben, und als ein Denkmal des
in dieser herrschenden Geistes betrachten. Da ist- es
nun merkwürdig, wie weit sie sich vom ursprünglichen
Piatonismus entfernt. Abgesehen von dem formellen Man-
1) Die Belege s. bei Hitteb Gesch. d. Phil. II, 537 ^. Hbische For-
schungen I^ 311 ff. vgl. (Bbasdis) Reo. von van Wynpcrsse de
Xenocrate (wekhe Schrift mir leider nicht zu Gebote steht} in
d. Heidelb. Jahrbb. 1824 Nr. 30 S. 479.
3) Abist. Top. II, 6. 112, a, u.' Stob. Serm. 104, 24.
3) Vgl Bbischb a. a. O. S. 321.
4) Jamblich b. Stob'. Ekl. II, S. 904.
5) Er erwähnt sie nirgends und äussert sich Folit. II, 6. 1265, b,
18 in einer Weise, die eine Belianntschaft mit ihr positiv aus-
zuschliessen seheint*
342 P^^ ältere Akademiia.
gel, 4ass sie atle dialektische Entwicklung; vermissen
Iftsst, g^eht auch im Einzelnen ihres Inhalts der Charakter
des Platonischen Philosojihlreus g^rosseiitbeils verloren.
Als die höchste Wissenschaft, deren Besitz zum weisen
Manne und zum guten Birger und Regenten mache, wird
hier (976, C ff.) die Wissenschaft der Zahl gepriesen,
die der Gott Uranos den Menschen verliehen habe, und
^ demgemäss in der Schrift selbst hauptsächlich von der
Bewegung und Stellung der Himmelskörper gesprochen;
von der Wissenschaft dagegen, welcher nach {Platonischer
Ansicht auch die Mathematik als blosse Vorstufe 'dient,
der Dialektik, scheint, der Verfasser der Epinomis gar
nichts zu wissen. Mit der Mathematik wird femer in
ahnlicher Weise, wie in den Gesetzen, die Religion in
Verbindung gebracht (S. 980 , C iF.) ? die aber hier zun
gewöhnlichen Volksaberglauben herabsinkt, wenn die
Epinomis (9S4, D tF.) sogar ziemlich ausführlich von ^Dä-
monen und Halbgöttern handelt. Das Ganze ist überhaupt
nichts Anderes, als eine Empfehlung der Mathematik in
ihrer Verbindung mit der Theologie, und eine Gelegen-
heit für den Verfasser, seine astronomischen Kenntnisse
anszukramen; von Piatos philosophischen Ideen kommt
darin kaum etwas zum Vorschein.
Nur eine andere Folge des gleichen philosophischen
Mangels war es, wenn die ältere Akademie in einen Em-
pirismus gerieth, der Plato fremd gewesen war. Von dem
Idealismus ihres Meisters zu der pythagoreischen Zahlen-
Symbolik zuriickgesunken, setzte sie theils die religiöse
Vorstellung an die Stelle des Gedankens, theils musste
sie dem Einzelnen der Beobachtung eine Bedeutung ein-
räumen, die ihm Plato^s auf die Idee gerichteter Geist
nicht zuerkannt hatte. Jene Consequenz nun war vor-
zngsweise bei Xenokrates hervorgetreten , dieser begeg-
nen wir in Speusipps encyklopädischer Gelehrsamkeit *)»
i) DioG, L. IV, 2. 5. Tgl. Btttbb II, 425 f.
I
»Die Sltefe Akadenie* 34S
in seiner B^hanptung^, dasa die richtig^e Begrtflbbeirttoiiiun^
niclit blos die Kenntniss des Geg^enstands, sondern auch
aUes dessen, von dem er sich nnterselieidet, voraussetze Of
nnd in dem höheren Werthe, den er in Verg^leich mit
Plato der sinnliehen Wahrnehmung beilegte, \9\e diesa
sein Ausdruck: wissenschaftliche Watirnelimnng (inisttf-
fiowjci? ai4T^rf<t*g) bezeichnet ^). Mit diesem Empirismiu)
hieng dann auch die i^nnetunende Abwendung von speku-
lativer Forschung und Bescliränkung auf die praktische
Philosophie, und innerhalb der letztern die Scheu vor
aller Uebertreibnng, die Richtung auf das Ausfuhrbare
und Natnrgemasse zusammen ^ die an der Ethik der al-
tem Akademie gerühmt wird^. Sehen anSpeusipps und
Xenokrates Bestimmungen über die Glückseligkeit ^) lässt
1) Themist. in Anal, post Jf, 13 f* 13 u. JSjiivaiTfTtoQ 8s ov naköje
' k^ysi <pdaxojv dvayxaiov eivai^ xov OQi^Ofisvov yidvret eid^vat'
iti f*if yaQt (pfjoiy YIVM0H61V raff Sta(fiOQds avvov -jrdaas alQ ti»p
iAlatv i&6yfivox$»' dSvvarov da ^div<u rdi SicLg>o^di rdi Tt^s
tttaarov , fti^ siBorai avxo enaarov. Dasselbe sagt, obne den
Speusipp zu nennen, schon Abist, a. a. O. 97« a, 6 • dass aber
dieser genveint sei, bestätigt auch Philopohus und ein Ungenann*
ter bei Baabpis Sckol. 2^8 v a « der Letstere mit Berufung ai|f
Eiidemus.
2) Sextüs adv. Math. VII, i45.
3) Z. B. von Cicero Acad. qu. II, 44.
4) Glex. Alex. Strom. II, 306, A Stlb. SSirsvamno^ . • trjv gvSaa^
jAOviav (ptjalv e^iv 6iva& nXsiav iv roii natd ^v<f*v i'xovCH/* ij
i'Siv ayad'üty. . . . ^evQXQdvtjs ra Kahn^Bovioi r^v svdaifiovlav
dnodidwai ntijaiiß tiJ9 oiKtias d^sr^s Mal r^c vnrjQSTtHtji avrff
dvvafiteoiS' eha ojS fiiv i» at yivexai. tpaivtrai Xiyeiv ttjv ^fv^yv
(OS ä* v<p' dtv Tai d^sras ' ojS S* < J wv , cJc /uegdSv , raff nakds
Tcgd^eu nal xcre anovSaias e^sis rs xai dia&iaui »a\ y-tvrjosii xal
ax^oeiS* cwff tovtcov oim dvsv td aüj/iaviKa xal rd enros. Mit
dieser Tendenz, die gesammte Natur des Menschen als berechtigt
anzuerkennen , hängt wohl auch zusammen , dass Spensipp und
Xenokrates nach Oitmpiodoh (angef. v. Gotsm im Journal des
Savants 1835, 145) Krische a. a. O. S. 257) auch den unrer-
nunftigen Theil der Seele unsterblich sein lassen, während es
nach Plato nur die Vernunft ist*
H4 DI" alters Akadenir«.
•ich diese Elgenthamllcbkelt - uachweiMD ; das netarge*
misse Leben ist scbim hier der Wahlspruch, za dl«en
aber werden neben den geistiiren Gütern, die sefnHanpt-
bestaadthei) sein seilen, auch die änsseren gereebaet;
- ansdrÜGkllcher erklärte Polemo das nataram leqai fu^ das
höchste Gnt ■), und wenn er zn diesem ausser der Tagend
nichts Weiteres forderte ^), so wollte er damit doch
keineswegs eine stoische Apathie lehren; Cicbro wenig-
stens (a. a. O.) läast ihn abi das Höchste verlangen:
kone$te rdvere , Jrnentem rebut iis, ijnas primas homini na-
ivra conciliei nnd sein Mitschüler Krantor, der bewunderte
akademische Moralphilosoph, erklärte sich ansdrSckJlieh
gegen die stoische Schmerzlosigkeit >). Je welter sich
aber die Akademie der Zelt nach ron ihrem Urheber ent-
fernte, nm so mehr beschränkte sie steh auf eine popu-
läre Ethik: hatte schon Xenokrates die praktische Ver-
nünftigkeit von der theqretischen unterschieden *), und
so das Ethische, das Plato dem philosophischen Wissen
absolut untergeordnet hatte, ihm beigeordnet, so wird es
TOD Polemo demselben übergeordnet, nenn er erklärt,
man müsse sich durch Handeln üben, nicht durch dialek-
tische Theorie*), und so gehSrt ilenn auch Alles, was
uns die dürftigen Nachrichten der Alten über die Nach-
Cic. Acad. Qu. Ij, 4}, 131. De Fin. IV, 6. 14.
I^ Clbx> a. t. O. noU/uav fulvnat r^ liiatfimiav airäf/tutaw
iJvat ßovi.Qfiivat äyttOtüv Tiäniur, ^ Tiäy TilitiiiTiiiy kbI /nyleTiuy'
) ' epyfitttmv'v xal rm» mit, t^ äftr^r
9) ( IS. Ac Qu. II, 14, 13«. FtBt. Com. ad
I
f) ■ , 370, B: (diiwitpar^c) tfjV ypivtitur
(1 vnafxiir är&fomlr^v.
Die allere Al&tdemie.
345
folg^er des Xenokrates fiberliefert* haben, fast aas nahmelod
jener populären Moralphilosophie an, von der erst in der
folgenden Periode Arcesllans v?ieder zu spekulativen Fra-
gen zuriicklenkte* Nu|r der exoteriscbe Theil von Plato's
Philosophie vererbte sieh mit den» Garten in der Akade-
mie; der Erbe seines philosophischen Geistes war Ari-
stoteles*
Anhang zum zweiten Abschnitt.
Weitere Untersuchungen über, den Zweck und die Composition des
Platonischen Parmenides.
Die im zweiten Theil des Parmenides gefllhrte Untersuchung über
das Eins, von deren Erklärung die des ganzen Gesprächs abhängig ist,
könnte, an und fiir sich genommen, aus einem dreifachen Gesichtspunkt
aufgefasst werden: wasPlato in ihr beabsichtigt, ist entweder nur eine
Belehrung über die philosophische Methode, oder eine direkte Dar-
stellung gewisser Begriffe und Grundsätze, oder eine indirekte Vorbe-
reitung und Beweisführung fUr solche. Die erstere Ansicht, schon
bei den Neuplatonikem ', den alexandrinisehen sowohl als den italieni-
schen aus dem 15. Jahrhundert, da und dort vorkommend (s. Stall
BAVX Piatonis Parmenides S. 237 f. '242)) ist in neuerer 2^it durch
ScHLEiBBXACHEB (Platon's Werke I, 2, 86if0 und Ast (PI. Leben und
Schriften S. 239 ff.) ausgeführt, und vielfach gutgeheissen worden. (Kan
Tgl. ausser den von Stalt.bavh S. 250 Genannten : Götz Piatons Par-
menides, Augsb. 1826. s. bes. Vorr. S. IV ff. Kühn De Dialectica Pia-
tonis Berl. 1843 S. 20. Fniss Gesch. d. Phil. I, 365, der noch über
Schleiermacher hinausgehend den ganzen Dialog nur fär ein dialekti-
sches Spiel und eine jugendliche Vorarbeit angesehen Svissen wül.) Die
zweite ist durch Pbohlvs und die meisten Neuplatoniker , durch
Mabsilivs Ficihtts , in neuerer Zeit durch GotiTi (ra. s. über diese .
Stallbavm S« 239-245)» Tibdbnanb (Dial. Plat. Arg. 339 ff*)« ScHMinr
(Piatons Parmenides Berl. 1821; vgl. meine Plat. Studien S. 164.
Stallbaüm S. 250 f.) , Suckow (Diss. de Plat. Parm. Bresl. 1823 — '
ein ausfuhrlicher Auszug daraus bei Stallbaum S. 251 ff.), Wibck
(De Plat philosophia part. I. Merseb. 1830 s. Stallbaüm S. 260 f),
BicHTBB (De Ideis Plat S. 13. 42 ff.), Stallbavm (a. a. O.), Hbtdeb
(Vergleichung d. Arist. upd Hegerschen Dialektik 1, a, 106 ff*) und
Hbobl (Gesch. d. PhU. 1. A. II, 243 — in der 2. A. S. 208 hat der
Herausgeber mit Rücksicht auf meine Bemerkungen in den Plat Stud.
S. 165 f* eme nicht ganz unbedeutende Veränderung vorgenommen)
unter den verschiedensten Modifikationen entwickelt worden. Die dritte
habe ich in meinen »Platonischen Studien« S. 164 ff. zu begründen ver-
sucht, nachdem sie schon firüher von TBH^BMA1IK (Syst der Plat. Phih
II; 324 U 345) in der Annahme, dass der Parmenides eine Widerlegung
Weitere Unter^^^bungea über des FarnvenMefi. 347
der deatiBcltea Lehre du^cb %kh selbst sein solle, freilieb einseitig,
vorgetragen worden war; mit meinen Resultaten haben sich auch
Hbbmann (Gesuch, und SysU d. Plat I, 505 SL 665) und Bbasdis (Gr.-
röm. Phil, ll, a, 234 ff.) in der Hauptsache einverstanden erldärt In-
dem ich die Frage liier noch einmal aufnehme^ muss ich die Bekannt-
schaft mit meiner frühem Untersuchung voraussetzen.
Die erste der ebenerwähnten Auflßassungsweiseu kann theils das
Fehlen jedes materiellen Resultats im Parmenides, theils Plato's eigene
Erklärung (Parm. 136, A ff.) für sich anfuhren, dass es ihm mit der
Erörterung über das Eins nur um die dialektische Uebiing (die yvfivaifia)
und die Darstellung des richtigen dialektischen Verfahrens zu thun sei,
und dass eben dieses Verfahren nicht blos beim Eins, sondern ebenso
bei den Begriffen der Aehnlichkeit und Unähnlichkeit, der Bewegung
und der Ruhe, des Entstehens und Vergehens, des Seins und Nicht-
seins u. s.,w. Jb Anwendung gebracht werden müsste. Könnte jedoch
der erste von diesen Gründen eben nur so lange etwas beweisen, als
die Aufzeigung eines materiellen Resultats der dialektischen Untersuchung
nicht gelimgeu- ist, so erledigt sich auch der zweite (auf den namentlich
KüHv a, a. O. S. 24 viel zu grosses Gewicht legt}, sobald wir die
Platonische Weise beachten, die Tendenz seiner Gespräche zu verstecken,
und solches, das ihirch dieselbe wesentlich gefordert ist, oft nur als
zufalliges Betwerk erscheinen zu lassen, man müsste denn behaupten
wollen, dass nuch im Phädrus die Untersuchung über das Wesen der
Liebe nur als ein Beispiel für die Darstellung der wahren Bedekunst
SU betrachten sei, für das ebensogut irgend ein anderes hätte gewählt
werden können, dass es dem Plato auch mit Erklärungen, wie die am
Schlüsse des Protagoras (361, A), des Theätet (210, C vgl. S. 150, G),
des Meno Ernst sei, dass aiich im Gastmahl die Rede des Alcibiades
über Sokrates mit den Liebesreden in keinem Innern Zusammenhang
stehe, und diese selbst nur ein Tafelscherz seien u. s. f. Ist nun hie-
mit diese Ansicht nicht zu beweisen, so entscheidet ptksitiv gegen sie,
wie ich auch früher schön bemerkt habe, dass sie uns weder den Zu-
sammenhang zwischen dem ersten und zweiten Theil aufzeigt, noch der
Vorstellung, die wir uns von der Platonischen Dialektik machen müssen,
entspricht Der ersteren von diesen Einwendungen zu begegnen, hat
auch der neuste Vertbeidiger dieser Auffassung keinen Versuch gemacht;
aber auch die zweite müssen wir ebenso gegen seine, wie gegen die
früheren Darstellungen wiederholen. Soll der Parmenides die dialek-
tische Methode darstellen, so müsste er das vob PlatQ f!tr richtig er-
'kannte Verfahren der Begriffsentwicklung entweder positiv darlegen,
oder er müsste es dnroh Widerlegung eines en^egengesetaten Yerfah-
346 'Weitere Untersuchungen Über«len Farmenij^l.
rens indirekt l>egr&nden, oder er niHsste irgend ein iinenÜ>ebrliclM«
Hälfsmtttel für dasselbe an die Hand geben. Das Erste ist dieMemnng
ScBLEiBBMACHSHS, AsTS und der Meisten, die diesen gefolgt sind; aber
die vollendete Dialektik kann uns der Parmenides, wenn er kein ma-
terielles Resultat gewähren soll, nicht darstellen, da diese eben nur
durch iure Richtung auf positive Erkenntniss der Idee, durch Zusam-
menfassung der entgegengesetzten Restimmungen cur Einheit des Re-
griffs, von der Eristik sich unterscheidet. Vgl Phüeb. 16, D f. Rep.
VIT, 559, R f. V, 454, A*f. Giebt man daher jene ResulUtlosigkeit
der Parmenideischen Untersuchung zu, so roüsste dieselbe vielmehr
eher als ein Muster der falschen Methode angesehen werden, wie Götz
will, wenn er sagt, Plato beabsichtige im Parmenides die IQichtigkeit
aller Regriffsphilosophie, als solcher, nachzuweisen, um der intuitiven
Erkenntniss der Idee Platz zu machen* Aber freilich heisst das der
eigenen Erklärung des Philosophen, der uns das von Parmenides an-
gewandte Verfahren als Muster und unentbehrliches Element alles
jSchten Philosophirens vorhält (Parm, 135, G ff.)? Hohn sprechen, und
ihm statt der ihm eigenthümlichen begrifflich dialektischen Methode
die ihm fremde intellektuelle Anschauung unterschieben. Wir müssen
daher jedenfalls jbu der Annahme zurückkehren , dass wir hier ein von
Plato gebilligtes Muster vor uns haben. Kann nun dieses doch nicht
ein Muster der vollendeten Dialektik sein sollen, so bliebe nur übrig,
dass hier ein besonderes, für sich genommen noch ungenügendes Mo-
ment der wahren Dialektik dargelegt werden sollte, und eben dieses
könnte auch Plato selbst zu bestätigen scheinen, wenn er die hypothe-
tische und antmomische Regriffsentwicklung des Parmenides ausdrücklich
als blosse Vorübung für die wahre Philosophie bezeichnet (Parm. 135^
D — 136, £)• Insofern war es ein glücklicher Gedanke von Kvhit,
die Schleiermacher*sche Ansicht dahin zu modificiren, dass im zweiten
Theil des Parmenides nicht die vollendete, zur Gewhmung eines- posi-
tiven Resultats anzuwendende Methode der Forschung, sondern nur
die dieser nothwendig vorangehende Erwägung der mit gewissen An-
nahmen und Regriffen verbundenen Schwierigkeiten dargestellt werden
solle, so dass wir also hier ein Reispiel des von Arutotsles, in Ab-
weichung vom Platonkchen Sprachgebrauch, als Dialektik bezeichneten
and häufig angewendeten Verfahrens hätten , vermöge dessen die positive
philosophische Restimmung durch vorgängige Erörterung der äiro^iai
angebahnt wir4* Auch bei dieser Fassung jedoch scheint mir nicht
allein der Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten TheQ des
Gesprächs zerrissen, sondern auch die Eigenthümlichkeit der Platoiii-
ichen Dialektik verkannt zu werden* Hinsichtlich des Astern kam
Weitere Untersacboiigen übei' den Parmeoiilet. 349;
icb nur wiecbrholen, was Iah schon in meinen Pkt Styd.'S. 160 be-
merkt habe, dass die ausführliche Entwicklung der mit der Ideenlehre
verbundenen Schwierigkeiten« im ersten Theil des Parmenides störend
und zwecklos wäre , vvenn . f)ir die Lösung dieser Schwierigkeiten im
\ eriaufe nichts gethan würde, und ich gestehe^ dass mir dieses Beden-
ken immer noch so stark erscheint, dass ich ihm nur durch die Annahme
von Ast <P1. L. u. Sehr. S. 244)) welche seitdem Bittbb (Gölt gel*
Anss. 1840, 19. St. S. 1S5 f.) weiter ausgeführt hat, das Gespräch sei
unvollendet, auszuweichen wüsste — ane gefährliche Annahme freilich,
da sich kaum denken lässt, dass Flato ein Werk^ in dem gerade der
Schlüssel sum Verständniss des Ganzen und der künstlerische Einheits-
punkt noch fehlte, in dieser unvollendeten Gestalt publicirt, oder wenn
er diess aus irgend welchem Grunde that, es nicht nachher ei^'n^t
haben sollte. Was das Andere betrißt,' so muss ich auch hier auf die
oben angeführten Platonischen Stellen verweisen* Olfiw yd(f ot ov lektj^i"
taif sagt dieRcp. Vif, 539, B, ort oi fjutijaxtauoiy orttv to tt^wtov Xo~
ywp ysvütvrati ojs TratSiu avrais tcarax^vTat atl eis dptil^yiay X^~
fiBroe . . . xatQOVTti wane^ ^axvkaHia tot tknsiv rt nal aitm^rrup. r<ff '
Ao)^ Tovs nltiüiov dkiy und in noch genauerer Anwendbarkeit auf de»
vorliegenden Fall der Philebus 15, D f. . • 4>a(iiv nov xavtov tv nt/X
TTokXd ino Xoyujv ytyro/itva ntQt^r^ixtiv ndvvij Ka&' enaoTOP ru'ßp ksyo^
fiiviuv dtl Mal itdla^ xal vvv • • « • o $t irffonov avTOv ykvoßfiwo^
eudoTOtt röÜ» vlotv ^ tjad'iiS uji rtva oo(piaS svgfjuwt ^ijütev^fay^ ^9*
i^dovfjc iv^iVi^ te »ai ndpra xtvtZ loyov ao/Mvos, tots (Akv inl ^ct^-
rcp« •»vxXdiv nal avfupvpwy sii er, rore Si ndk&v dvHUttotv hoX Siufi9^
^^aif, tit dnoQidv aitov fitv n^unov xal fidkiara xaraßdXXwv^ dtvtt(^
^ dtl Toy txoftavov u s. w. Nach dieser Erklärung schemt es nicht,
dass Plato eine Darstellung gebilligt, oder gar selbst geschrieben haben
würde, welche eben nur die Darlegung der dno^iui, das wechselswebe
Hervorkehren bald der Einheit bald der Vielheit, zum Inhalt gehabt
hätte, ohne die Lösung dieser Gegensätze direkt oder indirekt 4Uizu- ^
bahnen. Ebensowenig wird man unter den Platonischen Gesprächen
eine Analogie hiefür finden können, überall vielmehr lassen diese, mag
ihr Resultat auch anscheinend noch so negativ sem, doch eine positive
Ansicht im Hintergrund durchblicken; wie ist es dann denkbar, dass
ein Dialog, welcher in sebem Anfiing die Ideenlehre sehon mit aller
Bestimitetheit vorträgt, im weitem Verlaufe sich mit der Empfehlung
eines dialektischen Verfahrens begnügen sollte, das tmlübig, ein positi*
▼es Resultat zu gewähren , höchstens bei den ersten elementarischai
Unterrachungen über Begriff und Methode des Wissens vorkomme
liönnte?
3Jf0 Weitere üntersiicbungeii über ^en Parmenide«.
' Sind tvir nnii bi«fnit genöthigt, ttnt mch «111611» maleriellen Hatul-
tat der Parmenideitehen Unterguchung unixusebeo, \o fragt es sich wei-
ter, ob dieses direU oder indirekt in ihr enthalten »t Die bisher ge-
wohnliche Meinung war, dass es direkt ausgesprochen sein müsse.
Dieser Annahme steht jedoch atisser dem Verhältniss des »weiten Tbeils
»um ersten, das unter \ oraussetzung derselben wenigstens bis jetKt
noch nicht erklärt ist, als unübersteigliches Rinderniss der Widerspruch
entgegen, in ^den die dialektische Erörterung des Parmenidcs im Gän-
sen und Einselnen ausläuft. »Das Eins mag sein oder nicht sein, so
muss sowohl es selbst, als, das Andere [das Nichteins] im Verhältniss
eu sich selbst und su einander Alles in jeder Beziehung gleichermassea
sein und nicht sein, scheinen und nicht scheinen« •** in diesem Ergeb-
nlss IWsst Plato selbst zum Schlüsse die Resultate seines zweiten Tbeils
bündig zusammen. Wie lässt sich nun denken, dass diese rein wtder-
sprechenden Bestimmungen das Ziel unsers Gesprächs bilden sollten?
Es solle hier, meint Hegel, die dialektische Natur der Ideen darge-
stellt werden, die Einheit entgegengesetzter Bestimmungen zu sein» Al-
lein diese Einsicht — wie ich auch in meiner früheren Abhandlung be-
merkt hahe — wird eben hier nicht positiv ausgesprochen, sondern die
Darstellung bleibt i>eim ]Ndt»eneinander sich aufhebender Bestimmungen,
beim Widerspruch als solchem, stellen^ ebenso geht die Untersnchung
im Ganzen nicht blos von der Voraussetzung aus, dass das Eins sei,
sondern auch von der, dass es nicht sei, kann daher auch nicht blos
die wirkliche Natur des Eins oder der Idee überhaupt entwickeln wol-
len; auch das Verhältniss zum ersten Theil endlich lässt sich von hier
aas nicht verstdien. In noch höherem Maasse häufen sich die Schwie-
rigkeiten dieser Auffassung, sobald wir sie in*s Einzelne durchführen.
HsoBL selbst hat diess nicht gethan, und die, welche es , versucht ha-
ben, sind nicht von seinem Standpunkt ausgegangen. Doch treffen sie
mit ihm darin zusammen, dass auch sie im zweiten Theil unsers Ge-
sprächs die direkte Entwicklung philosophischer Ideen suchen. In d^'
n&heren Bestimmung dieser Ideen jedoch und der Art, wie sie gewon-
nen werden, gehen die Ansichten weit auseinander. Um hier nur die.
neuesten und bedeutendsten Bearbeiter des Parmenides zu nennen, so,
^aabt ^trcHow, der zweite Theil dieses Gesprächs habe zwar zunächst
den Zweck der dialektischen Uebung und Hhiweisung auf die Wider- >
Sprüche, in die eich ein unbesonnenes Denken i^erwickle (S. 20ffi-)) cu^
gleich wolle aber Plato hier auch seine Ansicht vom Wesen der idea^.
len Welt und ihrem Verhältnisa zur Erscheinungswelt ausetnandersetzan«.'
Zu diesem Behufe zeige er im ersten Abschnitt der dialektisebra Ent-
wicklung zuerst CS. 137— 142, B), dass die ideale Welt absolute» alle.
Weitere Untersuthungen über den Parmenide«. S§]
6e^eitthelt, BSumlicllkek, ZeitUcHkelt li. 8. f. «m»dilieMeitde Ehsbat ttoif
sodann {S. 143* B — 155, £), dass theh diese Einheit und ebenee
Tede von den in ihr enthaltenen Monaden, eine unendliche Vielheit in
sich «cfaliesse; drittens (S. 155, E — 157, B), diss Einheit undGo-
tbeiltheit, Sein und Nichtsein in der Erscheinungsi/velt ?erluiiipit seien,
auch hier jedoch eben in dieser Verknüpfung die Natur der Idee ^ Bube
and Bewegung zugleich^ «u sein, sich ^manifestire ^ viertens (S. 157,
B — 159, B), dass das Andere, d. h. die andern Ideen, an der Einheit
Theil haben, und zwar in doppelter Beziehung, sofern sie alle susam«
men und sofern jede fHr sich Ein Ganzes bildet 5 fünftens (S. 159,
B -^ 160, B), dass die Vielheit dieser Ideen sich in die Einheit der Idee
wieder aufbebe; hierauf im zweiten Abschnitt m Betreff der Erschei-
nuägswelt: 1) dass auch dem Nichtseienden gewissermassen ein Sein,
zukomme (S. 160, B — 163, B); 2) dass das Nichtseiende, yveaa es
schlechthin nichts wäre, auch nicht entstehen, vergehen imd vorgesl^lt
werden könnte (1639 B — 164, B); 3) wie aus der Getheiltheit der
Ers^beioungSwelt die Beschaffenheit des Sinnlichen folge (164, B —
165, E); 4) in anderer Wendung wieder dasselbe, wie unter Nr. 3)
(165, E — 166, G). Vgl. a. a. O. S. 25 ff. So durchdacht aber diese»
ursprünglich, wie S. sagt, von Stjcffebs herrührende Erklärung aueh
iat, so wenig bt sie doch frei von Schwierigkeiten« Ber erste Abschnitt
im z^veiten Thell des Parmenides, S. 137 — 160, B, soll eine Bescfarei-
bimg der idealen Welt enthalten; aber von S. 157^ B an ist ja vom
»Anderen«, d. h. vom B^chteins, die Bede. Sucbow deutet dieses, wie
Hrgfx, von den andern Ideen; aber wenn das Eins nach S. 27 die
gessonrnte Idealwelt in der Art bezeichnen soll, »ut praeter hone Menada
mkÜ ommno sk, nam omnifi ipsa eontinef» , wie können dann unter dem
Nichtseins {takla tov ivif) die Ideen, d. h. die Theile eben jener Ideaf-
welt> welche das Eins ist, verstanden werden V Man darf aber auch nur
Parm. 136, A. 159? B £ vergleichen, am zu sehen, dass mit den äkX$i
vielmehr ^as von der Einheit verlassene Viele gemeint ist. Im zweiten
Abschnitt sodann, von S. 160, B an, soll von der Eracheinungswelt die
Rede sein; aber wie kann das, was S< 160, B ^ 164, B vom Eins
gesagt wird, auf diese bezogen werden? Denn dass hiebet die Nicht-
realitäl des Eins vorausgesetzt wird, verändert nicht auch den Begriff
dessdben zum Gi^entheil setner« Was endlicb Svohow ganz übersehen
bat: es werden dem Eins sowohl, als demNichteins hier nicht bloa^veiv
flchiedene, sondern sehlechthin widersprechende Bestimmungen beigelegt^
und dieser Widerspruch wird in keiner höheren Einheit aufgehoben; 6»
wird iw B. schlechthin und ohne Beschränkung gesetzt^ das ei9emaV das»'
das Eins ohne Theile, OiBstalt, Zeit u. s. f. sci^ das aaderonali dast ihm;
SM Weitere Unters uchunge» ^h^v den Parmeaidei«
alles dieses EÜiomine^ ebtnso aber werden dem Ems sowohl als dem
Nkhteins Prädikate betgelegt, die ihnen in Plato's Sinn gar nicht wiiii-
lieb sukommen, dem Eins 2» B. (Parm. 144 f.) Zahl, Gestalt, Vor und
Nach, dem Nicht -eins (ebd. S. 159, D), das« es nicht Vieles, dass e»
weder ähnlich noch unähnlich sei u. s. f., und diese Prädikate, sofern
sie sich auf die Idealwelt beziehen sollen, ßir blos bildliche Ausdrücke
zu erklären (Svchow>S. 29 f.)« i&t die grösste WHlkühr, .da sie gans
durch das gleiche dialektische Verfahren gewonnen werden, wie die,
welche eigentlich gemeint sein sollen. — Mit Sugkow triill nun Wi«civ,
den ich aber nur nach dem Auszug bei Sta.i.i:aiuv ^beurtheilen kann^
dwrin zusammen^ dass er gleichfalls das allgemeine Problem über das
Verbältniss der Idee zur Erscheinung im Parmen direkt beantwortet
glaubt. Plato sol) hier die Einheit und den Unterschied der , Identität
und Differenz sowohl In der absoluten als der rela^ven Idee (?) nach-
weisen wollen. Wie jedoch dieses kn Parmenides geleistet sein soU^
davon bekenne ich, weder durch Stallbiuhs Bericht, noch durch den
langen Abschnitt, den er aus Wiscrs Sehrift mittheiit, einen irgend kla-
ren Begriff bekommen zu haben, muss mich daher hier^ auf die Ermne-
rang an meine frühere allgemeine Bemerkung bescltränkcn , dass eine
direkte Belehrung über das Verbältniss der Einheit und Vi^eit in ei-
ner Darstellung, wie die vorliegende, überhaupt nicht gesucht werden
kann, da diese Darstellimg die Vereinbarkeit beider Bestimmungen nicht
unmittelbar nachweist, sondern nur ab wechshings weise bald die eine
bald die andere hervorkehrt, um sie schliesslieh nicht in ihrer Einheit,
sondern im absoluten Widerspruch eusammensuAMsen.
Auf eigenthümliche Weise aucht SritusAUM dieser Schwbdgkeit
zu begegnen. Dass der Parmenides eine direkte Belehrung über die
Principien der Philosophie enthalte, stehtauch ihm fest; dass eine solche
nicht widersprechende Bestimmungen in Mch sehliessen könne, giebt er
zu; um nun doch beides zu veremigen, nimmt er an, dass' sieh die ent-
gegengesetzten Aussagen der Platonischen Darstellung gar nicht auf die^
selben, sondern auf verschiedene Gegenstände beziehen. Wenn daher
zuerst (Parm. 137, G — 142, A) dem Ems Vielheit, Theüe, Buhe,
Bewegung u. s. f.-, überhaupt alle bestimmten Ei^scbaften abgespro*
eben werden, so soll imter dem Eins hier das Unendliche (aW^a») ala
die Materie der Ideen (die materia prima) verstanden werden (ß,72^)^
wenn demselben sofort (Parm. 142, B — 155, E) alle möglichen Ei-
genschaften bcngelegt werden, so soll sich diess nicht mehr auf ;enes
•nste^ absolute Ems, sondern auf das Unufk finUum, das durch den Zu?
tritt des begrenzenden Princips bestimmte äwngov bezbhen (S. 96 ff.)>
auf eben dieses soU die Auseinandersetzung Farmen. 155» Eff^ §/ekeA\
Weittre UnUriucliuii^eii über ien Parmenidei. i^i
(S. 185 ff.) 5 ÜhnKcb soll das v Andere« (tSXka) In doppeltem Sinn ge^
nommen werden: Parm. 157, B — 159, B soll der Ausdruck die durch
die begrenzte Einheit geformte körperliche Materie bezeichnen (S. 190 ff.),
Parm. 159, B — 160 B dagegen das der 'unendlichen Einheit gegen«
überstehende, von aller Einheit verlassene Körperliche (S. 199 f.); ebenso
im zweiten Abschnitt der dialektischen Entwicklung, der vom Nichtseia
des Eins ausgeht, soll unter dem nichtseienden Eins zuerst (P^rm. 160,
B — - 163, B. 164, B ff.) die relativ nicht seiende, d. h. negativ, nach
ihrem Unterschiede von andern bestimmte Idee verstanden werden
(S. 207 ff.), nachher Parm. 163, B — 164, B.. 165, E f.) das absolut
nichtseiende, d. h. bestimmungslose Eins (S. 220), und' unter dem An«
dem erst (Parm, 164, B — 165, E) die ns exemplum idearum negando
determinataram imkantes, idcopte diversae (S. 225), hernach (Parm. 165,
E — 166, C} das Körperliche überhaupt, wie es unter Voraussetzung
des absoluten Nichtseins der Idee zu denken wäre. Mit Hülfe dieser
Voraussetzungen gewinnt nun Stallbaum dasBesultat, dass sich der In-
halt des zweiten Tbeils des Parmenides auf^dte folgenden Sätze (S. 267«
^02 f. 235)'reducire: der Urgrund der Ideen ist eine unendliche, über
die menschliche Vernunft und Fassungskraft erhabene Wesenheit (essen* •
tia). Diese ist für sich selbst schlechthin unbestimmt, und ebenso un-
fähig das ausser ihr Liegende zu bestimmen, fasslieh und erkennbar zu
machen (Parm. 137, C — 142, B). Diese unendliche Substanz muss
aber nothwendig begrenzt werden und bestimmte Eigenschalten erhalten.
Dadurch entstehen die Ideen, denen die verschiedenartigsten Bestimmun«*^
gen schon darum zukommen, weil sie einestheils für sich subsistiren,
anderntheils zu einander und zu den Aussendingen im Verhältniss ste*
hea (142, B — 155, E). Ebenso, wie das Endliche und Unendliche^
verbinden sich auch die entgegengesetzten Eigenscbaflen de» Endlichen
selbst (155,* E — 157, B). Durch sein Verhältniss zu den Ideen wird
auch die Beschaffenheit des Körperlichen bestimmt: sofern die }(örper'>
liebe Materie durch das begrenzte PHncip der Idee bestimmt ist .ist sie
das vollständige Abbild der Idee^ und enthält alle Eigenschaften und
Fbrmen (157, B — 159, B); sofern sie aber vom Eins getrennt, und
nicht durch das begrenzende Princip mit ihm Terknüpf^ ist, ist sie
schlechthin formlos (159, B — 160, A). Diess gilt, wenn das Eins ge-
setzt wird. Wird dasselbe aufgehoben, und zwar a) nur relativ, so ist
das Eins alles Mögliche und hat alle Bestimmungen (160, D — 163, B>)
nnd ebenso erscheint das Körperliehe als alles Mögliche (164, C —
165, D); wird es dagegen b) absolut aufgehoben, so ist das Eins- ei-
genschaftslos und un^kennbar <163, C — 164, B) und ebensowenig
Di« Piiibsopliie der Griechen. U. Thetl. 23 ^
39i WeiUrf Uoteritichuiigeii über^dtn Ptrmettidet.
kann auch du Andere (daa Köq>erliche) in einer bestimmten Beschaf*
fenheit sein oder erkannt werden.
Eine ahnliche Erklärung des Parmenides hatte schon früher Kics-
Tsa, auf Grund der ihm von Stai.lba.i7x mitgetheilten Ideen, versucfit*
Das Eins sowohl, als das Sein, will auch er in doppelter Bedeutung
gefasst wissen : jenes theils als das indi? idueMe Eins oder die ^inKelheit»
theils als das wahre Eins, die Idee, dieses theils als das wahre Sem des
ovTüi6 oV, theils als das scheinbare des f*i^ oV: Farm. 137, B -r 142, D
soll nur die spuria utikcu, d. h. die formlose Materie, als das Bestim-
mungslose beschrieben werden, 142, B — 157) B die geformte Materie,
oder das Universum, als dasjenige, dem alle Bestimmungen sukommenf
157t B — 159 A das Ton dem wahrhaft Einen, oder der Idee, Ver.
schiedene, die Materie theils als unendliche, theils als geformte; 159« B
— 160, B die- Ton der Idee gänzlich verlassene Vielheit; 160, B —
163, B (das nichtseiende Eins) die Natur des sinnlich Einzelnen, das als
ein von anderem Einzelnen Verschiedenes ein Nichtseiendes genannt wer-
den kann; 163, B — 164, B das absolute Nichts; 164, G — 165, D
(xikla Tov ivoi) die Körperwelt, sofern sie von der wahren Einheit,
der Idee, gänzlich verlassen gedacht wird; 165, £ -*> 166, G dieselbe.
STAtLBAVM scheint von der Evidenz seiner Ansicht sehr fest über-
zeugt zu sein, da er es weder in semer Scbrifl, noch bei der Anzeige
meiner »Platonischen Studien« (Jahns Jahrbb. 1842* 55.B. 1. H. S. 56f.)
der Mühe werth gefunden hat, entgegenstehende mit Gründen zu wider-
legen, sondern sich mit einem einfachen vNichtverstanden« begnügt, auch
durch die bisherigen Erklärungen des Parmenides. in der Ueberzeugung
bestärkt: eos philosophos, qui certo alioui systimati addicU sunt et quasi
consecrati, non esse idoneos veterum phÜosophorum inteiyretes, sed potius
pessimos eorum corruptores (Parm. S. 328). Mir meinestheils hat umge-
kehrt sein Buch zur Befestigung der entgegengesetzten Ueberzeugung
gedient, dass mit blosser Sprachgelehrsamkeit, sammt einiger inotüia
sobi-iae pftilosophiae* für die Erklärung der alten Philosophen nicht aus-
zukommen t&t, indem diese ganze Darstellung auf einer ganzKchen Ver-
kennung der dialektischen Methode und der Grundbegriffe des Platoni-
schen Systems beruht Um den anscheinenden W^idersprüchen der Pla-
tonischen Darstellung auszuweichen, werden die entgegengesetzten Aus«
tagen derselben über das Eins und das Nichteins auf verschiedene Ge-
genstände bezogen, das euiemal auf das Eins als unbegrenztes, die Ma-
terie, das anderemal auf das begrenzte und geformte Eins, die Idee,
ebenso^ das Nichteins betreflfend, bald auf die von der Einheit schlecht-
hin verlassene, bald auf die von ihr bestimmte Körperwelt Damit wird
aber nicht allein der Inhalt der tiefsinnigen dialektischen Entwicklung
I
Wtiter« Ufitersuchuttgfn über den Ptrmtfticleft» 355-
bis Kur TrivialiUit benuitepgebracht ^ denn das verstebl ticb vom selbst
dass rerschiedca und entgegengesetzt bestimmten Subjekten auch Ter-
sobiedene und entgegengesetzte Prädikate sukommen ^- sondern 1es wer-
^den auch die allgemein gültigen Regeln der Interpretation, wie Plato'a
ausdruckliche Erklärungen ignorirt. Jenes, denn wo sollen wir das
Recht hernehmen, einen und denselben unveränderten Ausdruck im Laufe
einer und derselben Entwicklung in ganz verschiedener Bedeutung zu
nehmen, unter dem Eins z* B. bald das von der Bestimmtheit verlas-
sene Unendliche, bald die Idee als bestimmte und begrenzte zu verste-
hen? Dieses, denn ausdrücklich sagt Plato Parra. 129, D. 135) D f.,
dass es sich hier darum handle ^ zu untersuchen, inwiefern einem und
demselben Begriff entgegengesetzte Bestimmungen zukommen können;
nach der ST^LLBAvm'schen Erklärung aber kämen diese nicht denselben,
sondern entgegengesetzten Begriffen zu. — Was femer die nähere Be-
stimmung dieser Begriffe betrifft, so soll das Eins des Parmeoides zu-
nächst das Unendliche oder die Materie bezeichnen, nach Richtbb die
körperliche Materie, nach Stallbauh die von Aristoteles erwähnte Ma-
terie, welche in den Ideen ist, das Grosse und Kleine, wie es Aristote-
les nennt, oder die Svd^ dygioros, (Man vgl. über diese Lehre meine
Plat. 8tud. S. 316 ff. 248 ff) Wie konnte aber doch ein im Platoni-
schen Sprachgebrauch so bewanderter Gelehrter, der Herausgeber de»
Philebus, sich dieses bereden? AaisTOtiLss Met. I, 6< 987) b, 30* u. d.
(s. m. Plat. Stiid. S. 214) unterscheidet aufs Bestimmteste das Eins von
der Materie: »als Materie, sagt er^ ist das Grosse und Kleine Frincip
(der Ideen sowohl, als der übrigen Dingo), als Wesen (A. h. Form)
das Eins« — Stallsaüx S. 82 schliesst aus eben dieser Stelle, dass
das Eins mit der Materie identisch sei. Plato selbst (Phileb. 16, C
vgl. 25, Off. erklärtr Alles bestehe aas dem Eins und dem Vielen, der
Grenze und der Unbegrenztheit, aber auch er muss sich als Zeugen da-
fSr anrufen lassen (Stallbaux S. 80), dass das Eins nichts Anderes
sei, ids das Unbegrenzte. Noch weiter geht in dieser Beziehung Rich-
tbb (S. 43 f.), wenn er das Eins selbst mit der Materie des TimSus,
d. h. (Tim. 49> E 52, Gff.) der aller Einheit entbehrenden Masse ver-
wechselt. Stallbaum vermeidet dieses dadurch, dass er die körperliche
Materie von der idealen unterscheidet» bringt aber dafür eben hiemit
einen Unterschied herein, der eich weder aus Platonischen noch Aristo-
telischen Zeugnissen erweisen lässt^ denn wenn Plato allerdings das
Viel«! welches auch in den Ideen ist, von der Grundlage des Körperli-
chen zu unterscheiden scheint (s. meine Plat. Stud. S. 252 f. und oben
S. 236)> so beschreibt er doch jenes nicht als die Materie der Ideen,
mxkä wenn Aristoteles des Unendlichen, oder des Grossen und Kleinen
23*
3Sff Weitere Unteriucbungen über den Pamtenides«
ais Materie der Idefoi erwähnt, so weUs er dafür nichts von einem
Unterschied dieser Materie von der ](öq)erlichen ; Tgl. e. B. Phjs«. Itl,
4. 303 , a I 9 ; ro fiivroi annqov Mal iv toli atg&ijToiS Hat iv imeivaiS
J[ra7c iSiati] clvai,. Met 1, 6. 987, a, 18: *7r«l ^ al'ria xa tiSrj rat^
aXXotS Toixflvuiv atoi%tia navTCitv t^iyOtj tojv ovtoiv stvat oroixsla' »ff
fASv ovv vktjv TO fjt^ya nal ro fimQov elva& d()X<*S u. s. w« -^ Hiezu
kommt noch, dass es Stillbattx selbst mit all' den angefahrten Vor-
aussetzungen nicht gelingen will, das Einzelne der Platonischen Dar-
Stellung KU erklären, wie diess namentlich bei dem zweiten Abschnitt
der Parmenidei'schen Ausführung , der Antithese der ersten Antinomie,
(Parm. 143 ff«) zum Vorschem kommt« Das Eins, von dem hier ge-
sprochen wird , soll die Idee sein. Nun wird aber von eben diesem
lElins S. 145, A ff. gezeigt, dass es Anfang, Mitte und Ende, überhaupt
eine Gestalt habe, ebenso S. 148 ff., dass es sich selbst und Anderes
berühre, S. 151, E ff., dass es nicht blos überhaupt in der Zeit, son-
dern auch jünger und älter als es selbst sei u. s, f. Auf die Idee
als solche passen diese Prädikate offenbar nicht ^ daher will sie Stall«
BAU« (S. 132. 153 ff. 158 ff.) thcils nur symbolisch, theils nur vom
Terbältnis» der Idee zur Erscheinung verstehen. Dass jedoch das Er-
sterc nicht zulässig* ist, habe ich schon oben gegen Suchow gezeigt,
und ebensowenig ist es auch das Zweite: mag auch die Erscheinung
sich selbst ungleich u« s. f. sein, so kann diess doch nicht von der
Idee,- auch nicht sofern diese im Verhältniss zur Erscheinung steht, ge-
sagt werden, da diese vielmehr nur das im 'VVechsel der Erscheinung
sich selbst gleich Bleibende ist.
Mit Stallbaum theilt auch Hetdeb die Annahme, dass Plato im
Parm«^ vohnc es ausdrücklich zu bemerken, den Begriff des seienden,
wie des nichtseienden Eins (und ebenso den des Andern) in verschie-
denem Sinne den Scblussreihen zu Grunde lege«. Das seiende Eins
nämlich werde zuerst im Sinne eines weder mit der Vielheit noch mit irgend
einem andern Prädikat verknüpfbaren Begriffs genommen^ dann im
ßinne eines mit dem entgegengesetzten Begriff der Vielheit, sowie mit
den andern Hauptprädikaten des Seins in Gemeinschaft tretenden Be-
griffs, das nichtseiende Eins zuerst als von allem andern Seienden ver-
schieden, daher am Begriff der Verschiedenheit theilhabend, hierauf
als am Sein in keiner Beziehung tlieilhabend ^ ebenso das Andere das
einemal als .an der Ideenwelt theilhabend^ das anderemal in vplliger
Sonderung von der Ideenwelt^ und was nun von hier aus dargethan^
Yvird^ sei diess ^ »dass das Eins bei völliger Sonderung desselben von
4en übrigen Begriffen und dem ihm zunächst entgegengesetzten der
Vielheit mit dem schlechthin nicht Seienden und Denkbaren identisch
.Weitere Untersuchungen über den Palrmenidef. 357
werde 9 und ebenso auch das nichtseiende Eins«. Was übei* diese An-
sicht, die Hetdeb nicht weiter ausgeführt hat,> zu sagen war^, ist in
dem gegen SrAiLSiiuM Bemerkten enthalten: diese Voraussetzung eines
Terschiedenen Sinns, in dem ein und derselbe Begriff den verschiedenen
Schlussreihen zu Grunde gelegt werden soll, ist weder an sich selbst
berechtigt, noch mit Plato*s eigenen Erklärungen zu vereinigen^ ich
will daher nur noch bemerken, dass diese Auffassung selbst im Grunde
die Annahme, dass der Parm. eine direkte Entwicklung über den
Begriff des Eins und des Seins sein wolle, aufgiebt, ja sogar zu der
völlig entgegengesetzten Ansicht hinüberschwankt, denn nach S. 108 f.
will Piato im Parm. nicht blos die ächte Dialektik, sondern zugleich
auch den megariscb • sophistischen Missbrauch derselben darstellen.
Gerade aber jene Hauptfrage, ob der zweite Theil des- Parm. eine dog-
matische oder eine apagogiscbe Darstellung sein solle ^ scheint sich H.
nicht recht klar gemacht zu haben.
Bestätigt sich hiemit auch an den einzelnen Erklärungsversuchen,
was wir aus den oben angegebenen Gründen schon im Allgemeuien
annehmen mussten, dass eine direkte Entwicklung philosophischer Re-
sultate im Parmenides nicht zu suchen ist, kann aber ebensowenig eine
blos formelle Darstellung des dialektischen Verfahrens Zweck dieses
Gesprächs sein> so bleibt nur übrig, dass es gewisse Resultate auf in-
^ direktem Wege andeute und vorbereite. Nur hierauf fuhrt ja aber
auch die ganze Form dieser Untersuchung, ihr Anfang mit widersprechen-
den Voraussetzungen, ihr Ende' in widersprechenden Ergebnissen, ihre
Vermittlung durch eine Reihe von Sätzen, die Plato unmöglich in ei«
genem Namen vortragen konnte, wie der ganze Abschnitt S. 145 ff«
Eine Entwicklung, welche ebenso vom Nichtsein, wie vom Sein ihres
Gegenstands ausgeht, und aus der einen Voraussetzung dieselben Er-
gebnisse gewinnt , wie aus der andern , welche in ihrem Verlaufe eine
Menge der sonstigen Lehre ihres Urhebers^ widersprechende Behaupt-
ungen zum Vorschein bringt , welche schliesslich zu lauter .sich ge-
genseitig aufhebenden Bestimmungen hinführt — eine solche Entwick-
lung kann unmöglich einen andern Zweck haben ^ als den, eben durch
diese widersprechenden und fälschen Resultate die Voraussetzungen
aufzuheben 5 dieses selbst aber wird, wofern wir es nicht mit einem
ausschliesslich kritischen oder skeptischen Philosophen zu thun haben,
als indirekte Vorbereitung eines ppsitiven Resultats betrachtet werden
müssen. Eine specielle Bestätigung dieser Ansicht giebt uns aber auch
Plato selbst durch die Stelle des Sophisten S. 244« B. Die eleatische
Lehre vom Einen Sein wird hier durch die Bemerkung widerlegt : wenn man
auch nur das Eins setze, müsse man dieses doch als ein Seiendes setzen,
SIB Wtil^r« UattrftttchBAgea tb«r dta Parstnid««.
eriMhe BHtiiia beroU doe ZwAtk. G«omi Jimlbe sagt mb
Farm, i^t, B k EotwicldoBg der Voritwtfti— g c» W «ir<v. Ebenso
mMerMtt tkk aucli die Amliiliniag det Sopbittea 944, D ff. Aber
GmuikA uad GetfacüUwit det Eioea SeiM PaniL 14S, D. 145« A. bt
«• Bi» ^UMitk j datt PUto ans Einer und derMiben Yor am aetUBig
Eine vmA dietdbe Folgenag siehe, das fineiil vmt dnreh diese Fol-
genmg die VoramseUiuig su widerlefeo, das an d e r e oial , an sie dnrcb
dies^be dirdtf so entwiekela?
Welcbct nun das Ziel dieser Erortenung sei, wird sieb analer
Bescfaalienbeit der Voraossetxdngen, welebe — , und der Art, wie sie
widerl^ werden, entscheiden lassen. Die VcHraossetsnngen sind non
hier snersl das Sein y dann das Nichtsein des Eins. Unter der einen
sowohl als derandem Ton diesen Voraiissetsnngen ergidit sich^ dass
dienso dem Eins wie dem Nichleins alle möglichen Besdmmongen
gleichsäbr beigelegt und abgesprochen werden müssen. Was ist non
hier nnter dem Eins su t erstehen ? Sehen whr aaf den Znsammmhsng
des Gesprächs, so kann damit sunachsl nur das eleatische Eins gemeint
sein, denn als solches, als die eigene viro^etts des Parmenidea, wird
es S. 137 9 B aufs Bestimmfeste beaeichnet Das Eaw Sein hatte nun
den Eleaten zugleich för das alleinige, das Eins und das Smende hatten
ihnen för Wechselbegriffe gegolten; hier dagegen ^wird geieigt, dass
ebenso die Begriffs des Eins und des Seins ^ als die des Eins und des
Nichtoeins in ihren Gonseqoenaen sieh geg ense it ig ausschliesscn: selM
ich das Eins als seiend, so kann ich die Einheit nicht streng fcsthal«
ten^ ohne ihm mit allen übrigen Bestimmnngen anch das Sein absprechen^
das Sein nicht, ohne ihm alle sich selbst und dem strengen Begriff
der Einheit widersprechenden Eigenschaften beilegen su müssen (Farm*
137, C — 155, E}; ebenso, das Nichteins oder das Viele betrefiRendt
das Sein des Vielen nicht, ohne ihm die Bestimmungen aususchreiben,
seinen Gegensata sur Einheit nicht, ohne sie von ihm su entfernen
(8. 157, B — 160, B); set^e ich umgdiehrC das Eins als niehtseiend,
so muss ich ihm emerscits, um es als Eins denken an können, auch
Prädikate, mithin ein Sein, augesteben, andererseits, «m es als nieht-
seiend su denken, alle Prädikate entaiehen (160, B «r- 164, B); dess-
gleichen dem Nichteins, sofern es gedacht werden soll, wenigstens eine
Seheineiiatetta, in der Vorstottung, lassen, sofern es aber ohne die
Einheit gedacht werden soll, auch diese läugnen (164, B -^ 166, C>.
Kann man nun bei diesem negativen nnd sich selbst aufliebenden Re-
Stthal uuml^lich stehen bleiben, so mnss in den Prämissen ein Fehler
stecken, nnd eben dieser es sem, um dessen AuMeckyng es dem Phi-
losophen an thnn ist. In den Sätaen über das Michteeia des Eins kann
Weiler« Gutereachungeii über den Permenidei. Stf
fiim dieser nicht gesucbt werden, d«nn dasa das Eine Sein nicht ge-
leugnet werden könne, ohne sich in Widersprüche tu verwickeln, dies*
ist^ wenn irgend etwas, Plato's eigene Ansicht. Er kann mithin nor
ft dem liegen, was üb» das Sein des Eins gesagt ist. Sehen wir nun,
wie aus dem Satze: »das Eins ist« die widersprechenden Ergebnisse
abgeleitet, oder was dasselbe, wie die Begriffe des Eins und des Seins
mit einander in Widerspruch gebracht werden, so liegt dieser emfach
darin, dass aus dem Begriffe des Eins alle und jede Vielheit streng
ausgeschlosse«, in den Begriff des Seins dagegen der Unterschied vom .
Eins^ die Vi^beit, ja selbst die Bäumlichkeit (vgl. a 151 , A; mXkd
fif}v nai 9lvai n9» ^§2 ro ys ov del) und Zeitlicbkeit (151 , £ : to di
glvat mklo ti ioTtv ^ ^i&si&s ovoiat utTti xQOPov rat; 9ra(>oyrM;) mit
aufgenommen wird; aus diesem Grund widersprach entwickeln sich alle
weiteren Antinomieen im Ganzen genommen mit Nothwendigkeit , mag
auch die Ableitung derselben bei Plato im Einzelnen da und dert etwas
Sophistisches haben. Eben die Widerlegung jener Bestimmung muss
daher — wofern wir nicht auf den wisseaschafilichen Zusammenhang
des Gesprächs vereichten wollen — den, ursprünglichen Zweck der
im zweiten Theil des Parmenides gefulirten Untersuchung ausmachen;
d. h. mdem Plato hier zeigt, dass vrir zwar (S. 160, B ff.) die Idee
des Einen Seins nicht entbehren können , dass aber diesejdee nicht durch-
zuführen ist, so lange das Eins abstrakt, als eine die Vielheit schlecht-
hin aussfUiessende Eij^ieit, und das Sem im gewöhnlichen Sinne, als
•da» jede Art der Vidbeit in sich enthaltende Sein, als gleichbedeutend
mit dem Dasein ge^Mst wird, so muss er die Absicht haben, durch
diese Erörterung auf einen solchen Begriff des Eks «ad des Seins bin«
euwetsen, bei welchem aus jeneihi die Vielheit nicht ausgeschlossen,
dieses «cht in der Bedeutung des sinnlicben und getbeiHen Seins ver-
standen wird. Mit andern Worten: wenn die Eleaten gesagt halten*
nur das Eine Sein ist, alles Andere ist nicht, so zeigt Plato, dass wir
allerdings die Wirklichkeit jenes Einen Seins annehmen müssen, dass
wir diess aber nicht können, so lange wir nicht die Einheit als eme
die Vielheit in sich tragende, und das Sein dieser- Einheit als ein vom
sinnlichen -Basein spectfisch verschiedenes fassen. Wie nun Plato selbst
dteser Forderung jenCsprechen an hönnsn gkmbt, liegt am Tage: die
Idee ist ihn^ die Einheit , wdehe zugleich die Vielheit in sich schHesst,
ihr kommt aber e ben d e ss wegen ein wesentlich anderes Sein zu, tds den
stnnlif heo' Pingen , in denen sich die Einheit in die unbegrentte Vksl-
beit verliert, stall die letztere wohlgeordnet in sich z« begreifen und
'«• umschliesscn. Diess also muss der Zweck sein, denPlalo im nwei-
ten Theil i» Parmen^ea ferfolgl; die ekatisdM Lehre Tom Einen
Weitare Ufitereaehangeii über den
Sein diurcb dialditisefae Entwiclilttiig ilnner Conseqaeneen epegoiiscli vor
Ideenlebre ühersufllbreii. Debei darf iiien jedoch nicbt autter Acbt
lassen 9 dass diess in Plato's Sinne nicht eine reine Widerlegung und
Jiufhebungt sondern wesentlich nur eine Erweiterung und Fortbildung
der eleatiscben Lehre sein soll, denn auch ihm gilt als das wahrhaft
Seiende nicht das getheilte Sein, sondern nur die allen Gegensatz und
alle Veränderung in sich ausschliessende Einheit der Ideen, welche er
dessbalb auch als fiovahe, und die eineeine Idee als das eV bezeichnet
(Phileb. 15, B. Rep. V, 479, A. Symp. 311, A f . — Weiteres hierüber
in m. Plat. Stud. S« 167). Der Unterschied der Platonischen Ideen
Tom eleatiscben Eins ist nur, dass dieses die Vielheit schlechthin
ausschliesst, jene die von der Einheit gebun(?ene und ihr unterworfene
Vielheit in sich haben, und darum auch selbst eine Vielheit bilden
(s, Soph. 244, B IT.); dageeen haben sie mit diesem .die allgemeine
Vorausseteung gemein, dass nicht das getheilte und gegeasäteliche, son-
dern nur das Eine gegensatzlose Sein das schlechthin Wiriiliche sein
liönne» Insofern kann daher die Fortbildung der eleatiscben Lehre Tom
Einen ebensogut auch als eine nähere Bestimmung der Ideenlehre selbst
betrachtet, und eben diese , wie ich diess früher (Plat. Stud* S. 180)
gethan habe, als der Zweck des sweiten TheiU des Parmenides bezeich-
net werden«
Wie sich nun hieraus auch der Zusammenhang des ertlea und
zweiten Theils begreift, habe ich schon in meiner früheren Abhandlung
S. 180 f* auseinandergesetzt, und will das dort Gesagte hier nicht wie-
derholen. Auch begründet es keinen wesentlichen Unterschied, ob man
•annimmt, dass der Parmenides so, -wie wir ihn haben, tollendet sei,
oder dass noch ebe weitere Ausführung dieses Gespräcfaa in Plato*s
Absicht gelegen habe, denn auch im letztem Fall bitte diese nur
darin bestehm können, dass die Resultate, wekhe wir jetzt auf indi-
rektem Wege aus dem Dialog ableiten müssen, auch ausdrücklich aus-
gesprochen worden wären; das Wahrscheinlichste ist mir jedoch, aus
dem oben angegebenen Grunde, dass tou dem ursprünglichen Plane
der Schrift entweder nichts oder nur Unbedeutendee unausgeführt ge-
blieben ist
Ueber die Stellung des Parmemdes in der Reihe der Platonischen
Schriften habe ich meiner frühem Abhandlung, deren Resultat aut^
in dieser Beziehung ziemlich allgemein angenommen worden ist, ausser
dem, was ich oben (S. 186) über sein Verhältniss zum Sophisten
m
noch weiter angedeutet habe, nichts beizufügen, und auch bmsiehtUch
RiTTBBS abweichender Ansicht (Gott Anz. 1840, 19 St. S. 184) Mm
ich auf S. 186 ff. der Plat^ Stud. ?epf eisen; nur wenn mir Sxall^lvm
weitere Untersuchungen über^en Permenides. Ml
wlederbolt (Jahns Jahrbb. 35 BcU 1* H. S. B7. Fiat« PolHieos is4i
S. 50) d«i Widersinn aufbürdet, dass ich den Parmenides früher setae,
ala den Politikus, während ich ihn doch sugleich für das dritte Glied
in der Trilogie des Sophisten und Politikus halte, so muss ich mein
Bedauern darüber aussprechen, dass er meine Schrift nicht aufmerk-
samer gelesen hat. S. 194 derselben stAt mit dürren Worten: vdurch
alles dieses^ wird nun dem Pannenides seine Stelle zwischen dem So-
phisten und dem mit diesem zusammenhängenden Politikus einer — und
dem Gastmahl und Pbädon andererseits angewiesen«, und diess ist nicht
etwa nur eine bettaufig hingeworfene Bemerkung, sondern das Resultat
einer durch mehrere Seiten sich fortziehenden Untersuchung ; H. Stall-
BA.ÜU aber berichtet: »der Vf. behauptet, dass das Gespräch zwischen
dem Theätet und Sophisten einerseits, und dem Politikus, Sj^mposium
und Phädon andererseits seine Stelle angewiesen bekommen müsse«,
und bdehrt mich ausführlich über das Verfehlte dieser Stellung !
Dritter AbM^iiK«.
Aristoteles und die I>erip«tetik^.
$. 25.
Allgemeine Einleitung. Die formalen VorausieUungen des Aristotelischen
Systems.
Es giebt wenige grosse Philosophen, über welche
die Urtheile der Nachwelt so weit auseinandergegangen
wären, und so oft gewechselt hätten, wie aber Aristote-
les. Noch ehe der gehässige Streit der Akademiker und
Peripatetiker in der neüplatonischen Vereinigung Plato-.
nischer und Aristotelischer Philosophie erloschen war,
hatte bereits in der neuentstandenen christlichen Wissen-
Schaft derselbe Gegensatz Wurzel geschlagen, und die
christlichen Platouiker wussten dem Stifter der pefipa*
tetiQMsben Schule um so mehr Schlimmes nachzusagen,
je unläugbarer es war, dass sich verschiedene Hiresieen
an seine Philosophie anlehnten. Mit dem Aufbliihen der
scholastischen Philosophie änderte sich die Scene: Ari-
stoteles wurde jetzt der philosopAus schlechtweg, und seine
Auktorität die einzige, welche sich selbst der der Kirche
entgegenzustellen wagen konnte. Auch unter den Män-
nern, welche die scholastische Bildung c^^rch die Erinne-
rung an das klassische Alterthum stiirzten, befanden sich
jBbensoviele Aristoteliker als Platbniker. Um so tiefer
war die Geringschätzung, mit welcher die nächst folgenden
Jahrhunderte bald auf die vermeintlich barbarische Me-
taphysik bald auf den Empirismus des Stagiriten herab-
Die form. VoraustetEungen d.cAri8totel« Systems.
sahen ; und kein Wunder, wenn sie ihn nicht verstanden,
hat sich doch bis in die neueste Zeit herein, und auch
bei solchen, denen wir ein jtieferes Verständniss der
griechischen Philosophie im üebrigen nicht absprechen
möchten, die Vorstellung^ erhalten, als ob Aristoteles nur
ein unphilosophischer, vo» der Idealitit des Platonischen
Standpunlits gänzlich verlassener Empiriker '), oder auch
ein unselbständiger Nachtreter Plato's gewesen wäre,
der die originellen Meen seines Lehrers nur zu Schema«
tisiren und höchstens formell zu ergänzen gewiisst habe^).
Im Ganzen jedoch ist diese Ansicht bereits im Verschwin-
den begriffen, nachdem nicht blos Hegel den spekulativen
Gehalt und die Gedankentiefe des Ihm am Nächsten ver*
wandten unter den griechischen l>enkem nach Verdienst
gewürdigt, sondern auch, die gelehrte Forscbuiig den
Aristotelischen Scliriften und ihrem Inhalt grössere Auf*
m^rksamkeit zuzuwenden angefangen hat, und so werden
auch wir die Vertheidigung des Aristoteles unserer wei«
teren Entwicklung selbst überlassen und ungesäumt zur
Darstellung seines Systems schreiten dürfen.
Wie sieh dieses zum Platoniseben verhält, habe ich
im Allgemeinen schon früher angegeben* Der Mittelpunkt
der Platonischen Philosophie, der Satz, dass der objektive
Gedanke das absolut Wirkliche, und alles Andere nur
in dem Maasse wirklich sei^ in dem es am Gedanken
theilnimmt, bleibt auch hier stehen; aber während Plato
die Wirklichkeit der wesenhafien Gedanken nur dadurch
retten zu können geglaubt hatte, dass er sie als fürsich-
seiende Ai^reiieinheiten aus der Erscheinung hinaus in
eine besondere Ideen weit verlegte, so erkennt sein Nach-
folger, dass die Idee als das Wesen der Erscheinung
1) $cE^»mx4ciiBA Gescb* <L Fbil^ 140« liS« 120k 12&.
2) Braitiss Gesch. d. Phil. a. Kant (, 179 ff. 307 f. Mao vgl was
ich gegen ihn und Schleibbmachier in den Jahrbb. d. Gegenwart
4843, S. 78 f. 95J^ bemerkt habe.
Sf4 I^i^ formalen Voraussetsangen
dteser immanent sein mässe, und will den Begriff an«
diesem Grunde niclit als abstrakte, sondern als konkrete,
im Einzelnen der firscheinnng sicli verwirkliehende All-
gemeinheit gefasst wissen. Hieraus ergiebt sich denn
sanächst die Forderung, diese Ausbreitung des Gedankens
in die Erscheinung auch in ihrer ganzen Vollständigkeit
zu erkennen ; während es Plato in letzter Beziehung um
die Anschauung der Idee als solcher zu thun war, die
et ebenso auf pädeutischem, als auf systematischem Wege
zu erzeugen gesucht hatte, so ist hier die Hauptsache
die Darstellung der Ide& im konkreten Dasein. Das pä-
deutische Element tritt daher jetzt gänzlich zurück und
an seine Stelle tritt das rein theoretische Interesse, dem
Gedanken in alle Verzweigungen seiner objektiven Er-
scheinung zu folgen. Indem aber doch auch hier das
nat&rliehe Dasein dem Denken als eine auf antikem Stand-
punkt unüberwindliche Schranke gegeniibersteht, so kann
sieh diese -Richtung auf Individualisirung des Gedankens
nicht rein dialektisch vollziehen, und es tritt so zugleich
mit der durchgefuhrteren logischen Ausbildung und Aus-
breitung des Systems auch das vermehrte Bedurfniss
einer empirischen Grundlage ein ; die Erfahrung, für Plato
nur der unselbstständige Anknüpfungspunkt der Idee,
wird hier zu ihrer unentbehrlichen Ergänzung, und darum
auch möglichste Vollständigkeit derselben nothweudig —
der formal logische und empiristische Charakter, durch
den sich das Aristotelische Philosophiren auf den ersten
Wick vom Platonischen unterscheidet. Die Verflechtung
des Gedankens mit den mythischen Gebilden der Phan-
tasie, die dramatische Lebendigkeit des Dialogs muss
der Trockenheit einer streng logischen Untersuchung und
empirischen Sammlung, zugleich aber auch die Unbe-
stimmtheit und Dunkelheit, welche jener halb poetischen
Darstellung noch anklebt, der besonnenen Reife und Klar-
heit des gebildeten Verstandes Plats machen« Wie aber
des Aristol«lisGlien STsUms. MS
diese Eigpnthuinlichkeit selbst nicht in einer Verflacbengp,
sondern in einer tieferen Fassung; des speknlativen Prin-
eips ihren Grund hat$ so wird sie anch wieder für das
speliulative Interesse benutzt: Aristoteles beginnt in der
Regel mit ^breiten logischen Erörterungen über die ver-
schiedenen Bedeutungen gewisser Ausdrucke, mit Sarnm«
luug von Thatsachen oder Kritik fremder Ansichten, was
er aber aus diesen zufälligen Anfängen entwickelt, sind
die spekulativsten Gedanken; dieses Ausgehen vom Em-
pirischen ist ihm nur desshalb Bediirfniss, weil die Me-
thode der immanent dialektischen Construction bei ihm,
wie im ganzen Alterthum, noch wenig ausgebildet ist.
Und denselben Charakter trägt diese Philosophie auch In
ihren Resultaten. Einestheils ist die Forderung vorhan«
den, Begriff und Erscheinung in ihrer Einheit zu erken*
neu, und Aristoteles entspricht dieser Forderung, indem
er statt des von Plato behaupteten negativen Verhält-
nisses der Sinnenwelt zur Idee eine positive Beziehung
beider verlangt, das Sinnliche als den Stoff, die Idee als
die Form, jenes als das unentwickelte oder potentielle,
dieses als das entwickelte oder aktuelle Sein bestimmt,
und den Stoff ebenso wthwendlg zur Form hinstrebeii,
als diese im Stoffe sich darstellen lässt. Anderntheils
kann doch der Gegensatz beider, aus den mehrbesproohe-»
neu Gründen, nicht völlig überwunden werden, und so
kommt es, dass. nicht blos am Anfange des Systems die
Zweiheit jener Principien ohne Ableitung, als ein schlecht-
hin Gegebenes, auftritt, sondern ebenso auch in der Folge
betd'e nie völlig in einander aufgehen, die reine Form,
oder dei^ Geist, im Menschen von. aussen her in die Welt
eintritt, und der absolute Geist unbewegt und nur sich
selbst denkend ausser der Welt bleibt. Die Aristotelische
Philosophie kann insofern als die Vollendung des von
Sokrates gestifteten und von Plato ausgeführten objek-
tiven Idealismus bezeichnet werden, weil sie der tiefste
Die formalen Voraussetsungen
ist, dte Idee als das absolut Wirkliche in der
EracheiBUBg; naclizvweisen ; zugleicli ist sie aber aucli
das Ende dieses Idealismus, indem sich in ihr die Un-
mögiichlieit herausstellt, rom antiken Standpunkt ans
über den Dualismus des Geistes und der Natur hinaus«
sukooranen, nachdem einmal der specifische Unterschied
beider in's Beiivusstsein g^etreten war.
Die weitere Entwicklung und Begründung dieser Be-
merkuagen wird sich am Besten an die eigenen Erklärun-
gen des Philosophen über Begriff, M^hode und syste-
matische Darstellung der Philosophie anknQpfen lassen.
Der Aristotelische Begriff der Philosophie setzt
den Platonischen theils voraus, theils tritt er mit ihm
in Gegensatz. — Dass er Plato's Bestimmungen iiber die-
sen Gegenstand voraussetze, deutet Aristoteles schon
durch das Fehlen aller der propädeutischen Untersnchnn-
gen an, die Plato in so bedeutender Ausdehnung gef&hrt
hat, um den philosophischen Standpunkt in seinem Unter-
schied von dem populären und sophistischen zu begriin-
den. Der Begriff des Wissens erscheint bei ihm als
eine keines langen Beweises bedürftige Voraussetzung,
ohne Zweifel nur desswegen, weil ihm sein Lehrer hie-
fAr genügend vorgearbeitet hatte. Und wirklich treffen
auch die Aeusserungen beider über diesen Punkt grossen-
tlieils zusammen. Wie dem Plato, so hat auch dem Ari-
stoteles die Philosophie nur das Seiende als solches %
d. h» das allgemeine Wesen desselben ^) zum Gegenstand ;
die Philosophie ist ein Wissen um die Ursachen und
1) Metapb. IV, 2. 1004i b, 15. a, 2. c. 3. 1005, b, 10. Anal. post.
II, 19. 100. a, 9.
t) Metapli. I, 2. 983, a, 19. Vif, 1. 1028, a, S6: ilSirat rot ol^
6fA9^a ßKüoror fiuXtaraj oxav r* iari yvtfffiep. Xill, 10. 108i,
b, 33$ 17 Iniar^fitj twv tta&oXov. Ill, 6, ScbL : tta&oXov ai
i7riOT^fta$ ndvTotp. UI, 4. 999, b, 1. 26. IV, 5. 1005, «, S$.
Anal. pott. II, 19. 100, «t 6. I, 24. 85, b, IS.
d«» ArU totalis eben Syttemi« ~ 3#T.
Grüade deir.Pinge 0» ii^d zwar näher, um Ot bochstett
und allgeaieiosteD Griiade, andjn letzter Bedefaung um
Ja» schlechthin Voranssetzungslose^), wessbalb Aristoteles
auchi mit Riicksicht auf diesen Einheitspunkt alles Wissens^
dem Philosophen ein Wissen um Alles zuschreibt 0*
Wie ferner Plato das Wissen^ als die Erkenntniss des
Ewigen und Nothwendigen , von der Vorstellung oder
Meinung, deren Gebiet das Zurallige ist, unterschieden
hatte, so auch Aristoteles: das Wissen entstellt ihm, wie
Plato, aus der Verwunderung, aus dem Irrewerden der
gewöhnlichen Vorstellung an sich selbst^), und Gegen*
stand desselben ist auch ihm nur das Allgemeine und
Notliwendige, das Zufallige kann nicht gewusst, sondern
nur gemeint werden; wir meinen, wenn wir glauben, dass
etwas auch anders sein könnte, wir wissen, wenn wir
die Unmöglichkeit des Andersseins einsehen; beides ist
daher so wenig einerlei, dass es vielnuehr, nach Aristo-
teles, geradezu unmöglich ist, dasselbe zugleich zu wissen
und zu meinen % Aehnllch unterscheidet sich das Wis-
sen von der blossen Erfahrung dadurch, dass uns diese
nur über das Oass eines Gegenstands unterrichtet, jenes
auch über das Warum ^) — ein Merkmal, das gleichfalls
schon in der Platonischen Unterscheidung des Wissens
1) Anal, post I, 2 Anf.c. 14. 79, a, 23. 11, 11, Anf.,Etb. Nie« VI,
7. 1141, a, 17. Melaph. I, l,SchU c. 2. 982, b, 2 fF. VI, 1, Anf.
2) Pbys* I, 1 Anf. II, 3, Anf. MeUpb. I, 1. 981, a, 28. c 2. 982,
b, 7. c. 3. Anf. 111, 2. 996, b, 8. IV, 3. 1005, b, 5. 11 ff.
3) Metaph« I, 2. 982, a, 21. IV, 2. 1004, a, 35.
4) Metapb, I, 2- 982, b, 12: Sid yaQ t6 d'avftdSiiv ol av&Qtonot
mal vvv xal ro n^fJüxov ij^iavTo tp^Xoootptlv u. s. U rgU Plato
Theät. 155, D. ,
5} Anal. post. I, 33 Tgl ebd. c. 6. ScbL c»8, Anf* c^30ir« Metapb«
VII, 15. VI, 2. 1026, b, 2 ff. Ebendabin gebort die Widerle-
gung des Satzes , dass für Jeden wabr sei , was ibm als wabr
erscbeint, die Metapb. IV, 5» 6 abnlicb, ^ie im Platoniscbea
Tbeäleti ausgefübrt wird.
6) Anal, post II, ^. 100, a, 3. Metapb. I, i, 981» i, Sf.
3d$ DU formiUn V^riassttstingeii
reit der rlthtif|[en Vorstelliuig eniiialtea ist. Auch darfn
endlich beg;egnet sich Aristoteles mit seinem Lehrer,
dass er ebenso, wie dieser, die Wissenschaft für das
Hdchste und Beste und für den wesentlichsten Bestand-
theil der wahren Glückseligkeit erklärt *).
So nahe sich aber hierin der Aristotelische Begriff
der Philosophie dem Platonischen verwandt zeigt, so
wenig sind doch beide identisch. Dem Plato ist die Phi-
losophie ihrem Umfange nach der Inbegriff aller geisti-
gen und sittlichen Vollkommenheit, sie umfasst daher
ebenso das Praktische, wie das Theoretische, um so
sdi&rfer wird sie dagegen ihrem Wesen nach von jeder
andern Geistesthätigkeit unterschieden; Aristoteles hat
sie einestheils gegen das praktische Leben genauer ab-
gegrenzt, anderntheils mit den Erfahrnngs Wissenschaften
in ein näheres Verhältnlss gesetzt. Die Philosophie Ist
nach seiner Ansicht ausschliesslich Sache des theoretischen
I) M« 8« Metapb« I, 2. 983) b« 24 : ^l.ov ovvt ff»9 St ovStj^iav ar-
TJ^v (tjJv fikooofiav) ^yrovftev XQiioiV itlgavy all' wansff aV-
^(f(mto9 tfüLfii* iltv^sftoe 6 atvov evexa xai fi9j akXov ojVy ovrvi
uai tLtorrj fiovtj iX^-^iga ovoa rvtv iniOT>f/LK»v ftovrj yd^ avti^
•i;ri7( (tvmtty iottv • Sto mul Stuaiws oV ov» av&^rriptj vofAli^no
aitffQ t} Kroate . . • oAJl* ovts t6 &tior tf,&ovi^6v IvBixizai eifatt
, ^ ovTt tiji TOiüLvxtji alkrjv xeV vofil^tiv xifuutTtgav* rj yaQ
&BioraTrj koX xtfiiwtaT^ .... ayet^^xatoregütt fik» ovv naüat rat;-
Tfjti afuivQiv y 0vSif/tim, XII, 7. 4072» b, 24: v ^«»P«« to
fjSiCTOP ftal a(ftoTOK Elb. ^. X , 7 wo aasgeführt wird , dass
die Theorie der weseDÜicbste Bestandtheil der Tollendeten Gliicli-
Seligkeit sei 5 s. B. 1177, b, 30: £i (^ &iiov 6 vovc ^rgde rov
ar^^ttmor, tcai 6 nard xovtov ßio9 ^§toe ttqos xov «Iw&qw'7t$vov
ßiov* OV X9V ^^ »otvd tovs net^ivovvras dv^(^ntva tpgopsiv
av&gwnov opxa ovSi ^vtjvd tov d^vrjtovj dkV i<p ooav hSix^xa*
d&avaxiXetP nal fcdvra notuv irQOi to ^yv xaxd to n^aximo»
tMV iv tt^r«» • • . x6 olntiov iKapTi^ rtj ^voe$ x^ttaxov nal ^dt^rov
ioTtr entdwxtjjf' Hai xtf dvd^QiuniJf S^ 6 natd xov vovv ßioQy ititiQ
tovxo ftdkiQva att&^Ttos* obvoQ äga nal »vSaifioviataros. c* 8«
11789 b> 28 : <V '^^^^ ^V ^«ar«^«# 47 ^sw^ia, »al 17 9vda$fiovia.
VgU c. 9. 1179, a, 22. Eth« Eud. VII, 15 Schi. Mebreret
V
des Aristotelischen Systems. 3t9;
Vermögens; von ihr uoterschei^et er sehr bestinfnii die
praktische Thätigkeit, die ihren Zweck nieht ebebso, ^ie
die theoretische, in sich selbst, sondern in dem yofi ihr
Hervorzubringenden hat, und nicht rein dem Denken,
sondern auch der Meinung und dem vernunftlosen Theil der
Seele, dem Affekt, angehört, und ebenso auch das känst-
lerische Schaffen (die nolfjaig')^ das gleichfalls auf ein
ausser ihm Liegendes gerichtet ist >)• Dafür verki^üpft
nun aber Aristoteles die Philosophie enger mit der Er«
fahrung. Plato hatte alle Betrachtung des Werdenden
und Unbestimmten aus dem Gebiete des Wissens in dM
der Vorstellung verwiesefi, und auch -den Uebergang von.
dieser zu jenem nur in der negativen Weise gemacht,
dass die Widersprüche der Vorstellung von ihr weg nnd
zur reinen Betrachtung der Idee hintreiben sollten; Ari-
stoteles, wie wir sogleich sehen werden, giebt der Er-
fahrung ein positiveres Verhältniss zum Denkep, indem
er dieses aus jener auf affirmativem Wege, durch Zu-
sammenfassen des Einzelnen, in der Erfahrung Gegebenen,
zur Einheit, hervorgehen lässt. Plato hatte ferner ge-
ringes Interesse, von der Betrachtung des Begriffis zum
Einzelnen der Erscheinung herabzusteigen; der eigent-
liehe Gegenstand des philosophischen Wissens sind ihm nur
die reinen Begriffe. Aristoteles giebt zwar gleichfalls
zu^ dass es die Wissenschaft mit dem allgemeinen We-
sen der Dinge zu thun habe, aber er bleibt nicht hiebe!
stehen, sondern betrachtet als ihre eigentliche Aufgabe
eben die Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen
(die dnidnlig s. u.): die Wissenschaft soll mit dem All-
gemeinen und Unbestimmten anfangen, aber zum Bestimm-
1) M* 8. ausser dem eben Angeführten: Etfa. ü^c* Vt, 2* «• 5*
1140, a, 28, b, 25» X, 8. 1178, b, 20. Eud. I, 5, g. E. Metapb,
II, 1. 993, b, 20» vgl vi, 1. 1025, b, 18 ff. XI, 7. De an* III,
10* 433, a, 14. De coeL III, 7* 306, a, 16.
Die Philosophie d^ Griechen. II. Theil. « 24
9n) Die formal«» Vorauiieteaagtn
ten fortgeton >) , und ste mH in diesem Gange nichts,
sniich nicht das sdieinbar Vnbedeatendste, geringschätzen,
denn auch in diese« liegen unerschöpfliche Schatze des
Erkenneus ^). Aus diesem Grunde macht er nun aber
auch an das ipvissenschaftlicbe Denken gelbst weniger
strenge Anforderungen, als sein Vorgänger, wenn er dem
Wissen und dem wissenschaftlichen Beweis nicht Mos
das Nothwendige, sondern auch das Gewöhnliehe <ro cJ^
ifü tS nolv) zvm Inhalt giebt % es für ungebildet erklärt,
für alle Arten der Untersuchung die gleiche wissenschaft-
liche Strenge zu verlangen ^) , und bei Fragen , wo ihm
Bwingende Beweisgründe fehlen, sieh mit dem Wabr-
soheinlichsten begnügt, die bestimmtere Entscheidung
dagegen auf fernere Betrachtung ausgesetzt sein lässt^).
fioch darf man nicht fiberseben, dass es nicht die eigent-
lich philoso|)hlscben Fragen, die Untersuchungen iiber
, r
1) Metapb. XIII, 10. 1087 9 a, 10 : to Sa r^v imoz^ftTjv slyai uta-
96Xbv Tcaanv ^ . ♦ ^x^i fihv ftdXiOT dnogiav ru/v Xsxd'ivtwv ^ ov
ftijp ulk' lorft fiiv fui dXifd'is ro ktyofABVQV^ ^av* S' cJc övm dXtf^
fiiv Svvdfici ro 9e ive^yeiff* 1^ fisv ouv SvvafiiS oßC vXtj rov
Mad'oXov ovaa nal ao^iotos tov xa^oXov nal dogi'arov iarlvy ^
f i¥l^Btm (a^ta/j>4v7j nttl »j^iofiivov roSe r» &v6a rovSi r^vo^,
S) De part. an. 1 , 5* 645 9 a , S : Xb^op vbqI tiji ^(o'mtj^ <pvaK»e
9in%iV9 fit^ir TTff^aXmovTas §16 SvpofUP fn^r^ dri^oTe^ov fii^Tt
Tifjuwve^op* tial yaQ iv toU ftt} X£;^ee^«a/i^»'orff avTwv ttqos tijv
ai'a^rjGiv ttard t^v ^soj^iai» ofioat 17 drjfitov^yr^Qaaa ffvois dfAtj-^
xdpovt ^dopds nmqixei to7s dvPeifjUpoiS rdf ahUie ytw^^eip nal
^ou tpiXooofpoiß . « . Sto ätZ fiTj Svexf9»ivf^^ naiBixMii v^p ns^l.
Tüip dTi^coTiQWP ^ojojp iniaKiipip* ip nda* yaQ t4u9 (fvaiii^li
ipsari Ti &avfiaar6v u, s. w.
3) Anal, post I, 50. il, 12, Schi. Metapb. VI, %. 1027, a, 20. XI,
8. 1064, b, 32 ff.
4) Elb. Nie. I, 1. 1094, b , 23. II, 2. 1104, a, 1. VII, 1, Schi. IX,
2. 1165, a, 1?. MeUpb. II, 3. XIII, 3. 1078, a, 9 — PoHt VII,
7, Scbl. gehört nicht bieher.
53 De coel. U, 5. 2^^ b, 28. c. 12 An£ De geo. an. III, 10. 760,
b, 27.
des Ailitotelitcli*!! S^itemt. 3TX'
die allgemeinateii Gründe lind, bei denea alch Arfaitoteles
In dieser laxeren Weise Msspricl^t, sondern innur BMr
speciellere ethische oder naturwiaseoflchartUche BestiM-
mungen, für die ancfa Plato von der Strenge d&a dialelc-
tischen Verfahrens nachgelassen, ond die tdia r<Sp ttmret*
pv&mv an die Stelle der nissenschaftifchen Beweise ^-
setzt hatte; was den Aristoteles von jenem anterscfaeidet
ist nur dieses, dass er auch diesen angewandten Tbeil
der Wissenschaft mit znr Philosophie rechnet, und darnm
in dieser, die ngvity] <piXo<jo<p!m, die es allein mit den ober>
sten Gründen zu thun hat, nur als einen Tbeil des Sy-
stems betrachtet, wogegen diese bei Plato, seiner eigent-
lichen Meinung nach, das ganze System, alles Uebrige
aber nnr Sache der gelstreichen Unterhaltnog oder noth-
gedrungene Anbeqnemnng des Philosophen an das prak-
tische BednrfniBs sein soll *). Ebensowenig möchte ich
unsern Philosophen darüber tadeln, dass er durch die
Unterscheidung dert theoretischen Tbätigkeit von der
praktischen die Einheit der geistigen Bestrehuagen ver-
nachlässigt habe^), denn diese Unterscheidung hat un-
streitig ihr gutes Recht, jene Einheit aber ist bei Ari-
stoteles dadurch hinreicheudgewalirt, dsss er die Theorie
es wahrhaft menschlichen LebenSj
.eit dagegen gleichfalls als nnent-
ir sofern man ihm vorwerfen könnte,
', der Theorie auf sich selbst, die
Ausscheidung alles praktischen Triebs und Bedürfnisse«
aus ihrem Begriffe, wie sie namentlich In der Aristote^
liacben Schildernng des göttlichen Lebens (s. u.) znna
Vorschein kommt, der Zurückziehnng des Welsen ana
dem praktischen Leben in der nacharistotelischen Philo-
i) ßep. VI, 511, B (. VII, 519, C ff. Thefit 179, E. Tim. 39, B £
u. A. S. o. S. 180 i,
3) BtitBB III, 50 ff-
SBl% Die formalen VorausBeUungen
Sophie Yorg^eärbeitet habe, so ist za bemerken^ dassAri-,
stoteles auch hierin nur der von Plato vorgezeichneten
Richtang gefolgt ist: auch der Platonische Philosoph
virürde ja,sich selbst überlassen, ausschliesslich der Theorie
leben, und nimmt nur gezwungen am Staatsleben ÄntheiK
Am Wenigsten möchte es aber zu billigen sein, wenn
Aristoteles darüber angegriffen wird, dass er sich in sei-
ner Ansteht von der Aufgabe der Philosophie nicht nach
einem der menschlichen Art unerreichbaren Ide^l, son-
dern nach dem in der Wirklichkeit Ausführbaren gerichtet
habe O9 und zwar von derselben Seite her, auf der man
es an Plato löblich findet, dass er sein Ideal des Wissens
von der menschlichen Wissenschaft zu unterscheiden ge«
W'Usst habe ^). Wäre jene Ansicht über das Verhältniss
des Ideals zur Wirklichkeit an sich selbst und im Sinne
des Aristoteles gegründet, so würde daraus nur folgen,
dass er,^ wie der Philosoph soll, nicht abstrakten Idealen,
solidem dem wirklichen Wesen der Sache nachgegangen
sei. Dless ist aber nicht einmal der Fall; wie vielmehr
die Idee in Wahrheit zwar über die Erscheinung über-
greift, und in keiner einzelnen Erscheinung schlechthin
aufgeht, darum aber doch kein unwirkliches Ideal ist,
so hat auch Aristoteles wohl anerkannt, dass das Ziel
der Weisheit hoch gesteckt, und nicht für Jede«, ja auch
{ür die Besten immer nur unvollkommen zu erreichen
sei 3), wie wenig er aber darum geneigt ist, es für schlecht«
hin unerreichbar zu halten, und seine Anforderungen ah
die JRhilosopbie nach der Schwäche der Menschen zu be«
jttessen, und wie vollständig er gerade hier mit Plato
* .
1) BiTTEB a. a. O. u. S. 56 f*
2) Der«, II, 222 ff. 8. o. S. 184.
:5) M«tapb. 1,2. 9^2, b,, 28. XII, 7* 1075, b, 24. Eth. Jfic. VI, 7.
1141, b, 2 ff. 3^, 7. 1177, b, 50. c» 8. 1178, b, 25) vgl. ebd.
Vil, 1/ .
des irristotelischen Systems« ^ 373
ubereinstitnmt, muss schon das bisher Angeführte gezeigt
haben *).
Das Mittel, um diesen Begriff der Philosophie zu
verwirklichen, ist dem Aristoteles die logische Me-
thode. In der Darstellung derselben können wir zwei
Punkte unterscheiden: die Untersuchung über die allge-
meinen Elemente des logischen Denkens (die Syllogistik),
und die fiber das wissenschaftliche Beweisverfahren im
Grossen (dfe Methodik) — Untersuchungen, die auch
Aristoteles selbst trennt, indem er der ersten ausaer der
Abhandlung fiber die Kategorieen und dem zweifelhaften
Schriftchen ntgl iQfAtivdag die sog. frühere Analytik, der
zweiten die spätere Analytik widmet ^) (die Topik und
die Widerlegung der Sophisten sind als Beigaben zu bei-
dem zu betrachten). An diese beiden Untersuchungen
wird sich dann noch eine allgemeinere Erörterung über
die Ansicht des Philosophen von der Entstehung und den
Principien des Wissens anschliessen mijssen.
Die allgemeinen Elemente des logischen Dc^nkens
sind der Begriff, das Urtheil und der Schluss. Aristo-
teles hat dieselben jedoch nicht in dieser vollständigen
Zusammenstellung behandelt^ sein eigentliches Interesse
geht vielmehr nur auf die Lehre von den Schlüssen, als
den Elementen des Beweises; neben diesen erwähnt er
der Begriffsbestimmungen und Urtheile nur beiläufig und
einleitungsweise -— denn die Schrift von den Kategorieen
gehört fast mehr zur Metaphysik, als zur formalen Logik 3),
und ebenso wird in dem Buche nfgl iQfitjvetag, wie es
sich auch mit seinem Ursprung verhalten mag % die Lehre-
1) S. o. S. 367 f. vgl. m. S, 181 if.
2) Vgl. auch Anal. pr. I, 4» Anf.
3) Vgl* auch GuücposcH über die Logik und logischen Schriften
des Aristoteles (Lpz. 1839) S. 50 ff.
4) Dem Verwerfungsurtheil des Andronikus von Rhodus über diese
Sehrift ist neuerdings Gvmposch a. a^-O. S* 89 ff* beigetreten;
374 I^^^ formale a Voraustelsungen
von Drtbeil keinesweg;! erscb&pft. Es ist dieses far sei-
neo ganzen Standpunkt bezeichnend. Die Anfalle der
Logik, oder wie er sie nennt, der Analytik, ist seiner
Ansiebt nacb nicbt blos fiberbanpt die rein formale, die
wissenscbaftlicbe Methode aufzufinden, sondern noch spe-
eieller die Aufsuchung der Gesetze und Formen des Be-
weises, zum Behuf ihrer wisi^enschaftÜchen Anwendung ');
auch Begriff und Drtbeil berücksichtigt er nur als Theile
des Seblnsses. Sokrates hatte die Methode der Begriffs«
bildung entdeckt, Plato die der Eintb^lung hinzugefügt,
Aristoteles hat die Theorie des Beweises erfunden, und
diese ist ihm nun sosehr die Hauptsache, dass ihm die
gesammte Analytik in ihr aufgebt.
Was nach diesem über die Aristotelische Lehre vom
Begriff und Urtheil anzuführen wäre ist nur wenig. Das
Wesen des Begriffs wird im Allgemeinen dahin bestimmt,
dass er dasjenige s6i, in welches sich durch Wegnalme
der Copula dct Satz auflöst ^); es wird auf den Unter-
schied des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen ^, so-
wie der konträren und kontradiktorischen Entgegense-
tzung ^) in den Begriffen hingewiesen, es wird endlich in
4^ Tafel der zehen Katcgorieen ein Versuch gemacht,
die verschiedenen Arten der Begriffe auf ihre allgemein-
sten Formen zurückzuführen ^). Auch dieser Versuch
Brandis, der in 8. Abhandlung «über die Reihenfolge der Bü-
cher des^ristotel. Organons« (Abhancll. der Beri. Akad. vom
X 1833* Historisch-pbiL Klasse S 265) ihre Aecbtheit vertbei-
digt, will sie als unvollendeten Entwurf betrachtet wissen.
1) MeUpb. IV, 3. 1005, b, 2- Anal. pr. F, Anf. I^ 32» Anf. Top.
h Anf*
2) Anal. pr. I, 1/24, b, 16*
3) AnaK pr. I, 27. 43, a, 25. Bat. 5. 2^, b, 17.
4) Metapfa. X, 4. 10^5, b, 1. Hat 10. vgl. De interpr. c 6.
$3 Hat, 4: TdSv xard (At^BtfjUav üvfinXoK'^v ksyofAivwv exaaroy ijto$
des' Aristotelischen Systtmi. 3T$
aber, den Äristoteles^ älleio weiter Verfolget hat', bat in
logischer Beziehung keine grosse ßedeutong: die Ka-
tegorleen sind empirisch zusammengetragen, ohne dass
sie aus dem Wesen ^ des Begriffs abgeieitet wurden O?
und nur iu metaphysischißr Hinsicht sind Unterau-
ehungen, wie die über den Begriff der Substanz, von tie-
ferem Interesse. Etwas ausführlicher behandeln die Ari-
stotelischen Schriften die Formen der Urtheile, weil diese
Lehre mit der vom Schlüsse unmittelbarer zusammenhäno:t.
Die Unterschiede der allgemeinen, partikulären und unbe-
stimmten (ix&o(MOTo^) , der bejahenden und verneinenden,
der negativen und limitativen, der assertorischen, apodik-
tischen und problematischen Urtheile, sowie die Lehre
von dvr Entgegensetzung und der Conversion der Urtheile
bat schon Aristoteles besprochen ^). Doch bat er auch
nsiQ&at, ij 6yj*v 17 notstv tj ndo%6$v. Vgl. Top. I^ 9, Anf.^ un-
YollstKndiger ist die Aüfieäliluiig Metaph* V, 7* 1017, a, ?4#
1) Tbendslbnburg (De Arist. categorüs Berl. 1833. Elemeota Lo-
gices Aristotelicae S. 54 ^0 glaubt, dass den Philosophen bei
der Abfassung seiner Kategoricentafel die Unterschiede der gram-
matischen Redetheiie geleitet haben: die vier ersten Kategorieen
entsprechen dem Nomen, und zwar die erste dem Substantiv, die
zweite den Adjektiven der Zahl, die dritte denen ^ welche eine
Qualität ^ die vierte denen, welche eiti Verhaltniss ausdrflckekiy
die fünfte und sechste den Adverbien des Orts und der Zeit, db
vier übrigen den Zeitwörtern^ in der Art, dass der siebenten- db
Form des intransitiven Verbums, der achten die des griechischen
Pcrfektums, der neunten und zehenten die des Aktivs und Pas-
sivs zu Grunde liege. Was mich abhält ^ dieser Ansicht beizu-
treten, ist ausser den von Ritter (Gesch. der Phil. III, 80) ent-
wickelten Gründen auch der Umstand, diass Aristotelest wie ehen
TfiEBDELENBUBo zcigt (EL Log. Ar. S. 50) ^^* Adjektiv mit zum
gfifia gerechnet zu haben scheint. Auch unter Voraussetzung
derselben bliebe aber die Aufi&ählung der Kategorieen immer
noch ebenso empirisch, als die gewöhnliche Unterscheidung der
Redetheiie.
2) Anal. pr. I, 1 — 3. c 46* vgL De interpr. c. 5ff.f wo besoodert
die Lehre von der Entgegensetzung der Urtheile ausfiilurlich be-
handelt ist
376 Die formalen V'oraussetsungen
faierfiber; falte ihm die Sclirift ntfil iffttjtulag wirklicli nicht
angehört^ gleichfalls nnr gelegenheitliche Unteraochungen
angestellt, und weder hier noch sonst die logische Form
des Ortfaeils als solche von seiner Darstellung im Satze
unterschieden. — Um so adsfnhrlicber hat anser Philo-
soph die Lehre vom Schlosse bearbeitet. Auch von die-
ser behandelt er aberlange nicht alle die Theile, welche
die gegenwärtige Logik anfsählt, gleich vollständig. Ari-
stoteles handelt nämlich blos vom kategorischen Schlüsse,
und scheint an gar keinen anderen zu denken: der kate-
gorische Schluss der ersten Figur ist ihm zufolge die
Grundform aller Schlüsse '), und' die Bedeutung des Schlus-
ses überhaupt liegt darin, das Herabsteigen vom allge-
meineren Begriff zum besonderen darzustellen ^>v wie
diess eben der kategorische Schluss, besonders in der
Aristotelischen. Fassung desselben % thut. . Die verschie-
denen Formen des kategorischen Schlusses hat nun Ari-
stoteles in den Beschreibung der drei Schlussfiguren und
ihrer Unterarten erschöpfend zusammengestellt ^), und
durch die drei Klassen der assertorischen, apodiktischen
nnd problematischen Sdilusse hindurch Jbis in's Einzelste
verfolgt; er hat ferner, mit Beziehung auf diese Formen,
über die Auffindung und Analyse der Schlüsse, fiber ihre
Inversion, über die. Deductio ad absurdum^ über die Feh-
ler im Schliessen und einiges Verwandte ausführliche Er-
örterungen gegeben, und auch den Ausdruck der Schlüsse
1) Anal. pr. I, 23. 41, a, 2 ff.
2) Ein Tollkommener Schluss entsteht na«h Anal. pr. I, 4. 25^ b^
52, wenn sich drei Begriffe so eu einander verhalten, dass der
letzte im mittlem, und dieser im ersten enthalten ist
$) Aristoteles schliesst nicht: B ist A, O ist B, also u. s. w. son-
dern : A vnaQxsi navrl r<u B, B navvi tv^ F, es ist hier also rein
der Fortgang yom Allgemeinen zum Besondem.
4) Die sog, vierte Schlussfigur nämlich unterscheidet sick ron den
drei andern gar nicht durch die Form der logischen Operation,
sondern einzig durch die äussere Stellung der Sätze. .
des Aristotelischen Systems. * ^77
nod Sie unvollkomoienen Formen, des Schlusses, vtie Bei-
spiel, Instairz, EothymeiD, nebst dem später ausfuhrliGher
erörterten Unterschied von Schluss und Imluktion wenig-
stens kürzer besprochen ; des hypothetischen und disjonk-
tiven Schlusses dagegen geschieht kaum in unbestimmten
Andeutungen Erwähnung ^}. Statt eines weiteren Einge-
hens auf die Einzelnheiten der Aristotelischen Syllogistik
stehe unten eine gedrängte Uebersicht über den Inhalt
der ersten Analytik ^). So viel wird auch aus dem Bis*
1 ) Zur Lehre vom hypothetbchen Scfakisse Kömite man die Bemer-
huogen Aoal. pr. I, 23. 44. über die ovXXoyMfftoi »f viro&iosiue
rechnen; Aristoteles versteht jedoch unter der inodsiti nicht
den hypothetischen Satz, sondern (vgL auch AnaL post. I, 2. 72,
a^ 18. c. 10. 76, b, 2S) nur die unbewiesene Voraussetzung des
Seins einer Sache, in welcher logischen Form diese ausgedrückt
werden mag; im Ucbrigen bemerkt er, dass das Sc hl uss verfah-
ren hier dasselbe sei, wie bei den kategorischen Schlüssen. Erst
die Schüler des Aristoteles (Theophrast, Eudemus u. A.} und
die Stoiker haben die Lehre vom hypothetischen Scbluss weilar
ausgebildet, (s. Joh. PHitopoirus zu Anal. pr. I, 23* Schol. in
Arist 169, b, 25. Ritter, Gesch. d. Phil.^IfJ, 96.) man müsste
denn mit Guxposch a. a. O. S. 122 annehmen, dieser Theil der
Aristotelischen Schrift sei verloren gegangen. Auf den disjunk-
tiven Schluss bezieht sich die Polemik des Aristoteles (Anal. pr.
I, 31. vergl. Anal. post. IT, 5.) gegen die Platonische Methode,
eine Definition durch fortgesetzte EintheÜung aufzusuchen. Er
wirft diesem Verfahren vor, dass dabei gerade das, was eigent-
lich zu beweisen wäre, die Subsumtion des Art- oder Einzelbe-
griffs unter den einen der durch die Eintheilun|; gefundenen Gat-
tungsbegriffe, unbewiesenes Postulat bleibe, dass es daher eigent-
lich kein syliogistisches Verfahren sei; nur um so deutlicher
sieht man aber auch, wie weit er davon entfernt war, im dis-
junktiven Scbluss eine besondere Form des Schlusses zu finden.
2) Diese Schrift kann in 6 Abschnitte getheilt werden: 1) Allge-
meine Untersuchungen über den Begriff und die Bestand-
t heile des Schlusses I, 1 — 3. — 2) Von den Schlussfigu-
ren a) im Schluss aus assertorischen (c. 4 — 1), b) im Schluss
aus apodiktischen (c. 8—12), c) im Schluss aus problematischen
Prämissen (c. 13 -22), d) im Allgemeinen c. 23—26* (die Grund-
form füi* alle Schlüsse ist der kategorische Schluss der ersten
Figpr, c. 23* Anf. «^ Jeder Schluss hat drei Begriffe und drei
S78 1)^0 formffl6D Voraassetsuagen
herig^eo erhellen, dass dieser ganze Thell der Logik (üt
Aristoteles noch nicht die Bedeutung einer selbstandigett
wissenscliaftlicben Untersuchung hat 3 sondern bei ihm
durchaus dem Zwecke dient, eine Sicherheit im wissen-
scbaftliehen Beweisverfahren zu gewinnen, dass es ihm
also weit' weniger um die sog. reine, als um die ange-
wandte Logik oder die Methodik zu thun ist, welche
er ausser Anderem besonders* in der sog. späteren Ana-
lytik' entwickelt hat.
Die Aufgabe der Wisslenschaft ist der Arlfiftoteiischen
Bestimmung zqfolge die Erkenntniss der Ursachen und
Grunde der Dinge 0« D^^ Ahleitung eines Gegenstands
aus seinen nothwendigen Ursachen aber ist der Beweis ^3,
die Wissenschaft im elgentlicheq Sinne daher das Wis-
sen durch Beweise '). Mit den Regeln der Beweisfiih**
rung hat sich daher die Methodik zunächst zu beschäfti-
gen. Das Einzelne dieser Regeln gehört nicht hieher;
was die Auffassung der wissenschaftlichen Methode im
Ganzen betrifft, so ist zunächst diess zu beachten, dass
SaUe» nicht mehr und nicht weniger c *250* ^ 3) Von der
Auffindung der Schlüsse c. 27—31. ^ 4} Von der Analyse,
oder der Zurückfulhrung der Schlüsse auf die regelmassigen
Schlussfiguren c. 32 — 46. — 5) Vom Verhältniss der verschie-
denen Schlussforraen in Besiehung auf den Umfang des Erschlos-
senen (II, 1), vom Schluss aus falschen Prämissen (c. 2—4), vom
Gifkelschluss (c. 6 — 7),' von der Inversion der Schlüsse (c. 8
— 10) > von der Deduciio ad absurdum (e. 1 1 - 14), vom Schluss
aus entgegengesetzten Sätsen (c. 15), von Fehlem im Schliessen,
(c. 16 — 21), von Schlüssen, in denen Wechselbegriffe vorkom-
men (c. 22). — 6) Von der Induktion (c. 23), d^m Beispiel
(c. ,24), der dnayuiy^ (c. 25), der Instanz (c. 26), dem Enthy-
mem, oder dem Wahrscheinlichkeitsbevveis c. 27.
1) S. o. S. 367, 1.
2) An. post I, 4, Anf. «| dpaynaicDv aQU QvlXoy&ofiQf ioxw 9} ctVo-
3) A. a* O. *JEnü 3* iSvvarev äXlone ^X6^v ov iotlv iinattfpir} dn-
Xmiy dvayMoiov dv urj ro titiartjxov x6 navd t^v ditoStiXTiu^v
muftijfttjp» Vgl. c. 2 Anf. c. 6 Anf.
des Aristotelischen S;}fSteDis« 379
Aristoteles, in strengem Festhalten am Begriff der Wis*
sensehaft, als einen Beweis im'eigentllcheft Sinne («tio-
de^t^g) nur denjenigen gelten lässt, welcher aus lauter
nothwendigen Prämissen mittelst nothwendiger Folgerun-
gen gefuhrt wird, ein Wissen des Zufalligen dagegen^
. ausdrücklich läugnet, und ebenso das Wissen von der
Wahrnehmung und Meinung bestimmt unterscheidet O9
so dass. er also auch hierin mit der Platonischen Forde-
rung des rein begrifflichen Wissens vollkommen überein-
stimmt. Diesem Begriff des Wissens gemäss erklärt er
auch den allgemeinen Beweia für vorzüglicher, als den
partikulären, den, welcher die Einsicht in das Warum
gewährt, für besser als den, welcher blos das Dass dar-
thut, den direkten für besser als den apagogischen, den
positiven fSr besser, als den negativen^). Zugleich aber
bestrebt, die Bestimmtheit des Wissens zu erhalten, ver-
wahrt er sich gegen ein abstrakt allgemeines Verfahren,
das überall dieselben Principien anwenden will, mit dMtt
in seine ganze Philosophie so tief eingreifenden Grund- u
satz, das Besondere lasse sich nur aus seinen eige»-
tbiimlichen Gründen beweisen^). Soll aber ein me-
thodischer Fortgang vom Allgemeinen zum, Besonderen
möglich sein, so muss es einen Punkt geben, 'an dem die
Reihe der Vermittlungen aufhört, und daher der hohe
Werth, den Aristoteles auf die Bestimmung^ '^g^9 ^^^^
die Vermittlung zwischen den beiden Enden nicht in's
Unbegrenzte fortgehen könne, indem sonst kein Wissen
. möglich wäre^. Die Gesammtbeit dieser Vermittlungen
aufzuzeigen nnd so das Besondere systematisch aus dem
1 ) Ad. post. I, 6. c* 30 f. S. o. S. 367* Doch vgl. auch 8. 370.
2) A. a. O. c. 24—27. c 14*' 79, a, 22.
S) G. 7« 32* €• 9, Anf. f (paviQOP 8ti, enaatop dnodttinn ovn IW
all* fj ex TOiV knaoTOv d^xotv» S. u«
4) C. 19 — 23.
I
«
3S0 Die formalen Voraass^teungen
Ällgemeiden abzuleiten, ist eben die Aufgabe des Bewei-
ses 0? in welchem desslialb nacli Aristoteles auch die
£intheilung enthalten ist ^).
Hier scheint sich nun aber ^n Widerspruch heraus-
zustellen. Alles Beweisen ist ein Schlieasen aus gewis-
sen Voraussetzungen. Sollte sich daher Alles beweisen
lassen, so müsste für jedes Wissen auf ein höheres, als
seine Voraussetzung, zurückgegangen werden, ebenso
aber für dieses und so fort in's^ Unendliche; d. h. ein
ifvirkliches Wissen konnte nie zu Stande kommen. Die-
ser von ihm soharf beachteten Schwierigkeit begegnet
Aristoteles zunächst durch die Unterscheidung des ver-
mittelten und des unmittelbaren Wissens. Das Wissen
durch Beweis Ist ein vermitteltes, dieses selbst aber setzt
ein unmittelbares Wissen voraus; weder die obersten Prin-
cipien noch die empirischen Thatsachen lassen sich be-^
weisen oder definiren, sondern beide sind unmittelbar ge-
wiss icifieaa) ^), wesshalb anch Aristoteles zwischen der
imatiifirj im engern Sinn und dem vovg unterscheidet:
^r voßg ist das unmittelbare Erkennen der höchsten Prin-
eipien, die imar^fit] das abgeleitete Erkennen dessen,
1) Vgl. Top. II, 2. 109,^ b, 14: oxottsip Ss nax siSt] nai fifj iv toU
dnsigots* oSt^ ydg [aoXXov Kal< iv iXarroaiv ^ attdyjts. Sei de
QKonstP xal aQXia^ai dno tutv TTQOtvütv ton rtov drofiojv — und
^azu das oben S. 173 aus Plato Angeführte.
2) An. pr. I, 31, Anf. : on S* t) 3td tmv yev(uv SiaiQsa&t /ntxgov r»
/lOQiov ioTi riJQ eiQijfitvfjS fit&dSovt ^aSiov Idstv* ear^ ydg ij
diai^aaiS oiov daO'fv^s cMoyiof^os u. s* w. Vgl. Anv post. FI, 6.
3) Anal post. J, 2. 3. c. 19—23. c. 32. 88, b, 17. c 9. 76, a, 16:
(pavsQov 0€i ovx eoTi rds ittdarov IdiaQ dgxdi dTtoSei^ai. Me-
taph. IV, 4. 1006, a, 6: «ar» ydg djcat^svala to fi^ yi,yv0i(ntstVy
. rivüHf Sei ^ijTSiv dnodei^^v nal rivojy ov Set* oXüH fiev ydg dirdv-
Twv dSvvarov dnoSet^iV sivat* eis aitsiQOv yaQ av ßaSiioiy wars
fitjS^ ovxoiS elvat d'JT6Ssi^tv, IVletaph. VIII,. 3. 1043, b, 28: ot>-
■ oias iOTt fjLtv iji ivSiysrat sivat ögov nal Xoyov^ ofov^riji Ovv^
^izovt tuv TS aiQ^fjT]^ idv re vot^ti^ i,* i^ ojv d^ avvrj ttqojtojv
ovx l'anv*
t
I
des Avistotelisehen Systems. 3St
9
was aus diesen folgt 0* ^u^ ^^ Gebiete dieses abgelei-
teten Erliennens ist Irrthum möglich , denn nur hier ist
eine Verbindung mehrerer Elemente, aller Irrthum aber
beruht auf unrichtiger Verbindung der Vorstellungen; das
unmittelbar Erkennbare kann man nur wissen oder nicht
wissen, aber nie falsch wissen 2).
Scheint nun aber nicht hiemit das Wissen von den
Prinoipien selbst^ und ebendamit auch alles abgeleitete
Wissen in der Luft zu hängen? denn offenbar müssen
doch die Principien noch fester stehen, als das, was dar-
aus erschlossen wird ^); die Pilncipien. aber sollen sich
nicht beweisen lassen. Nein, antwortet Aristotel^; giebt
es auch für die höchsten Principien keine Ableitung durch
Beweis^ so sind sie darum doch nicht ohne Begründung:
die Stelle des Beweises vertritt hier die Induktion.
Es sind nämlich überhaupt zwei Richtungen des wissen-
schaftlichen Denkens zu unterscheiden: die, welche zu
den Principien hinführt, und die, welche von den Princi-
pien zum Einzelnen herabführt ^), der Fortgang von dem
1) An. post II. 19} Scbl.: iitsl S* ovdev dlfj&^arsQOV ivBi^^vat el^
vai bntazt^fArjQi 7/ vovp .... vovi av sl'fj iniaxrj^rii ^QX^* Eth.
•Nie. VI, 6: Tfji OLQXV^ ^oi» iniOTfjvov ovt aV (mavijfirj «^ ovre
rixvfj ovTs (pQOPf^ais . . . IsiTtsrui vovv slva^ Tfov dQx<**v, Ebd.
c. 3. 7* c. 12. 1143, b, 5; (der vovi sei die aXa^rjaii rdlv na&6^
Xov), Genaueres über den psydiologiscben Charakter dieses un-
mittelbaren Erkennens s. §. 27.
2) De an. lil, 6, Anf. 17 fiiv ovv rwv <iS$atQirwp ifotjais sp roiJroic,
negi a ovx i'or* to tpsv^os* iv oU dh ual to tptvSoi xal t6 dXrj^
d'ii-, avv&saii ns ^Stj vofjfAaTotv foQ ev ovtodv. Ebd. Schi* Eine
aiisfuhrlicbere Erörterung des obigen Satzes giebt Metaph.IX, 10.
Dasselbe sagt Aristoteles auch von der sinnlichen Wahmebmung,
sofern diese rein für sich genommen, und kein Urtbeü mit ein-
gemiscfat wird^ I>c an. IIJ, 3. 428, b, 18, Ilt, 6, Schi., imd von
^ aUem unmittelbaren Wissen Überhaupt Cat. c. 4» Schi.
3) Anal. post. I, 2, Sthl.: Tov Se fiiXXovta e^stv r^v iniariffAtjv
tfjv Bv aTtoSelSsojf j dstTaC dg^^S fidlXop ypojgl^eiv nal fidXXov
uvraU TTiarsvitv ^ rta SstKVvfiivfif. C. 3. Anf, u. 6.
4) Eth. Nie. I) 2. 1095, a, 30: «5 ydq utoiX tlldtotv ^Ttoqst tovto
384 Die fo-rmalen Voraussetzungen
ist daher eine vollständige Renntniss alles Einzelnen
notbig.
£ben hier liegt aber der Keim einer neuen Sefawiä-
rigkeit. Eine schlechthin vollständige Kenntniss alles
Einzelnen ist bei der Unendlichkeit desselben unmöglich.
So lange aber diese unvollständig ist, scheint auch das,
was daraus abgeleitet wird, unsicher bleibeti zu müssen«
Um diesem Bedenken zu entgehen, muss eine Abkürzung
des epagogischen Beweisverfahrens angebracht werden,
und diese findet Aristoteles in dem, was er die dialekti*
sehe Methode im engeren Sinn nennt, in^ der Folgerung
aus dem Wahrscheinlichen und allgemein Anerkannten,
dem avl\oyi<^(Aog il hdolmv^ mitt dessen Theorie sich die
Logik beschäftigt. Die ersten Principien jeder Wissen«
Schaft lassen sich nicht weiter ans anderen ableiten ; hier
müssen wir daher auf das, was der allgemeinen Meinung
in Betreif jedes einzelnen Gebiets feststeht, zurückge-
hen, um aus diesem die Principien zu bestimmen ^), denn
was Alle oder doch die Verständigen glauben, dem lässt
den Formen des apodiktisdien Schlusses s. b. Hetdeb, Verglei-
chung d. Aristot. und Hegel'sclien Dialektih I, a, 221 if.
1) Top. I, 1: *H fJkh TtQO&BOti r^i n^ayfiareiaii f^i&oiop sv(}^v,
«9* lys ivvtjaofiid'a avlkoyi^saO'ai tisqI narroe tov vrgore&^VTOS
TTQoßltjfiaros iS ivdoSotv . . . SialsKTixos Si ovlköyta/jtos 6 iS «V-
do^otv avlloyt^a/j^svoi , . • tvdo^a de. na SaeovvTct naatv tj to7q
nkslaroii r, roTs eo^eU, nat tovtois f naatv 7} ro7ff jtXelarots
rj tote fiaki^ara yvwQifio&i Mal ivdo^oii. C '2: *ar* $t^ it^oi tQia
[xqtjatfAOS 17 7T^ayfiareia\t itQoi yvfcpaolavy n^s ra^ ivrev^HS,
TTQoe Tai xoera (pikoff^iplav intotri^ai . . . tr^oi dt rat nard q^i-
koaoq)iav imatrjiMti^ ortr dvvafisvoi, Ttgoe dfitpoTega SiajtOQ^aai
gaop iv ittdarots HaToywfie&ai rdkrj^ii re koI t6 yitndot, irt
Si ngoi T« ngcüra tvSv itcQl iniorrjfifiv dgx^^- ^* /***',
ydg Toüv oiksIwv rtur xard ttjv Ttgors^etaav iitKnrjfirjv aQxfap
ddvvoLTOV slnslv ri nsgl uvtoUp, iitHStj ngxatat> at dgxat dndv-
Tüiv slal , ^*a d^ td)V itsgl evtaavm ivSo^coP dvdyKrj nsgl avToüp
SiBk{^8iv. tovTO S* V8tov rj fidkioTa oiHsiov t^s dtanksutnn^i iativ*
i^sraariKy ydg ovaa 7t;g6s räQ dtltaaotv tjcov fie&odofv dgxdi qBov
^X^t.
des Aristotelischen Systemf. 385.
9iGli nach der Ansicht des Aristoteles nicht wohl wider-
sprechen ^). Diese Bestimmung aber wird nur dann auC
wissenschaftliche Sicherheit Ansprach machen können,
lyenn sie nicht blos die eine oder die andere von den ge*
wöhnlidien Vorstellungen herausgreift, sondern sich als
das Gesammtresultat aus einer allseitigen Erwägung der-
selben darstellt. Daher denn jener eigenthiimlich Aristote-
lische Gebrauch der dnogla, der darin besteht, dass vor.
der systematischen Entwicklung jedes Gegenstands erst
die verschiedenen Seiten, von denen er sich fassen lässt,
anfgezählt, durch Gegeneinanderhalten derselben Schwie-
rigkeiten erzeugt, und aus der Lösung dieser Schwierig-
ketten die Grundlagen der wissenschaftlichen Darstellung«
gewonnen werden. Diese dialektischen Erörterungen sind
die Vorbereitungen und Fundamente der dogmatischem
Entwicklung, indem sie die Resultate der Induktion un-
ter gewisse allgemeine Gesichtspunkte zusammenfassen,
und diese durch einander näher bestimmen, und zur Ein-
heit eines Gesammtergebnisses verknüpfen ^).
Diess also sind die beiden Wege des wissenschaftli-
1) Elb. Nili. VF, 12. 1143, b, 11: war« Set n()osixsiP xwv ifinsi^ojv
xal itQBoßvxiQwv f] (pQOvifiiuv vaii uvanoSeinrots (pdaeai 'mal $6^
Ja*tf ovx rjTTov roSv dnodei^eunv, X, II. 1172, b, 35: oi S^ ivi-
ardfisvoi ojt ovh dya&ov ov navx* ifpUxM , yuiy ovSiv Xiyoiatv * o
yd^ Ttdai Soms7j tolt sTvat q>a^sv. Aus demselben Anlass be-
ruft sich die genannte Schrift^ VII, 14. 1153» b, 27 auf den Vers
- (ffifitj S' ov rC ys ndfinav dnoklvrai , rjv riva kaol
Trolkol . .
Vgl au^h Polit. If, 5. 1264, a, 1. Damit hängt auch die Vor-
liebe des Aristoteles für sprichwörtliche Redensarten und Gno-
men zusammen, wie er denn nach Diog. L. V, 26* in einem ei-
genen Buche eine Sprich wörtersammlung angelegt hat.
2) S. S. 384) 1. und Metaph. III, 1, Anf. : ian Ss roU avTTOQ^aai
ßovXofiivoiiiTQOvQyov t6 d^anoQijaa* xuIms* 17 yd(j vars^ov svito-^
' ^ia XvQii TMP TTQOTSQOV dnoQov/iivwv iarly kvttv ^ ovtt i'ativ
dyvoovvras vor Ssofiov u. s. w. Vergl. Fbys. IV, 10, Anf. De
coel. I, 1, Anf. An. post. II, 3 > Anf. u. A.
Die PbUosophie der Grieclien. 11. Theil 25
SS6^ 1^10 formalao Voraasseteungen
eben Erkentiens, die Aristoteles vorzeiclmet^ der Beweis
und die Induktion; nur durch die Verbindung beider lässt
sich ein sicheres Wissen um das Wesen der Dinge ge-
winnen; oder/ wie diess hier ausgedrückt ist, nur durch
diese Verbindung ist eine Definition möglich >)• Die De-
finition nämlich hat nach Äristotelisclier Ansicht die Auf-
gabe, das Wesen ihi^s Gegenstands (das r/ iatt oder ge-
nauer das r/ ^k fhai desselben) anzugeben ^). Dieses
aber, wofern die Definition mehr, als eine blosse Wor^-
erklärung sein soll, ist nur dadurch möglich, dass die Ur-
sachen des fragliclien Gegenstands aufgezeigt werden ^),
das Ableiten eines Dings aus seinen Ursachen aber ist
zunächst Sache der wissenschaftlichen Beweisführung 0«
Diese allein reicht indessen nicht aus, denn theils wird
bei jeder solchen Ableitung das Einzelne, das unter die
Definition subsumirt werden soll, sclion vorausgesetzt,
theils lässt sich auch iiberhaupt nicht Alles aus einem
Andern ableiten ^3; ist daher auch bei dem Meisten die
Ableitung durch Beweis zur Erkenntniss des Wesens
nothwendig, so gewährt doch sie allein diese Erkenntniss
noch nicht ^); es muss vielmehr zum Beweis und derEin-
1) Ueber die Lehre des Aristoteles von der Definition s. An. post.
II9 3 — 18. Top. VI. VII. vgl. Rassow Arist, de notionis defim-
tione doctrina (Berl. 1843). Hetdbr a. a. O. S. 247—293. Ari-
stoteles sellMt rechnet An. post 11, 19) Anf. die Theorie der De-
finition mit Rur Lehre Tom Beweis» wie er überhaupt der für
sein Verfahren so wichtigen Induktion immer nur nel>eubci er-
wähnt; der Sache nach ist sie aber so, wie oben» zu stellen.
2) An. post. II, 3. 90, b, 3. u ö. Top. VI, 1. 139, a, 32. c. 3. VH,
3. 149, a, 15.
3) Anal. post. IT, 2: ro vi luv siSivat ravro igt xal Std ti iuv.
c. 8, Anf. Top. VI, 4.
4) An. post. IL 10, Top.- VI, 4.
5) An. post H, 5-7. c. 9; vgl. Metaph. IX, 6. 1048, a, 35: 6y-
Xov ^ iitl tqIp Mad-' eKaata xfi inayoy^ o ßovlofis&a XiytiVy %al
ov 9st TtavTos OQOV ^tjTtivy dlXd ttal To dvdXoyop otfVOQfJv,
6) An. post. Ilf 8. 93) b, 16: QvkXoyio^os fAtp rov W iartv ov yi^
des Aristotelischen Systems. S6T
tfaeiltttig; (diese beiden erklärt ja aber Aristoteleis f&r we^
sentlicli identisch) noch die Induktion hinzukommen, in-'
dem durch beide zusammen theils aufsteigend die gemein-
^amen, theils herabsteigend die specifischen Merkmale der
Dinge gesucht werden ^).
Diese methodologischen Erörterungen werden nun zur
Bestätigung dessen dienen, was ich früher ii^er das Ver*
hältniss der Erfahrung zur Spekulation bei Aristoteles
bemerkt habe. Die eigentliche Aufgabe der Philosophie
ist auch ihm nur die Erkenntniss des Wesens und der
Gründe derDinge, aber diese selbst setzt die Erfahrungs« ^
erkenntniss, zwar nicht als die Norm ihrer Wahrheit,
wohl aber als die unentbehrliche Bedingung ihrer Wirk^
lichkeit voraus. Die höchsten Principien sind unmit-
telbar gewiss, und bewähren sich der Vernunft ohne Be-
weis, schlechthin durch sich selbst, aber für uns ist es
nicht möglich, uns anders, als von der Erfahrung aus und
durch Induktion zu dieser Vernunfterkenntniss zu erheben.
Hiemit stimmt denn auch ganz überein, was Aristo-»
telea ül>er die Entstehung des Wissens im Allgemeinen
ausführt. Es wiederholt sich hier dieselbe Schwierigkeit,
wie bei der Frage über den Beweis. Sofern ein Wissen
möglich sein soH, scheint es, müssen wir die allgemeinen
Principien alles Wissens schon In uns haben ; dieses hinwie-
derum scheint unmöglich zu sein, da so ein Wissen vor dem
Wissen angenommen werden müsste '^). Dieser Schwie-
rigkeit hatte Plato durch seine Lehre von der Wieder-
erinuerung zu entgehen gesucht. Aristoteles weiss sic^i
mit dieser Vorstellung nicht zu befreunden, ausser den
Gründen, mit denen er (s. u.) die Lehre von der Präexi-
Vttat ovd^ anoSit^iCf Sijkop fiivroi $ia ovkXaytafiov ttal 9t a^ro-
^«'ffwff. Vgl. Top. VII, 3.
1) S. d. vor. Aiim. und c. 13, 96, b, 15* 97$ by ?• c 9.
2) An. post II, 19. 99, b» 2^
25*
38S 1^1® formalen Veraussetzungeii
stenz bestreitet, scbmi darum nicht, weil es ihn als ein
Widerspruch erscheint, dass wir die Ideen in uns haben
sollen, ohne uns dpch derselben bewusst zu sein 0* Dlo
wahre Lösung; der angeregten Bedenlilichkeit liegt viel-
mehr seiner Ansicht nach in der Unterscheidung des ak-
tuellen und potentiellen Wissens: der Anlage nach muss
das Denken die allgemeinen Begriffe von Hause aus in
sich haben, sofern es die Fähigkeit hat, sie aus sich zu
bilden, aber nicht der Wirklichkeit nach, bestimmt und
entwickelt, ein Verhältniss, das Aristoteles mittelst der
bekannten, so vielfach missverstandenen Vergleichung der
Seele mit einer unbeschriebenen Tafel erörtert, die ja
gleichfalls zwar der Möglichkeit, nicht aber der Wirk-
lichkeit nach ein Buch ist 0«
Die Art aber, wie sich diese Anlage zum wirklichen
Wissen entwickelt, ist diese: das Erste ist immer die
sinnliche Wahrnehmung iaU&tjatg). Ohne sie ist kein
Denken möglich 3); wem ein Sinnesorgan fehlt, dem fehlt
nothwendig auch das entsprechende Wissen, denn die
allgemeinen Grundsätze jeder Wissenschaft lassen sich
nur durch Induktion finden, die Induktion aber muss von
der Wahrnehmung ausgehen *). Die Wahrnehmung nun
hat zunächst das Einzelne zum Inhalt ') ; sofern jedoch
1) A. a. O. Z. 26. Metaph. J, 9. 992, b, SS.
2) De an. III, 4.429, a, 22 ff, b, 5, 30 ff. II, 5. 417, a, 21, b, 19.
vgl. Hegel, Gesch. der Phil. II, 542 f. Trendelxmburg z. Arist.
De an. S. 485 f.
5) De an. III, 8. 4S2, a» 4: intl 3i ovSi irg£yfi$i ovSdy taT& na^m
Tüi fMyid'tjy oie Soxety rd aiad^rd »sx^Qt'Ofiivovj. iv rote §idfo*
Toti aiQ^TjTOii ra voijTa iari . . . nal Sid tovro o^re fi^ aio&a-
yo/ifvos fi7^&iv ov&iv oV fid&o$ ovSc fiTto»* orav r« ^ew(>/7»
drdyntj äfia tpdvraofid t» ^eotQiHv. De sensu c. 6. 445, b, 16:
ovdk voet 6 rovs rd eKToi fitj fitx aio&^atojs ovva.
4) An. post II, 18. De sensu c. 1, g. £.
5} An. post II, 18: nZv xa&' enaarov tj aio&fjotQ, Dasselbe oft
wiederholt, z.B. An. post. I, 2. 72, a, 4. c. 51, Anf. Phys. I,S.
Schi. De an. III, 5. 417» b» 22. 27« S. auch 8. 382.
des Arlstoteliftchen Systems. 339
im Einzelneu immer auch dfts Aligemeine entlialten ist,
wenn aueli noeli nielU für sieli abgelöst, so richtet sich
die Walirnebmung implicite aucli auf dieses''); oder ge-
nauer: was die Sinne walirneiimen ist nicht die Ein-
zelsubstanz als solche (das Dieses, rodi tp)^ sondern im-
mer nur gewisse Eigenschaften derselben, diese aber ver-
balten sich zur Einzelsubstanz selbst bereits wie das All-
gemeine, sie sind nicht ein voös, sondern ein riovdi; wie-
w^'obl sie daher in der Wahrnehmung nie unter der Form
der Allgemeinheit, sondern immer nur an einem Diesen,
in einer individuellen Bestimmtheit angeschaut werden,
so sind sie doch an sich ein Allgemeines, und es kann
sich aus ihrer Wahrnehmung der Gedanke des Allgemei-
nen entwickeln^). Diess geschieht aber so : schon in der
sinnlichen Wahrnehmung selbst werden die einzelnen sinn-
lichen Eigenschaften, also die relativ allgemeinen Bestfni-
mungen, welche der Einzelsubstanz anhaften, unterschie-
den ^) ; aus der Wahrnehmung sofort erzeugt sich inittelst
des Gedächtnisses ein allgemeines Bild, indem dasjenige
festgehalten wird, was sicheln vielen Wahrnehmungen
1) De an. lU, 8» s. S. 388, 3.
2) An. post. I, 31, Auf*: Ovdi 8i ato&iiaews eariv Iniorao^ai, tl
yd^ tial lariv tj tuad'ijahi rov TOtovds nal fi^ jovSi rtvoe
(nur das Tode aber ist Einzelsubstanz : ooStv oTjfiaivt^ rdSr xotv^
HartjyoQov^huiv xoSe r* dXXd rotovSe Metapb. VII, 13. 1039f
a, 1. — Weiteres s. u. §. 26.) > «^^* aia&dvsad'ai yä dvitynaTop
voSs Ti Mtu nov fial vvv, %6 de xa&clov nal inl ndatv dSvvarov
aia&dpea&ai. ov yoLQ roSs Ovis vvv» 11, 19. 100, a, 17: ala&d^
vtrai fitv t6 »ad'* exaoroVf ij ^ ai'aOyaiS rov xa&okov isiVf
olov dv&Qtunov, all' ov KaXXia dv&QutTtov, De, an. III, 6* Den
Sinn dieser Stellen, und ihre Einstimmung mit der sonstigen
Lehre des Aristoteles, deren Herstellung auch Hbtbkb (Vergl.
der Aristotel. und HegeVschen Dialektik I, a, 166 f.) zu viel zu
schaffen macht, wird das im Text Gesagte darthun.
S ) De an. HI, 2. 426, b, 8 ff. Daher wird die aia&fjoi9 An. post.
II, 19. 99, b, 35. vgl. De an. III, 9, Anf. eine Svt*afM9 ovfttpvros
N^irAxi; geaannt«
390 Die formalen Voraussetsungen
gleichmässig iwfederholt ; durch fortgesetzte Wiederho-
lung dieses Processes gelangt man am Ende zu den all-
gemeinsten Gründen, deren wissenschaftliche Erkenntniss
aus eben diesem Grunde nur durch die methodische Nach-
bildung desselben Verfahrens, durch die Induktion mög-
lich ist O* Wahrend also Plato dadurch zur Idee hin-
fiihren will, dass er den Blick von der Erscheinungswelt
abkehrt, und höchstens den Reflex der Idee, nicht diese
selbst, in der Erscheinung angeschaut werden lässt, so
besteht nach Aristotelischer Ansicht die Erhebung zum
Wissen vielmehr darin, dass zum Allgemeinen der Er-
scheinung als solcher vorgedrungen wird, oder sofern
beide die Forderung der Abstraktion vom unmittelbar Ge-
gebenen und die Reflexion auf das ihm zu Grunde liegende
Allgemeine verlangen, so ist doch das Verhältnjss beider
Elemente hier und dort ein verschiedenes: bei dem Einen
ist die Abstraktion vom Gegebenen das Erste, und nur
unter Voraussetzung dieser Abstraktion hält er ein Er-
kennen des allgemeinen Wesens für mAglich, bei dem
Andern ist die Richtung auf das gemeinsame Wesen des
empirisch Gegebenen das Erste, und nur eine nothwen-
dige Folge davon ist, dass vom sinnlich Einzelnen abstra-
hirt wird. Aus diesem Grunde nimmt auch Aristoteles
die Wahrheit der sinnlichen Wahrnehmung gegen Plato
und Andere In Schutz, indem er zeigt, dass weder die
Widerspruche und Täuschungen derselben die Möglich-
keit einer richtigen Wahrnehmung, noch ihre Relativität
das Dasein eines substantiellen Substrats aufliebe, dass
überhaupt die Zweifel an der sinnlichen Wahrnehmung
nur von mangelnder Vorsicht in ihrer Benutzung herrüh-
ren *).
Denken wir uns nun diese Erhebung vom Einzelnen
i) An. post II, 19. ygh Metaph. I, l. 980, b, 18.
3) Metaph. IV, 5» 6. 1010, bf. De an. Uk h 438, b.
' de« Aristotelischen Systems. 391
zum Allgemeinen vollendet, welches ist das höchste Priii-
cip, bei dem wir anlangen? Das Princip alles Wissens
und der Grundsatz, von dem alle anderen abhängen, ist
nach der Ansicht des Aristoteles der Satz des Wider-
spruchs >), mit dem er auch den Satz des ausgeschlosse«
neu Dritten als seine unmittelbare Folge verbindet ^). An
diesem Grundsatz kann Niemand im Ernste zweifeln, wenn
es auch Manche sagen mögen ; gerade desshalb aber, weil
er der schlechthin höchste Grundsatz ist, lässt er sich
auch nicht beweisen, d. h. aus einem höheren ableiten;
dagegen ist es allerdings möglich, ihn gegen Einwendun-
gen jeder Art zu vertheidigen, indem diesen nachgewie-
sen wird, theils dass sie auf Missverständnissen beruhen,
tbells dass auch sie jenen Grundsatz voraussetzen und
mit demselben sich selbst aufheben.
Aus diesem formalen Grundsatz lässt sich jedoch der
bestimmte Inhalt der besonderen Wissenschaften unnM|^-
lich ableiten; für diese sieht sich daher Aristoteles ge-
nöthlgt noch weitere eigenth&mliche Principien aufzusu-
ehen. Jeder Beweis setzt ihm zufolge zweierlei voraus:
einen allgemeinen Grundsatz aus dem, und einen bestimm-
ten Gegenstand, von dem etwas bewiesen wird 3). Die
allgemeinen Grundsätze nun sind für alle Wissenschaften
dieselben; der bestimmte Gegenstand dagegen, mit dem
sie sich beschäftigt, ist jeder eigenthiimlich; ebendamit
aber auch alle die Voraussetzungen, welche sich auf die-
1) Metaph. UI, 1. 995, b, 4 ff. IV, 3. 1005, b, H ff. c. 4. 5. 6.
2) A. a. O. c. 7«
3) Ao. post. I, 7, Aof.: tqIo. yag iari tu dp taU dnoSetSioiv ^ «V
fiiv %6 aTrodsmvvfUVOP f ro üvfAnigaafAa ... tv 6k rd «{«(J^aro*
dS$OßfiaTa y ioTlv «J ojv (sc, dnoSeUwrat). tqItop t6 yivoQ ro
vnomifiivov u. 8. w. c. 10« 76» b, 21 : ty (pvati tffla tavtd i^h
7r9Ql o TB ^sixvwjt xal a deUvvoi Kai c£ iv, Metapb. lUf 3. 997t
a, 8: dvdytiyj yd^ Ix rfttcvv älvtu «al ntgl ri $mI rtputp t^v
dniSti^^,
392 D>6 formalen Vorausseteungen
sen bestimmten Gegfeiistand als solchen beziehen; dfesie
aus höheren ableiten wollen, hiesse nach der Meinung
unseres Philosophen alle unterschiede der besonderen
Gebiete aufheben, und den von Ihm so oft gerügten Feh-
ler der fjtiTciß»(T$g tig äXKo yivog begehen ^). Es ist diess
eine der folgenreichsten Bestimmungen für das Aristo-
telische System, und der letzte Grund seines vielbesproche-
nen Empirismus. Dass es das Wissen nur mit dem All-
gemeinen zu thun habe, giebt auch Aristoteles zu, aber
damit Im Fortgang vom Einzelnen zum Allgemeinen seine
Bestimmtheit nicht verloren gehe, setzt er dem allgemei-
nen als dem formellen Princip die besonderen, materiellen
Principlen znr Seite, deren jedes f&r sich durch Induktion
gefunden werden muss. Die Forderung, auch diese aus
jenem abzuleiten, deren vollendete Losung freilich nur
in der vollendeten Philosophie möglich wäre, erscheint
ihm durchaus unberechtigt. Es Ist so hier derselbe Dualis-
mus von Form und Stoff, der sich durch das ganze System
hindurchzieht.
Diesen Grundsätzen gemäss können wir ieiuch keine
rein systematische Ableitung der Theile und der Glie-
•derung der Philosophie^) erwarten, und wirklich
macht auch Aristoteles gar keinen Versuch der Art;
die Mehrheit der philosophischen Wissenschaften erscheint
hier als eine nicht weiter bewiesene Voraussetzung. Eben-
1} An. post. I^ 9* 76) b, 13: üatt ual in tovtwv fave^ov or*
. otV ^OTtv dnodet^ai tnaarov dnldHt > dlk* 17 ex t(op inaarov dff"
XÖjv, . El Si (favBQov rovro, (pavt^ov xal ort ovn lart ras ixdü"
Tov t3ia6 aQxds dnodetScii' (aovtai yd^ iMeZvai dndvTotv dQ%a\y
nal tTnarijfiT] 17 ineivotv xvffia Trdyrwr ... 17 ^ dnoSsi^iS ovn
itpaQfioTtei in aXXo yivoi. C. 10 : *'ä» ^ ojv yQ^vtai iv raif
dTToSetnrtnaU iTttari^fiatS rd fiiv l'^«« indüxijs imat'^firi'S rd Si
Motvd u. 8. w. G 32; bes. am Schluss: ai ydg «Vl«^ StzzaU
it ^v T» nal ns^l o • ai fth ovv *{ wv no^val » «» 9i nsqH o
tSia$i oiov d^i<yfi6c, fiiye^os. Vgl. De gen. an. II, 8. 748, b, 7.
2) VgU hierüber Riwb Gescb. d» Phil. 111, 57- 78«
des Aristotelischen Systeilis. *\S9S
sowenig^ Ist sich aber der Philosoplt in der Aufzählntig
derselben überall g^eicligeblleben. Eine der häufigsten
Unterschelduivgen ist bei ilini die der theoretischen, der
praktischen und der poetischen Wissenschaft *), von denen
er sonst auch nnr die zwei ersten besonders hervorhebt^).
Die theoretische Wissenschaft ist die, welche das Wissen
als solches, die praktische die, vvelche das Handeln, die
poetische die, welche die technische oder künstlerische
Produktion (denn diese beiden werden von Aristoteles
nech zusaminengefasst) zum Zweck hat. Innerhalb der
theoretischen Wissenschaft ferner wird die Theologie
oder die erste Philosophie (nach späterer Bezeichnung dflie
Metaphysik), die Mathematik und die Physik unterschied
ilen'), innerhalb der praktischen zunächst die praktische
Fundamental Wissenschaft von den untergeordneten und
Hülfswisseottchaften ^). Jene ist die Ethik im weiteren
Sinn, die aber Aristoteles lieber Politik genannt wissen
will ^), zu diesen wird die Oekonomik, die Feldherrnkunst,
und die Rhetorik gerechnet^); die Politik soll theils vom
sittlichen Handeln des Einzelnen theils von dem des
Staats handln 7). — Dnrch diese Aenssernngen hat mah
1) Melapb, VI, 1. 1025, b, 18 ff. c 2. 1026, b, 5. (Xf, 7) Top.
VIII, 1. 153, a, 10. Eth Nik. I, 1. 1094, a, 6. X, 8. 1178, b,
20; vgl. De coel» III, 7. 306, a, 16.
2) Metapb. JI, 1. 993, b, 20. Etb/Eud. I, 1. 1214, a, 8 vgl. part.
an. 1, 1. 639, b, 19, 640, a, 1. de an. Ilf, 10. 435, a, 14.
3) Metapb. VI, 1. 1026, a 18. XI, 7) über den Begriff der ttqwttj
tf>t,Xoao(pla 0. auch Phys. I, 9* 192, a, 34. 11 , 2 Schi. De mot.
an. c. 6. 700, b, 9. u. A«
4) Eth. Nili. I, 1. 1094, a, 18 ff.
5) Eth. Nik. I, 1 a. a. O. u. 1095, a, 2. I, 2, Anf. u. Schi. M.
Mor. 1, 1 Anf« Rhet. I, 2. 1356 9 a, 26 — unter dem Namen
der Ethik cittrt Aristoteles immer nur seine ethischen Schriften
im engem Sinn Metapb. 1, l. 981* b, 25. Polit ttl, 9. 1280, a,
18 c. 12. 1282, b, 20. VJI, 13. 1332, a,* 8.
6} Eth. Nik. I, 1. Rhet I, 2.
7) Eth. Nik. I, !♦ 1094, b, 7.
•394 ^1® formalen VorautteUungdii
sich nun berechtigt geglaubt, dem Aristoteles die Eian
thellujig der Philosophie in die theoretische, praktische
und poetische zuzuschi'eiben, von i?velcheu drei Theilen
sodann der erste wieder in die Theologie, Mathematlli
und Physik, der zweite in die Ethik, Oekonomik und Po-
litik, der dritte in die Poetik, Rhetorik und Dialektik
zerfallen sollte 0* Hiebet bleibt aber fürs Erste die Ana-
lytik, oder die formale Logik, die doch für Aristoteles
so wichtig ist, ganz unberücksichtigt'^). Weiter wird
auoii die Rhetorik, die Aristoteles mit der grösten Be-
atiauntheit den praktischen Disejplinen beizählt (s. o.),
Wüd die Dialektik (Topik), welche er ebenso entschieden
als Hülfswissenschaft der theoretischen Philosophie he-
zeichnet % mit Unrecht zur Poetik gezogen. Die Oeko?-
nomik ferner bildet bei Aristoteles keine eigene Wissen-
schaft neben der Ethik und Politik, sondern nnr einen
Theil der letztern, denn wie es sieh auch mit den zwei
Büchern der Oekonomik verhalten mag, jedenfalls zeigt
die Besprechung dieses Gegenstands im ersten Buch der
Politik, dass er die Lehre vom Hauawesen mit zur Lehre
vom Staat rechnete *). Auch die Mathematik endlich
kann wenigstens in dem System, das Aristoteles In sei-
nen Schriften ausgeführt hat, kaum als besonderer Theil
neben der Physik und Metaphysik in Betracht kommen,
selbst wenn man der Angabe^), dass er ein fice^i^arijioV^
1) Rayaisson Essai sur la Metapbysiqu^ d' Ariatote (Par. 1837)
I, 250 ff.
2) Rayaisson (S. 252. 264} sucht diess damit zu rechtfertigen«
dass die Analytik keine besondere Wissenschaft, soadem die
Form aller Wissenschaft sei, diess ist aber unrichtig; die Ana-
lytik ist das Wissen von dieser Form, nicht sie selbst. Mar-
BAca meint gar, (Gesch. d* Phil. I, 247) «es könne keinem Zwei-
fel unterliegen , dass die Mathematik , welche einen Theil der
Philosophie ausmacht, die jetKt sog* Logik sei«.
3) Top. I, 1, Anf. c 2. " ,
4) S. auch unten %. 28, Anf.
5> DiOG. L, V, 24. 26.
des Aristotelischen Systems. 305
ein ^ar^vo/i$HOP und ein OTirtxoV geschrieben habe, ghiu-
ben, und die Mechanik fiii* acht annehmen will, denn auch
in diesem Fall würden diese Untersuchungen den bedeu-
tenden naturwissenschaftlichen und metaphysischen gegen-
über doch immer nur eine sehr untergeordnete Stelle ein-
nehmen O9 tin^l so scheint auch Aristoteles selbst neben der
Metaphysik nur die Physik als deurf^a q)iko(soq)la zu be-
zeichnen 2).
Können wir nun die bisher besprochene Eintheiiung
des Systems bei Aristoteles nicht wohl durchführen, so
liegt es nahe, sich an andere, der üblichen Trichotomle
näher stehende Aeusserungeu zu halten. Alle Sätze und
Aufgaben, sagt Aristoteles 3), seien theils ethische, thelb
physische, theils logische. Nun nennt er sonst diejenigen
Beweisführungen und Untersuchungen logische, in denen
ein Gegenstand nach allgemeinen Gesiehtspunkten und
1) Weiliger gegründet erscheinen mir andere Bedeniten , die RrrrvB
Gesch. d. Phil. 1:1, 73 f. hinsicht)ich der Stellung der Mathema-
tik bei Aristoteles vorbringt. Er glaubt nämlich in seinen Aeus-
serungen über dieselbe den Widerspruch zu finden, dass der
Mathematik ein sinnliches Substrat bald abgesprochen, bald zu-
geschrieben, und ihr Gegenstand bald als getrennt, bald als nicht
getrennt vom Sinnlichen bezeichnet werde. Der Ausdruck des
Philosophen mag nun wohl auch nicht immer genau sein ; in-
dessen lässt sieb jener yermeintlicbe Widerspruch theils durch
die Unterscheidung der reinen mathematischen Wissensebaften
von den angewandten und der Physik naher verwandten, theils
durch die Bemerkung beseitigen, dass Aristoteles nirgends sagt,
der Gegenstand der Mathematik sei ein ;|ra/piaroi/ , sondern nur^
er werde als solches, d. h. abgesehen von seiner sinnlichen Be-
schaffenheit, betrachtet; Metaph. XII, 8. 1073, b, 3 ohnedem,
welche Stelle nach R. den sonstigen Aeusserungen des Philo-
sophen über die Mathematik besonders widersprechen soll, wird
die Astronomie nicht »die eigentlichste Philosophie«, sondern
die o/x««oran7, d. h. die für die eben vorliegende Untersuchung
wichtigste unter den mathematischen Wissenschaften genannt.
2) Metaph, VII, 11. 1037, a, 24.: (Tnl rqonov zivu xijs (pvaiHTJg
noU SsvTdgat ipikoaoq)las i'Qyov ig mgi raff aiad'tjTas ov9iai &eoj^ia,
3) Top, I, 14. 105, b, 19 vgl. Anal, post I, 33 Schi.
3M I>ie fornu Vorausseteungen d. AristoCeL Systemt,
Grundsätzen, ohne näheres Eingehen auf seine besondere
Eigenthumlichiieit behandelt wird, und bezeichnet mit die-
sem Namen fiberhaupt alle allgemeinen Erörterungen,
wie die ober die Ideenlehre^ iiber den allgemeinen Begriff
des Unendlichen, über die Frage, ob Entgegengesetztes
Gegenstand einer und derselben Wissenschaft sein könne ').
Unter den logischen Untersuchungen hätten wir demnach
alle diejenigen zu verstehen, welche steh auf das allge-
meine Wesen der Dinge beziehen. Dahin könnten nun
aber wieder zwei Wissenschaften gerechnet werden, die
Analytik (Logik) und die Metaphysik. Aristoteles je-
doch unterscheidet diese bestimmt so, dass er die Ana-
lytik als Sache einer wissenschaftliehen Vorbildung be-
zeichnet, die man zur ersten Philosophie schon mitbringen
müsse ^). Diese beiden werden wir daher jedenfalls aus-
einanderhalten müssen, so dass wir also vier Theile der
Philosophie erhielten: die Analytik, die erste Philosophie
oder die Metaphysik, die Physik und die Ethik oder Po-
litik. Da sich nun der Inhalt der Aristotelischen Schrif-
ten in diese Eintheilung am Leichtesten einfügt, so folgen
wir ihr hier, so wenig wir auch behaupten können, dass
Aristoteles selbst sein System so getheilt habe, indem
wir mit der Analytik zugleich die formalen Untersuchungen
über das Wesen und die Methode der Philosophie ver-
binden, der Ethik auch die Rhetorik beifügen, und anhangs-
1) Top. a. a. O. De gen. an. Jf, 8. 747, b, 28. Phys. VIII, 8. 264,
b, 7. Ebd. 111, 5. 204, a, 34. b, 4 Tgl. m. Metapb. XI, 10.
1066, b, 21. Metapb. VII, 4. 1029, b, 13. XIV, 1. 1087, b, 20.
Eth. Eud. I, 8. 1217, b, 16; vgl. Ritter a.a.O. S. 65. Rassow
Arist. de not. def, doctr. S. 19 f.
2) Metapb. IV, 3. 1005, b, 2. Sonst stellt Aristoteles auch die
logische und die analytische Rebandlung eines Gegenstands ein*
ander in der Art gegenüber, dass er unter jener die abstraktere«
unter dieser die konkretere, von der speciellen Natur eines be-
stimmten Gegenstands ausgebende Betrachtungsweise versteht;
Anal, post I, 21. 82, b, 55; c. 22. 84, a, 7; c. 24. 86, a, 22;
c 32. 88, a, 19. 30.
Die Aristotelische Metaphysili« 397
Yfehe das Verhaltniss der Aristotellsclien Philosophie zur
Kunst and zur Religion noch besonders besprechen. Von
d^B formalen Voraussetzungen des Systems war nun bis^
her die Rede; von der Metaphysik ist zunächst zu spreclien,
§. 26.
Die Aristotelische Metaphysik.
Die Aufgabe der ersten Philosophie^ oder vrle wir
sie nennen, der Metaphysili, besteht in der Untersuchung
über die allgemeinen Griinde alles Seins. Ais das wahr-
haft Seiende hatte nun Plato ausschliesslich die Idee be-
trachtet, und eben auf die Unterscheidung der Idee von
der Erscheinung gieng sein philosophisches Grundinteresse.
Demgemäss beschäftigt sich auch in seinem System der
Theil, welcher der Metaphysik entspricht, die Dialektik,
nur mit der Ideenlehre; die Lehre von der Materie ge-
hört hier zu der Untersuchung über dasjenige, dem kein
wahres Sein zukommt, die Erscheinung als solche, zur
Physik. Dem Aristoteles umgekehrt 4st die Einführung
der Idee in die Erscheinnngswelt die Hauptsache, und
er giebt aus diesem Grunde beiden Seiten auch schon
v#n Anfang an eine Beziehung auf einander, in der sie
als Glieder eines Gegensatzes erscheinen, deren jedes auf
das andere hinweist. Hier iällt daher die Frage nach
der Grundlage des sinnlichen Daseins mit in die Wissen-
schaft von den Gründen des Seins, und diese selbst hat
es von Anfang an statt des Einen Platonischen Princlps
mit einer Zwelhelt steh gegenseitig voraussetzender Prin-
cipien zu thun. Die Untersuchung über diese Principien
und ihr Verhaltniss zu einander macht den Inhalt der
Metaphysik ans. Im Besondern entwickelt sich dieser
au drei Grundbestimmungen, die zwar Aristoteles selbst
1) Metaph. V, 2. 982, b, 7 vgl die obenS. 393, 5 angefüfarten Stelleii,
39S Di« Aristöteliftcbe Metaphysik.
nicht genau in dieser Ordnung gestellt hat, die wir aber
nichtsdestoweniger, dem innern Zusammenhang der Ge-
danken folgend, so zu stellen berechtigt sind. Die Auf«
gäbe ist, das Verhältniss der Erscheinung zur Idee fest-^
zustellen. Dieses hatte Plato dahin bestimmt, dass die
Idee das Allgemeine, die Erscheinung das Einzelne, und
nur jene das schlechthin und ursprünglich Wirkliche sein
sollte. An diese Bestimmung muss auch Aristoteles an-
kniipfen. Das Erste ist daher die Untersuchung über das
Einzelne und das Allgemeine. Indem nun aber Aristote-
les beide nicht ebenso, w\e Piato, auseinanderhält, sondern
in gegenseitige wesentliche Beziehung setzt, so bestimmt
sich die Idee näher als die Form der Erscheinung, diese
als der Stoff, in welcher sich die Idee darstellt, und so
ist der zweite Hauptpunkt das Verhältniss von Form und
Materie. Die Form aber ist wesentlich Form der Materie
und die Materie nicht ohne ihre Form^ jenes Verhältniss
also das Bestimmtwerden der Materie durch die Form,
d. b. nach Aristoteles, die Bewegung. Alle Bewegung
aber setzt einen ersten Grund der Bewegung voraus, und
so ist die Bewegung und das erste Bewegende das- dritte
Begriffspaar, mit dem es die Metaphysik zu thun hat,
durch dessen Entwicklung sie aber auch an ihrer Grenze
angekommen ist und in die Physik übergeht. Wir ver-
suchen im Folgenden, den wesentlichen Inhalt der Ari-
stotelischen Metaphysik an diesen drei Grundbestimmun-
gen darzustellen.
1. Das Einzelne und das Allgemeine. Plato
zuerst hatte es bestimmt ausgespi^ochen , dass »ur das
allgemeine Wesen der Dinge Gegenstand des Wissens
sein könne. Hierin stimmt nun Aristoteles mit Ihm über-
ein. Auch ihm sind die aligemeinsten Gründe und Prin-
cipien das ursprünglich Gewisseste und Erkennbarste ')>
I) S. o. S. 38a, A*
Die Aristo telische Metaphysili. S99
auch er erkennt an, dass das sinnliche Sein nieirts Wesen-
haCtes, dass in ihm viel Unbestimmtheit und Widersprach
sei'); auch er erklärt: es müsse ein Allgemeines geben,
wenn es überhaupt ein Wissen geben solle ^)/ von den
sinnlichen Dingen gebe es keine Definition und keinen
Beweis, überhaupt kein Wissen, denn dieses habe nur
das Unvergängliche und Nothwendige zum Inhalt ^). Hatte
nun aber Piato hieraus geschlossen, dass auch nur das
Allgemeine als solches ein Wirkliches sein könne, und
dieses im Gegensatz gegen die Mannigfaltigkeit der Er-
scheinung als für sich seiende Substanz gefasst, so weiss
sich Aristoteles diese Bestimmung nicht mehr anzueignen
— und eben dieses ist eigentlich der Punkt, an dem
sein Princip über das Platonische hinausgeht. Die Vor-
aussetzung, dass das Allgemeine ein Fürsichseiendes, die
Idee von der Erscheinung trennbar sei, entbehrt nach
der Ansieht des Aristoteles nicht allein aller wissenschaft-
lichen Begründung, sondern verwickelt sich auch an sich
selbst in die unauflöslichsten Schwierigkeiten und Wider-
sprüche, und macht die Erscheinungswelt, statt sie zu
erklären, vielmehr unmöglich. Die Annahme von Ideen
ist nicht begründet, denn — um die Einwendungen des
Aristoteles gegen die einzelnen Platonischen Beweise
für jene Annahme zu übergehen ^} — der Inhalt der Ideen
ist doch ganz derselbe, wie der der diesseitigen Dinge,
im Begriff des Menschen - au - sich sind dieselben Merk-
male enthalten , wie im Begriff des Menschen überhaupt,
er unterscheidet sich von diesem nur durch das Wort
Ansich ^). Die Ideen erscheinen daher unserem Philo-
1) Metaph. JV, 5. 1010, a, 1.
2) Anal, post I, tl Anf. Metaph, III, 6, Schi. c. 4, Anf. ebd. 999,
b, 26 : t6 em'aTaa^at nwQ lorat, tl ftij ti i'azai tv hnl itawottv.
3) Metaph. VlI, 15. 1039, b, 27. S. auch oben S. 367.
4) Man vgl. hierüber Metaph. f, 9. 990, b, 8 ff. XlII, 4. 1079, a.
5) Metaph. III, 2* 997, b, 5: nokXaxfi ^ ix^vrotv BvanoXiavy ov-r
4#0^ pie Aristotelische Metaphysik«
sopb€B als eliie ganz über (1 aasige Verdopplang der Dinge
\ü der Welt, und zur Erklärung von diesen Ideen voraus-
zusetzen, koi»nit ihm nicht weniger verkehrt vor, als
>v^Qn Jemand, der die kleinere Zahl nicht zählen kann,
es mit der grösseren versuchen^ wollte >). — Aber auch
abgesehen von diesem Mangel an Begründung ist die
Ideenlehre schon an sich selbst unhaltbar^ denn die Sub-
stanz — und in diesem Satze ist wieder der ganze Unter-
schied des Aristotelischen und Platonischen Standpwikts
zusammengefasst — kann nicht von dem getrennt sein,
dessen Substanz sie ist^J; will mau diess aber dennoch
annehmen, so geräth man von einer Schwierigkeit in die
andere. Denn während es der Natur der Sache nach nur
von dem Substantiellen Ideeu geben könnte, so müssten
doch solche, wenn das allgemeine Wesen einmal überhaupt
vom Einzelnen getrennt existiren soll, auch für blosse
VerbältnissbegrifFe angenommen werden ^), ja die Ideen,
welche doch die Substanz der Dinge sein sollen, sind
überhaupt tu Wahrheit nur ein Accidentelles, denn nur
ein solches kann an einem Andern sein ^); ebenso m&ssten
^p6t ijTtov ocTOTTOP To fpdvat^ fiip tivai r^vai (pvaetc neiga raff
fV reu ov^artff TmvraS dt tds avrdc (pdva$ toiS aiQ&ijiTOiS Jtki^r
cTi rd fi-iv aiSia td $i tf^aQva' avto ydg avi^Qwnov faaiv
ilvai nal 'ittttov Mal vyisiavy aXXo S* oiSev, nagaTtX^aiov noiovv^
' tii to7q ^sovc fistf slvat tpdaxovoiv dvO'QdaTtotidsts St' ovt6 ydg
in^piH of^&iy alXo i-r^iot^ , f} dv&^wjr9v€ dvdtove, ovd^ ovtok td
tXdtj dW y dh^fiTd diSia. Aehnh'cb Metapb. VU , 16. 1040,
b, 32: noiovaiv ow [rds idias'] raff avrds toj tidu ro<ff (p&a^-
ro7ff, aVTodv&QOJTiov ual avTo'CitTCov , ftQoavi^ivtsi rolff ala^7]T0iS
ro ^^f*a TO avto. Vgl. Eth. Nik. I, 4. 1096, a, 34. £ud. I, 8.
1218, a, 10.
1) Metapb. I, 9, Anf. XIII, 4, 1078, b, 32.
2) Metaph. ), 9 991, b, 1: So^mv aV ddvvarov eJvai %(oq\s tijv
ovaiav ttal ov ^ ovaia. Vgl. VII, 6. 1031, a, 31. c. 14. 1039,
b, 15.
5) A. a. O. 990, b, 22- XIII, 4. 1079, a, 1<).
4) Melaph. VII, 6. 1031, b, 15.
Diiei Ai^istotelische M€rtapby8ik. 401
die allfemeHien Merkmale, die 2usainuiieii 4ek Kegriff bit
dea, gleielifalls besondere Substanzen, und so eine Idee
aus mehreren Ideen, eine Substanz aus mehreren, ja auch
aus entgegengesetzten realen Substanzen zusammengesetzt
sein"^). Sollen ferner die Ideen das Wesen der Dinge enthal*
ten, und doch zugleich uukörperliehe, für sich existirende
Substanzen sein, so ist diess ein Widersprucir, denn theils
redet Plato, nach der Darstellung des Aristoteles, auch
von einer Materie der Ideen, was sich damit nicht ver*
einigen lässt, dass sie ausser dem Räume sein sollen ^),
theils gehört bei allen Naturgegenständen die Materie
und das Werden mit zu ihrem Wesen und Begriff, dieser
kann daher nicht getrennt von denselben für sich sein ^);
auch die ethischen Begriffe jedoch lassen sieh nicht
schlechthin von ihren Gegenständen trennen: es kann
keine für sich bestehende Idee des Guten geben, denn
der Begriff des Guten kommt in allen möglichen Kater
gorieen vor, und bestimmt sich je nach den verschiedenen
Fällen verschieden, wie sicli daher verschiedene Wissesr
scftafiten mit dem Guten beschättigen, so giebt es auch
verschiedene Güter, und unter diesen selbst findet eiile
Stufenfolge statt, die an und für sich schon ein für sich
existirendes Gemeinsames ausschliesst ^). Dazu kommt,
dass die Annahme von Ideen consequenter Welse auf
einen unendlichen Progress führt; denn soll überall eine
Idee angenommen werden, wo Mehrere in einer gemein-
samen Bestimmung zusammentreffen, so würde auch zu
der Idee und der Erscheinung das diesen gemeinsame
1) Mctaph. VII, 13. 1039, a, 3. c. 14. vgl. I, 9* 9Ö1, a, 219. -
2) Phys.IV, 1. 209, b, 35. vgl. indessen, was ich oben S. 237 ff#
- bemerkt hahel : ' ■ ' . •
3) Pliys» II, 2, 193, b,* 35 ff. ^
4) Eth. Nik. I, 4» Eud. I, 8. ^
Die Philosophie der Griechen. II. Theil. 26
i
t
4it Die Aristotelische Metaphysik.
Wesen als heBonitre, dritte Substanz hinzukMameti ')•
Werden vollends die Ideen als Zahlen bestimmt, und von
ihnen die mathenuitischen Dinge als ein Mittleres zwischen
den Ideen und dem Sinnlichen unterschieden, so nehmen
die Schwierigkeiten in beiden Beziehungen kein £nde ^).
— Wäre die Ideenlehre indessen auch begründeter und
haltbarer, als sie Ist, so könnte sie doch, nach der An*
siobt des Aristoteles, der Aufgabe der Philosophie, die
Gründe der Erscheinungen aufzuzeigen, in keiner Weise
genügen, denn da die Ideen nicht in den Dingen sein
sollen, so können sie auch nicht das Wesen von diesen
bilden, mithin weder zu ihrem Sein noch zum Wissen
um sie etwas beitragen ^) ; das bewegende Princip vollends,
ohne das doch kein Werden der Erscheinung denkbar ist,
fehlt ihnen gänzlich *)«
Diese Einwendungen gegen die Ideenlehre sind nun
allerdings von sehr ungleichem Werthe, und nicht ganz
wenige derselben beruhen, wenigstens in der Fassung,
in welcher sie Aristoteles vorträgt, auf einem unverkenii-
Imren Missvierständniss dessen, was Plato mit jener Lehre
tigentiteh Wollte ^). Sein Widerspruch im Ganzen je-
doch ist iiicht blos an sich berechtigt, sondern auch im
innersten Verhältniss des Aristotelischen Systems zum
1) Metaph. 1, 9. 990, b, 17. 991, a, 2, VII, 13. 1059, a, 2. vgl.
VII, 6. 1031, b, 28. Aristoteles drüdit diese Einwendmg hier
auch so aus, dass er sagt, die Ideeolebre fUhre auf den r^Voff
av&^funoi. Vgl. m. Plat Stud. S. 257.
2} Man Tgl. gegen die Idealzahlen Metaph. I, 9. 991 > b, 9 ff. XIII,
6 ff. auch £th. Eud. 1, 8. 1218« a, 24; gegen die Mitteldinge
Metaph. II, 3. 997» b, 12 ff. XI» 1. 1059> b, 4.
5) Metaph. I, 9, 991. a, 12. (XIII» 5» Anf.) VII, 6. 1031, a, 29 ff.
T^l. Anal. post. I, 22. 83> a, 32.
4) Metaph. I, 9. 991» a, 8. 19 ff b, 3 ff. (XIII, 5) 992» a, 24 ff.
VII, 8. 1033, b, 26. XII, 6. 1071, b, 14. c. 10. 1075, b, 27 ff.
Tgl. Eth. Eud. I, 8. 1217, b, 23.
5) S. m. Plat. Stud. S. 257 ff. '
Die ArittoCeliscbe Metapbystlt« 4(tt
Piätofiisdien begvÜHdet. Wir liabeu frnhftr: jfesehen, wie
wenig es PUto gelingt ^ einen üebergang veu der Idee
zur Erseheinung zu finden, und wie au diesem Paukte
die anjBTallendste Scliwäclie seines Systems liegt. £beQ
dieser Mangel ist es nun aueli, den die Polemik des
Aristoteles vorzugsweise angreift. Die Ideen als ffirsich?
seiende Substanzen könnten weder den Grund der Er»
scheinungswelt abgeben, noch auch neben dieser nur
Raum finden — diese Bedenken enthalten auch bei Ari-
stoteles den eigentlichsten Grund seines Widerspruchs
gegen die Ideen, wie er denn namentlich das Fehlen der
wirkenden Ursache in den Ideen als die grösste von den
Schwiisrigkeiteu der Ideenlehre bezeichnet ').
Ist aber das allgemeine Wesen nichts vom Einzelnen
Geschiedenes, wie haben wir uns dann das Sein dessel-
ben zu denken? die Antwort liegt schon in dem Bisherigen:
das Wesen Ist nur in dem, dessen Wesen es ist, <las
Allgemeine nur im Einzelnen; an die Stelle des tv nagd
Tcc nokKcc tritt das fp xavd noUwv ^). Das ursprünglichste
i) M. 8) die obpn angeführten Stellen» besonders Metaph. 1, 9*
991» 9r 8: TtavTiov Si giaXtara ifutTto^f/aitev av r«ff, xinorsavfA"
ßaXkirak ra tidtj To7e didiot9 rotv alo&ijrwP ^ TOtQ ytfvofiivo^t
mal tp&ßiQOfiiroii ' ovts ydg HiV^OBcae ovta fiiTaßokijs oväsfiiaS
iorlv al'rta avroTs . . • Z. 20: t6 Si Xiysiv TtaQa^aiyfiaxa avva
Bivot $(al fUTi%uv avrwv rakla nevoXoyitv iorl Hcd fMratpogds
Xtysiv noit/Tinde' il yd^ ioti t6 tgya^ofiavov Ttgos tde I6ia9
aTtoßkinov} 992) a» 24: oktot de ^Tjrovafj^ rijQ <pi,koao<pias mgl
rwv tpavsQdiv jo al'tiov T9vro f/^lv sidttafiev (ov^iv ydg kiyof/^Bv
TTtgl riji aiwia^ ö^ep ^ »qxV ^V^ fisraßokijs)^ tr^v ^ ovalav olofie-»
vo$ kiyttv «vrcvv Mgas fte» ovaias sivaitpaf^tvt onöts i* ixeZvai
TOvTOfP ovoUny itd uBifiji X^yüfcsv.
2) Metapb. I, 9 (s. o, 8.400,^3* Anal. post. I9 11) AnJT. tl'Sfj ftiv
ov» etrat ij -iv ri naqd vd itekkd ovn dvdytrji tl dnoSn^s iarat'
slyxtt fiipTOi lEP nard itokkelhf dkf^^^ tiit^p dpdymj. De an. Ulf
8. 452> d) 3 : inei dt ovdi it^dypba o^u&ip iürt nagd rd lAsyi^fj^
vU SoneTf rd aia&tjxd xsx(OQiafiipoVi iv rotC el'dstft roti aia&tjroU
td votjvd ioTtf woraus Aristoteles sofort die Erscheinung her«
26*
404 Die Aritftoteliicfae Metaphysik,
Sein n&nilicb ist das der Substanz *)» ^i^ Subi^s abief
ist inuner ein Dieses, ein bestimmtes Subjekt ^y^ und die
Substanz im eigentlichsten Sinne ein Einzelwesen: die
it^mTfj ovirla ist das Individuum, die dtv^f^ ovaim der
OattungsbegrilSr, welcher das gemeinsame Wesen mehrerer
Individuen ausdi^icltt, die übrigen aligemeinen Begriffe
sind blosse Attribute oder Accidentlen der Sufostaiiz %
leitet) dass auch die Seele die BegnfFe nicht ohne Denlifoildet*
besitzt» und dass die Erfahrung die Bedingung alles Wissens ist
1) Metaph. VII, 1. 1028» a, 50: ro ^(>aJrwc oV nal ov tl oV dXi'
ov dnXüjS y ovola av d'ij. C. 7. 1030» a, 22: io xi tariv a.T-
Awc Tfl ovaia vira^xst,
2) Kat 5. 3, a, 7. b, 10: Koivov aatd ndaiji ovaias ro fiy tv vno^
Hsi/iiv^i slrat» , . Häoa otüia SokbZ roSe ti arjfAaivuv» Metaph*
in> 6* Schi. ovSiv tojv noivotv Tode zt arjiiaivtiy aAAa rotor^«,
^ ^ ovaia toSe t*. VlI» 5. 1030» a, 5: rd toSs t* toIq ovotatf
vndf)Xti fjLOVOi'.
3) Hat. c. 5 (vgl. Anal. pr. I, 27. 43, a, 25): Ovota Bi eoriv if
uvQiwvavm re xoi nQutvwS »tal /ndhara ktyofA,ivtj^ t} /ii^te Ma&'
vnoxtifiivov ttvos X^ysrai fitjr iv vnoxtifiivoj nvi lattv , oiov o
ritf dvd'gtuTTOS xal 'imtoiy StvrtQai di ovoiai liyovTai, iv ois ei'oe^
aip ai ^(fOjTOiS ovolai Xeyofisvai vnaQX^^'^^ • • • ^^ ^ otXla iravta
fjto$ Ka&' vnonHfAtvoiv Xtyirai t(uv ngfujotv ovatoiv tj iv vttohu^
fiivai€ avraU loxiv- . . . /ijj ovooiv olv twv nQo'iTOiv oiauuv ddv-
vatov TiSv akloiv ti elvai* . . An. post* II, 13« 96 9 l^» 11. Me-
taph. VII9 13. 1038 9 b, 10: n^ohtj ovaia idtoc ixdoTCj) ij ovx
vnaf^XU dlXi^ty ro Si Ma&olov HOivov. Ebd. Z. 54: tn ts St)
tovTODV '&i(uQovai (paveQOV ort ovd'-iv Ttluv xa&oXov vitaQX^^"^^*"^
ovaia iazl^ tcal oti ov&i» atjfAaivet Totv xoipjj «aTt/yo^vfiivujv
roSe r«, dkXd T0$6vSe» c. 16» li)40> b, 23: noivor fitjdhv ovaia*
ovdsvl yaQ vndgx^^ V ovaia dkX' -ij avTtJ rs xal t^ ö'xovti av^
T^p ov iarlp ovaia^ Ebd. Schi, rcut^ xa&ikov Isyoifiivcitv ovd'iv
owfitu XII9 5) Anf. intl S* iarl rd fikv ;^af(>tQrr«e , ra d' 01; x^"
Qtardf ovaiai intiva* xal d*d t^vxo ndvvwv a2ri« ravroe. Die-
selbe Ansicht drückt sich in der Unterscheidung ^b xa& avTo
' und ovfJkßeß^xoQ aus, die bei Arbtoteies unsähli^male vctt^kommt.
Das Ka&' avTOy d» h» das ursprüngliche Sein, ist i)ur das der
'■■ Substanz im angegebenen Sinn, alles übrige ein abgeleitetes,
ein üvfißsßT^xos. Vgl« AnaL post. I, 4. 73, b^ $: Aristoteles
nenne xad;* avro dasjenige, o fit) xa-&* vnousifiivov liysrai dXXov
■ j4f^off f 4>iov TO' fiadii^ov WQQP T» ov fiaSi^ov iatl xal vUvxoV, ?}
Die Aristoteliäehe^ Metapfa'ysilu 40ft
Wessliftlb rfenn atiob geimdezn gfesagt Kird '), tn der Die«*
fitiition drücken die specifiscben ünterseblede jedes Be»-
g^rHFs sein Wesen und »eine Form aus, das Allg^emeSiiie
der Gattung; dagegen entsprecbe der Materie , sofern es
erst die unbestimmte Möglicbkeit dieses BegrilSs enttiält,
lioeh nicht ihn selbst. Diese Bestimmu^ng Ist für das
Aristotelische System von der höchsten Wichtigkeit;
auf ihr beruht nicht allein die unterscheidende Eigen«-
thiimlichkeit seiner Methode^ sondern auch, in letzter
Beziehung, alles Weitere, was den wesentlichen Unter*
schied zwischen ihm und dem Platonischen ausmacht.
-Darüber, dass nur das substantielle Sein Gegenstand der
Wissenschaft sein könne, und dass dieses nicht In der
sinnlichen Erscheinung, sondern in dem allein durcb's
Denken zu erfassenden Wesen der Dinge liege, sind
befite einverstanden; aber während dem Plato ursprung-
lich nurdasallgemeine Wesen f&r ein substaatlelles gilt,
das Einsegne dagegen nur in dem Maasse, als es an dem
Altgfemeinen Theil hat, betrachtet Aristoteles umgekehrt
das Einzelwesen (tvenn auch nicht das sinnlieh Ein*-
zelne) als das Substantielle, das Allgemeine dagegee
^ni* insofern, al& es das Wesen des Binselnen ausdruckte
Es ist so hier ein ähnlicher Gegensatz, wie in der neuem
Philosophie zwischen Spinoza und Leibnitz.
Eben diese Bestimmuno: ist nun aber nicht ohne
Schwierigkeit. Soll ursprünglich nur das Einzelwesen
d* ovoia, xal oaa rode r*, ovx tvs{)6v t» ovta iatlv onsQ
iativ* ra ^tv S^ fiy ««^* vnonttfiivot) [seil. Xtyofiiva] naO"* avrd
Xiyati Tai di Ma&* vnoxaifiivov avfißtßtjMora» VoD einer andern
Bedeutung des ovfißeßtjnoi wird tiefer unten gesprochen wer-
den. — Uebcr den Arist. Begriff der Substanz s. aucb Wait/4
Arist Organum I, 281 ff*
i) Metapb. VII, 12. VIII, 2. lOiS, a, 19. Pbys. II, 9» Schi. u. A.
S. Ritter a. a. O. S. 142. Hetdbr Hrit» Darstellung und Ver-
gleichuDg der Arist und HegeFschen Dialektik I« 9» 147-
406 Die A.iriiloteli6cliQ MetapbyilK
«io Sabstatiitielles sein, so scheint sich tauch das Wlssctt)
4a dieses eben auf das Substantielle gelichtet ist ^), nur
auf Einseines bezieben ku können. Oiess läugnet jedoch
Aristoteles auFs BestiniBteste, wenn erder Wissenschaft
die Aufgabe stellt, die höchsten und allgeaieiRsten Oriinde
EU erforschen 9 und das Allgemeine an sich gewisser
und bekannter nennt, als das Einzelne ^)« Auch lässt
sich diesem Widerspruch nicht, mit Biese 3), durch die
Unterscheidung der natürlichen und der geistigen Weit
entgehen, so dass im Gebiete des natürlichen Seins das
Einzelne, im Gebiete des Geistigen das Allgemeine da«
Erste wäre, denn Aristoteles selbst macht diesen Unter-
schied 80 wenig, dass Ihm vielmehr gerade desshalb der
reine Geist oder die Gottheit zugleich Einzelsubjekt ist)
well er auch im Geistigen nur das EiuMlne ds Substanz
Im strengen Sinn anerkennt, wie denn auch seine oben*
angeführten Bestlnimungen über den Begriff der Substanz
durchaus allgemein lauten; und sagt er allerdings^ das
sliog sei das Wesen und die erste Substanz ^), so versteht
er doch unter dem ilSog hier nicht den allgemeinen Be-
griff, sondern die individuelle Form des bestiaunte« Seiiui %
die er im Unterschiede von der Materie als das Wesen
1) S. o. S.S66, 1 uud Metaph. VII, 4. 1030» b, 4. c 6, Auf. c. 11
1037^ 9) 24^ wo wiederholt versichert wird, nur die ovaia sei
das "Wesen (ri *jv thai) der Dinge, und nur auf sie beziehe
sich die Definition.
2) S. o. S. 366, 3. 382.
3) Die Philosophie des Aristoteles I, 56 f.
4} Metapb. VII, 7« 1032» b, 1 : ildos Si Xtyon t6 tI ^p shai Uaatt^
xal xijif TTQwrijv ovaimv ,., kiyui S* ovaiap avBv vki^i to xi yv
5) Ebd. V, 8, Schi, avftßalvu 8ij uata bvo rgonovi ttjv ovolav
X^yso&tit% TO •&* v7roKsifi€Pov ta%rATov o fif/HiTi X(/tT* älkov A/y6-
f-««, «ex» o «V xoSt r* ov »«i xotgiQTOv fj* xoiQvx9V Bk enaQXov
Die Arifftotelifeche MeUpkytfil^ 491
ilosaelbm 'betriücfalet 0* ^Imü andern Auswege ieheinl
Aristoteles selbst, welchflfi* A\e ^htnhmaexkie Schwierig-
keit iD ihre« vollen Gewicht erkannt bat^j, in der ehe«
<S. S70) angerührten Aetisserung ans Metaph. XIII, 10
anzudeuten, wenn er hier sagt, die Wissenschaft aU
Vernögen betrachtet sei nnbestioinit und gehe auf das
Allgenieine, in der Wirklichkeit dagegen, d. h. als be-
stimoites, konkretes Wissen, gehe sie immer aif etwas
Bestimmtes. Auch diese Bemerkung reicht aber noch
nicht aus. Denn mag auch die Wiasensebaft zum Ein-
selnen hinfiihren, so mnss sie doch von deii allgeoieineM
Prinölpien anfangen, und die Gewissheit des Einselnen
von der des Allgemeinen abhängig machen, sofern dagOr
gen nur da» Einzelne ein Substantielles sein soll, nrasste
es anch für das Wissen grössere Wahrheit und Gewiss-
heit haben, als das Allgemeine, das ein blos Accidentelles
w&re ^). Nur in Einem Fall Hesse sich diesem Bedenken
i) Vgl. cbd.'Vn, 6. 1032, a, S: tTtl toIp tt^wtwv xal nad^ avvd
XtyoftivoMf TO ixdojift elva* xal euaatov xo avrc ital «V ior«, und
dazu die Torhergebeude Erörterung. Ebd. c. 12 und das oben
S. 404v 3 Angeführte.
3) Metapb. III, 4 9 Anf. *'£ar& ^ ixofitvjj rs tovratv diTOffia utal
Ttaoalv xalsnojrdrt^ nal drayttttioraTf^ d'SojQ^oat, negl ^9 6 Xoyoe^
ifiiarrjttB vvv iha ydg fiij «ar»- r« naqd td »»d'^naaräf vd 9i
ua&ixaara dneiqa^ twp 6* dneiQwv nwi iv^l^^tai Xaßeiv iiuvt^^
fÄijv } C. 6} Schi, el uev ow xa&okov at dgxa), tavta avfißaU'e$
(nämlich, wie es vorher beisst: ovx loovrai ovaiai' ov&iv ydg
Twy MOirdiv rode ri ofifiaiv£t, dkkd roiovdt , ij ^ ovaia rode r«)
H Si fiTJ xa&olovy dkl* toS xdnad'lnaara, ovn eoovrai iitiarTjTai*
»ad-okov ydg al iTTtaryfiai TtdvTiuv. Vgl. Metaph. XI » 2. 1060»
b, 19. XIII, 10.
33 Aus diesem Grunde genügt mir auch die Lösung von Rassow
nicht ganz, welcher in s. Dissert Aristot de notionis definitione
doctrina S. 57, mit Berufung auf Metaph. VII, 10. 1035, b, 28
(wo übrigens zu den Worten «»? xa^okov^ die im Gegensatz
zu dem Folgenden na^' tnaoTov stehen, einfach ein elTittv zu
tuppliren ist} c. 4. 1029, b, 19 den Widerspruch durch die
Bemerkung zu beben sucht, das« in der Definition und iU>erhaupt
"tos 0ie Aristotelische MvtapIlytJIt.
^itgehent weim es ein PHiieip gihe, wekbes bAb Btasel»
lies firagletck 4a8 schledithin Allgeineino vtäre^ de«ii ehi
«olehes könnte zng^lefob als ein SHbsiantielles Grimd der
'Wirklichkeit, und als ein Allg^mteiiieid Gnind der Wahr-
heit sein. Eben dieses PrHicip findet sieh nun btt Ari«
stoteles Im Schlussstein seines ganzen SystenMt, in der
-Lehre vom reinen Denken oder der Gottheit. Diese ist
uls denkendes Wesen Subjekt, als der Zweck nnd die
absolute Form der Welt zngleich das scUlecItthin Allge-
meine, in allem. Endlichen dagegen stellt sich das Allge«-
»eine nur in einer Vielheit von Einzelwesen dar'). Von
iiler aus könnte man die oben angeregte Schwierigkeit
so zu lösen versuchen, dass man sagte, in Gott als dem
iiöcbsten Princip falle die absolute Gewissheit ür das
Denken mit der absoluten Wirklichkeit des Seins zusammen,
Im abgeleiteten Sein falle die grössera Wirklichkeit auf
Seite des Einzelnen, die grössere Erkennbarkeit auf die
Seite des Allgemeinen. Auch so jedoch wäre der Wi-
derspruch nur in Betreff des göttlichen Seins entfernt,
fiur alles übrige bliebe er stehen, und so wird doch am
Ende nichts Anderes übrig bleiben, als hier mit Ritter^)
eine Lücke der Aristotelischen Darstellung anzuerkenpen.
Indem sich nun das allgemeine Wesen im Einzelnen
besondert, und ihm immanent ist, so ist es die Form des-
selben, das aber, worin diese Form zur Darstellung kommt,
ist die Materie^), und wie Einzel.nheit und Allgemeinheit,
in der Wlssenscbafl das Einzelne nicht als Einzelnes , sondern
nach der allgemeinen Seite seines Wesens betrachtet werde.
1) Metapli. Xn, 10* 1074» a, 33: Öaa aQi&fiiZ noXXa vlrjv l'xn'
*cie' t6 9e tI f^v ftvai ovh i'x^i vXtjv to n(iüi^ov* tvxaUxua yag,
2) Gesch. d. Pbil. III, 130. TgL Hsydsa a. a. O. S. 181 IT.
5) Eine genauere Bestimmung über das Verhaltniss der Begriffe :
Form und Materie zu den Begriffen des Einzelnen und Allge-
meinm ISsst sich schwer geben. Es wiederholt sieb hier der
Die Aristotelische lUetap&ysilc. 4#fr
irb stehen aach Form und Matei*fe in weseiitlkrlier Be^
ibieliong;.
' 2. Form nnd Materie. Aristoteles unterscheidet
In Allem viererlei Drsaefaen oder Gründe der Dinge: die
Materfe, die Form oder der Begriff, die bewegende ür*
Sache, und die Endursache oder der Zweclc >). Diese
Torlmr iietnerliUcli gemachte Widerspruch, dass einerseits das
Einzelne das SubstantieliC) andererseits das Allgemeine das höhere
Princip und das seiner Natur nach Frühere sein soll. Einestheils
wird die Form als das Wesen oder die Substanz der Dins<^
bvtebdebeii 9 und in dieser filnsicbt würde sie als indifiduelle
Forni auf die Seite des Einzelnen zu stellen sein (ra- s. obea
S. 406, 4* 407) !• Weiteres sogleich); andemtheils ist doch die
Form oder das Wesen zugleich auch der Begriff, dieser aber
ist das Allgemeine (s. o. S.408, 1. 366, 2 vgl. m. A. 1.). Ebenso die
Materie soll zwar als das blos potentielle Sein^ auch das Unbestimmte,
mithin das Allgemeine sein, das erst durch die ^orm ein Bestimmtes
und ebendamit ein Vieles wird,' (Metaph, VII, 15. 1039» a, 7 : jy ivrs-
Xix^ia xf»9'te^» Ebd. I, 6* 988, a, 1 : nicht die Materie, sondern
die Form, sei Grund der Vielheit — s. auch oben S. 465, 1) es
soll aus diesem Grunde in der Definition der Gattungsbegriff
der Materie? das specifiscbe Merlimal der Form entsprechen
(Metaph. VII, 12« I6389 ^9 ^9: ffate^ov $r} 7/ televTata StarpoQoi
ijf ov9€a rav TT^dy/naroQ tazai Mal 6 o^aftoe s. Q. S«465^ 1); zu-
gleich aber wird doch: mit aller Bestimmtheit erklärt, die sinn-
liche Empfindung beziehe sich immer aufs Einzelne, was nofh-
wendig zu dei^ Annahme fuhrt» dass der Grund des sinnlichen
Daseins, oder die Materie^ auch Grund der Individualität sei,
es wird eben dieser Satz fast mit ausdrücklichen Worten aus-
gesprochen (s.o. S.408, 1)) es wird endlich auch im Mensehen,
wie wir unten finden werden, die von der Materie trennbare
Seite seines Wesens nicht für das Individuelle, sondern für das
Allgemeine in ihm erklärt. Ueber den Grund dieses Wider-
spruchs wird im 30» §. gesprochen werden 5 hier können wir
auch auf die guten Bemerkungen von Hbtder a. a. O. S« 205 ff«
verweisen.
1) Phys. II, 3. Metaph. V, 2. I, 3, Anf. \ IH, 4. 4044, a, 32. gen.
an. I, 1, Anf. u. ö. Die materielle Ursache nennt Aristo-
teles die vltj oder das ahiov i^| ob, die formelle das eiSoc,
oder die f^Qtf^ » oder das ri vv &Ivai (d. h. das Wesen, efgent-
lich: das, was sich dem Denken als das Sein etdes Gegenstands
gezeigt bat — r m« s. über ^esen Ausdrack ';^Biii>^BttBURG im
41f Pie j^ristoteUiclie Metaphysik*
vier üpsoehen redutiren «ich jedoch bei näherer Beti^ch?
tung auf die zwei ersten, denn der Begriff jedes Dings
ist auch zugleich der Zwedt, dem es zustrebt, ebenso
aber auch die bewegende Ursache, sei es nun, dais^ er
dem Dinge iu^manent als seine Seele fs in Bewegung
setzt, oder dass ihm seine Bewegung von aussen kommt;
denn auch in diesem Falle ist es der Begriff desselben,
der sie hervorbringt, sowohl In den Werken der Natur
als in denen der Kunst: nur ein Mensch kann einen Men-
schen erzeugen, nur der Begriff der Gesundheit kann
den Arzt bestimmen, auf Hervorbringung der Gesundheit
hinzuarbeiten 0- Ebenso werden wir in der obersten Ur-
Rhein. Mus. 1828. H, 4, 457 fT. ?gl. Heydkb a. a.O. S. 351 ff.)
auch den Begriff des Wesens {koyos tov ti ^v §iva&f L tij9
ovüiaQ)^ oder schlechtweg die ovaia oder das ri ioTiy die be-
'wegende das mirtov v(f o'v^ das ».lrVOVi••^ die a^x'} ^^^ mvyaiwi
oder riji j^tTafioXf^Sy oder auch das o&w ig o^x^t ^'/^ »tvf}at(uey
die Endursache das ov tfota oder das rtXos. Zum Folgenden
vgl. man die gute Entwichlung von Bittib a. a. O. S* 166 ff.
1} Pbys. H, 7* 1989 a, 34: igz'^^* ^^ ^^ ^^<^ ^^^ '^^ ^^ 9r«AP.ax»ff*
atS n^tTov rcfT tidii ravro Tovrotc av&Q(oiros ya^ är&^oitnof
ytvv4. Vgl. Phys. I, 7. 190, b, 17 ff. Metaph. XII, 5. 1071,
a» 18: nuvxiuv 9tj VQtotai aQxal ro ifegysiif ir^noy, z6 el'Sttj
ual äXko o 8vvafisi, Anderwärts wird bald die eine bald die
andere von diesen drei Ursachen auf die dritte surnckgefuhrt.
So heisst es gen. an. 1« 1 9 Anf. vnoHttvrmi ya^ ahia^ Wrra^ef,
t6 re ov €V6Ma ds riXos^ mal 6 Xoyos rijS oJala9' zavta ftiv ovv
wQ €v ri axfSov vnoXaßtiv Btty t^irov St mml tdragrop 37 vXij
xal Öüev 17 »gxv ^^^ xivt^oetos. Aehnlich d>d. II9 6* 74^9 a, 28.
De part. an. F9 1. 641 9 a, 25: r^s tfvooojs dixotc XtyofAivtj^ nal
ovatjQ T^e fth (oc vXi^s rt^s S' cJ? ooataS' xttl i'artv avrtj xal wi
IS utivovaa nn\ oU t6 rtXos, De gen. et corr. II, 9* 335, b9 5:
cjS fiiv vXrj TovT iOTiv aiTiov roiS ysvfjrolSy ais Si to ov evtHsv
7j (10^ fj Kai To ßtSog' To^TQ ^ darh' 6 Xoyos 6 Ttjv ixaoTov
ovataSy und vorher: sloiv oiv [ai d^z^* r^e .yeyiaeoßt^ xal top
d^&d'fiop l'oa$ Mal tw yivu al avzal a'intg tp roU d'iBioit rs xal
TT^TOiQ' y juev yoLf} ianp (os vXfjt y ^* we fto^tpi^' ^t Bi xal
T^v T^T^p (T* n^tvwiifxsiv ', Metaph. XII, 3^ Anf. ndp yaQ
(UxaßdXX^i xX nal vno xtpos aal <<'(? T$\v(p* ov /liy, tov- n^oixov
Pie Arisiptelis^fae MetapbysU; 411
Bache, in Gott, die Form, den Zweek und den Grund der
Bevregaug; schlechthin vereinigt finden; aber auch für
die NaturerlLläruug unterscheidet Aristoteles nnr die Ewei
Arten von Ursachen, die nothwendigen und die Endur-
sachen ^), d. h. die Wirkung der Materie und die der
Form oder des Begriffs ^). Nur dieser Unterschied ist
es daher, welchen wir als fundamental zu betrachten
haben, die Unterscheidung der formalen, wirkenden und
Endursache dagegen ist eine blos relative, und sind auch
y&iovvTos' Sij ij vXt^* c/V Si^ t6 eWos. Dagegen Metaph.
VJI, 7» Anf. iravTa' ra ytyvofisva vno ti rtvoi yiyvera* nal in
Titos Mai r/. Ueber das vtp' ov heisst es nun später: nal vf,'
ov, ^ Hara to alSos kiyoff,ivtj <pvoiS ^ ofiottdtjs (seil, roi yiyvO"
fitVd^)' avtfj ^ iv aV,<ff' ap&QatTtos yd^ av&^umov y$pmt und
weiter S. 1032, b, 11: war« avft^ßaivu r^onov rtvd iS vyitlas
T^v vyi$$av yiv$Q&ai> , nai ti^p oiDtiav e£ olniai » rf ff avtv vkt^Q
xr^v i'xovaap vXtjp* ^ ydg lar^itoj ton nai t) oiuodofiiM^ to elios
T-^9 vyuias ical t^c oiuiai* Xiyot ^ ovolap arsv vXrjS to ti i}P
ttpat. (Vgl. part. an. J, 1. 640, a, 31: ^ ii tix^tj loyos ^ov
h'ffyov it avBv tijs vhji iorlv,") Ebd. XII, 4, Schi, intl Si to
ntpovv fv fitp tote q>voiHoZs dp&^ojitois (?- ist nicht vieUeicbt
dp&^(u7t«{f zu lesen?) ar'd^umos, iv Si toTs djro diavoiae to
tISos y to ivavtiovy t^oTtov rtpd t^ia airia av iiij^ o»9l Si tit~
ra()a* vyieta yd^ nws ^ iat^tu^ <» ttal omiae siSos ^ otHoSofiiuy,
xai av&^ojnoQ av^Qoritop yevv.^.
1) Näheres hierüber im folgenden Paragraphen 5 hier mag vorläufig
nur auf die Stelle de part an. I, 1 verwiesen werden» Vgl.
. S. 642, a, 1: slalv aga 3v* ahiai avtat^ to &' ol 'ivena nal
TO iS drdyntjs. Derselbe Gegensatz wird nachher^ Z. 17 in den
Worten bezeichnet: dQ%i) .ydg 17 <pvaa fiakXov r^c vki^t, wozu
S. 641» a, 25 zu vgl^^ wo es heisst: r^ff ^voaats di%ift^ kiyo-
uivtfQ nal ovotji t^s ftip w^ vXrjQ tiJ9 d' oU ovoiaS\ nal iotiv
a'vty nal vis ^ ntvovoa nal tot to tdlos,
2) Denn yvenjfi gen. an. V, 1. 778^ b, 34 die bewegende Ursache
mit zum nothwendig Wirlienden gerechnet wird, so bemerkt
RiTTEi a. a. O. S. 175 mit Recht, unter Berufung auf Phys. IJ,
9 200 9 a, 30, dass hier die bewegende Ursache nicht an sich,
sondern nur in ihrer Verbindung mit der Materie, gemeint sei.
Vgl. auch a. a. O. 2i. 14: «V ydg tji vkjj to dpaynatov^ to d*
ov lip$na iv tif koy^
41ft DieArittoCclitebe Metapliysiki
Im fitiHEBltieii nicht immer alle drei Yerein!g;t ^), so sind
»ie docli an sicli, ihrem metaphysischen Wesen nach, Eins,
huT in der sinnlichen Erscheinung; fallen ste auseinander ^>.
Näher besteht nun der Unterschied und das Wesen
4er beiden genannten Priiicipien darin, dass die Form da^
Wirkliche itvfQyiltx op) Ist, die Materie das IM 5g; liehe
CdvpiifiH iJi') '). Unter dem Wlrlclldien versteht aber AH-
itoteles überhaupt das Sein als entwiclielte Totalität, das
Wesen, sefern es seine Bestimmnn^n zum Dasein hei^
ausgearbeitet hat., unter dem Möglichen das Wesen als
blosse Anlage, das unentwiclcelte Ansich, das ein bestimm-
tes Sein zwar werden kann, aber nicht werden muss:
die ausgearbeitete Bildsäule z. B* ist der Wirklichkeit
nach Bildsäule, der rohe Stoff erst der Möglichkeit nach^).
1 ) Daher das ^rolXanii in der eben angeftilirten Stelle aus Phys. If, 7*
J) Vgl. Metapb. IX, 8. 1049, b, 17: xii} St tgovift ttqotbqov to t<ji
t\Su TO ai'To tvBgyovv ngoTtgov fd. h, allem Potentiellen muss
ein gleichartiges Aktuelles Torangehen), dgt&ft^ d* ov — denn,
vrie diess erläutert wird, der Same ist zwar früher, als die Pflanze,
die daraus wird, aber dieser Same selbst Itommt von einer an-
dern Pflanze, es ist also doch nur die Pflanze, welche die Pflanze
hervorbringt — das wirkende Princip und die Form fallen an
sich zusammen, wenn auch in ihrer Existenz auseinander.
3) Metaph. IX, 8. 1050, a, 15: jy vltj tarl Stvdf*s$, on eX&oi av
»ts ro ftios ' örav Si y irfQyifn »/, rors fp rtu elSa iüriv» Ebd.
b^ 2% 27: ^jare fpavs^ov vTt ij ovaia ttal ro etSos ivipystd iariv
.... 17 ovaia [twp fp&etgrwp^ vlrj itttl SvvafuQ ovoa^OvK tvigysia.
VII, 7% 1032, a, 20: «waiT« Se td yiyvofitva iy tpvasi ij rix^JJ
e'xei vXijv dfvaTOV ydg x«i tlvai via) /ntj sTvai ^xaorov.avrdivf
Tarn 3* iarlw **• ixdaT^t vXrj. VIII, 1. 1042, a, 27: ^Irjv di Xi-
yto ij firi ToSs r» ovaa ivsgyet'a Srvdfisi toxi rode t». Vllf, 2:
ij cJff ijXtj boia . . avTt^ S* iatXv aj Svi'dfiet — ij iv^gyeia nal ' o
koyoe — rov etSov9 ttal r^s tpsgytiac — <pmwsQfiv Bij ix rv»v «/*-
QTffiiVüiVj rii jj ato&rjttj ot'gia iatl nal nw9* 4 z'*^'' 7^9 ^^^ *'^^»
ff S' oj9 /^oQtpij ör$ iv^oyeta, XII, 5. s. o. S. 410^ !• De an. II,
i. Auf.
4) Metaph. IX,- 6: t^Tt ö* y irdgyBiu ro vTid^xtiv r« n^yfia, fitj
ovrttK vtOTTtQ ?Jyo/ii§v Svfdftu. k(yoHsP Si SvrdfiH Btov i» ro»
^vX(^ 'E{ffJi>rjv nal iv rji ök?^ Tfjv tjfMasmi^y Ör* tifu*gs9et7^ «i',
Die Aristotelische Metäpli jsil. 4tS
OiesQ tteftiimniungeii koontAi unfi allerdings einem und
deoiselbeo Gegenstand in der Art zukeaimen, dass er ia
einer Beziehung als ein Wirkliebes , in einer a»deru als
ein bloslMögliebes zu bezeichnen ist '); ja wir werden spä*
ter finden, dass sieb Alles, ausser Gott, dem absokit Wirkli-
jcben, und der ersten Materie, dem blos Möglichen, nach
diesen beiden Beziehungen betrachten lässt; hier. jedoch^
wo es sich nur um die reine Bestimmung der Principien
als solcher handelt, kommt diess nicht weiter in Betracht.
Wenn nun in dieser Beziehung die Form als das Wirk-
liche, die Materie als das blos Mögliche definirt wird, so
heisst diess: es ist ein und dasselbe Sein, welches in
der Form oder dem Begriff als konkrete Totalität, in der
Materie als blosse Anlage gesetzt ist; es ist in beiden
derselbe Inhalt, aber die Weise seines Daseins ist ver-
schieden ^)» Aristoteles nennt desshalb auch das eine
der beiden Principien, die Form, geradezu das Wesen
oder die Substanz, weil in ihr der Begriff des Gegenstands
vollständig verwirklicht ist ^). und wenn er anderwärts
xal imac^fiova nal tvv fifj d^suiQovftUy av Sivatos f/ &£'jj(jrjaai'
t6 d* ivBQybiq, ... «Je x6 oinodofiovv ngos zo oixoSofiixoPf ttal t6
iygt/yoQoC nQoi. x6 ita&sv^v, xal t6 oqojp ttqoS t6 fivov fitv oipiv
ba l'x^i'y xal to anoxiXQtpuivov tx Tijs üXi^s ngoi xt)v oItjv xal ro
aTTiiQyaafiivov ngos xo dvlQyaaxov, c. 8« 1050^ a, 21: to yaQ
tgyov xiloi, ^ de ivd^ysta x6 tQyov. dio xal Xbvo/na ivtgytia A^-
ytxai xaxa x6 tQyov^ xal avvrsi'vsi n(j6i xi}v ivxsXiy^tiav» Vgl.
Phys. I, 7. 19J, b, 7. III, 1, 201, a, 29
1) S. Ritter a. a. O. III, 145 f. und die von ihm angeführten Stel-
len Ph)8. VIII, 4. 255, a, 50 ff. De an. II, 5. 417, a, 21 ff. c. 1.
414, a, 10. 22. gen. au. Il, 1. 735, a, 9. vgl. auch Metaph. 1X>
8. 1050, b, 16. Xll, 5. 1071, a, 6.
2^ S. o. und Metaph. VJU, 6, Schi, tau S\ wam^ eigt^rai, xal 17
iaj^drTj l'A?; xal ?} fAOQrf't) xavxo xal [ro ^i»'?J Swa/neix to Si
iv6()yiic^ ... ro dvvafisi xal x6 ivegyaiq, ev tiojS ioxiv,
3) S. o. S. 406, A. 4 ff. und MeUpb, VU, 11. 1037^ a, ^9: 17
aoi'a y<f(f i9Ti TO W^o^ ro ivov. De part* an. I, 1. 640, b, 28:
ij yd(i xaxd xrjv /to^tpi^v tpvots nvQKaxii^a tiji vXtx^e,.<pv99iuS» Ari*
414 Die AritfotelUobe Metaphysik
Eogiebt, dass die Substanz an« Form und Materi« zusam*
mengesetxt sei, und dass bei einer gewissen Klasse des
Seienden die Materie mit zum Wesen geliöre'O? so gilt
diess doeli nur von den sinnlichen Dingen ^J, an sieh da*
gegen und ihrem reinen BegrijBfe nach fällt die Substanz
mit der Form zusammen ^), wie denn auch aus diesem
Grunde die absolut wirkliche Substanz die reine Form ist.
Aristoteles macht nun von diesen Kategorieen eine
sehr ausgedehnte Anwendung auf alle Theile der Philo-
stoteles gebraucht desshalb sehr häufig die Ausdrücke tldoSy to
ri ^v ehttty boia und ähnliche als gleichbedeutend. Weitere Be-
lege bei BiTTEB S. 139*
1) Phys. IJ, 1. 194> a« 12: tTtel ^ t} tfvgn 9i%mii to tt ttSos ttml
y vktfy WS üLP il ttsqI a^iiorrjxos anonolfiev ri iOTH'y ilraß ^sfuQtj^
riov, war Ist avtv vkrji rd toiavra Urs nara tijv vXtjv* Metaph.
VJII, 1. 1043} a, 25: «* 9* aia&p^ral äatai naaai vlr^v ' l'%ovaiv»
toTA d* U9ia TO vnoHttfisvoi'f akkois fiiv ij vltf , . äXhifQ ^ 6 Xo-*-
yos mal ilj (lo^tjy 6 Tops r» ov t^ Xoyq» %fu(fiQT6v itnv, tqitov
de TO fH TSTOJVy jj ytriots ftovov nai ffd'oga iart Kai ;|(fiu()<aTov
«rVActfC* t(uv yaQ Nord tov koyov t/omv at fih' al ^ «. Ebend.
c. 2. Schi.
2) S. A. 5. Metaph. VII, 10. 1035, a: bI Sv iotI to f^iv vktj t6 d*
sISoe TO y in TartoPy koI aoia ij tc vXtj aal t6 eldoe nal to in
tatoiv, l'oTi fitv oU %al y vky filQOS Tivos liytTait eoTi ^ oSe v,
aXl* iS ojv 6 Ta et'dovs Xoyos^ olov xtji fitv noiXoryTos (ein ste-
hendes Beispiel für dieses Verhältniss) an Ioti fii^os y od^S, . .
Tfjs di aifioTTjTos f*i^oc' Mal Ta fitv avvoXov dvS^idvroQ (i^qoS o
XaXnoSy Ta S oU ei'Sovs Xsyofiivov ardgid^TOC a .... oaa ftlv av
. avveiXtjfifiiva t6 tldos xal r^ vltj iotIv, olov to a/jiov tj d xa-X'^
naß MvxXoe^ Tavta fiiv tp^elQivai . . ooa Si fit} ovvelXijTtTat t^
vXfji aXX' avsv vXySf ojv oi Xoyoi ta il'Sovs fidrov^ TavTa ^ »
fp^dgeTat, G. 15, An(. VIII, 4* 1044} b, nach einer Aufzählung
-der viererlei Ursachen: ijttgl fiiv av raff ^vands ovalai nal ytv-^
vtjTds dvdynfj atw fisriivai . . snl di T(uv tpvoixwv fiiv didlwv
Si iatwv äXXos Xoyos. iaüßS ydg i'^ia an Ijjfü v?.tjVj tj a TOtttvTyp
• • . a^ oou Sf} tpvoet fikv firjj aoitf Biy att iati^ tarott vXy, iXf
8. 1050, b, 6 ff.
8) Vgl. Metaph. VII, 3. 1029, 6t, 5: </ to $Id09 rtji vXf^s ngortgov
Mal fiaXXov oVf mal ra iS dfKpotv ngoregov ^Wcit ^d top avro^
X^yov,
Die Aristotelische Metaphysik. 415
Sophie. So giebt er z. B. in der Lehre von der Begriffs*
bildnng dem allgemeinen Gattungsbegriff die Bedentnng
der Materie, den speclfisehen Merkmalen die der Form,
und erklärt eben hieraus die Möglichkeit; dass aus bei-
den zusammen Ein Begriff werde, weil sich nämlich in
den speclfisehen Merkmtfien nur das verwirkliche, was
in der Gattung an sich gesetzt sei *); im Weltgebäude
sollen sich die obern Sphären zu den unteren'), in der
Thierwelt das Männliche zum Weiblichen 3), in der Seele
die thätige Vernunft zur leidenden ^) als ihre Form ver*
halten, und ganz im Allgemeinen sagt er, Alles, ausser
der Form als solcher, habe eine Materie, und unterschei-
det desshalb die sinnliche und die unsinnliche Materie ^).
Diess ist indessen nur ein sekundärer Gebrauch jener
Kategorieen, in dem dieselben aus diesem Grunde nur re-
lative Geltung haben; als Materie wird überhaupt alles
das bezeichnet, was sich zu einem Andern analog verhält,
wie die Materie zur Form, mag es nun an sich selbst ein
Materielles sein oder nicht ^). Dieser abgeleitete Ge-
brauch selbst aber weist auf den urspriinglicben, wonach
l),Melapb. VJI, 12. Vni, 6. u. ö. S. o. S. 405> 1.
2) De coel IV, 3. 4. 510, b, 14. 312, a, 12.
3) De gen. an. I, 2, Anf. II, 4. 738» b, 20. u. ö. vgl. Metaph. I, 6.
. 988, a, 5.
4) De an. III, 5.
5) Metaph. VII, 11. 1037, a, 11: «ttl navtot yaQ vXtj rk iartv o
fit) iati xl ijf itvat nal tISos avro xad"* avto dkkd toSe r» ...
^art ydg vkrj y fiiv aia&jjTy y Si votjty. Vorher, c. 10. 1036,
a, 9, tvird die vktj vo^ttj von den unkörperlichen Formen des
Körperlichen, wie Figur u. dgl., erklärt (i) iv to7s aiad'tjTo^i vn^
dpxovan fty fl aio&tjrd, otov td fta^yfiaruid) , Metaph. VIII, 6.
1045, a> 35. jedoch erhält dieser Ausdruck die allgemeinere lo-
gische Bedeutung, von der obeji die Rede war.
6) -Metaph. IX» 6. 1048f b, d: Itynat Si ivtgytitf & ndvta ofioloü^
«XA y ro avaXoyov^ ws tuto ev Tt^t^^ y ttqoS Tt/r0y to o tv t^f--
B$ y ftQoi toSb' rd fih ydff ins uivyost Tr^oi SwütfUPj td 3* (»9
Hola ngos Tiva vXyt\
416 I>ic AristcHeliicbe Mptapbystk«
Fwtm uod Materie die allgemeinen Priucipieu des uiurinn-
licfaeu und des sinnlichen Seins bezeichnen, dadurch zu«
rück, dass in .der Regel das, was sich zu einem Aadern
als Materie verhält, auch dem Körperlichen näher stebt|
wie z. B. die leidende Vernunft. Wie nun in jener ur-
sprünglichen Bedeutung der Begriff der Form näher zu
bestimmen ist, hat Aristoteles nicht weiter ausgeführt,
und nur so viel geht aus Allem, wie auch aus dem bis-
her Augeführten hervor, dass ihm die Form überhaupt
das Wesen der Dinge bezeichnet^ wie slcii uns dieses
darstellt, wenn wir von seiner Erscheinung in diesem be-
stimmten Ding abstrahiren, also ihr« ideales Weseu oder
ihren Begriff 0> den Aristoteles ebenso, wie Plato, als
schlechthin ungewordeu betrachtet, da das Werden iha
theils voraussetzt, theils überhaupt nur dem Materiellen
zukommt ^). Sehr ausführlich erörtert er dagegen den
Begriff der Materie, und auch wir müssen hierauf noch
genauer eingehen, da hier einer der Grundsteine des Ari-
stotelischen Systems liegt
Der Punkt, von wo aus Aristoteles seine eigenthum-
liche Ansicht von der Materie gewinnt, ist die alte Frage
nach der Möglichkeit des Werdens. Wie lässt sich über-
haupt ein Werden denken? Aus dem Seienden scheint
1) Man vergl. ausser den oben, S. 408 f. angeführten Stellen: Me-
taph. \ II, 4> 1029} b, 19: iv «o a^a fi^ eviarai loyt^i aJro,
X/yovT& avTOy äroff 6 Xoyot ra t* ijv atvat, Inaony, Das x6 xl
1/v tivair wird daher auch geradezu durch iaia xara top Xoyov
* definirt De an, I, 2. 412, b, 10. VergL Phys. I, 7. 190, a, 16:
10 yd^ tiSti XiyoD aal X6y<j^ Tavvov,
2) Metaph. VII, 8. lOSSy b, 16: <pav8^6v Btj tn tiuv tii^tjpUvtoV', or*
x6 ftiy eis eldot ij iaiet Xsyoflspov a ytyptTai , «ly di gvvo^oi ij
naxd xavTijp XeyefitPtj yiyweraif tutl or* iv navtl xtf yevofUriff
vXfj h'vsQti. c. 9. 1034, b, 7. c. 15, Anf. V|IIi 3. i^hh'^^'
VIII, 5» Anf. X1I% 3> Anf. a yiyvtxai ovci ij »Xrj axs xo i!8oSf
Xiyo». ii xd ioxaxa, nav ydg fMxaßdXXu xi kaX vno x$r»S nat tts
r* »• 8. w. c. 6. 1071, b, 20. .
Die Aristotelische Metaphysik. 417
nicfhto werden zu kdunen, denn dieses ist schon, aus dem
Nicbtseieiiden nicht, denn aus nichts wird nichts. Die-«
ser Schwierigkeit lässt sich nach Aristoteles nur dadurch
ausweichen, dass wir sagen, Alles was wird, werde aus
dem beziehungsweise Nichtseienden, das aber aus diesem
Grunde ebenso auch in gewissem Sinn ein Seiendes ist,
d. h. aus dem an sich oder der Möglichkeit nach Seien-
den, denn sofern dieses die Möglichkeit des Seins ent-
hält, ii^t es nicht nichts, sofern es aber erst der Mög-
lichkeit, nicht der Wirklichkeit nach ist, ist es auch
noch nicht das, was erst daraus werden soll: wenn z. B.
der Ungebildete ein Gebildeter wird, so wird er dieses
allerdings aus einem Nichtgebiideten, zugleich aber aus
einem Bildungsfähigen; nicht das Ungebildete als solches
wird ein Gebildetes, sondern der ungebildete Mensch,
das Subjekt, welches die Anlage zur Bildung hat, aber
in der Wirklichkeit noch nicht gebildet ist. Wie daher
jedes bestimmte Werden ein Uebergang der blossen Mög-
lichkeit in die Wirklichkeit ist, so lässt sich auch das
Werden überhaupt nur auf dieselbe Weise erklären. Es
muss mitbin für alles Werden ein Substrat vorausgesetzt
werden, dessen Wesen eben darin besteht, die absolute
Möglichkeit zu sein, welche noch in keiner Beziehung
zur Wirklichkeit geworden ist 0? und dieses Substrat
1) Dieser Zusammenhang ist Phys. I, 6— 10. ausführlich entwickelt.
Um nicht den ganzen Abschnitt abzuschreiben , will ich die fol-
genden Stellen herausheben. G. 7: (pnfih ydg yiveo&ai iS akXov
allo nai tj irigov eregov ij r« aitkoi Xlyovrac ij avyHsifitva (je-
BeSy wenn ieh sage: der Mensch wird gebildet^ oder der Unge-
bildete wird gebildet, dieses, wenn ich sage: der ungebildete
Menseb wird ein gebildeter Mensch), rwif (is yivofidvußv we rd
anka Üyoftsp ylt'eod'ai, ro ftiv vnofiivov kiyofisv ylvea^a^y ro
^ »X vTtOftivov 6 fity yaQ äv&gatTros vitofilvn fiovaittoe yivofiB^
. ^yoc äv&^TTOs Mal IWi, t6 Ss fi^ fiovaiHov tial ro aifiovaov Ute
dnuvtmv tmv yiyvof^ivojv r«ro kari laßtty idp tt,9 iTtißldtpjji
Die Philosophie der Griechen. U. TheiL 27
4]$ Die Ariitotelische Metapbysilc«
muss als die Yorkumtizung alles Werdens scbkebtliiii
nngeworden sein ^). Diese Grandlage altes Daseins ist
die Materie ^). Aus dieser Ableitung mnss sidi nun das
» ^__ . _ j
«•»——'•' " ' * '
wansQ llyofAiv^ ori Bti ri dsl vnonalo^at ra yiyp/nt'OVy nai taro
tl xal d^t^&fKJ) ioT^v evy oAA* iidci ye ^x iv ... « yaQ ravtQV
zu dp&QWno^ xal zo dfiBOot e7vai>» aal ro fitv vrroutvii^ t6 9* ax
vnofs^rst ' tJ fjiiv fit) dvnxeifisv^p vttoiaIvh (o y«(> «»^(Kw^^ff
vnofiivtt) t6 fiovo$x6v Si nal rp dfioioQV ^x ^^Of/tivu ..•. (üars
d^Xov tx T(uy si^tjfiiViuVt ori z6 ytvopusvov ÜTtav dtl gvv&txov
ioTiy xal l'att fiiv ri yivofiivov ^ e'oTi di ti> 6 taro yivtva^y xal
tSto (fiTTov rj yotQ to vTtoxsifiivov t] ro dtTineifisroy. ktyiu Se
tivTtxBia^ffi fiEV TO mf4QV90Vt vnoxdtm^tti di toy ap&Qui7j$¥ U« &• f*
(f>av6QQv tfv .,, ort ylyvezfli irav- ix re. r^ vTTOxe^ftipov ,M$il t^Q
fiOQ(piJ9 .. tavt de ro vTToxetfisvoy aQ^&fjim fitv «V, tidst di ivOt
nämlicb 1) der Stoff als solcher und 2) die Negation der Form
(die at^gtfoie) als Eigenschaft Qavfißsßtjxos) des Stoffes. Eben
diesQ Unterstheidung, fahrt nun c 8. fort, löse auch die Bedeü-
Itcn der früheren Philosophen gege^i die Möglichkeit des \yer-
dens. Diese nämlich haben das Werden ganz gcläugnet: vre
yd^ TU ov yivtoOon (jBtva^ yoQ t^^ff) ^x ts jui^ ^vtoi adip dv ya»
vi4t&ai »,» i^usii Si xal avroi tpauiv yiyy^d'ai fi€M 0S4V wJtXdis
^x /it} ovTOSy öfivj€ juivToi yiyvto&ai ix fit} ovto9^ oiov «ara avft^
ßtßrjxoQ* tx yaQ rrji atSQrjOsojt^ Ö iavi xad"* auro fiTj oV, ax ivv-
rra();j.o>'roff ylyveral n (d. b. ein Ding wird das, was es nicht
an sich liat» aus derNegation, welche an und Air sich «in Hiebt*
seiendes ist, der Mensch x. B. wird das, was er picht ist, ge?
bildet, aus eineni Ungebildeten) ... elf fitv S^ tq6ho9 ^rof»
akkos o üri ivd^'x^Tcct ravrd Xiyeiv xavd ttjv Supafiiv xal t?}v
iv/fy*tay. De gea. et corr. I, 3. 517> b, 15: r^oitop fiiv t$p»
ix fitj ovTot dnkws yipszait tgonop dt dkXop «f vvros dsi- ro
yag Svvafisi op iprsksxsia Se fitj op dpdyxij TCQOvndgyeiP Xeyd^
fAsvop dfjKporiQiui. Dasselbe Melaph. Xil, 2. IV, 5. 1009, a» 30.
Phyö. IV, 9. 217, a, 21.
1 ) Metaph. XU,. 5, Anf : 00 yiyverai otb ly vktj ors r« tldmSy kiyot
Se rd ioxarat. itdp ydq fieraßdkket rl Kai vno t$v»S nah eis r«.
Pbys. I, 9. 192, a, 28: dtp^agrop xal dydvpfjiTov dpdyxif avryp
eipai. eXze yd^ iyiyvtto^ vTToxe&a&ai fi Sb7 n-f ivr<Mr, f« *8 « ivv-
nd^x^vroi . . . etre (f^eigetat , «ic z5to dtfdiera* l'axarov.
2) Phys. a. a. O. Z. 31 : ktym ydg vktjv ro ngditop viroxeifitvov
ixdaroj , iS » yiverai rt iptma^xo^^^^ f^V xard ovfißsßf^x6e» eire
(p&eiQiTai, ei€ t5to dtpi^trai h'axarop. De gen. et corr, 1, 4) Schi.
6ar» ok vXtj fidkiara fiiv xal xv()iwS ro vnoneifievop yeviaeun xal
(p&oQas SexTixoPf TQonov Si riva xal ro tuTs äkXatf ftstaßoXai^
Die Aristotelische Metaphysilc 419
W«flen der Materie ergeben. Da alles wirkliche Sein
ein beatlmiiites und alles Werden ejn Werden ansEntge*
gengeseCzte« ist, so rauss die allgemeine Grundlage des
Werdens, die Materie als solche , oder wie sie Äristote*
les nennt, die erste Materie, das schlechthin Bestimraungs*
lose sein 0* Ein solches aber ist das Unbegrenzte oder
Unendliche, in dem Sinne, in welchem Plato und Aristo*
teles diesen Ausdruck gfebrauohen, d. h. das qualitativ
Unbegrenzte, noch durch keine innere Bestimmtheit zu
irgend einer Festigkeit des Seins Gekommene. Oiess ist
mithin das Erste, was von der Materie zu sagen ist, dass
sie das Bestlmmungslose oder Unendliche sei ^). Alles
Bestimmungslose aber ist unerkennbar, da alle Erkennt-
niss und Vorstellung eine bestimmte ist; daher sagt denn
auch Aristoteles, die Materie als solche lasse sich weder
wahrnehmen, noch erkennen, nur in ihrer Verbindung mit
der Form, in der konkreten Erscheinung, werde sie wahiv
genommen, und ihrem allgemeinen Wesen nach nur durch
1) Metapb. VIJ, 3. 1029» a> 20: A/yu; If vltfv 37 Ha&' avtijv (itjti
tX fi^TS noaov fititt aXko fi^&iv kfytxai oh ojgtQvai ro ov, c. Xi,,
1037» a> 27 1 fierd fitv yaQ rtjs t'Ajyff.ax l'ariv [Aoyoff], dogiarov
ydq» IX, 7» 1049> 3> 24: «* ^^ ^* ton yrgätTov, o fit^xin xaz*
akkov kiytrat tyitivivov (ßQ und so beschaffen)) roro irgoittj vkrj,
Vni, 1. (S.o. S.412, 3.) Phys. I, 7. 19i, a, 7: n ^ vnoxHfiipy
tpvot^S imoTTjT^ Kar' dvakoyia». ojC yaQ ngoi dvBgidvva xakuoi ij
' iTQo^ nkirtfv ^vkßv tj nQci tojv äkkwv ri rötp ixoVTOtp fiOQtf'^v 17
vkrj mal to afiogtpov ^%h ttqIv kaßely t^» fioQ(p^v ütoü avtfj ttqoS
fHolav l'xBi aal tu toSa r» xa» 70 ov,
2) Weiteres über das Unendliche und die Unendlichkeit der Mate*
rie wird im folgenden $. vorkommen. Hier mag vorläufig auf
Phys. III, 6. 207, a, 21. verwiesen werden: h'an ydg ro äneiQov
rijc TS fisyi&ovs tekuöTf^ro^ vkij ttal to iv»a/iH bkov ivzBkixtlt^
^ a •.. okov dk nal 7r$7regaaftivov & na^* avro dlkd nar äkko *
icai V Treff iixt$ dkkd 7rtQ*ixsTai^ y »nsiQOV, iio xal dyvojotov fj
aneiQOif' etdat ydg h» ^x^i'ij vkij ». , ,. atonov 9i »ai ddvvatov ro
ayvtMitov xal doQiotov negi^x**^ *^^ ogi^ttv» Vgl. Metapb. IV^
4. 1007) h, 28: ro ydg hwdfisi ev «al f*i^ ivTfkixeitf ro dogt^
Qrov iaru
27*
42t Die Arittoteliscbe Meta)>h7aik.
einen Analogieschluss gedacht ^). AuiS demitelben Gvmidt
kaiui aber die Materie aucli nicht rein für sieh existlren,
sondern alle Materie ist eine bestiaunte uttd geformte;
die reine Materie wäre als das schlechthin BestiaiRiungA-
lose auch das schlechthin Unwirkliche ^). Aus diesen
megativen Bestimmusgen geht aber unmittelbar die be*>
reits erwähnte positive hervor: ist die Materie als solche
das schlechthin Bestimmungslose 3 so ist sie ebendamit
die gleichmässige Möglichkeit aller Bestimmungen, also
überhaupt die Möglichkeit alles konkreten Seins, das öv^
pelfiu ov schlechtweg ^). Sofern sie nun dieses ist, so
ist in ihr kein Bestimmungsgrund dessen, was aus ihr
wird, sie ist gleichgültig gegen* alle Formen des Seins
und gegen Sein und Nichtsein überhaupt, sie ist das Prin*
eip des Zufalls. Andererseits aber ist sie doch auch
die Voraussetzung alles Werdens, die Verwirklichung der
Form Ist an die Materie gebunden, und kann nicht wei-
ter gehen, ^s die in der Materie liegende Anlage, und
insofern ist diese ebensosehr der Grund der Naturnot h-
wendigkeit. Diese Bestimmungen be^lürfen indessen
etwas genauerer Erläuterung.
Unter dem Zufalligen (ovfAßfßrj^og im engern Sinn —
To ino Thxtig) versteht Aristoteles, welcher diesen Begriff
4> Pby8.IlI, 6. J, 7. (S.419, 2.417,1.) Metaph. VII, 10. 1036, a, 8:
37 ^ vXi] ayvcuoToe Ka&' uvti^v, VgL biezu die Platonische LehrCy
oben S. 221 fT. und Aristoteles selbst De coeLIIIy 8. 306, b, 17i
aeiSis ital äfiOQ(pov Set ro vitoxsifMvov tivtu' fialiarm ycLo av
öTiii dvvano ^v^fii^sa^aiy mad'dTtSQ iv Ttf Ti/ial(jf yiyQaTrvaty to
i) De gen. et corr..II, 1. 339» b, 24: ^(i8iQ dt tpafiiv fiiv etval
T*va vXijv Twv awftarwv xm» aiOA^f^TojVt eiXkd ravTtjv i j^qiotijv^
dXX' dfl fier ivanT^waeun, Ebd. I» 5» 320» b| 16 ff»
9) S. o. S. 412r3 undMetaph.XlIy 5. 1071» a^ 10: 8v»dfAei> 9b tj vlfj,
• varo yaQ tan to Swdfisvov yiyvead'at' oifAtpif». De gen. et conr.
II, 9» 335, a, 32: «wff /»«v hf vXti zots yavijTo%i i^vlv airiov to
dvvaxov sivai xal fit) elvat»
Die Aristotelische MötapliydiL 421
:^erst genauer untersucht hat ')? im AIIgemeiDeo alles
das, was eluem Subjekt gleiehsehr zukommen und nicht
zukommen kann, was nicht in seinem Wesen enthalten
und durch die Nothwendigkeit seines Wesens gesetzt
ist ^), was daher weder noth wendig, noch in der Regel
stattfindet ^). Dass ein solches angenommen werden miisse^
und nicht Alles mit Nothwendigkeit geschehe, beweist
1) Wie er selbst sagt Phys. II, 4.
2) An. post. I, 4. 73, a, 34. b, 10: Aristoteles nenne ita&* airaty
üua vita^xst' rs ev t<^ tI iariv . . tteU oaots rwv ivimaQXQvrutv
avTOiS avta iv rv»! Aoy^ ivvTtaQX^voi ry tI iari Sfjkavri , . . oW
de ftriSsrlQwi yndgx^h avju^ßtßijKOTaj ferner t6 f*iv Si avro vTrdg-
yov SAaavat vta&* avvoy to 9t fiij Si avro avjußeßT^HCQ. Top. I,' 5.
102, 1^ 4: 2ofiß^ßtin69 6i iartv ►• o ivSixsra^ vnaQxstv qr^v
hl mal tf^ avTvt %a\ fii) v7tdQ%6i>v vgl. Anal. pr. J, 13, Anf. Xiyva
^ ivd^x^o&ai Y.al ivSsxofievovj ö fiij ovros dvayxaiovf rsd'ivroi S*
vndQ%6tv, aSiP iovai Sid x^v dSvrarov, Metaph. IX, 3. 1047»
a, 24. Von dieser Bedeutung des av^ßs^tjuoQ ist nun die früher
(S. 404y 3) erörterte allgemeinere Bedeutung desselben Ausdrucks
zu unterscheiden, wornach er alles accidentelle Sein überhaupt
bezeichnet. Aristoteles selbst bemerkt diess ausser An^ post. I, 4.
auefa Metaph. V, 34)^ Schi., wo er nach der sogleich anzufüh-
renden Bestimmung beifügt: Xtysrai Ss nal a'AAeuc ovfjtßsßrjmoi,
otov ^oa vni^xsi indartü xa&' avvp fit) iv xij aai^ orvtty oiov
Toj TQ^yoiVfff TO Svo o^ds ex6*t^» Das avfißsßtfteos im letzteren
Sinne nenni er auch, mit einer eigenthümlichen Zusammensetzung,
das avfAßaßtiMos xa&' avro: An. post. I, 22. 83, b, 19: avfißs-
ßrjHora yd^ tan ndvva [oaa fxij ti 4<jt*], oeA^a xd filv 7(a&'
avTOy td bt xa&^ svegov XQonov, Vgl. ebd. I, 6. 75, a, 18. I, 7.
75, b, 1. Aus dieser verschiedenen Bedeutung des avfißeßijtto^
erklärt es sich nun, wie Aristoteles an verschiedenen Orten Ent-
gegengesetztes darüber aussagen kann, das eineroal z. B., es
könne nicht Gegenstand der Wissenschaft sein, das anderemal,
es sei diess. Vgl. An. post. I, 6. 75, a, 18: tmv S^ av/i^eßt^no-'
Twv itfj Mtt&* avzd 8% eaviv iniajTjfiij dnodeinrixi^, Fibd. I, 7.i
T^tTOV yfvos TO vjtoxBifisvoVy » Tce Ttd&tj Hul T« H«^ avTa avfi-
ßsßrjnoTa BrjkoX tj dnoBu^i. Man sehe über diese ganze Unter-
scheidung TfiENDSLESTBUBG z. AHst. de anima S. 188 ff.
3) Metaph. V, 30, Anf. ^vfißeßtjüoe ■ Xtysra* o vitdgxH filp Tivt>
xal dXtjd'ts einstv « fiivroi «V *J dvdyxrj^ »r* eitl t6 nolv. Die-
selbe De6nition VI« 2. 1026f b^ 51. (Hh 8«) Phys. IT, 5> Anf.
422 I>>e Aristotelische Metapkysili.
er zunächst aus der allgemeitien Erfahrung; 0) und losbe*
sondere der Thatsache der Willensfreiheit 2); genauer
jedoch weist er den okjektIven.Grund des Zufälligen da-
rin nach, dass Alles, was nicht absolute Wirklichkeit Ist,
die Möglichkeit des Seins und Nichtseins In sich hat,
oder was dasselbe ist, dass die Materie, als das Dnbe-
atlmmte, entgegengesetzte Bestimmungen möglich macht ^)»
Von dieser Beschaffenheit des Endlichen rührt es her,
dass innerhalb desselben Vieles geschieht, was in der
Zweckthätigkeit der Natur oder des freien Willens nicht
enthalten ist; denn diese ist immer auf einen bestimm-
ten Erfolg gerichtet, nebenher aber bringt sie auch sol-
ches hervor, das sich nicht vorher bestimmen lässt, und
diess ist das Zufällige ^), das Aristoteles aus diesem
1) Pbys. a. a. O.
2) Ausdrücklich geschieht diess nur De Interpret, c. 9, wo aus dem
Begriff dos Zufllligen eine sehr richtige Regel fiber die Entge-
gensetzung in Modalsätsen hergeleitet wird) doch vgl. Etb. Nile.
III > 3.
S) De interpr. c. 9* 19» 8,9: es müsse einen Zufall geben on oXwe
lar«v ip TOtQ fti^ atl ivegyaai ro SvvavoP tlya^ naX,fi9J ofioiwi^
wogegen in dem Ewigen Möglichkeit und Wirkliohkeit susam-
menfollen: iv9i%ta&m,t yd^ y/ etpat bSiv Sia<pt^& iv toXs d\'3io&£
(Phys. III» 4. 203) b, 30). Melaph. VI» 2. 1027» «» 13: oiare
fj vXrj h'ava$ alriaii i^ ivSex^fiivti nagd ro wgeTr^rovolv aXlatSi rS
üvfAßsßtjHcxoi, De coel. J, 12. 283» a» 31: ^v dno re avro^
fitlrov tiv atp&a^TOp aV dyivtjxov otov r elrai, wofiir dann im
Folgenden steht: $} vXfj ahia th elvai nal ^y* Metaph. VII» 7«
(oben S.'412, 3} Pby8.ir»5 197» a, 8: doytara f*ep Sv rd airta
drdyxti elvat, dtp* ihp yivo^vo vo dno rvxrj^»
4) Metaph. V» 30. 1025» a» 24. De gen. an. IV, 10, Sehl. ßshvün
fiiv SP 17 <pvat9 TOis VBTwp dQt^fuui aQt&fitZp rds y$¥iaM utal
ras nXtvtdiy an dttQtßoZ Si Sid re rijp riji vXtjQ doQioTiav u. s. f.
Phys. ir» 5. 196> a, 24: wotisq mal ow iari x6 (aIp «o^' «i'to xo
de Kard avfißißvjnoft arw xal airiop ipSix^rui iipai . . ro fjtep Iv
xet^' avTo all top (oQioftivopy ro 9k natd avfißeßiptoQ doQtOTOv . .
xa&antQ üp iXix^fj^ ovap iv TOt£ erimd rs yiypoftf'potc töto yi-
vtfTut, TOTS Xtyixat diro xavtofidxov nal drto xvxtjS — welche
beide Ausdrücke sich nach c 6* so unterscheiden, dass avxofjM-
Die Aristoteliische Metapfaysilc. 42S
Grudde fär etwas erklärt, das den Nfchtsefendän nahe
stehe ^). Das» übrigens ein solches nicht Gegehstand
der Wissenschaft sein kann ^), muss sich aus allein deäi
ergpeben, was sch^n früher über den Begriff des Wisaens
bemerkt worden ist.
Wie aber nach dieser Seite der Zufall, so hat uacb
einer andern die Naturnoth wendigkeit in der Materie ih-
ren Grund, und beides ist insofern dasselbe, wiefern auch
das Zufällige In der Natur dadurch entstehen soll, dass
im endlichen Sein wegen seiner Verwicklung mit der Ma*
terie in der Verwirklichung eines Zwecks Erfolge her-
vorgebracht werden, die nicht durch diesen Zweck ge*
fordert sind. (Nur im menschlichen Handeln giebt es
auch itecb einen andern Grund des Zufälligen, die Wil«-
lensfreiheit. ) Unter der Naturnothweudigkeit versteheti
wir hier das, was Aristoteles^ wo er von den Gründen
des natürlichen Seins redet, im Unterschied von der Zweck-
ursache als die dpäyytn bezeichnet, die von ihm so ge-
nannte hypothetische Nothwendigkeit, d. h. die der un-
entbehrlichen negativen Bedingung, der conditio sine qua
non^^. Diese nun hat ihren Grund in der Materie, denn
Tov das Ungefähr überhaupt, tvyjtj das Eingreifen des Zufalls in
die menschlichen Handlungen bezeichnet.
1) Melaph. VI, 2. 1026, b, 21: (paiverai. yaQ ro av^ßsßijuoi lyyvs
T» tu fJftj ÜVV09,
3) An. post. I, 30. Zh Anf. Metaph. VI, 2. 1026> b, 2 ff. 1027» a, 19.
(XI, 8) vgl. S. 421, 2.
3) De part. an. I, 1. 642, a, 1: eialv aga dv aiTia& avratt ro
^* tr svsua nal ro t{ dvdydfjS' noXXd ydg ylv6Ta& oti dvdyy.i],'
i9(09 9* av T*5 dnogtjaM noia» Xtyovaiv dvdyKrjv ol XiyovreQ ij
dvdyxtjQ' x(uy fitv ydg Bvo TQonoav bSivifiov oiov rs vTtagxs^v^
Ttxif diütgiafi^vwv ip ToW xard <piloao(pi'av (die Nothwendigkeit
des Begriffs und die Nothwendiglieit des Zwangs; s. Phys. VIII,
4. 254» b, 13 An post. II, 11. 94» b, 57. Metaph. V, 5. 1015,
a» 26 ff. XI, 8. 1064, b, 35). tart ^ tv ye to7s ayovat yiveoiv y
TQivtj, XlyofASv ydg xrjv tgo<f>tjv dvayaaiov vi nar odivBQOV tutojv
volv T^oTTOtiPf dXk* OTI »X *'•' *"* ^^^^ TavTtf£ sivtti. Vtizo y h\v
4M I>{a Aristotelische Metapliysttc.
«ben diese ist das Mittel, oline das die Form und der
Zweck in den endlielien Dingen nieht verwirkliclit wer*
den kann '); das Endliche ist dem Gesetz der Notliwen-
dig^keit unterworfen, sofern sicli in ilm die Form nur in
diesen bestimmten Stoffen und unter den durcli sie be-
dingten Modifikationen darstellen kann.
Wie sich nun dieser Begriff der Materie zum Plato-
nischen verhält, hat Aristoteles selbst schon sehr klar
ausgesprochen. Während dem Plato die Mateiie als sol-
che nur das Nichtseiende, die Negation der Idee ist, so
ist sie ihm zwar in Einer Beziehung auch das Nichtsein
der Form, genauer jedoch nur ihr Nochnichtsein, sie ist
an sich dasselbe, was jene in entwickelter Wirklichkeit
ist, und nur abgeleiteterweise ist sie das Negative gegen
die Form, das Unwirkliche und Böse, sofern die blosse
Möglichkeit der Wirklichkeit entgegengesetzt ist ^).
woTts^ i^ vno&heois. Genaueres über diese Art der Nothw^r
digkeit und ihr Verhaltniss zur Zweckthati^keit in der Natur im
nächsten §. Hier mag vorläufig auf Phys. IT, 9. An. post. If,
11. 94, b, 27 part. an. I, 1. 639, b, 25. Mctaph. V, 5. verwie-
sen werden.
1} M. s. ausser d. vor. Anm, und Metaph. V, 5» Anf. besonders Phys. II,
9. 200j a, 5: aXk* bfiojs oh avtv fitv tötojv ytyovcVf » uivvo^
S$d ravra nX^if oic dt* vXt^v .. 6fioiix)9 Se xal iv to7s aXlots
naatVf iv iaois ro 'ivsKa t« iarivf «x äyev fitv riZv avayxaiav
ixojfroiv T^v (pvaiVi » fjtlvroi ye did ravra dXX' ^ ok vl*j» ...
ij vno&lasfui Brj ro dvayxaioy^ dkl* a^ ojs rikot ' iv ydg riy vkrj
ro dvayxaiov, ro d' » tvBKu iv tw koyt/f. Vergl. part. an. Iff, 2.
623, b, 20.
2) Phys. I, 9, nach den früher angeführten Untersuchungen über
die Materie: 'Hfjtuipoi ftev sv nal 'iregoi rtvit elaiv avr^s^ dkk*
&X tnavm, nqonov ftiy yuQ ofiokoySaiv dirkats ylvso^at in fi^
oyros .. sha (palverai avtotty sincQ iarlv dfft&fim fiia, xal dv-
vdfjtH fiia fiopov tivat. taro di S&atpiget nketoroy, i^ueU fiip yd^
vkijv Hai QtiQtjatv iTSQov tpafi6V elifai, Hai rarotv to ftir in ov
Btm& nard avfAß^ßTjno9 ^ rijtf vkt^Vf riji» Sc ori^rfot» xaQ-' avti^v.
Mal r^v fiiv iyyve Hai öaiav wwc, r-^v vkrjv^ (vgl. oben S. 414, 1)
rtjv dh ar/^t^tv eSoftiuS . . . »; fjiiv ydQ vitofiivovea oovatria rj]
fio^tpÜ vdtv y$voftivwv wnV, wane^ f^n^V^' V ^ «•^« f*^'^^ '^i^
Die ArUtotelische Metaphysik. 425
ist aber dieses das Verhältniss von Form und' Mate-
rie^ so stehen ebendamit beide In wesentlicher Beziehung,
es ist der BegrHf des Möglichen, ein Wirkliches zu wer*
den, und der Begriff des Wirklichen, die Wirklichkeit
des Möglicheil zu sein, oder wie diess Aristoteles aus-
driickt: die Materie hat ein natiirliches Verlangen nacli
der Form, und die Form ist die Entelechie der Materie.
— Die Materie ist an steh selbst der Ergänzung durch
die Form bedürftig, sie bewegt sich daher der Formbe-
stimmnng entgegen, entwickelt sich zur Wirklichkeit >)
-> diess ist allerdings eine unklare Vorstellung, denn die
Materie als das schlechthin Bestimmungslose und in kei-
ner Hinsicht Wirkliche könnte auch nicht den Trieb zur
Entwicklung, der doch gleichfalls eine bestimmte Quali-
tät ist, in sich tragen; indessen ist diese Vorstellung
durch die Lehre des Aristoteles, dass die Foi'm als sol-
che durchaus unbewegt sei, und weiter durch den gan-
zen Dualismus seiner beiden Principien entschieden ge-
fordert, wesshalb sie uns auch später in dem, was er über
das Verhältniss Gottes zur Welt und der menschlichen
Vernunft zum leidenden Theil der Seele und zum Körper
sagt, wiederholt vorkommen wii*d. Doch darf man sicli
die Sache nicht so vorstellen, als ob er der Materie ehi
bewusstes Streben nach der Form oder Empfindung bet-
legte; mit dem Ausdruck „Begehren^^ wil) er vielmehr
ivavT&wasojs (die attQrjaii) Trokkanis av (pavtaa&elrj tw nQOi ro
naxonotov avrtjs aTcvi^ovri tj}v 9&dvo&av eS' elvai roTtaQanav,
1 ) Phys. f, 9> nach den eben angefahrten Worten : ovroi yd^ rtvos
&8iov ttal dya&S xal ifperSf ro fiiv ivavviov avrt^ (pafitv elvai,
t6 di o nltpvKSV t<pi80&a$ nal ogiytad'at avra xatd r^f tawo
(pvaiv ToU de avfißaivci ro ivavxiov 6(tiyeo&ai rrji iavTutp&oQai.
Kairos 8Te avTO iattS olov ta itpitad'ai ro alBoQ dtd ro ftr/ slvai
ivdaiiy 8TS ro ivavriov gf&agrtxd yd^ dkXrjkojv rd ivavtla, dkkd
' r^r* 6ovt%* 17 vXt^t ^ioTtsp äv el d'tjXv a^^avoe xal alaxQoy xake,
nXriv 8 xad"* avfo alax(fov dkkd xard avftßsßyxoe, aSi &9jkvf
dkkd mtrd Qv^fiefltfxo^»
426 X>ie Aristotelische Metapbysilf.
nur überhaupt das nicht näher begtfmnite Wesen des in
der Materie schaffenden Triebs bezeichnen. Diesen selbst
aber hat die Materie nicht als solche, sondern nur ver<-
möge ihrer Beziehung^ auf die Form, diese ist dah?r das,
was als thatiges Princip den Stoff bewegt, und zur Wirk-
liohlieit bringt, die Entelechie der' Materie. Dass die
Form dieses sei, diess ist im Allgemeinen schon io d^
früher beigebrachten Stellen ausgesprochen, welche die
formelle und die bewegende Ursache fiir eine und dieselbe
erklären; Im Besondern werden wir dem Beweis dafär in
der Lehre unsers Philosophen von der Bewegung und
vomyerhältniss Gottes zur Welt sogleich begegnen. Wats
den Begriff der Entelechie betrifft, so gebraucht Aristo-
teles diesen Ausdruck allerdings sehr oft gleicbbedeo-
tend mit Energie, und bezeichnet an Einer Stelle sogar
den absoliiteti Geist als Entelechie^), doch btdeutet ibai
dieser Name die Form vorzugsweise insofern, als sie das
die Materie bewegende und zur Wirklichkeit führende
Priaeip ist, die Form als Zweckthätigkeit; die Seele z. B.
ist die Entelechie des Körpers als der Grund sein«* Le-
bensthätigkeit ^), und eben in der Lehre von der Seele
bedient sich Aristoteles dieses Ausdrucks am Häufigsten
weil er es hier mit der auf die Materie bezogenen Form
zu thun hat, wogegen er den reinen Geist in der Reg«l
Energie nennt.
Die Entelechie der Materie als solcher aber ist die
Bewegung 3), und so f&hrt das Verhältniss der Form und
1) Metaph. XII, 8* 1074. a» 35: ro Si tI ^v tlva$ sß ix^t vlffv xo
iTfWTOv. ivxsXi%%uL ya^.
3) Vgl. De an. 11» 2« Scbl. ixdoTQv yd^ ?} tprelixua ip r^ dvyd^
fitt vnuQxovxt nm\ r/7 oineiif vkij m'ipvxsv iyy$r$9&et&, c. 4* 415«*
b, 14: xS Svvdiu6$ ovxos Xoyoe ij kvx§Xt'xim* Ueber die oben-
berührte Defmitioii der Seele s. u., über den Begriff der Ente-
lechie: Tmbvdbleubvbo SU De an. IT» 4. S. 296 ff. BiitSB) Phil,
d. Ar. I, 479 iL Ritter, Gesch. d. PhiL HI, 210, 2.
3) Phys. III, 1. 201, a, 10. b, 4: 17 tv öwaf/^i orx0t ivxtXix^tan
. Die Aristotoliscfae Metaphysik, 4917
Materie zu der Untersudiung aber die Beweg^iing^ und
ihre Oriiiide.
3. Die Bewegung; und das erste Bewegende.
Was Aristoteles mit der eben angefiilirten Definition «»«•
drucken will, hat er selbst erläntert. Die Bewegung ist
die Entelechie des der Möglichkeit nach Seienden, d. b»
sie ist diejenige Tliätigkeit, wodurch das vorher nur als
Anlage Gesetzte Dasein erhält, das ßestlinmtwerden der
Materie durch die Form, der Uebergang von der Möglich^
keit in die Wirklichkeit; die Bewegung des Bauens z. B«
besteht darin, dass das Material, aus dem ein Haus wer«-
den kann, wirklich zu einem Hause verarbeitet wird. Sie
ist aber die Entelechie des Möglichen, nur als eines
solchen, d. h. nach der Beziehung, in welcher es ein
bl^s Potentielles ist; die Bewegung des Erzes z. B., ans
dem eine Bildsaule gegossen wird, betrifft dieses nieht,
sofern es Erz ist, denn insofern bleibt es unverändert,
insofern war es aber auch schon vorher der Wirklichkeit
nadi, sondern nur sofern es die Möglichkeit, zur Bild-
säule gestaltet zu werden, in sich enthält *)• Diese Un^
terscheldung findet übrigens, wie nat&tlich, nur da ihre
Anwendung, wo es sich um eine bestimmte Bewegung
handelt, denn diese bat immer ein solches, das schon ir-
gendwie wirklich ist, zum Substrat; fassen wir dagegen
den Begriff der Bewegung allgemein, so ist sie überhaupt
das Wirklichwerdeu des Möglichen, die Vollendung der
Materie durch die Formbestimmung, denn die Materie als
vfQov vT$ xivrjaie iartP, VIIT, 1, 251, a, 9: tpafikv dt) r^v nivrj^
üiv tivat ivreXi'xsiav tu nivrjT^ /) Mivrixcv, Dasselbe Metaph.
Xlf 9. 1065) b, 16* S3* (nur dass in der erstereu Tom diesen
Stellen statt hrtL ivlgyna steht) y wie denn überhaupt dieses
Buch der Metaphysilc neben dem sechsten Buche derselben Schrift
vorzugsweise an Stellea der Physilt erinnert.
1) Phya. III, 1. Metaph. Xf, 9.
Die Aristotelische Metaphysik.
solche ist ja blosse Mdgliehkelt, dte noch in keiver tt^
Ziehung zur Wirklichkeit gelangt ist. Unter diesen Be-
griff fällt nun aber alle und jede Veränderung, alles. Wer-
den and Vergeben; nur auf die absolute EststehuRg uad
Vernichtung wurde er nicht zutreffen, da bei dieser auch
die Materie hervorgebracht oder aufgehoben würde, eine
solche nimmt aber Aristoteles auch gar nicht an ^). Wenn
er daher auch das Werden und Vergehe» für keine Be-
wegung gelten lassen will, und aus diesem Grunde sagt,
dass swar jede Bewegung eine Veräedernng sei, aber
nicht jede Veränderung eine Bewegung^), so ist. doch
auch dieses nur ein relatirer Unterschied, der sich im
aligc^meinen Begriff der Bevveguag aufhebt ; wesshalb auch
Aristoteles selbst anderwärts ^ x/i^j^ff«^ und fierußoXi^ gleich-
bedeutend gebraucht. Dm Nähere über die verschiedenes
Arten der Bewegung gebort der Physik an.
Alle Bewegung also ist ein Mittleres zwischen po-
tentiellem und aktuellem Sein, eine M^glidikeit, die zur
Wirkliehkeit hinstrebt, und eine Wirkliehkeit^ die noch
Ml die Möglichkeit gebunden ist , eine unvollendete
Wirklichkeit. Von der blossen Potentlalität unterschei-
det sie sich dadurch, dass sie Hntelechle ist, von der
reinen Energie als solcher dadurch^ dass in d^r Energie
die auf einen Zweck gerichtete Thätigkeit zugleich ein
Erreichthaben des Zwecks ist, das Denken z. B. in
Snchen zugleich geistiger Besitz des Gedachten, wogegen
die Bewegung im Erreichen ^s Ziels erlischt, und darum
nur ein unvollendetes Streben ist ^). Auch jede bestimmte
1) S« o« u« Metapb. XU, 3, Anf. ov yiyverai ovre ^ vl^ ovrs ro
ttSoSt Xfyio ii rd taxara,
2) Phys. V, 1. 225, a, 20. 34 u. ö. s. u. -
3) Z. B. Phys. III , 1. 261 , a, 9 ff. c. 2, Anf. IV, 10, Schi. VIII,
7. 261, a, 9. u. ö.
4) Phys. III, 2. 201, b, 27 : tov Ifi Sonstv dogtorop slvai rrjv niyij-
otp airtov oTi ovt$ eis dvpofuv twp 9Vt<m^ 0¥t$ tls ivi^yttav
Die Ariatoteliscbe Metaphysik. 4M
tiewtgung daher ist Udbt(i*|;«ii^ von einem Zuslatid ib
einen entgegettn^esetzten^ von de«, was ein Ding zu sein
aufhört, in das,, was es erat werden soll ; wo kein Gegen-
satz ist, da ist auch keine Veränderung ^). Aus diesem
Grunde setzt nun alle Bewegung zweierlei voraus, ein
Bewegendes und ein Bewegtes, ein aktuelles und ein po*
tentielies Sein. Das blos Potentielle kann keine Bewe*
gung erzeugen, denn ihm fehlt die £nergie, das Aktuelle
als solches ebensowenig, denn in ihm ist nichts Unvoll^
endetes und Unentwickeltes; die Bewegung ist nur au
begrejien als die Wirkung des Aktuellen, oder der Form,
auf das Potentielle oder die Materie ^), und auch In dem,
tan ^itvui aiTTjv airlwS' ovve yag to dvvarov nooov sivai xi-
vstrai if dvdyxf^s ovts t6 ivt^yeia, iroa^v^ ^ t$ nipfjoiS ivi^ysia
piiv r»c iivmi dotttty utskiif ii* alv*ov S* ot$ drtkis t& Swo^ot^
ov iavlv ri iv:'gyeta, (Dasselbe Metapb«« XI, 9. 1066, a, 17,)
Metapb. IX, 6, 1048, b, 17: tV«? Si twp ngä^iviv atv iarl ni^aQ
ovSsfila rikoi dXXd rviv itsgl to tHos, oiov rov taypalvetv rj ia-
Xvaaiay aurd de orav iQxvalvrj ovTtoi iariv tv tuvtjasty /lij vnaQ^
^ovia (UV Si'sxa t/ itivtjatC., ovk l'art tavva TTQaSiS ij ov reXslet ys *
ov ydq tÜ.os^ dXX* CHeivrj iwJidQX^^ ^^ riXos nal rj yrgd^ig , . •
ot yaQ afia' ßadi^tt xai ßsßdStnsVt ovS' ^xodofiit utal ojnodofirj^
mev u. 8. w. bthQans di xal oQa a/ia to avxo xai votT xal ve-
vofjUBV T1J» fikv ovv ToiavTi]V ivi^yttav Xiywy ivtaivtjv Ss xivijaiv.
De an. II, 5. 417, a, 16: ttal ydg iartv ^ HtvTjats ivfgysid r*ff
drtXi^g fiivTou III, 7. 431, a, 6. v ^«P nlvrjais rov dteXovS
iviqyna yv.
1) Phys. V, 1. 224, b , 26 ff. 225, a, 10. Metapb. Vllf, 1. 1042,
a, 32. XII, 2. 1069, a, i^i slt tvavTiojotiS av shv tccc xa&i^'
naoTOV at fisraßoXal' dvdyxfj dtj fittaßdXXeiv ryv vXf^v Suvafiivfjv
afjLtpO)* intl Se diTTov to oV, fitraßdXXst ndv Ix tov dwdfjtst
ovTos 6iS to iv6Qyii(f ov.
2) Pbys. III, 2 (S.428, 4). VUIy 5. 257, b,. 8. Metapb. IX, 8 bes.
1050, b^ 8 ff. XII, 3, Anf. s. o. S» 410» 1 i Pbys. VII, 1 : anav
TO Htvovfiivov dvdynij vno Ttvoe Kivsta^ait was sofort daraus
bevriesea vrircl, dass auch bei dem scbdnbar sich selbst Bewe-
genden die bewegjte Materie nicbt z^leicb das Bewegeade sein
könne , denn wenn ein Tbeil derselben rube , so rube aucb das
Ganze, Rube und Bewegung, de» sich selbst Bewegenden aber
f >■
4M Die ArisUtelisch« Metaphysik
was sich ftelbst bewegt, muss ^keli inHner dasBew^^inte
ein Anderes sein ala das Bewegte, wie in dea lebenden
Weaen die Seele ein Anderes ist als der Leib^ der von
ihr bewegt wird, und in der Seele selbet, wie wir unten
noch finden werden, der tbätige Tbeil ein anderer, ala
der leidende ^). Wie daher dem frfiher Angeführten zu^
folge ohne die Materie oder das potentielle Sein kein
Werden mögliob wäre, und ein absolutes Werden oder
\ergeben undenkbar ist, so ist auch kein, Werden ebne
ein Wirkliches möglich, das ihm als bewegende Ursache
vorausgeht, und auch wo das Einselne sich aus der blossen
Poieniialiiat zur Aktualität entwickelt, jene mithin in
ihm früber ist, als diese, muss ihm doch ein anderes ak*
tuell existirendes Einzelnes vorangehen: das organische
Individuum entsteht aus dem Samen, aber der Same wird
von einem andern Individuum producirt — das Ei ist nicht
früher , als die Henne ^). Ebenso aber umgekehrt : wo
könne nicbt von einem Anderen abhängig sein. «Der wahre
Grund jener Bestimmung ist indessen der oben und Pbys. IlT,
2 angegebene., De gen. et corr. II, 9: weder die Form für
sich, noch die Materie für sieb erkläre das Werden 3 rijs fitv
yag vk\s to ndaxatv toxi xal ro xtyeiOxtau, t6 dt noutv mal tu-
V6iv ixi{faQ SwdfifcuS. ' •
i) S. vor. Anm. u- Pbys. VIII, 4. 255, a> 16^: dvdyiuj ^ijiQfjo&ai
TO xtvovp iv ixaaTff) ttqos t6 nivovfisvovy oiov inl twv d^fvxfop
oQOi^ev ^ otav kiv^ rt ratv ifjtxpvxiu» avvd' dkXd avfißaivsi %al
ravta vtto tivos del xtv6iad'a&' yivoiTO 3* av tpavsQOV SiaiQOva»
ras airiad besonders abör Pbys. Vi! I, 5. 257» b, 2: ddvparoy
di^ TO avro avro ntpovv ndvrp Hivelv avro avio' tp^QoiTo ydg
dv üXov ual q)i(}0& ryv avt^v q^oqdvj tv ov xal drofiov roT sidsi^
u. S. w. irt ÖLii^QioTai or» xtvelrai to xtvrjtov • rotto ^ iaxl 9v^
vdfiH xtPOVfACVOV , ovx ivtakBxdtt ' ro ^ Jfvpdrfisi tie tvxsXtxsiap
ßttdiXtf ^axi ^ t)^xhni€tts ivxtX(x*^ta xttnjrov dxiX^^' xi de mvovv
ij9^ ipsgyeiff. ioxlp*
2) Pbys. II, 7. VIII, 9. tes, a, 22. Mctaph. VII, 7. XII, 3. (S. o.
8.412, 2. IX, 8. I(]l49i b,24: (S. auch oben, S. 410,1.} du ix xov
BvvdfAei ^vvot ylyi^xai x6 iv^^yniq. m^ i^ttö in^ysia o'i'tos , oiop
' ar^fiOTiüi ii dvd'^wTtov, f*m>(nx6s vno ftovotxovy del xivovvxos
Dte Aristotelische Metapliysik. i|tl
eilt aktuelles Sein mit einem potentiellen zosanmentrifff,
und keine äussere Hemmung dazwisclieutritt^ da entsteht
immer die flinen entsprecliende Bewegung ^). Das, worin die-
se ist, ist das Bewegte, das von welchem sie bewirkt wird,
das Bewegende, so dass sie also eine gemeinsame Tliä-
tigkeit beider ist, die aber von Ihnen In entgegengesetzter
Richtung ausgeht ')• Die Wirkung des Bewegenden auf
das Bewegte aber denkt sich Aristoteles durch eine
ßerüihrung beider bedingt ^), und diese Bestimmung
erscheint ihmsonotfawendig, dass er auch von dem schlecht-
hin Immateriellen behauptet^ es wirke durch Berührung:
selbst das Denken sinll das Gedachte durch Berührung
desselben in sich aufnehmen^), — das Gedachte verhält
sich aber zum Denkenden , wie die Form zur Materie ^
mos TtQiuTov 1050, b, 5: (pavtQov ovi nQottQov ty ovai'<ji iv^Q-
yeta Svvd/itojf ttal wottsq tinofisv^ tov X(f^^ov dtl ngolafißavei
iviffyua iriija ttqo ir^^av ewS t^S tov del ntvovvros tt^ojvoj^,
XII, 5, 1071, b, 2a ff. c. 6. 1072, ßj 9x irQor&^ey tpt^ysw Bwd^
fitws • . et ^6 (AtlXit yivtaa Kai (p^OQoi elvai , »X^ SsZ ttvai asl
ivsQyovp akhui nal äkXoje, De gen. an II, i. 734,. b, 21: öoa
<pva{t ytverai rj tixvij vn ive^ysitf. ovto's yivBvai ix tov dcvdfisi
TOtovTov. Phys. in, 2, Schi. slSoe St dtl ol'otrai r« to xtvovPf
\i o iarai d^x^ '^^ atnov rtjs'mPi^osoih orttv ittvjjy otop 6 <V-
Tslixsta av&QWJTOS 'Jtotst hm tov dvvdfiet optoS dv^^utnov av-
9^(nTtov. Melaph. VII, 9, Schi. IX» 9, Sohl XII, 7. 1072, b,
30 ff. De an. II, 4, Anf. IH, 7, Anf.
1) Phys. VIII, 4. 255, b, 3 ff.
2) Phys. III, 5.
3) Phys. III, 2, Schi, i} nlvfja^9 ivtsXix^ta tov mvfjvov p ntvijTov
ot*ßifimiv4i 9i toCto &fie$ rov mpfjtixov , ^o&* äfta nal Ttdox^*'
VII, 1. 242, b, 24. VII, 2, Anf. To di ir^mTov tttvovv , . . iotlv
äfs« r<jj» M^rov/iinft* afia Si Xiyoj, Sior» ov&i» avreHr ftataiv
iertt^* Tovto yd f. noivo» iirl narT